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Kubakrise 1962 und Ukrainekrieg 2022. Überlegungen zu einem Vergleich

Peter Gärtner | | Artikel drucken
Lesedauer: 25 Minuten

Aus Anlass des 60. Jahrestages der Kubakrise (vgl. Quetzal vom 21. Okt. 2022) werden immer wieder Vergleiche zum Konflikt um die Ukraine gezogen, der am 24. Februar 2022 mit der Invasion russischer Truppen den Charakter eines Krieges zwischen zwei benachbarten Staaten angenommen hat. Wenn wir uns in Erinnerung rufen, dass es sich 1962 um den „gefährlichsten Moment der menschlichen Geschichte“ (Arthur Schlesinger jr.) handelt, dann stellt sich die Frage, inwiefern dem Ukrainekrieg ein ähnlich großes Risiko innewohnt. So warnte Wladimir Putin in seiner Rede zur russischen Teilmobilmachung am 21. September vor einer Situation, in der sich Russland gezwungen sehe, „alle zur Verfügung stehende Mittel“ zur Verteidigung seiner territorialen Integrität einzusetzen. Seine Bemerkung, dass dies „kein Bluff“ sei, macht ebenso wie der Einschlag zweier Raketen in Polen am 15. November deutlich, wie groß die Gefahr eines Nuklearkrieges 60 Jahre nach der Kubakrise wieder ist.

Risikoabschätzung durch Vergleich

Dieses Risiko stellt nicht nur den entscheidenden gemeinsamen Nenner beider Fälle dar, sondern führt auch zwingend zu der Frage, wie der „worst case“ eines Nuklearkrieges zu verhindern ist. In diesem Sinne wurde bereits im April in der deutschsprachigen Ausgabe von „Le monde diplomatique“ gefordert, von der „Kubakrise (zu) lernen“. Will man dem nachkommen, bietet sich zunächst ein Vergleich jener Argumente an, mit denen die Risiken eines „nuklearen Armageddon“ im jeweiligen Fall bewertet werden (siehe Tabelle).

These 1: Die Kubakrise von 1962 war gefährlicher als der Ukrainekrieg 2022

These 2: Der 2022 ausgebrochene Ukrainekrieg ist gefährlicher als die Kubakrise 1962.

Argumente der Risikobewertung:

1. Heute gibt es eine bessere Kommunikation zwischen Washington und Moskau.

2. Auf dem Territorium Kubas waren bereits Nuklearwaffen stationiert, während dies bei der Ukraine nicht der Fall ist.

3. Die Raketenkrise um Kuba brach plötzlich auf, während es sich im Fall der Ukraine um einen absehbaren Konflikt von längerer Dauer handelt.

4. Die USA waren 1962 der Sowjetunion in der nuklearen Rüstung deutlich überlegen, weshalb sich die Sowjetunion zu riskanten Aktionen wie 1962 gezwungen sah. Heute hingegen besteht bei den nuklearen Sprengköpfen ein Gleichgewicht zwischen USA und Russland.

5. 1962 gab es noch kein Kontrollregime der Nuklearwaffen beider Atommächte.

6. 1962 standen sich USA und Sowjetunion direkt gegenüber, während im Ukrainekonflikt sowohl die USA und die Nato als auch Russland versuchen, den direkten Konflikt zu vermeiden.

7. Anders als 1962 durch die Sowjetunion werden die USA im Ukrainekonflikt von Russland nicht direkt herausgefordert.

Argumente der Risikobewertung:

1. Je weniger Erfolge die russischen Truppen erreichen, desto größer ist die Gefahr einer nuklearen Eskalation.

2. Die Befürchtung Putins, gestürzt zu werden, könnte diesen zu einem nuklearen Abenteuer verleiten.

3. Durch den Einsatz neuer Medien nimmt die Eskalationsgefahr dramatisch zu.

4. Infolge der Bipolarität der Weltordnung war der Konflikt 1962 leichter zu lösen als in der gegenwärtigen „Weltunordnung“.

5. 1962 standen die handelnden Akteure noch unter dem Eindruck des 2. Weltkrieges und waren sich deshalb der Risiken eines 3. Weltkrieges stärker bewusst als die heutige Generation.

6. Aufgrund der unterschiedlichen Entscheidungslogiken sind die Risiken einer nicht kontrollierbaren Eskalation heute größer als 1962.

7. Mit neuerlichen Überlegungen zum Einsatz taktischer Nuklearwaffen ist die Schwelle eines Atomkrieges im Verglich zu 1962 gefährlich gesenkt worden.

Quelle: RM Staff and Associates: Does Ukraine War Pose Greater Risk of Nuclear Armageddon Than Cuban Missile Crisis? vom 13. Oktober 2022

Um die Stichhaltigkeit der oben aufgeführten Argumente zu überprüfen und zu gewichten, ist es im nächsten Schritt erforderlich, jene Faktoren zu benennen, die dem jeweiligen Konflikt zugrunde liegen und seine Entwicklung vorantreiben bzw. beeinflussen. Wichtige Anhaltspunkte dafür liefert der Beitrag „Can Lessons From Cuban Missile Crisis Help Stave Off US-Russia Confrontation?“, in dem sowohl Ähnlichkeiten als auch Unterschiede beschrieben werden. Auf dieser Grundlage lassen sich die Variablen eines Vergleichs zwischen der Kubakrise 1962 und dem Ukrainekrieg 2022 benennen.

Weltordnung im Epochenbruch

Zwar bildet die Gefahr eines Atomkrieges den zentralen gemeinsamen Nenner beider Fälle, aber allein der zeitliche Abstand von 60 Jahren und die räumliche Distanz zwischen den Ländern, in denen die Kubakrise ihren bzw. der Ukrainekrieg seinen geographischen Fokus haben, impliziert zahlreiche Unterschiede. Auf der historisch-strukturellen Ebene stellt die Weltordnung, in die beide Konflikte jeweils eingebettet sind, den entscheidenden Unterschied dar. Was ist darunter zu verstehen? Zwischen 1962 und 2022 liegt um das Jahr 1990 ein Epochenbruch, der durch das Ende des Kalten Krieges, die Implosion der Sowjetunion und den Aufstieg der USA „zur einzigen und im Grunde ersten wirklichen Weltmacht“ (Brzezinski, S. 15) gekennzeichnet ist. Die bipolare Weltordnung, die die Zeit zwischen 1945 und 1990 geprägt hatte, wurde durch das „unipolare Moment“ (Charles Krauthammer) Washingtons abgelöst.

Die globale Vormachtstellung der USA, die durch keinen Rivalen gefährdet war, bestimmte nunmehr die neue Weltordnung. Sie stand einerseits im Zeichen der neoliberalen Globalisierung und andererseits unter dem Albdruck immer neuer Kriege, mit denen die USA und ihre Verbündeten den Balkan, den Nahen und Mittleren Osten, Libyen und das Horn von Afrika überzogen. Erste Risse und Verschiebungen zeigten sich im Gefolge des „Kriegs gegen den Terror“, der sich in die Länge zog und die Kräfte der Hegemonialmacht immer mehr verschliss. Die Weltwirtschaftskrise 2008 und der Aufstieg Chinas ließen das „unipolare Moment“ weiter erodieren. Mit seinem Slogan „America First“ wollte Donald Trump dem entgegenwirken, erreichte aber letztlich das Gegenteil. Seit Januar 2021 versucht nun Joe Biden, zu retten, was zu retten ist.

Außenpolitisch setzt er dabei auf Konfrontation mit Russland und China. Beide Länder waren bereits 2017 in der National Security Strategy (NSS) der Trump-Administration als die gefährlichsten Rivalen Washingtons charakterisiert worden. Daran knüpft auch die NSS der Biden-Administration an, wobei in der konkreten Bewertung zugleich die Unterschiede zwischen den beiden Herausforderern der unipolaren Weltordnung Washingtons betont werden. Während Russland als „unmittelbare Bedrohung“ der liberalen internationalen Ordnung eingestuft wird, erweckt die Bezeichnung der Volksrepublik China als Rivale (eng.: competitor) zunächst den Eindruck, dass es sich aus Sicht der Biden-Administration um den weniger gefährlichen Akteur handeln würde. Allerdings unterscheidet die NSS von 2022 – und das ist von zentraler Bedeutung – zwischen aktuellem Handeln und geostrategischem Gewicht. So werden zwar beide „Herausforderer“ als revisionistische Mächte angesehen, aber nur China wird „die ökonomische, diplomatische, militärische und technologische Macht“ zuerkannt, „die internationale Ordnung umzuformen“ (NSS 2022, S. 8). Das führt folgerichtig zu der Einschätzung, dass die Volksrepublik „Amerikas gravierendste geopolitische Herausforderung“ darstellt (ebenda, S. 11; ausführlicher S. 23-25).

Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Akteurskonstellation

Wie ist nun der Ukrainekrieg in diese Entwicklung einzuordnen und welche Konsequenzen ergeben sich daraus für den Vergleich mit der Kubakrise von 1962? Sieht man sich die Akteurskonstellation beider Konflikte an, dann ähneln sich diese auf den ersten Blick. In beiden Fällen stehen sich die USA auf der einen Seite und die Sowjetunion (1962) bzw. Russland (2022) auf der anderen Seite gegenüber. Bei beiden Kontrahenten handelt es sich um jene Nuklearmächte, die über das größte Atomwaffenarsenal verfügen. Ausgetragen wird der jeweilige Konflikt auf dem Territorium eines „Stellvertreters“ (eng.: proxy), die diesem auch dem Namen gegeben haben: Kuba als „Proxy“ der Sowjetunion und die Ukraine als „Proxy“ der USA.

Während die sowjetischen Raketen auf Kuba unter strikter Geheimhaltung installiert wurden und das benachbarte Territorium der USA direkt bedrohten, stellt sich die Situation im Falle des Ukrainekrieges in Hinblick auf Gefahr eines Nuklearkrieges wie folgt dar: Obwohl die Ukraine als angegriffenes Land über keine Atomwaffen verfügt, ist die „nukleare Option“ indirekt präsent. Zum einen wird sie vom russischen Präsidenten Wladimir Putin als Schutzschild gegen eine direkte Kriegsteilnahme der NATO auf Seiten der Ukraine eingesetzt. Beide Seiten sind sich darüber im Klaren, dass in einem solchen Fall die Schwelle zum direkten nuklearen Schlagabtausch überschritten wäre. Zum anderen agieren die USA und die NATO gegenüber Russland in ähnlicher Weise. Spiegelverkehrt droht Russland ein nuklearer Schlag, falls es das Territorium des transatlantischen Militärbündnisses angreifen sollte. Zwar versichern sowohl Putin als auch Biden im Wissen um die Brisanz der Situation immer wieder, dass sie eine direkte militärische Konfrontation vermeiden wollen, diese bleibt dennoch eine reale Gefahr. Die Militärdoktrin Russlands wie auch der USA erlaubt dann einen nuklearen Erstschlag, wenn das Land von außen in existentieller Weise gefährdet ist.

Wie die Kubakrise von 1962 im Rückblick zeigt, hängt es von der Wahrnehmung der in den Konflikt involvierten Akteure ab, ob sie bereit sind, die nukleare Option Wirklichkeit werden zu lassen. Die Liste der Missverständnisse, Irrtümer, Unfälle und Fehleinschätzungen, aus denen damals ein Nuklearkrieg zwischen USA und Sowjetunion hätte erwachsen können, ist erschreckend lang.

Neben diesem „menschlichen Faktor“, den man noch durch den Faktor „Zufall“ ergänzen muss, gibt es hinsichtlich der geopolitischen Verortung des Austragungsortes, der Interessen der beteiligten Akteure und ihrer Handlungsspielräume zwischen 1962 und 2022 Unterschiede, die man beachten muss, wenn es um die Einschätzung des nuklearen Risikos geht.

Kuba und Ukraine im geopolitischen Vergleich

Beginnen wir mit dem Vergleich des jeweiligen Austragungsortes. Kuba war im Zuge einer sozialen Revolution in Konflikt mit der westlichen Hegemonialmacht geraten, die sich nach dem Scheitern der Söldnerinvasion in der Schweinebucht (April 1961) darauf vorbereitete, selbst militärisch zu intervenieren. In dieser Situation bot die Sowjetunion die (geheime) Stationierung nuklearer Waffen auf der Insel an, wobei sie eine doppelte Zielsetzung verfolgte: Erstens sollte ein Angriff der USA gegen Kuba verhindert werden und zweitens ging es darum, ein Gegengewicht zur Stationierung US-amerikanischer Nuklearwaffen in der Türkei und Italien zu schaffen. Nach deren Bekanntwerden drohte eine direkte nukleare Konfrontation zwischen Washington und Moskau, die letztlich durch das Einlenken des sowjetischen Staats- und Parteichefs Nikita Chruschtschow verhindert wurde. Im Gegenzug sagte US-Präsident John F. Kennedy zu, Kuba nicht anzugreifen und – mit einem gewissen zeitlichen Abstand – die Raketen aus Italien und der Türkei abzuziehen.

Im Falle der Ukraine stellt sich die Situation vor allem in folgenden Punkten anders dar: Erstens ist dort die Schwelle zum Krieg zweifach überschritten worden: Einmal 2014 durch die „Antiterroroperation“ der ukrainischen Armee gegen den Donbass und die Sezession der beiden „Volksrepubliken“ Luhansk und Donezk und acht Jahre später durch die Invasion russischer Truppen gegen das Nachbarland. In der Kubakrise konnte hingegen ein „heißer“ Krieg vermieden werden.

Zweitens handelt es sich bei der Ukraine um ein Land, das aus Washingtoner Sicht aufgrund seiner Lage, Größe und Geschichte den idealen Drehpunkt (eng.: pivot)* bildet, um Russland als Großmacht aus den Angeln zu heben (Brzezinski, S. 74f, 127, 136-138, 152f, 165-167, 175-179, 202, 213). Hinzu kommt, dass die Ukraine mit vier NATO-Staaten – Polen, Slowakei, Ungarn und Rumänien – eine gemeinsame Landgrenze hat und der ostlichste Punkt seiner Grenze zu Russland nur 600 km von Moskau entfernt ist. Im Falle einer NATO-Mitgliedschaft der Ukraine, die ihr 2008 auf dem Bukarester Treffen des westlichen Militärbündnisses versprochen worden war und 2019 in der ukrainischen Verfassung als strategisches Ziel verankert wurde, würde sich die Sicherheitslage Russlands, die sich infolge der NATO-Osterweiterung seit 1999 ohnehin verschlechtert hatte, dramatisch zuspitzen.

Auch Kuba verfügt infolge seiner Lage – größte Insel der Karibik (110.000 km²) und nur 180 km von den USA entfernt – über wichtige geopolitische Trümpfe. Was jedoch fehlt, ist das Gewicht und die Bedeutung eines „pivot“. Selbst im Falle des Verbleibs der sowjetischen Raketen hätte dies in keiner Weise ausgereicht, um die USA als Hegemonialmacht „aus den Angeln“ zu heben. Die Insel – etwa 9.000 km Luftlinie von Moskau entfernt – hatte für die Sowjetunion eher den Status eines teuren Außenpostens, der vor allem aus Imagegründen gehalten werden musste. Die freiwillige Preisgabe Kubas 1989 durch Michael Gorbatschow unterstreicht diese Einschätzung.

Drittens hat sich die ökonomische, politische, finanzielle und militärische Abhängigkeit der Ukraine vom Westen (EU, USA, NATO) seit 2014 Schritt für Schritt vertieft und mit dem Krieg ein Maß erreicht, das seine Souveränität erheblich einschränkt. Ohne die vielfältigen Formen massiver und permanenter westlicher Hilfe wäre der ukrainische Staat inzwischen nicht mehr (über)lebensfähig. Kuba war bis zur Revolution 1959 von den USA in ähnlicher Weise abhängig und danach auch deshalb – quasi im Ausgleich – auf sowjetische Hilfe angewiesen. Diese Form der Abhängigkeit endete aber 1989 abrupt, was das Land in eine tiefe Krise (Sonderperiode) stürzte. Hinzu kommt die 60jährige Blockade der USA, die dem Land zusätzliche Probleme und Belastungen beschert.

Seit über 30 Jahren ist Kuba nunmehr weitgehend auf sich gestellt. Wenn die kubanische Revolution bis heute überlebt hat, dann ist dies zugleich ein Beleg für ihre Vitalität. An dieser aus einer sozialen Umwälzung erwachsende Souveränität mangelt es der Ukraine. Deren verspätetes nation-building setzt stattdessen auf einen ethnischen Ultranationalismus, der sich hauptsächlich aus einem antirussischen Feindbild speist und seine Zukunft im Anschluss an den Westen sucht. Man braucht nur die 1959 begonnene Revolution auf der Karibikinsel mit der „Orangenen Revolution“ von 2004 und dem „Euro-Maidan“ von 2014 zu vergleichen, um daran zu zweifeln, dass die Ukraine den „kubanischen Test“ bestehen würde.

Interessen und Kräfteverhältnisse

Die Interessen der Akteure und das Kräfteverhältnis zwischen ihnen lassen sich im abgeschlossenen Fall der Kubakrise, die aus der Retrospektive analysiert werden kann, eindeutiger bestimmen als im laufenden Ukrainekrieg mit seinen zahlreichen Eskalationsmöglichkeiten und Unwägbarkeiten. 1962 trafen sich die Interessen der Sowjetunion und Kubas in der Abwehr der drohenden US-Invasion, die für die Revolution vor der Haustür Washingtons eine existentielle Gefahr bedeutete. Für Moskau bot sich zudem die Chance, die nukleare Unterlegenheit der Sowjetunion gegenüber den USA durch die Stationierung von Nuklearwaffen wenigstens teilweise zu verringern. Dies wiederum stellte für Washington eine solch gravierende Herausforderung dar, dass zu deren Abwehr sogar ein Nuklearschlag erwogen wurde. Entschärft wurde der Konflikt durch den Rückzieher der sowjetischen Führung, durch den ein Kompromiss möglich wurde, mit dem alle drei Akteure leben konnten.

Die Bestimmung der Interessen und Kräfteverhältnisse im Ukrainekonflikt gestaltet sich aus mehreren Gründen schwieriger als bei der Kubakrise. Erstens ist die Schwelle zum offenen zwischenstaatlichen Krieg bereits überschritten. Je länger dieser dauert, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass Zufälle, Missverständnisse und unkalkulierbare Interaktionen auch ungewollt zum einem Nuklearkrieg führen. Zweitens verbinden sich in diesem Krieg immer mehr verschiedene Formen der Konfliktaustragung wie hybride Kriegsführung, Wirtschafts-, Informations- und Cyberkrieg, was die Unwägbarkeiten zusätzlich steigert. Drittens überlagern und vermischen sich Bürgerkrieg im Donbas (2014), zwischenstaatlicher Krieg zwischen Russland und der Ukraine (ab Februar 2022) und Stellvertreterkrieg (eng.: proxy war) zwischen USA und Russland miteinander, wodurch die Bestimmung der Interessen und Kräfteverhältnis weiter erschwert wird. Dies ergibt sich viertens auch aus der Einbeziehung der EU und der europäischen NATO-Partner, die immer mehr als Verbündete der Ukraine in Erscheinung treten. Hinzu kommen fünftens die globalen Krisen und Brüche (Klimakrise Energiekrise, Wirtschaftskrise, Rohstoff- und Lieferkettenengpässe, Entkoppelungsstrategien), die ebenfalls miteinander verflochten sind und auf den Ukrainekrieg zurückwirken.

Die Kriegsziele Russlands und der Ukraine, wie sie seitens der Kontrahenten derzeit formuliert werden, schließen sich aus. Während die Ukraine inzwischen auf der Rückeroberung aller von Russland eroberten Territorien sowie der Krim beharrt, hat Russland ebendiese Gebiete in sein Staatsgebiet aufgenommen. Auf der Ebene der Konfrontation USA/ Westen einerseits und Russland andererseits zeichnet sich folgende Konstellation ab: Die westliche Seite setzt auf die Fortsetzung des Krieges und der Sanktionen, um Russland als Großmacht maximal zu schwächen. Moskau hingegen sieht im NATO-Beitritt der Ukraine eine Verletzung seiner Sicherinteressen und versucht, seine Interessen und seinen Status als Großmacht zu verteidigen. Unter Einbeziehung seiner verschiedenen Ebenen und aller involvierten Akteure lässt sich aus dem bisherigen Verlauf des Konfliktes ableiten, dass sich Russland inzwischen klar in der Defensive befindet. Sollte es den USA gelingen, Russland in der gewünschten Weise zu schwächen, um sich seinen „geopolitischen Hauptgewinn“, nämlich Eurasien, zu sichern (Brzezinski, S. 53) würde dies den Übergang von der unipolaren zu einer multipolaren Weltordnung, die auch, aber nicht nur von Russland angestrebt wird, erheblich belasten, verzögern und risikoreicher gestalten. Die entscheidende Frage ist, wie sich Schwellen- und Entwicklungsländer des globalen Südens bei der weiteren Gestaltung dieses Übergangs positionieren werden.

Viele Verlierer…

Bei der Gewichtung der Folgen und Kosten des Ukrainekonflikts für die daran beteiligten Akteure zeigt sich folgende Bild: Hauptleidtragender ist ohne Zweifel die Ukraine. Auf ihrem Territorium wird nicht nur der Krieg mit allen daraus resultierenden Zerstörungen und Opfern ausgetragen. Legt man den bisherigen Kriegsverlauf zugrunde, dann drohen ihr zudem massive territoriale Verluste im Osten und Süden des Landes. Aber auch Russland, dessen Streitkräfte die Ukraine völkerrechtwidrig angegriffen haben, ist in vierfacher Hinsicht Verlierer des Krieges. Zum einen hat es die allgemeinen Kosten seiner eigenen Kriegsführung (menschliche und wirtschaftliche Verluste) zu tragen, die sich mit der Fortsetzung der Kampfhandlungen weiter steigern werden. Zweitens ist nicht nur die russische Strategie eines schnellen und siegreichen Krieges gescheitert, sondern es kommen noch die Rückschläge infolge ukrainischer Gegenoffensiven hinzu. Drittens entfalten die Verluste, die Russland im Ergebnis westlicher Sanktionen zugefügt werden, ihre negative Wirkung, auch wenn sich diese bislang in Grenzen hält. Obwohl sich die Schwellen- und Entwicklungsländer des globalen Südens dem Wirtschaftskrieg des Westens gegen Moskau bisher nicht angeschlossen haben, hat viertens das internationale Image Russlands dennoch deutlich gelitten.

Ein dritter Verlierer ist Europa. Auch für diese Einschätzung lassen sich mehrere Argumente anführen. Erstens haben die eigenen westlichen Sanktionen sowohl der EU im Allgemeinen als auch Deutschlands im Konkreten wirtschaftlich schwer geschadet, wobei besonders der Energiebereich betroffen ist. Immerhin gilt es, für den Anteil russischer Gasimporte an den Gesamtimporten von 55 Prozent (Deutschland 2020) bzw. Prozent 44 Prozent (EU 2020) Ersatz zu finden – und das auch noch von heute auf morgen. Zweitens findet der Ukrainekrieg auf europäischem Boden statt. Birgt bereits die geographische Nähe des Kriegsschauplatzes Gefahren für die europäische Sicherheit, so wird dies durch die massiven Waffenlieferungen an die Ukraine, die einer indirekten Kriegsbeteiligung gleichkommen, noch gesteigert. Drittens bezahlen die EU und ihre Mitgliedstaaten einen hohen Preis für die vielbeschworene Einheit des Westens gegenüber Russland. Durch den Ukrainekrieg und die damit einhergehende Beschwörung der „russischen Gefahr“ wird die Führerschaft der USA über das „westliche Lager“ deutlich gestärkt. Im Gegenzug für mehr Sicherheit muss die EU das Projekt einer „strategischen Autonomie“ beerdigen. Zur wirtschaftlichen Schwächung gesellt sich somit die Unterordnung unter die Hegemonie der USA. Die Preisgabe der europäischen und deutschen Interessen zeigt sich nicht zuletzt bei der Rolle der NATO. In seinem Buch „Nationale Interessen“, das unmittelbar vor Ausbruch des Ukrainekrieges erschienen ist, kommt Klaus von Dohnanyi zu dem Schluss: „Die Nato heute aufzukündigen, wäre ein gefährlicher Fehler. Allerdings müssen wir uns immer bewusst sein, dass die Entscheidungen über Krieg und Frieden in Europa letztlich von den USA getroffen würden und dass die USA in einem konventionellen europäischen Kriegsgeschehen mit Russland selber unverletzt bliebe.“ (Dohnanyi, S. 112) Daraus folgt: „Solange die USA im Konflikt mit Russland die außenpolitische Entscheidung alleine in der Hand haben, gibt es kein souveränes Europa.“ (ebenda, S. 106f) Brzezinski spricht in Hinblick auf den „Geltungsbereich der heutigen Weltmacht“ davon, dass der „gesamte (eurasische – P.G.) Kontinent von amerikanischen Vasallen und tributpflichtigen Staaten übersät“ ist (Brzezinski, S. 41). Auch Japan weist er an anderer Stelle den „Status eines amerikanischen Protektorats“ (ebenda, S. 221) zu.

… und ein lachender Gewinner

Damit wird klar, dass die USA in der Akteurskonstellation um den Ukrainekrieg der einzige Gewinner sind. Dies hat mehrere Gründe. Erstens liegt ihr nationales Territorium – im Unterschied zur Kubakrise von 1962 – weit genug vom Konfliktschauplatz entfernt. Selbst im Falle der Ausweitung des Krieges auf das Territorium benachbarter Staaten wäre Washington in der günstigsten Position und hätte verschiedene Optionen, um auf eine solche Situation zu reagieren. Wie sehr allein diese geostrategischen Vorteile ins Gewicht fallen, zeigt sich im Vergleich zum direkten Gegenspieler Russland. „Moskau … hat keine zwei großen Ozeane, um sich zu verteidigen. Es hat keine Berge, um sich zu verteidigen. Keine großen Flüsse. Es liegt in einer der riesigen Ebenen Nord-Eurasiens, besitzt keine schützenden Grenzen und fühlt sich ständig vom Westen bedroht.“ (Richard Sawka; zitiert in: Abelow, S. 23). Dass die russische Wahrnehmung äußerer Bedrohung kein Hirngespinst ist, macht schon ein kurzer Blick in die Geschichte deutlich. „In den vergangenen fünfhundert Jahren wurde Russland mehrfach von Westen her überrannt. 1605 kamen die Polen durch die nordeuropäische Tiefebene, es folgten 1708 die Schweden unter Karl XII., 1812 die Franzosen unter Napoleon und die Deutschen zweimal, in beiden Weltkriegen, 1914 und 1941.“ (Marshall, S. 20)

Zweitens haben die USA den „Pivot“ Ukraine in äußerst geschickter Weise genutzt, um einen Keil zwischen EU und Russland zu treiben, womit sie gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe geschlagen haben. Zum einen ist es ihnen damit gelungen, die materielle Grundlage einer weiteren Annährung zwischen den beiden mächtigsten europäischen Akteuren nachhaltig zu zerstören. Der einst erhoffte Wirtschaftsraum von Lissabon bis Wladiwostok, der eine ernsthafte Herausforderung der US-amerikanischen Hegemonie bedeutet hätte, ist damit Geschichte. Zum anderen sind sowohl die EU als auch Russland dauerhaft geschwächt. In beiden Fällen ist nicht nur eine Kooperation zum gegenseitigen Vorteil zerbrochen, sondern die erforderliche Neuorientierung kostet beide zusätzlich Zeit und Ressourcen. Der dritte Vorteil, den die USA aus dem ukrainischen „Pivot“ geschlagen haben, ist die nunmehr erreichte Frontstellung eines transatlantisch ausgerichteten Europas gegenüber Russland. Dies verschafft den USA eine Entlastung auf dem westeuropäischen Brückenkopf, so dass sich Washington im Kampf um die Kontrolle über das „eurasische Schachbrett“ (Brzezinski) besser auf die entscheidende Auseinandersetzung mit China konzentrieren kann.

Der dritte Vorteil, den die USA aus dem Ukrainekrieges ziehen, besteht in der Stärkung ihres militärisch-industriellen Komplexes. So wird die Gesamtsumme der Lieferungen Washingtons an die Ukraine bis Mitte September auf etwa 40 Mrd. US-Dollar geschätzt. Damit ist sie – seit 2014 ohnehin schon der größte Empfänger an US-Sicherheitsleistungen in Europa – auf dem besten Weg, der größte Empfänger an US-Militärhilfen in diesem Jahrhundert zu werden (Abruf vom 21. November 2022). Die von Washington geleistete Hilfe funktioniert wie die Subventionierung der eigenen Rüstungsindustrie, die sich außerdem noch über zusätzliche Lieferungen an die europäischen NATO-Länder freuen kann.

Ein vierter Vorteil liegt darin, dass es der Biden-Administration im Zuge der westlichen Sanktionen gelungen ist, das billige russische Gas vom deutschen Markt zu verdrängen und durch eigenes, teures LNG zu ersetzen. Alles in allem heißt das für die USA: Maximaler Gewinn bei geringem eigenem Risiko. Im Falle der Kubakrise 1962 müsste man diese Bilanz allerdings umkehren: Maximales eigenes Risiko (sowjetische Raketen direkt vor der Haustür) bei geringem Gewinn für die USA („nur“ ein Kompromiss, dafür aber mit dem Image des Siegers). Der große Gewinner war damals die gesamte Menschheit, der ein nukleares Armageddon erspart blieb.

Rote Linien und der chinesische Faktor

Aus dem bisher Dargelegten ergibt sich, dass es sich beim Ukrainekrieg 2022 im Kern um einen indirekten Großmächtekonflikt (proxy war) zweier Nuklearstaaten – USA und Russland – handelt, bei dem die große und weiter wachsende Gefahr besteht, dass er zum direkten Konflikt eskaliert. Russland geht es dabei vor allem um seine Sicherheitsinteressen, die es seit der NATO-Osterweiterung gefährdet sieht. Die daran anschließende faktische Eingliederung der Ukraine in die militärischen Strukturen der NATO, die seit 2014 in raschem Tempo vorangetrieben wird, erreichte im Februar 2022 aus Moskauer Sicht einen Punkt, der keine weitere Verletzung der „roten Linie“ russischer Sicherheitsinteressen mehr zuließ. Putin hatte in der Vergangenheit mehrfach auf diese hingewiesen und vor den Folgen des territorialen Vorrückens der NATO gewarnt.

An dieser Stelle zeigt sich ein weiterer wichtiger Vergleichspunkt zur Kubakrise von 1962. Damals sahen sich die USA mit der schwerwiegendsten Verletzung der Monroe-Doktrin konfrontiert – ebenfalls eine „rote Linie“, mit der sie bereits vor 200 Jahren ihre Hegemonie über die gesamte westliche Hemisphäre proklamiert haben. Nach 1945 ging es Washington um mehr, nämlich um die Globalisierung der Monroe-Doktrin (Safranchuk 2022). Dieses Ziel hatte Washington 1997, als Zbigniew Brzezinski die USA zur „einzigen Weltmacht“ erklärte, dann auch erreicht. Dennoch galt seine größte Sorge schon damals, mitten im „unipolaren Moment“ Washingtons, Eurasien: „Amerikas potentielle Herausforderer auf politischem und/oder wirtschaftlichem Gebiet sind ausnahmslos eurasische Staaten. Als Ganzes genommen stellt das Machtpotential dieses Kontinents das der USA weit in den Schatten. Zum Glück für Amerika ist Eurasien zu groß, um eine politische Einheit zu bilden. Eurasien ist mithin das Schachbrett auf dem der Kampf um globale Vorherrschaft auch in Zukunft ausgetragen wird.“ (Brzezinski, S. 57) Hier – auf dem „eurasischen Schachbrett“ – findet sich auch die Hauptursache, die dem Krieg in der Ukraine zugrunde liegt: Solange die USA die Kontrolle über Eurasien als Fundament ihrer globalen Dominanz (eng. primacy) ansehen, können sie dort keine „rote Linie“ möglicher oder realer Rivalen zulassen.

Die Ironie des Ukrainekonflikts liegt nun darin, dass die USA mit ihrem Kurs der NATO-Osterweiterung und ihrer indirekten Teilnahme am Ukrainekrieg (Abelow 2022) genau jene Konstellation befördert haben, vor der Brzezinski schon 1997 gewarnt hatte: „Das gefährlichste Szenario wäre möglicherweise eine große Koalition zwischen China, Russland und vielleicht dem Iran, ein nicht durch Ideologie, sondern durch tiefsitzende Unzufriedenheit aller Beteiligten geeintes antihegemoniales Bündnis.“ (Brzezinski, S. 87) Mit Blick auf die USA ergänzt er später: „Allerdings kann sich eine Koalition, die Russland mit China und dem Iran verbände, nur dann entwickeln, wenn die Vereinigten Staaten so kurzsichtig sind, sich China und den Iran gleichzeitig zum Feind zu machen.“ (ebenda, S. 170; Hervorhebung P.G.). War eine solche „Dritte-Welt-Gruppierung gegen die führenden Nationen der Ersten Welt“ damals noch ein „Phantom“ (ebenda, S. 171), so hat sich dies inzwischen in mehrfacher Hinsicht gewandelt. Erstens haben alle drei genannten Staaten in den letzten 25 Jahren einen deutlichen Machtzuwachs zu verzeichnen – Russland als Energie- und Militärmacht, China als größter und einzig ernstzunehmender Rivale der USA, und der Iran als Regionalmacht mit nuklearen Ambitionen. Zweitens haben die USA selbst dafür gesorgt, dass sie sich gegenüber allen drei Ländern in tiefe Konflikte verstrickt haben. Drittens hat sich das antihegemoniale Bündnis, das 1997 lediglich ein „Phantom“ war, in Gestalt der Shanghai Cooperation Organisation (SCO – gegründet 2001) und der BRICS (gegründet 2009) inzwischen institutionalisiert und erweitert. Während 1962 der Bruch zwischen der Sowjetunion und der VR China, den beiden größten kommunistisch regierten Ländern, unübersehbar geworden war, bilden heute beide Länder trotzt der Belastungen durch den Ukrainekrieg die eurasische Achse eines immer breiter werdenden Lagers, dessen Staaten eine multipolare Weltordnung anstreben. Washington sieht in China zu Recht den mächtigsten Protagonisten dieser neuen Weltordnung und damit als größte geopolitische Herausforderung seiner schwindenden Hegemonie. Noch muss offen bleiben, welchen Platz der Ukrainekrieg in diesem Ringen einnehmen wird. Klar ist nur, dass es sich um den Beginn eines schwierigen Prozesses handelt, dessen Ausgang über das weitere Schicksal der Menschheit entscheidet – eine weitere Ähnlichkeit zur Kubakrise 1962.

Lehren aus der Kubakrise

Die Bilanz des Vergleichs beider Konflikte fällt gemischt aus. Es sind vor allem vier Faktoren, die im Falle des Ukrainekrieges die Situation unübersichtlicher und damit gefährlicher machen. Erstens ist er Teil eines komplexen und schwer kalkulierbaren Übergangsprozesses, der von der Pax Americana zu einer Weltordnung führt, die durch Multipolarität geprägt sein wird. Zweitens ist es der Krieg selbst, der einen qualitativen Unterschied zu 1962 impliziert. Seine Akteurskonstellation und sein Verlauf steigern das Risiko eines nuklearen Schlagabtauschs weiter. Drittens ist mit dem Krieg die Schwelle des Einsatzes von Nuklearwaffen weiter abgesenkt worden. Wenn dazu viertens noch – im Unterschied zu 1962 – die Neigung fortbesteht oder sich gar verfestigt, Russlands „rote Linien“ weiterhin zu ignorieren, dann steigt damit auch das Risiko eines Nuklearkrieges.

Um diesen zu verhindern, bieten die Lehren der Kubakrise eine gute Ausgangsbasis. Der Friedensforscher Hans-Georg Ehrhart formuliert folgende: „Erstens sollte man sich nicht darauf verlassen, dass ein Atomkrieg wie damals mit Glück zu verhindern ist. Zweitens bedeutet Krieg zwischen zwei Atommächten stets allergrößte Gefahr … Drittens müssen die Protagonisten USA und Russland zu einem Kompromiss bereit sein. Dazu gehört, die vitalen Sicherheitsinteressen des jeweils anderen angemessen zu berücksichtigen und unlösbar erscheinende Probleme wie Territorialstreitigkeiten zunächst auszuklammern. Viertens muss eine verlässliche und vertrauliche Kommunikation bis auf die höchste politische Ebene sichergestellt werden. … Schließlich braucht es einen Stabilitätsrahmen.“ Mit letzterem ist die vertragliche Absicherung einer Entspannungspolitik gemeint, die systemischen Wettbewerb ermöglicht, ohne dass dieser zum Krieg führt. Welche Risiken dem Ukrainekrieg innwohnen, hat die „polnische Raketenkrise“ vom 15. November auf dramatische Weise unterstrichen. „Der Tag, an dem die Nato Angst bekam“ (LVZ vom 17. Nov. 2022) sollte für alle Beteiligten eine nachdrückliche Mahnung sein, endlich den Weg zu ernsthaften Friedensverhandlungen einzuschlagen.

 

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* Geopolitischer Dreh- und Angelpunkt (eng.: pivot): Geopolitische Dreh- und Angelpunkte sind Staaten, deren Bedeutung nicht aus ihrer Macht und Motivation resultiert, sondern sich aus ihrer geopolitischen Lage ergeben. Ihre Sonderrolle besteht darin, dass sie entweder den Zugang zu geopolitischen Gebieten festlegen oder einem geostrategisch bedeutsamen Akteur bestimmte Ressourcen verweigern können. In einigen Fällen können sie einem dynamischen Staat oder einer Region als Verteidigungsschild dienen. Manchmal hat ihre schiere Existenz für einen benachbarten geopolitischen Akteur erhebliche politische, ökonomische und kulturelle Folgen. (Vgl. Brzezinski, S. 66f) Gegenüber Russland treffen für die Ukraine alle genannten Merkmale zu.

Literatur:

Abelow, Benjamin: Wie der Westen den Krieg in die Ukraine brachte. Die Rolle der USA und der Nato im Ukraine-Konflikt. Spezialausgabe der Weltwoche Nr. 43 vom 27. Oktober 2022

Brzezinski. Die einzige Weltmacht. Amerikas Strategie der Vorherrschaft. Frankfurt a.M. 1999

Fras, Damir/ Merey, Can/ Sternberg, Jan: Der Tag, an dem die Nato Angst bekam, LVZ vom 17. November 2022, S. 2-3

Ehrhart, Hans-Georg: Was die Kuba-Krise lehrt, freitag vom 14. Oktober 2022, S. 1

Greiner, Bernd: Die Logik der Erpressung. Von der Kuba-Krise zum Ukraine-Krieg, in:

Krauthammer, Charles: The Unipolar Moment, in: Foreign Affairs, Vol. 70 (1990/1991) No. 1, pp. 23-33

Marshall, Tim: Die Macht der Geographie. Wie sich Weltpolitik anhand von 10 Karten erklären lässt. München 2015

RM Staff and Associates: Does Ukraine War Pose Greater Risk of Nuclear Armageddon Than Cuban Missile Crisis? vom 13. Oktober 2022; unter: https://www.russiamatters.org/analysis/does-ukraine-war-pose-greater-risk-nuclear-armageddon-cuban-missile-crisis

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