Erzählte Geschichten hinter dem Bild
Wim Wenders, der weltbekannte Regisseur, macht eine Dokumentation über Sebastião Salgado, den weltbekannten Fotografen. Ein wahrhaftes Zusammentreffen von Größe. Es ist daher nicht einfach, die temporäre Vereinigung der beiden Künstler in der bildgewaltigen Dokumentation in Worte zu fassen. Die Überbetonung des einen impliziert schließlich die Reduktion des anderen. QUETZAL, als Lateinamerika-Magazin ist dennoch parteiisch und fokussiert auf den Brasilianer…
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Aus dem Off, der Bildschirm noch schwarz, ertönt eine sonore Stimme: „Ein Film über das Leben eines Fotografen.“ Weiße Lichter und schwarze Schatten winden sich durch das Bild. Dann vereinen sie sich und formen eine Goldmine in der Serra Pelada, Brasilien. In seiner Totale wirkt das Foto wie ein Gemälde von Pieter Bruegel. Doch nein, hier gibt es keine Schalks. Es ist der bittere Ernst, das Wuseln von tausenden Menschen auf der Suche nach Reichtum.
Sebastião Salgado schildert hinter der Glasfläche der Bildprojektion, was damals in ihm vorging, als er diese Fotos schoss. Er schildert den völligen Wahnsinn, Bilder der Apokalypse. Er versucht, in Worte zu fassen, was sich nur schwer in Worte fassen lässt. Er fühlte sich beim Anblick dieses riesigen Lochs an den Bau der Pyramiden erinnert; kein Maschinenlärm durchdrang die Luft, nur das Gemurmel von 50.000 Menschen. Es sind bewegende Worte. Und dieses Zusammenspiel aus Wort und Bild zur Lage vor Ort ist mehr als eindringlich. Es ist überwältigend. Zumal, weil Salgado in seinen Bildbänden sonst lediglich die Fotos für sich sprechen lässt und kaum Erläuterungen jenseits der Kamera gibt. Deshalb ist diese erzählte Geschichte hinter dem Bild (und das auch im wahrsten Sinne des Wortes) nachgerade eine kleine Revolution – und darüber hinaus eine geniale Idee von Wim Wenders.
Dabei war es wohl kein Zufall, dass Wenders ausgerechnet Sebastião Salgado zu genau jenen Fotos sprechen ließ. Denn dies waren für den Filmregisseur – rein zufällig in einer Galerie – die ersten Berührungspunkte mit dem Fotografen. Und so formt sich langsam auch ein Bild über Wenders und Salgado und den Prozess einer Annäherung, in dessen Mitte der Mensch steht, das Salz der Erde.
Ob in Brasilien oder West-Papua oder Nordsibirien – immer sieht man den ruhelosen Reisenden mit der Kamera in der Hand inmitten atemberaubender Landschaften verfolgt von Wenders, der ein Porträt des Brasilianers einfangen will, von so vielen Seiten wie nur möglich. Langsam formt sich eine Biografie heraus, ein Lebenslauf so unwirklich wie seine Fotos. Gestreift wird seine Kindheit, sein Studium, seine große Liebe und ein weitreichendes Ereignis in der Stadt der Liebe: seine erste Kamera, die sein Leben auf neue Wege lenkte – jenseits von Kommerz und gesicherter Existenz. Es entstand Salgados erstes Projekt „Autres America“.
Doch es ist nicht nur Wim Wenders, der Sebastião Salgao kennenlernen möchte, sich ihm dokumentarisch nähert. Es ist auch dessen Sohn Juliano. Er kannte über viele Jahre hinweg von seinem Vater nicht mehr als die Fotos. Und so gibt es in der Dokumentation einen zweiten Blickwinkel auf Sebastião Salgado, nämlich den seines Sohnes. Als Schauplatz wählte er jedoch kein Pariser Café und auch keine Churrascaria in Braslien. Die Bühne hierfür bildete Wrangel, ein eiskaltes Eiland im Norden Sibiriens. Und Juliano fragt seinen Großvater, wie es war in Minas Gerais, als es noch Wasser und Wälder und Wiesen gab. Aber diese Änderung des Blickwinkels auf Sebastião Salgado veränderte auch den Charakter der Dokumentation: von der Weite eines Fotografen hin zur Enge einer Familiensaga.
Dieser Bruch in Stil und Inhalt endet so abrupt, wie er begann. Und Sebastião Salgado erzählt wieder vor der durchsichtigen Glasscheibe. Zu sehen sind seine Fotos vom Grauen und Sterben der Menschen in Afrika. Sie sterben vor Hunger im Sahel, Äthiopien, Sudan. Die Fotos sind vor allem deshalb so erschreckend, weil sie über die Vorstellungskraft hinausgehen.
Doch es bleibt dem Zuschauer keine Zeit innezuhalten und das Gesehene und Gehörte zu verarbeiten. Wenders geht nahtlos über zu dem nächsten Projekt von Salgado: „Workers“. Und dann weiter nach Kuweit. Dann zu den Flüchtlingen aus Indien, Vietnam, Pakistan, Ruanda. Die Dokumentation entwickelt sich dadurch auch zunehmend zu einer Zeitreise durch die Geschichte, zu einem Spiegel des Leids, des Hasses und der Gewalt auf allen Kontinenten. Salgado war bei seiner Arbeit rastlos. Das muss man als Zuschauer akzeptieren und sich mitziehen lassen. Von Ruanda nach Ex-Jugoslawien. Vom Morden auf dem Balkan zum Morden in Afrika. Es gibt keine Pausen. Keine Zeit für Reflexionen. Ja, es gibt nicht einmal Zeit, die Tränen zu trocknen, über das, was man sah.
Doch dann zerbrach der sozialdokumentarische Fotograf beinahe selbst an all der Hoffnungslosigkeit. Er zog sich auf das Anwesen seines Vaters zurück. Das war inzwischen ebenso öde und hoffnungslos geworden wie sein Bild von der Menschheit. Salgado schoss diesmal keine Fotos. Vielmehr startete er ein neues Projekt: das „Instituto Terra“. Er pflanzte auf dem Gelände Bäume. Einmal. Zweimal. Millionen neuer Bäume. Bis die Mata Atlantica (fast) wieder so aussah wie vor der Abholzung. Flora und Fauna kehrten zurück. Ein Nationalpark entstand. Und Sebastião Salgado schöpfte wieder Hoffnung.
Wim Wenders ist mit dem Porträt ein großer Coup gelungen, ein Meisterwerk. Wieder einmal.
Das Salz der Erde. Eine Reise mit Sebastião Salgado
Ein Film von Wim Wenders und Juliano Ribeiro Salgado
Bildquelle: DVD-Cover