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Politik und Kultur in Lateinamerika

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Die Schlacht um Chile: Der Kampf eines unbewaffneten Volkes (I)

Peter Gärtner | | Artikel drucken
Lesedauer: 6 Minuten

Der 50. Jahrestag des Putsches gegen Salvador Allende war für uns Anlass, noch einmal die Trilogie La Batalla de Chile anzuschauen. Während wir noch einmal in jene drei Jahre voller Hoffnung und harter Kämpfe eintauchten, kam uns die Idee, das bewegende Werk des Regisseurs Patricio Guzmán zu rezensieren. Der zwischen 1975 und 1978 entstandene Film setzt am Vorabend der letzten freien Wahlen im März 1973 ein und endet am Tag nach dem Putsch vom 11. September 1973. Teil 1 (La insurrección de la burguesía – Der Aufstand der Bourgeoisie) und Teil 2 (El golpe del estado – Der Staatsstreich) folgen der Chronologie der Ereignisse, während Guzmán im dritten Teil (El poder popular – Die Volksmacht) als eigenständigen Film konzipiert hat, der ein tieferes Verständnis der solidarischen Praxis der Arbeiter und des Klassenkampfes vermittelt. Guzmán und seinen Mitstreitern ging es vor allem darum, die Erinnerung an eine Zeit intensiver Kämpfe für spätere Generationen zu bewahren. Auf der einen Seite war das chilenische Volk entschlossen, eine neue, sozialistische Gesellschaft aufzubauen, was die Gegenseite – ein konterrevolutionäres Bündnis aus Oligarchie, Militär und den USA – letztlich nur mit nackter, blutiger Gewalt verhindern konnte. Guzmán hat uns ein Lehrstück des Klassenkampfes hinterlassen, dessen Kenntnis und Verständnis uns helfen kann, sich auch und gerade in der heutigen Zeit zu orientieren. In diesem Sinne hoffen wir, Euer Interesse für die „Schlacht um Chile“ geweckt zu haben.

Teil 1: Der Aufstand der Bourgeoisie

Ausgangspunkt des Geschehens sind die Parlamentswahlen vom 4. März 1973, in denen sich die Parteien der Unidad Popular (UP – dt. Volkseinheit) und der Opposition gegenüberstanden. Anders als bei der Wahl von Salvador Allende zum Präsidenten 1970 hatten sich diesmal die Christdemokraten entschieden, zusammen mit den traditionellen Rechten gegen die Linken anzutreten. In den aufgeheizten Auseinandersetzungen um den demokratischen Weg zum Sozialismus, den Allende und die UP vertraten, hatten die Wahlen den Charakter eines Plebiszits. Vor diesem Hintergrund und im Vergleich zu den 36,3 Prozent, die Allende zweieinhalb Jahre zuvor erhalten hatte, war das Ergebnis – 44,2 Prozent für die UP und 55,5 Prozent für den Oppositionsblock – ein wichtiger Erfolg. Nunmehr war den Gegnern Allendes klar, dass dessen Sturz im Rahmen der Verfassung und der demokratischen Institution nicht mehr möglich war. Der Zugewinn von fast acht Prozent für die UP signalisierte, dass trotz der bisherigen Anstrengungen der Gegenseite ein wachsender Teil der Bevölkerung das sozialistische Projekt unterstützte.

Was nun der Film in bewegenden und eindrucksvollen Bildern zeigt, ist der „Aufstand der Bourgeoisie“ gegen jene Demokratie, die in ihren Augen als Instrument zur Sicherung der eigenen Herrschaft versagt hat. Steht zunächst noch der massive Einsatz der parlamentarischen Mehrheit der Opposition gegen die Exekutive im Vordergrund, wird die Gewalt mehr und mehr zum zentralen Element der konterrevolutionären Strategie. Die Eskalation beginnt mit dem Kampf um die Straße, der auch Aufmärsche und Sabotageakte der Faschisten von „Patria y Libertad“ (dt. Vaterland und Freiheit) einschließt. Als die UP und der Gewerkschaftsdachverband CUT (Central Unitaria de Trabajadores – Einheitszentrale der Arbeiter) am 30. April 300.000 Menschen in der Hauptstadt mobilisieren, die gegen die Ermordung des Arbeiters José Ahumada durch Heckenschützen protestieren, wechselt die Opposition ihre Strategie. Am 18. April beginnen Arbeiter der 1971 nationalisierten Kupfermine „El Teniente“ mit einem Streik, der sich gegen die Regierung richtet. Die Belegschaft ist gespalten. Während über 60 Prozent bis zum 7. Mai an ihren Arbeitsplatz zurückkehren, setzt der Rest den Ausstand bis zum 28. Juni fort. Parallel legt die Offensive der Arbeitgeberverbände im Mai ein Drittel der öffentlichen Transporte lahm. Die Aktionen verursachen Chaos und schädigen die Wirtschaft massiv. Am, 29. Juni, gerade einen Tag nach Streikende, greifen Panzer die Moneda, wie der Präsidentenpalast genannt wird, an. Erstmals zeigen die reaktionären Militärs ihr wahres Gesicht. Der Putschversuch scheitert zwar, weil der Rest der Armee noch abwartet, läutet aber eine neue Stufe der Eskalation ein.

Was hier kurz geschildert wird, zeigt der Film in dramatischen Szenen. Im Widerstreit der Akteure entfaltet Guzmán die ganze Breite und Dramatik jener vier Monate des Jahres 1973, die am 11. September ihren blutigen Höhepunkt finden. Beeindruckend sind die Massendemonstrationen der Anhänger der UP und die klare Sprache Allendes, der es immer wieder schafft, die Absichten seiner Gegner zu entlarven und seine Anhänger zu begeistern. Guzmán arbeitet die ganze Komplexität und Explosivität des Geschehens heraus. Seine Parteinahme für den historischen Aufbruch des chilenischen Volkes führt nicht zur Einseitigkeit. Im Gegenteil: Als Zuschauer wird man von Anbeginn in den Sog der Ereignisse hingezogen, ohne den Überblick zu verlieren. Einprägsam sind sowohl das Tauziehen und die Rededuelle im Parlament als auch die Massenszenen. Ausschnitte aus Auftritten maßgeblicher Akteure – Streikführer, Journalisten, Unternehmer, Parlamentarier, Minister – wechseln mit Interviews von Straßenpassanten, Arbeitern und Aktivisten. In der Summe vermitteln sie ein differenziertes und zugleich umfassendes Bild der damaligen Ereignisse. Die Aufbruchstimmung der Anhänger des chilenischen Weges zum Sozialismus wird authentisch eingefangen und reißt den Zuschauer mit, bei dem sich – im Wissen um den Ausgang – zugleich ein Gefühl der Beklemmung und der Trauer breit macht. Man denkt unweigerlich daran, was es für Chile und Lateinamerika bedeutet hätte, wäre das Projekt der Unidad Popular erfolgreich gewesen.

Damit rückt ein Aspekt ins Blickfeld, der sich durch alle drei Teile des Films zieht: Hätte der Putsch verhindert werden können und was wäre dazu notwendig gewesen? Hat Allende seine Gegner unterschätzt und zu lange auf die Verfassungstreue der Armee vertraut? Wann hätten die Revolutionäre in die Offensive gehen können und müssen? Es ist das Verdienst der „Batalla de Chile“, nicht nur die Erinnerung an die drei heroischen Jahre der chilenischen Revolution wachzuhalten, sondern zugleich dazu anzuregen, über diese und andere Fragen nachzudenken. Wir haben jedenfalls darüber diskutiert. Eines ist auf jeden Fall klar geworden: Die Kraft und der Mut, den einmal eingeschlagenen Weg weiterzugehen, waren nicht nur vorhanden, sondern haben gerade im Verlauf des Jahres 1973 an Intensität und Breite zugenommen. Wenn man verstehen will, warum die Konterrevolution am Ende siegen konnte, kommt man nicht umhin, sich alle drei Teile der „Schlacht um Chile“ anzusehen.

 

Die Schlacht um Chile – Teil 1: Der Aufstand der Bourgeoisie

Regie: Patricio Guzmán

Chile/Kuba 1975, 100 Min.

 


 

Bildquellen: [1] CoverScan; [2] Snapshot

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