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Politik und Kultur in Lateinamerika

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Militärputsch in Honduras, Wahlniederlage in Argentinien, zu erwartende Krise in Venezuela – Wer wird Lateinamerika 2010 regieren?

Heinz Dieterich | | Artikel drucken
Lesedauer: 6 Minuten
Militärputsch in Honduras (69 Downloads )

1. Wer wird Lateinamerika 2010 regieren?

Lateinamerika - Präsidenten (Foto: Presidencia De La Republica De Chile)Am 1. August 2006 schrieb ich, dass ab 2008/2009 eine starke oligarchisch-imperiale Offensive gegen die wirtschaftlich fortschrittlichen lateinamerikanischen Regierungen zu erwarten sei; am 8. Juni 2008, dass der Konflikt der Kirchner-Regierung mit der Agraroligarchie selbstmörderisch sei und die Regierung ihn verlieren werde; am 8. Mai 2008, dass Kirchner die Mehrheit im Kongress verlieren werde.

All diese Prognosen haben sich letztlich in der lateinamerikanischen Wirklichkeit bewahrheitet, was beweist, dass die politische Entwicklung – selbst wenn sie sehr dynamisch und komplex ist – mit hoher Wahrscheinlichkeit in ihren Tendenzen vorhersehbar ist. Die Schlüsselfrage für die politische Praxis in Lateinamerika ist also: Wie werden die machtpolitischen Wechselbeziehungen zwischen der lateinamerikanischen Oligarchie und den fortschrittlichen Regierungen in einem Jahr aussehen?

Meine Prognose lautet, dass das Epizentrum des Konfliktes um die Hegemonie in Lateinamerika Venezuela sein wird, mit Nebenschauplätzen in Zentralamerika (El Salvador, Honduras, Nicaragua) und dass die Wahrscheinlichkeit sehr hoch ist, dass der venezolanische Bolivarismus an Kraft verliert, was wiederum zu empfindlichen Wahlniederlagen im Jahr 2010 führen wird.

2. Honduras und Argentinien

Der Militärputsch in Honduras wird nicht von Bestand sein. Auch wenn er den Machthunger der Oligarchie in Guatemala, El Salvador und Nicaragua widerspiegelt und auf die Unterstützung des internationalen Terroristennetzwerks und der klerikal-faschistischen Netzwerke zählen kann, wird er es nicht schaffen, sich gegen eine entschiedene und streitbare Opposition seitens der lateinamerikanischen Regierungen und den Widerstand der Bevölkerung von Honduras durchzusetzen. Ihn wird wahrscheinlich das gleiche Schicksal ereilen, wie den Separatistenputsch in Bolivien.

In Argentinien wurde das Projekt von Néstor und Cristina Kirchner mit der niederschmetternden Wahlniederlage am 28. Juni 2009 zu Grabe getragen. Es gibt zwei Gründe für das Scheitern: das Fehlen strategisch sinnvoller Ideen und das Fehlen einer realistischen Einschätzung der wahren Macht, die die feuchte Pampa regiert. Néstor Kirchner erlangte großes politisches Kapital mit der Überwindung der Krise von 2001. Jedoch gelang es ihm nie, eine einheitliche gesellschaftliche Basis zu schaffen, um der Krise auch auf Dauer Einhalt zu gebieten, ebenso wenig wie es ihm gelang, daraus ein Projekt von historischem Ausmaß zu machen.

Als sie beschlossen, die Rieseneinkünfte der eingesperrten argentinischen Bestie (Oligarchie) zu versteuern, befreite sich diese und zerstörte den „Transversalismus“. Dazu brauchte sie noch nicht einmal die Hilfe ihrer sonst gerne eingesetzten uniformierten „Henker“. Nun verlangt jene Oligarchie die Abwertung des Pesos (um 20 %), die Blockierung des Beitritts Venezuelas zum Mercosur, das Ende der „Chavisierung“ der Kirchner-Politik und die Reform der Regierungspolitik von jetzt bis 2011 respektive vorgezogene Wahlen. Cristina Kirchner verkündete, dass sie darüber nicht verhandeln werde. Wird sie sich bis 2011 an der Spitze halten?

3. Kuba – die Führungskrise

Kuba windet sich unter dem Gewicht der strukturellen Führungsprobleme. Zum einen spielt dabei die Nachfolgeproblematik, zum anderen die strategische Lähmung der Regierung eine Rolle. Viele der Führer der zweiten Generation der Revolution, die noch von den Köpfen der Revolution selbst auserwählt wurden, sind inzwischen abgesetzt worden, unter ihnen zum Beispiel Felipe Pérez Roque, Carlos Lage, Roberto Robaina, Otto Rivero und Carlos Valenciaga. Da dies aber alle Kinder der kubanischen Bildungsrevolution und der Vorreiterverbände der Kommunistischen Partei Kubas sind, ist nun das Bild des „Neuen Menschen“ und die Qualität der politischen Ausbildung der Kader ernsthaft gefährdet.

Es ist offensichtlich, dass das Führungszentrum der Revolution in zwei unterschiedliche Entwicklungsstrategien und zwei Entscheidungszentren gespalten ist. Falls sich beim 6. Kongress der Kommunistischen Partei Ende diesen Jahres diese zwei Positionen und Entscheidungszentren nicht vereinen lassen, könnte dies sehr schnell zu einer kritischen Instabilität im Land führen.

4. Venezuela – die größte Gefahr im Jahr 2010

Die größte Gefahr des Erstarkens der Oligarchie besteht ohne Zweifel in Venezuela. Wie schon in einem Artikel vom 08. Februar 2008 erwähnt, liegt der Grund hierfür in der immer deutlicher zu Tage tretenden Funktionsunfähigkeit des aktuellen Regierungsmodells, das sich strukturell erschöpft hat. Dabei sind drei wesentliche Strukturdefizite auszumachen: die Wirtschaft, die Politik und der diskursive Charakter.

Das Hauptproblem der Wirtschaft ist die Inflation, die noch vor den Wahlen 2010 zu einer Krise führen wird. Alí Rodríguez, der Finanzminister Venezuelas, gestand am 27. Juni diesen Jahres in New York ein, dass Venezuela zwar die Währungsabwertung nicht aufhalten könne, sich aber dessen bewusst sei, welche Auswirkungen dies auf die ohnehin bereits hohe Inflationsrate des Landes habe. Der Wirtschaftsminister sagte voraus, dass die Inflationsrate Ende 2009 bei ungefähr 28 % liegen und auch 2010 „hoch“ bleiben werde. Es ist kaum drei Monate her, da bestand der Minister noch darauf, dass die Inflation Ende 2009 bei unter 20 % liegen würde.

In Anbetracht der Tatsache, dass die Regierung in den letzten Jahren nicht ein einziges Mal auch nur entfernt die angekündigten Ziele die Inflation betreffend erreicht hat und dass 2010 ein entscheidendes Wahljahr wird, dicht gefolgt von den Präsidentschaftswahlen 2012, wird sich die Inflationsrate im nächsten Jahr wahrscheinlich auf circa 32 % belaufen. Eine realistische Einschätzung der Abwertung des Bolívars würde eine Einordnung in die Breiten einer Hyperinflation und damit das Eingeständnis einer unkontrollierbaren Situation bedeuten. Eine so hohe Inflation hat zwei schwerwiegende Konsequenzen: Sie zerstört die Makroökonomie und die für die Inflation verantwortliche Regierung, umso mehr, wenn sie sich im Rahmen einer sich auflösenden Wirtschaftspolitik und von populistischen Experimenten („Kommunen“) abspielt, die genau soviel mit dem „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ zu tun haben, wie Keynes Animal Spirits mit den rationalistischen Dogmen des spanischen Neoklassizismus.

5. Lateinamerika im Jahr 2010

Die Ereignisse in den letzten Jahren zeigen, dass die neue politische Klasse Lateinamerikas – zu der unter anderem Lula, Kirchner, Evo, Rafael Correa und Hugo Chávez gehören – ein beträchtliches Machtpotenzial gegenüber dem Imperialismus und der Oligarchie entwickeln konnte. Das ist eine positive Entwicklung, die es zu unterstützen gilt. Trotzdem wurde der Schritt zu einer neuen, postkapitalistischen Gesellschaft noch nicht getan und es ist auch nicht sehr wahrscheinlich, dass dieser noch gemacht wird. Andere werden diese historische Aufgabe des Wandels umsetzen müssen.

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Dieser Artikel erschien bereits am 01. Juli 2009 in Aporrea. Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung des Autors.

Übersetzung aus dem Spanischen: Franziska Junge

Bildquelle: Presidencia de la República de Chile.

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