Vogtländer. Sachse. Naturforscher
Am 16. Juli jährt sich zum 211. Mal der Geburtstag des Naturforschers Eduard Friedrich Poeppig. Auch wenn diese krumme Zahl niemanden auf die Idee brächte, ein Poeppig-Jahr auszurufen, hat sich der QUETZAL diesen Jahrestag als Anlass genommen, den Reisebericht des gebürtigen Vogtländers durch Südamerika genau zu studieren. Er ist in vielen Aspekten aktuell geblieben. Deshalb erstaunt es, dass Poeppig stets – aber unseres Erachtens zu Unrecht – im Schatten von Alexander von Humboldt blieb und heute zu den „Halbvergessenen“ gehört, wie Herbert Butze im Vorwort zu einer Neuausgabe des Reiseberichts „Über die Anden zum Amazonas“ schon 1953 vermerkte.
Geboren wurde Eduard Poeppig am 16.07.1798 in Plauen/Vogtland. 1800 siedelte seine Mutter mit den beiden Kindern nach Leipzig über, wo der Sohn später die Thomasschule besuchte. In den Jahren 1810 bis 1815 setzte Poeppig seine Ausbildung in der Landesschule St. Augustin in Grimma fort, bevor er an der Universität Leipzig Medizin und Naturwissenschaften studierte.
Bereits in dieser Zeit unternahm er ausgedehnte Fußreisen u.a. nach Österreich, in die Schweiz und sogar nach Südfrankreich bis an die Pyrenäen. Im Alter von 24 Jahren schiffte er sich nach Kuba ein, wo er von 1822 bis 1824 botanische Studien betrieb und sich als Plantagenarzt seinen Lebensunterhalt verdiente.
Nach einem kurzen Aufenthalt in Pennsylvania reiste Poeppig 1826 von Boston nach Valparaiso (Chile), um während der folgenden fünf Jahre in Chile und Peru umfangreiche geographische, botanische und zoologische Forschungen zu unternehmen. Besonders auffallend war, dass der gebürtige Vogtländer zwar von seinen Leipziger Freunden und Gönnern finanziell bei seinem Vorhaben unterstützt wurde, ansonsten aber ganz auf sich allein gestellt blieb. Er war sehr zurückhaltend, ja ein Einzelgänger. Nach Ansicht des Herausgebers Herbert Butze liegt hier die Hauptursache für seine geringere Popularität gegenüber Humboldt.
1833, ein Jahr nach seiner Rückkehr aus Südamerika, erhielt er eine außerordentliche Professor für Naturgeschichte an der Universität Leipzig. Außer in den mit großem Erfolg gehaltenen öffentlichen Vorlesungen trat er jedoch kaum gesellschaftlich in Erscheinung. Er übernahm das Direktorium des Zoologischen Museums und wurde 1846 ordentlicher Professor. Am 04.10.1868 starb Poeppig in Wahren (bei Leipzig).
Sein wissenschaftliches Werk ist auch heute noch weitgehend gültig. Im Internationalen Pflanzennamen Verzeichnis (IPNI) gehen 1961 Einträge auf ihn zurück. Eine Pflanzengattung der Johannesbrotgewächse trägt sogar seinen Namen: Poeppigia procera.
Der Reise erster Teil: Chile
Nach der Umrundung des Kap Hoorn und der Ankunft in Valparaiso im März 1827 schildert Poeppig seine ersten Eindrücke von Chile. Das Land war damals augenscheinlich von englischen Handelswaren überschwemmt und dermaßen von Flöhen geplagt, dass „die Landleute im Sommer genötigt [waren], außerhalb ihrer Hütten zu schlafen“ (S. 27).
Der Naturforscher akklimatisierte sich relativ schnell. Seine Kommentare über die Bedeutung der Schwemmgoldgewinnung am Rio de Aconcagua, seine Schilderungen des geselligen und kulinarischen Lebens auf einer Hacienda, vor allem aber seine Beschreibungen über die Bedingungen für Ackerbau und Viehzucht sowie über die Struktur der Landwirtschaft mit Großgrundbesitz und Fronbauern (S. 48) geben dem Leser einen guten Eindruck eines Landes, das bis Mitte des 20. Jahrhunderts durchaus ähnliche Charakteristiken aufwies. Zu den Besonderheiten zählt nicht zuletzt Poeppigs Kritik an der Rechtsprechung, „die in den spanischen Kolonien nie unparteiisch gewesen [war], besonders nicht in bezug auf die Armen“ (S. 49).
Einige Beobachtungen treffen sogar noch heute zu, z. B. wenn er über das Unverständnis der Einheimischen bezüglich seiner Wanderungen schreibt: „Dem Vorurteile des Volkes sind in Südamerika solche Fußpartien freilich entgegen, und selbst der einfache Landmann blickt mit vielem Stolz oder im besseren Falle mit Mitleid auf den Wanderer herab wie auf ein bedauernswert armes Wesen, dem selbst der einfache Besitz eines einzigen Pferdes versagt geblieben ist“ (S. 54). Auch die Armut auf dem Lande, die Hilfsbereitschaft der Poncho tragenden peones oder „Unregelmäßigkeiten in den Leistungen der Staatsdiener, […] Eigenmächtigkeiten und Bestechlichkeit“ (S. 67) gehören damals wie heute zu den hervorstechenden Charakteristiken der Länder Südamerikas.
Auffallend an Poeppigs Reisebuch ist der ruhige, sachliche Ton – in jeder Lage. Beispielsweise beschrieb er die Entdeckung von Pflanzen und Tieren genauso nüchtern wie Situationen, in denen er beinahe ertrunken (z.B. S. 92-93) oder in eine Gletscherspalte gestürzt wäre (S. 151). Die Schilderungen trockener Hochebenen reihen sich emotionslos an Berichte über einen illegalen amerikanischen Walfänger (S. 100), Poeppigs Ausflug auf einem Floß aus zusammengenähten Seelöwenfellen in der Pazifikbrandung (S. 101) oder Gefahren im Kriegsgebiet der Moluchen und Pehuenchen (S. 116).
Doch immer wird man als Leser gewahr, dass Poeppig in seinen Ansichten Europäer blieb. Mag seine Meinung, nach der die chilenische Gesellschaft viel zu wenig liest, dafür viel zu viel spielt – und zwar vom Tagelöhner bis zum Pfarrer (S. 110), dies schon andeuten. Offensichtlich wird sein Eurozentrismus vor allem bei der Beurteilung der Indigenen – im Übrigen ein Weltbild, dass er mit dem anderen bedeutenden deutschen Naturforscher in Südamerika, Alexander von Humboldt, weitestgehend teilt. Herausgeber Herbert Butze, der Poeppigs Originalausgabe bearbeitete und mit Endnoten versah, erkannte sehr genau die Grenzen der Gelehrsamkeit des Naturforschers. Butzes Kommentar zum Kampf der Ureinwohner gegen die Siedler hat bis heute nichts an Gültigkeit verloren, wenn man z. B. die Lage der Indigenen im Amazonas betrachtet: „Poeppig hat in Chile noch die letzten Ausläufer der ehemaligen indianischen Freiheitsbewegungen kennengelernt, allerdings nicht als solche erkannt. Ihm als geographisch und naturwissenschaftlich interessierten Forscher blieb die Einsicht in diese ökonomischen und gesellschaftlichen Triebkräfte verschlossen, und er übersah, daß die Indianer, um weiterleben zu können, einfach gezwungen waren, sich ihre Nahrung auf den Feldern der Weißen zu holen. Sie pochten dabei auf ihr gutes Recht, hatten sie doch den Landwechsel nie verstanden und sprachen die Felder noch immer als ihr Eigentum an“ (Endnote 27, S. 320). Dass der Forscher mit etwas mehr gesellschaftskritisch geschärften Blick selbst zu dieser Schlussfolgerung hätte gelangen können, belegen seine z.T. detaillierten Schilderung vom Leben der nomadisierenden Pehuenchen (S. 122 ff.), die immer mehr von den vorrückenden Siedlern zurückgedrängt wurden.
Nach der lebensgefährlichen Erstbesteigung des Vulkans Antuco nahm Poeppig Abschied von Chile, um seine Forschungen in Peru und im Amazonasgebiet fortzusetzen.
Der Reise zweiter Teil: Perus Sierra
Der erste Eindruck Perus auf Poeppig war kein guter, denn das „Land zeigte eine abschreckende Unfruchtbarkeit“ (S. 160). „Auf das Unangenehmste“ fielen auch die schmutzigen Rohrhütten, die unordentlichen Gassen, der Staub und die Unreinlichkeit in Callao (S. 162) auf – Eigenschaften der heute zu Lima gehörenden Hafenstadt, die sich in 200 Jahren nicht verloren haben. Und wie damals fühlt man „sich erst leichter, wenn man den unangenehmen Ort verlassen hat“ (S. 163).
Kaum in Lima angekommen, wurde Poeppig gewahr, in welch politisch instabilen Zeiten sich Peru befand. Denn am 06.06.1829 stürzte Antonio Gutiérrez de la Fuente den Präsidenten José de la Mar, bevor am 01.09.1829 der Kongress Agustín Gamarra Messia zum neuen Staatsoberhaupt ernannte. Obwohl dieser Staatsstreich – wie die zahlreich danach erfolgten – dem Naturforscher eher einem Possenspiel glich, erkannte er mit geradezu politologischer Klarsicht die Folgen für den peruanischen Staat, die in leicht abgewandelter Form auch für die aktuelle politische Situation so wie mit Poeppigs Worten zusammengefasst werden könnten: „Abgesehen von der Plünderung der Kassen, die stets, wenn auch im geheimen, stattfindet, bringt der Antritt eines jeden neuen Machthabers nur die größte Verwirrung in die öffentlichen Angelegenheiten. Die Zerstörung des vom Vorgänger Geschaffenen ist seine erste Tätigkeit. Gesetze werden widerrufen, die als Verbesserungen zu früheren Verbesserungen der vielen altspanischen Kolonialgesetze gegeben worden waren, und die Verwirrung steigt in dem Maße, daß weder die Richter noch die Beamten irgendeinen Anhaltepunkt kennen, weil stets eine Verordnung der anderen widerspricht“ (S. 167).
Wegen Seuchen und Kriegen musste Poeppig in Lima seine geplante Reise umdisponieren. Statt nach Ecuador wollte er nun quer durch die Anden zum Amazonas gelangen. Doch die Reise vía Obrajillo hinauf zum Pass La Viuda war mehr als beschwerlich. Hinzu kam, dass ihm überall die Unfreundlichkeit der Bewohner unangenehm auffiel (S. 177). Die Ursache für dieses Verhalten, die Jahrhunderte lange Ausbeutung durch die Spanier nämlich, entging jedoch seiner Kritik.
Richtig erkannte er hingegen, dass er sich nach Überquerung der Kammregionen bei La Viuda im Einzugsgebiet des Amazonas befand – sogar unter Benennung der korrekten Flussbezeichnungen (S. 182). Für damalige Verhältnisse bewies er damit bedeutende geographische Kenntnisse. 80 Jahre nach Poeppig bestimmte ein anderer Deutscher, Wilhelm Sievers, für die Quelle des Amazonas die drei Lagunen des Lago Lauricocha – unweit von Poeppigs Route. Erst 2001 wurde durch eine Expedition der National Geographic Society der Ursprung des längsten Flusses in Südamerika nahe der Stadt Chivay im Departement Arequipa bestätigt, mit Mitteln, die eineinhalb Jahrhunderte vorher einfach noch nicht verfügbar waren.
An der Höhenkrankheit erkrankt und angewidert vom Rausch des Silbers, der alle Bewohner seiner nächsten Station Cerro de Pascos erfasst hatte, war der Naturforscher froh, endlich von den Hochanden wieder in niedrigere Gefilde zu gelangen. Doch seine Reise wurde immer wieder aufgehalten, denn „[m]an muß in Peru stets darauf gefaßt sein, mit religiösen Festlichkeiten zusammenzutreffen. Abgesehen von der Feier des Ortsheiligen ergeben sich im Laufe des Jahres noch viele Gelegenheiten zu kirchlichen Aufzügen und menschlichen Ausschweifungen, die in diesem Lande nicht voneinander zu trennen sind.“ Das zumal, „weil die kirchliche Verehrung […] eine kurzdauernde Nebensache [ist], aber Kartenspiel, Tanz und Lärm füllen die Zeit aus, solange noch eine Flasche von geistigen Getränken übriggeblieben ist“ (S. 212-213). Dabei erkennt Poeppig zurecht, dass sich der mayordomo, der Ausrichter des Festes, auf Jahre hinaus in Schulden stürzt, eine Tatsache, die heute ebenso gilt wie damals.
Über Huánuco gelangte der Naturforscher endlich in die Selva-Region, auf die Hacienda Pampayaco unweit Cocheros, wo er sich für die nächsten neun Monate häuslich einrichtete und seinen botanischen Forschungen nachging.
Der Reise dritter Teil: Amazonas
Der Aufenthalt in den Bergregenwäldern war für ihn das Paradies und die Hölle zugleich. Allein Poeppigs Schilderungen seines Kampfes gegen die Feuchtigkeit, die ständig seine Forschungsergebnisse und seine Ausrüstung bedrohte, lassen erahnen, warum er halb in Verzweiflung fiel (S. 230). Auch die verschiedensten Arten von Ameisen mögen ihn als Zoologen begeistert, im Alltagsleben jedoch sehr gehindert haben (S. 235).
Die Gefahren der Regionen gingen aber nicht vom Wasser oder von Ameisen, auch nicht von Jaguaren oder Pumas aus, sondern von Giftschlangen. Der Biss einer Jergón (Lachesis muta) hätte beinahe Poeppigs Reisen für immer beendet, denn die „herbeigerufenen Indianer, die die Schlange gefunden hatten, erklärten die Wunde mit der größten Ruhe für tödlich“ (S. 244). Das Ausschneiden und -brennen der Bissstelle retten ihm das Leben.
Kaum erholt begab sich Poeppig als „Krämer“ – Geld hatte für die Ureinwohner der Selva keine Bedeutung – auf die Reise, dem fernen Amazonas zu. Im Kampf gegen Moskitos und die Natur standen ihm nun nur noch sein Hund und die Indigenen zur Seite, deren Leben Poeppig in Ansätzen beschreibt. Keinen guten Eindruck machten die eingeborenen Frauen der Cholonen auf ihn, die „fast ohne Ausnahme häßlich [sind], selbst wenn man lange genug unter Indianern gelebt hat, um die Anwendung europäischer Schönheitsregeln auf sie zu verlernen. Mit dreißig Jahren sind sie schon so eingeschrumpft, daß ihnen leicht das doppelte Alter zugetraut werden kann“ (S. 258).
Poeppig war auf seinen Forschungen in der tiefsten Selva zum Teil ganz auf sich allein gestellt. Er musste fischen, jagen, Brennholz besorgen, kochen – und nebenbei noch forschen. Wohl zu Recht verweist er darauf, dass der Europäer, möge er auch durch Rang oder Wissen in der Heimat glänzen, hier nur durch eigene Tätigkeit überleben kann, wobei gelehrte Bildung überflüssig ist (S.284).
Ab August 1831 hatte der Forscher wohl genug gesammelt und machte sich auf die Heimreise. Den Huallaga und Marañon hinunter, an den kleinen Ansiedlungen Iquitos und Loreto vorbei strebte er auf einem Balsafloß reisend unaufhörlich der Mündung des Amazonas zu. Letzte Forschungen betrieb er in Ega. Hier holte ihn zugleich die Zivilisation ein. Denn seine Weiterreise wurde ein ums andere Mal verzögert, weil die Abdankung des Kaisers Dom Pedro I. im Jahr 1831 in Brasilien ein politisches Chaos hinterlassen hatte. Poeppig nahm an den Auseinandersetzungen jedoch wenig Anteil. An Nahrungsmangel leidend und stets in der Gefahr schwebend, zwischen die Fronten zu geraten, galt sein Hauptinteresse einzig und allein der Rettung seiner naturkundlichen Sammlungen.
Ende April 1832 erreichte Poeppig mehr schlecht als recht die Stadt Pará. Erleichtert hielt er in seinem Tagebuch fest:„Der breite Erdteil war durchmessen, das Ziel erreicht“ (S. 312).
Der Reisebericht „Über die Anden zum Amazonas“ des Naturforschers ist auch heute noch ein sehr nützliches Buch für alle Südamerika-Reisenden. Dem historisch Interessierten, Botaniker oder Zoologen sei jedoch ans Herz gelegt, die Originalfassung zu lesen, da die vorliegende bearbeitete Version erheblich gekürzt wurde (etwa um ein Drittel) und sich weitgehend auf Poeppigs Reiseroute beschränkt. Zahlreiche Detailinformationen über Land und Leute, Flora und Fauna blieben dabei natürlich auf der Strecke.
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Bildquelle: Public Domain
Karten: [1]: Bearbeitete Karte nach C. G. Reichard (1822), Original bereitgestellt von David Rumsey Historical Map Collection; [2] Universität Bern, Zentralbibliothek, Sammlung Ryhiner
Eduard Poeppig
Über die Anden zum Amazonas
VEB F.A. Brockhaus Verlag, 328 S.,
Leipzig, 1953