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Politik und Kultur in Lateinamerika

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Macipe, Javier: Der Blaue Stern

Teresa Rodríguez | | Artikel drucken
Lesedauer: 4 Minuten

„Der blaue Stern“, der erste lange Spielfilm des Regisseurs aus Zaragoza, Javier Macipe, ist ein ungewöhnliches  Biopic, das sowohl beim Publikum als auch in der Fachkritik punktet. Für den Streifen gab es 2023 den Jugendpreis im Filmfestival San Sebastián und aktuell ist er als bester Film im europäischen Filmfestival Sevilla nominiert. Er versetzt uns zurück in das Spanien der Neunziger Jahre und lässt uns an der Lateinamerikareise des Rockmusikers Mauricio Aznar teilhaben. Er hat die Hoffnung, seine Berufung für die Musik wieder zu beleben und der Drogensucht zu entkommen. Berufung und Sucht, Rock und Heroin, im Spanien der Neunziger, all das scheint schon mal durchgekaut worden zu sein. Dennoch setzt die Magie bereits ganz am Anfang ein; in dem Moment in dem der*die Zuschauer*in realisiert, dass es sich nicht um ein typisches Biopic handelt. Es geht nicht um einen berühmten Musikstar, der dann „abgerutscht ist“. Vielmehr wird hier dem anonymen Musiker Tribut zugesprochen, der den Sprung nicht geschafft hat und an den sich die breite Masse nicht mal erinnert. Mauricio, die Hauptfigur, verdient mit der Musik seine Brötchen – und wir begleiten ihn durch seinen Alltag, der bei weitem nicht glamourös ist.

Der Regisseur führt uns, auf halbem Weg zwischen Biografie, Musikdoku oder traumwandlerischer Fantasie, immer mit der Gitarre im Hintergrund, durch die Landschaften im Herzen Argentiniens, weit weg vom kosmopolitanischen und so oft plakativen Buenos Aires.

Auf seiner Reise der Verwandlung und Identität, die in Zaragoza ihren Anfang nimmt, schlägt Mauricio unvorhergesehene Wege ein. Jenseits der Schlaglöcher zeichnen sich Siestas und Erde ab, Folklore, Chacarera und viele aufgestapelte Stühle im Haus des Maestros Carabajal, dessen Türen geöffnet sind für eine Gemeinschaft, die, da bin ich mir sicher, noch weiter atmet, sehr lebendig, dort draußen, sobald der Vorhang gefallen ist und die Fiktion der Realität Platz gemacht hat.

In Argentinien angekommen, läuft die Zeit langsamer. Die Charaktere treten in eine andere Dimension ein, in der man nicht einfach nur lebt, sondern mit Körper und Seele im Hier und Jetzt ist. Diese andere Lebensart ist es, die Mauricio wieder ganz werden lässt und die eine innere Wandlung herbeiführt.

Auf ästhetischer Ebene ist eine in sich stimmige Erzählweise lobend hervorzuheben, die nie den realistischen und brauchtumbetonten Ansatz aus dem Blick verliert. Dabei sind weder Ton noch Bild von der Konserve. Die Wohnung, Straßen, Möbel, Kleidung oder Bars in Zaragoza erinnern an die Neunziger. In der Musik finden wir diesen Realismus genauso wieder, fast gänzlich unbearbeitet, in einer spanischen Produktion über Musiker*innen. Alles was Mauricio singt und spielt, passiert live und direkt. Dadurch musste der Schauspieler im Vorfeld der Dreharbeiten auch zum Musiker werden. Ich könnte außerdem schwören, dass einige Schauspieler*innen zum ersten Mal vor der Kamera standen.

Die schauspielerische Leistung aller, sowohl der Profis als auch der Laien, ist hervorragend. Besonders hervorzuheben sind die Eleganz und der Respekt, die der Schauspieler Pepe Lorente seiner Rolle Mauricio einhaucht, in seinem komplexen Spektrum von Licht und Schatten, sowie der subtile und wohlwollende Blick des Regisseurs, mit dem er inszeniert wird.

Die Tragödie lässt sich schon von Anfang des Films an erspüren. Gerade das ist an dem Film so gelungen: Er ist trotz der sehr präsenten Tragödie, die der Regisseur durchaus zum roten Faden hätte machen können, eben nicht traurig. Im Gegenteil, der Nachgeschmack bleibt der einer Suche nach Licht und Identität, der Einsatz für eine Berufung, die menschlichen und musikalischen Spuren, die einige Charaktere in anderen hinterlassen – sowohl in denen die auf der Leinwand erscheinen, als auch in uns, den Zuschauer*innen, auf der anderen Seite. Es ist ein Spiel mit Realität und Fiktion, das irgendwie die ganze Geschichte über gegenwärtig bleibt und zwischen dem Wachzustand und dem Träumerischen hin und her driftet, ganz wie die Fantasie der Figur Mauricio.

Ein wirklich einfühlsamer und ganz realitätsnaher Film – und auch wenn es nur ein mögliches Ende gibt…Gar zu gern wären wir mit Rucksack und Gitarre losgezogen, um Santiago del Estero zu besuchen und fast zufällig über einen Jungen und eine Bombo Legüero zu stolpern, im Hof einer Familie wie  den Carabajals.

 

Regie: Javier Macipe

Der Blaue Stern

Spanien 2023, 118 Min.

 


 

Übersetzung aus dem Spanisch: Uta Hecker

Bildquellen: [1;2] Snapshots

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