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Herbe Wahlschlappe für die Kirchners

Argentinisches Tageblatt | | Artikel drucken
Lesedauer: 5 Minuten

Regierungslager büßt Mehrheit in beiden Kongresskammern ein

Präsidentin Fernández de Kirchner bei einer Pressekonferenz zur Analyse der Wahlen, Bildquelle: Presidencia de la Nación Argentina.Buenos Aires (AT/mc/dpa) – Eine herbe Schlappe musste das Regierungslager bei den Parlamentswahlen am vergangenen Sonntag einstecken: Zwar bleibt es landesweit immer noch knapp die stärkte politische Kraft, doch in beiden Kammer des Kongresses büßte es seine Mehrheit ein. Besondere Dramatik gab es beim Duell um die wichtige Provinz Buenos Aires, bei dem sich Néstor Kirchner (32,1 Prozent) dem PJ-Abtrünnigen und Unión-Pro-Kandidaten Francisco De Narváez (34,6) geschlagen geben musste. Kirchner zog daraus am Folgetag die Konsequenzen und erklärte seinen Rücktritt als Chef der Justizialistischen Partei (PJ). Sein Nachfolger als Peronisten-Chef soll nun Daniel Scioli, der Gouverneur der Provinz Buenos Aires, werden. Dieser hatte als Listenzweiter der “Justizialistischen Front für den Sieg” hinter Kirchner kandidiert. Er wird aber sein Abgeordneten-Amt nicht antreten. Der strahlende Wahlsieger De Narváez kündigte am Wahlabend eine konstruktive Opposition an.„Ich hoffe, dass die Präsidentin versteht, dass es viele oppositionelle Politiker gibt, die mit ihr zusammen für dieses Land arbeiten wollen.“ Gleichwohl wies er am Folgetag eine Offerte Sciolis ab, wieder zur PJ zurückzukehren. Der Unión-Pro-Politiker betonte, dass er selber in Zukunft lediglich das Amt des Gouverneurs in der Provinz Buenos Aires anstrebe. Als Präsidentschaftskandidaten brachte De Narváez hingegen seinen politischen Bündnispartner, den Buenos Aires-Bürgermeister Mauricio Macrio (Pro) ins Spiel. Dessen Partei konnte sich trotz deutlicher Verluste in der Stadt Buenos Aires mit Gabriela Michetti (31,1 Prozen) an der Spitze behaupten. Das Regierungslager sah hier besonders schlecht aus: Kirchner-Mann Carlos Heller brachte es gerade einmal auf 11,7 Prozent. Überraschender Zweiter wurde der gemäßigte linke Filmemacher Pino Solanas (Projekt Süd), der 24,2 Prozent für sich verbuchen konnte. Der Acuerdo Cívico y Social (Bürgerlich-Soziales Bündnis, ACyS) mit Spitzenmann Alfonso Prat Gay (19,1) kam auf Platz drei. Letzteres bedeutet einen Rückschlag für Elisa Carrió, die als Listendritte für den ACyS antrat und mit einer erneuten Kandidatur für das Präsidentenamt 2011 liebäugelt. Feiern kann hingegen der Kirchner-kritische Peronist Carlos Reutemann, der sich bei der Senatoren-Wahl in Santa Fe knapp gegen Rubén Giustiniani (ACyS) durchsetzte und somit seine Ambitionen für das höchste Staatsamt unterstrich. Ebenfalls gestärkt aus der Wahl hervor ging Vize-Präsident Julio Cobos. Er trat zwar selber nicht an, doch seine Parteigänger konnten sich in Mendoza deutlich durchsetzen, sodass Cobos ein möglicher Präsidentschaftskandidat bleibt. In Córdoba setzte sich der ehemalige Bürgermeister und Carrió-Gefolgsmann Luis Juez als Senator durch. Alles Ergebnisse, die den Kirchners überhaupt nicht schmecken. Diese mussten diesmal sogar eine Niederlage in Néstors Heimatprovinz Santa Cruz einstecken.

Die Provinzen, die an die “Kirchneristen” gingen, waren: La Pampa, Río Negro, La Rioja, San Juan, Misiones, Jujuy, Formosa, Salta und Chubut. Insgesamt erreichte das Regierungslager 31,2 aller gültigen Stimmen (5.871.345). Dicht dahinter folgt der ACyS mit 30,7 Prozent. Das Bündnis von Macri und den PJ-Dissidenten (Unión-Pro) verbuchte 18,7 Prozent für sich, die Anti-Kirchner-Fraktion innerhalb der PJ schaffte 8 Prozent. Der Centro Izquierda (Linkes Zentrum) folgt mit 5,2 Prozent als fünftstärkste Kraft. Es waren aber zumeist gemäßigte Linke, die Erfolge verbuchen konnte. Die radikalen Linken bleiben weitgehend bedeutungslos.

Sitzverteilung in der Abgeordnetenkammer nach den Wahlen im Juni 2009, Quelle: Argentinisches Tageblatt.Im Abgeordnetenhaus, dessen Sitze zur Hälfte neu zu vergeben waren, kommt das Kirchner-Lager auf 99 Sitze. Dies sind 19 weniger als bisher. Hinzu kommen 17 Verbündete, was aber zusammen unterhalb der erforderlichen Mehrheit von 129 liegt. Der ACyS verbessert sich um 15 und stellt nun 76 Abgeordnete. Unión-Prohat 26 (bisher 14) und die Kirchner-Gegner innerhalb der PJ 17 (bisher 16) Mandate. Im Senat gibt es ein Patt zwischen der Regierung und der zersplitterten Opposition. Das Kirchner-Lager erreicht mit 36 Senatoren die Hälfte der 72 Sitze. Bisher hatte es 40 inne. Der ACyS verbessert sich um sieben auf 23. Die PJ-Dissidenten behalten wie zuvor neun Sitze. Vier Senatoren werden von anderen Parteien gestellt. 20,1 Millionen Menschen wählten, was 72 Prozent der Wahlberechtigten entspricht.

Ausschlaggebend für die Niederlage der Kirchners war neben dem normalen Verschleiß einer Regierung nach Einschätzung von Meinungsforschern der im vergangenen Jahr misslungene Versuch, den Bauern eine saftige Steuererhöhung für den Soja-Export aufzubürden. Dies kostete viele Stimmen auf dem Land. In den Städten stieß vielen Menschen sauer auf, dass die steigende Inflation und Armut durch Berechnungstricks auf dem Papier gedrückt und die tatsächlich sinkende Wirtschaftsleistung schön gerechnet wurden. Wie wenig Rückendeckung die Kirchners derzeit sogar in den eigenen Reihen haben, zeigte sich auch dadurch, dass in der Provinz Buenos Aires viele PJ-Bürgermeister ihren Wählern empfahlen, auf dem Stimmzettel nur die Gemeinde-Kandidaten anzukreuzen, aber die Justizialistische Liste für das nationale Parlament mit Néstor Kirchner an der Spitze abzutrennen. Entscheidende Stimmen gingen somit verloren. «Die Menschen haben alles Mögliche gewählt, nur um nicht für die Kirchners zu stimmen», kommentierte der Fernsehsender TN. Für die Pinguine, wie die Kirchners wegen ihrer Herkunft aus dem patagonischen Süden auch genannt werden, ist das politische Eis dünn geworden. Cristina Kirchner und ihr Mann werden in den verbleibenden zweieinhalb Amtsjahren nun nach Einschätzung des Meinungsforschers Manuel Fraga eine Eigenschaft an den Tag legen müssen, die sie bisher so gut wie völlig vermissen ließen: Kompromissfähigkeit. Und das mit einer zersplitterten Opposition.

aus: Argentinisches Tageblatt, Nr. 31.726, 120. Jahrgang, 04. Juli 2009, S. 1-2.

Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung des Argentinischen Tageblattes.

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Bildquelle: Presidencia de la Nación Argentina

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