Am kommenden 04. Oktober jährt sich zum fünfzehnten Mal der Tag, an dem die herausragende argentinische Sängerin, die liebevoll La Negra, La Cantora und La voz de América latina – „die Stimme Lateinamerikas“ – genannt wurde, von uns ging.
Der Autor dieser Zeilen hielt sich in der zweiten Jahreshälfte 2009 in Argentinien auf und erlebte den Abschied von ihr und die große Trauer um sie direkt mit. So stand er wenige Tage nach ihrem Tod zweieinhalb Stunden in der unendlichen Schlange der Trauernden auf der Avenida Callao im Zentrum von Buenos Aires, um sich von der im Kongress, dem argentinischen Parlament, aufgebahrten Künstlerin zu verabschieden. Beeindruckend war dabei nicht nur die große Menschenmenge, sondern auch dass alle Generationen vertreten waren, von Studenten bis zu sehr betagten Personen.
Ähnlich eindrucksvoll war der von Zigtausenden mit Blumen und Applaus begleitete Trauerzug durch die ganze Stadt zum Friedhof Chacarita, wo ihre sterblichen Überreste eingeäschert und, ihrem Wunsch folgend, in Buenos Aires, ihrer Geburtsstadt Tucumán und in Mendoza beigesetzt wurden.
Diese Tage waren sehr bewegend, zumal den Artikelautor die Musik Mercedes Sosas seit früher Jugend begleitete.
Geboren wurde die große Künstlerin am 09. Juli 1935 in San Miguel de Tucumán. Sowohl ihr Geburtsdatum als auch der Ort sind sehr symbolisch, da die damaligen Vereinten La-Plata-Provinzen, das spätere Argentinien, eben an einem 09. Juli im Jahr 1816 in Tucumán die Unabhängigkeit von Spanien verkündeten.
Haydée Mercedes Sosa stammte aus einfachen Verhältnissen und hatte neben indigenen spanische und französische Wurzeln. Auf letztere verwies ihr erster Vorname.
Ihr Vater arbeitete in der Zuckerindustrie, einem in der nordwestargentinischen Provinz Tucumán bis heute bedeutsamen Wirtschaftszweig, während ihre Mutter als Haushaltsgehilfin bei wohlhabenden Familien tätig war.
Schon frühzeitig entdeckte Mercedes Sosa ihre Liebe zur Musik, insbesondere zur Folklore ihrer Region. Mit fünfzehn nahm sie nicht ganz aus freien Stücken an einem Radiokonkurs des lokalen Senders von Tucumán teil und gewann. Danach wandte sie sich endgültig dem Gesang zu.
Sie wurde Mitglied des Ensembles der Brüder Herrera (Conjunto Los Hermanos Herrera) und sang auf peronistischen Parteiveranstaltungen und im Rundfunk.
1957 zog sie nach ihrer Hochzeit mit dem Musiker Oscar Matus nach Mendoza im Westen Argentiniens, nahe der Grenze zu Chile. Sie und ihr Mann bildeten hier mit dem Dichter Armando Tejada Gómez ein Ensemble, das bald zumindest lokal beachtlichen Erfolg hatte.
Für Mercedes‘ künstlerische Entwicklung war diese Zeit außerordentlich wichtig.
Mit den damaligen wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungen im Land wie Industrialisierung und Binnenmigration in die großen städtischen Zentren, vor allem nach Buenos Aires, erlebte die Folklore einen enormen Aufschwung und verbreitete sich dorthin, wo man bislang andere Musikstile wie Tango, Jazz, Rock n‘ Roll und Beat hörte und interpretierte.
In dieser Zeit veröffentlichte Mercedes Sosa im Jahr 1959 ihr erstes Album La voz de la zafra (dt. „Die Stimme der Zuckerrohrernte“).
Ab 1963 bildete sie zusammen mit Oscar Matus, Armando Tejada Gómez und anderen Künstlern die Bewegung Movimiento Nuevo Cancionero, die neben vergleichbaren Strömungen in anderen lateinamerikanischen Ländern, z.B. in Chile, die Folklore in eine neue, auch politisch engagierte und gesellschaftskritische Richtung entwickeln wollte und auch den Dialog mit anderen Musikstilen, insbesondere dem aufkommenden Rock, suchte.
1965 trennte sich ihr Mann von ihr, was für Mercedes sowohl persönlich als auch künstlerisch eine tiefe Zäsur war. In der Folge zog sie nach Buenos Aires.
Hier nahm sie ihre zweite Platte, Canciones con fundamento (dt. „Lieder mit Fundament“) auf, die wie ihre erste zunächst kein großer kommerzieller Erfolg war. Sie sollte später jedoch zum musikalischen Grundpfeiler des Nuevo Cancionero werden.
Jenes Jahr sollte allerdings auch das ihres großen nationalen Durchbruchs werden.
Auf Initiative des bekannten und beliebten Sängers und Gitarristen Jorge Cafrune wurde Mercedes Sosa als Solistin zum wichtigen Folklorefestival in Cosquín (Provinz Córdoba) eingeladen, wo sie das Publikum begeisterte.
Dieser Erfolg brachte ihr unmittelbar danach einen Plattenvertrag mit PolyGram ein, das Label bei dem sie ihr drittes Album, Yo no canto por cantar (dt. „Ich singe nicht um des Singens Willen“) veröffentlichte. Dieses wurde ein großer Erfolg und machte sie endgültig in ganz Argentinien und darüber hinaus bekannt.
1967 führte sie ihre erste Tournée ins Ausland, in die USA und verschiedene europäische Länder.
Weitere erfolgreiche Auftritte und Veröffentlichungen folgten, so 1971 ein Album, das der chilenischen Sängerin und Liedermacherin Violeta Parra gewidmet war. Auf dieser Platte mit dem
Titel Homenaje a Violeta Parra (dt. „Hommage an Violeta Parra“) erschien u.a. ihre inzwischen legendäre Version von Parras Gracias a la vida. Insgesamt wurde diese eines von Mercedes Sosas erfolgreichsten und beliebtesten Alben.
Nach dem Militärputsch in Argentinien im März 1976 sah sich auch die mittlerweile berühmte Sängerin wachsendem Druck und zunehmenden Einschränkungen gegenüber. So durften ihre Platten nicht mehr erscheinen und ihre Konzertauftritte wurden stark beschnitten.
Trotzdem wollte sie im Land bleiben. Doch nachdem sie zusammen mit dem Publikum bei einem Konzert 1978 in der Stadt La Plata (Provinz Buenos Aires) verhaftet und bedroht wurde, ging sie schließlich doch ins Exil, zuerst nach Paris, später nach Madrid.
Auch in Europa setzte sie ihre musikalische Arbeit fort, auch wenn das Exil nach ihren eigenen Aussagen sehr schwer für sie war. Sie produzierte mehrere Alben, arbeitete mit zahlreichen, v.a. lateinamerikanischen Künstlern zusammen und gab Konzerte, die ihre Bekanntheit außerhalb Lateinamerikas weiter erhöhten.
Anfang 1982 kehrte sie nach Argentinien zurück und gab eine Reihe von ausverkauften Konzerten im Teatro Opera in Buenos Aires. Dabei trat Mercedes Sosa mit Musikern verschiedener Genres auf wie dem Pianisten und Komponisten Ariel Ramírez, dem Bandoneonisten Rodolfo Mederos, dem Rock-musiker Charly García und dem Liedermacher León Gieco.
Neben ihrem musikalischen Wirken engagierte sich Mercedes Sosa nach der Rückkehr Argentiniens zur Demokratie Ende 1983 in starkem Maße für Menschenrechte und soziale Belange, was neben ihrem großen künstlerischen Vermögen und ihrer herausragenden Stimme maßgeblich zu ihrer großen Popularität beitrug.
Kurz vor ihrem Tod und gezeichnet von gesundheitlichen Problemen war es ihr vergönnt, mit 35 bekannten Künstlern aus Argentinien, ganz Lateinamerika und Spanien mit Cantora 1+2 noch ein Doppelalbum aufzunehmen, das ihr musikalisches Vermächtnis bildet.
Ausgezeichnet wurde dieses Werk posthum Ende 2009 mit zwei LatinGrammys, Cantora 1 erhielt die Auszeichnung als bestes Folklorealbum und für das beste graphische Design von Cover und Booklet.
Inzwischen sind mehrere Alben nach ihrem Tod erschienen und ältere Werke werden immer wieder nachgepresst. Ihre Lieder und Interpretationen sind präsent in den lateinamerikanischen Medien genauso wie auf Online-Plattformen wie Youtube.
In gewisser Weise ist die „Stimme Lateinamerikas“ damit unsterblich geworden.
Quellen
Als Quellen dienten die Angaben in den Booklets mehrerer ihrer CDs sowie
https://es.wikipedia.org/wiki/Mercedes_Sosa
Bild: [1] Quetzal-Redaktion, amorteo
CD-Empfehlungen
30 años (PolyGram Discos S.A., 1993).
Cantora 1 (Sony Music Entertainment Argentina S.A., 2009).
Cantora 2 (Sony Music Entertainment Argentina S.A., 2009).
Al despertar (Universal Music Argentina S.A., 2010).
Lucerito (Sony Music Entertainment Argentina S.A., 2015).
Misa Criolla (Universal Music Argentina S.A., 1999).
The best of Mercedes Sosa (PolyGram Discos S.A., 1997).