Die Präsidentschaft von Donald Trump markiert in einer bislang nicht gekannten Deutlichkeit die Fragilität der westlichen Hegemonialmacht. Er ist nunmehr der dritte Präsident in Folge, der versucht, den Niedergang der USA zu stoppen. In der ihm eigenen Art hat er Schlussfolgerungen aus dem Scheitern seiner beiden Vorgänger gezogen, die im Schlachtruf des America first ihren prägnantesten Ausdruck gefunden haben. Seine Außenpolitik stellt eine Reaktion sowohl auf das Scheitern der Illusion vom „unipolaren Moment“ (Charles Krauthammer) als auch auf das Versagen des „smarten“ Multilateralismus von Barack Obama dar. Instinktiv hat er begriffen, dass die Kosten zur Durchsetzung der US-amerikanischen Hegemonialrolle inzwischen eine Größenordnung erreicht haben, die selbst für die „einzige Supermacht“ nicht mehr zu stemmen sind. Sein Bestreben, diese durch eine Umverteilung der Lasten und die Konzentration auf die nationalen Interessen zu senken, mündet in einen bizarren Zick-Zack-Kurs, der bisherige Bündnispartner vor den Kopf stößt und den Rest der Welt in eine Spirale der Gefahreneskalation stürzt. Es wäre jedoch zu einfach, die Irrungen der gegenwärtige US-Politik allein dem persönlichen Führungsstil von Donald Trump anzulasten. Am Beispiel der Energiepolitik lässt sich auf exemplarische Weise zeigen, welche Ziele die USA unter dem jetzigen Präsidenten verfolgen und wie es um die Möglichkeiten bestellt ist, diese unter veränderten Bedingungen auch zu erreichen.
Von der Energy Independence zur Energy Dominance
Seit der ersten Ölkrise 1973 ist die Energieversorgung für alle US-Regierungen eine Angelegenheit der nationalen Sicherheit. Damals betrug der Importanteil bereits 30 Prozent des nationalen Verbrauchs an Erdöl. 2007 erreichte er mit 65 Prozent seinen höchsten Wert. Diese aus Washingtoner Sicht höchst beunruhigende Entwicklung sollte um jeden Preis umgekehrt werden, was dank der „Fracking-Revolution“ auch gelang. So konnte der Kongress im Dezember 2015 schließlich das seit über 40 Jahren gültige Verbot des Exports von Rohöl aufheben. Laut Prognosen der Energy Information Administration (EIA) werden sich die USA, die seit 1953 ein Netto-Energie-Importeur sind, bis 2022 in einen Netto-Exporteur verwandeln (U.S. EIA 2018, S. 24). Bereit heute (2017) ist das Land mit einem Anteil von knapp 17 Prozent weltweit der größte Exporteur von Petroleumprodukten (OPEC 2018, S. 63). Im Handel mit Flüssiggas (LNG) sind die USA 2018 zum Netto-Exporteur avanciert. 2018 feierte die auf Fracking basierende „Shale Revolution“ ihren zehnten „Geburtstag“. Damit haben sich die USA sowohl auf dem Gas- als auch auf dem Ölmarkt die Position eines game changer erobert. Auf dieser materiellen Grundlage konnte Donald Trump dann 2017 seine Politik der Energy Dominance als energiepolitische Variante von America first verkünden.
Trumps Energiepolitik versteht sich dabei einerseits als Fortsetzung der von Obama forcierten Orientierung auf Energie-Unabhängigkeit (Energy Independence). Andererseits verkörpert Energy Dominance den Übergang von einer eher defensiven zu einer aggressiven Politik mit weit reichenden ökonomischen, klima- und geopolitischen Implikationen. So ist Trumps Ausstieg aus dem 2015 vereinbarten Klimaabkommen von Paris ohne seine energiepolitische Wende kaum erklärbar. Ökonomisch zielt sie auf die Stärkung jener Sektoren, die fossile Energie produzieren und von ihr profitieren. Dem dient sowohl das Rollback von Obamas Clean Energy Policy als auch die Deregulierung des gesamten Energiesektors. Während Hillary Clinton im Wahlkampf verkündete, die USA sollten sich als Clean Energy Superpower profilieren, verfolgt Trump zwar ebenfalls das Ziel einer Energie-Supermacht, ohne sich jedoch um die Folgen für Umwelt und Klima zu scheren. Trumps Politik der Energy Dominance hat somit ein doppeltes Ziel: Zum einen soll die heimische Energieproduktion von allen klima- und umweltpolitischen Belastungen „befreit“ werden; zum anderen will Trump die geopolitische Dominanz der USA im globalen Öl- und Gasgeschäft durchsetzen. Gegenüber verbündeten Ländern werden die Exporte der USA als Alternative zur Verbesserung der Energiesicherheit offeriert, während Rivalen wie Russland und China bzw. „Schurkenstaaten“ wie der Iran, Venezuela, und Nordkorea damit diszipliniert werden sollen. Wie es um die Chancen zur Realisierung der geopolitischen Ziele der USA im Rahmen der Trump’schen Energiedominanz bestellt ist, soll anschließend in drei Schritten skizziert werden: Erstens in Hinblick auf die Beziehungen zu den beiden nordamerikanischen Nachbarn; zweitens bezüglich der Auswirkungen für Lateinamerika; drittens mit Blick auf die geopolitische Gemengelage in der „Alten Welt“.
Der Ausbau des Nordamerikanischen Energieblocks
Zu den wichtigsten Schlussfolgerungen, die die USA aus den Ölkrisen der 1970er Jahre gezogen haben, gehört die Neuausrichtung ihr Ölimporte – Reduzierung der nahöstlichen Einfuhren und zielgerichteter Ausbau der nordamerikanischen Energiearchitektur. 1977 kamen noch 27,8 Prozent aller Ölimporte aus den nahöstlichen Golfstaaten und 70,3 Prozent von der OPEC. Als die Importe aus Nahost in den 1980er infolge des ersten Golf-Krieges (1980 bis 1988) zwischen Irak und Iran einbrachen, konnte dies weitgehend durch die Erschließung und Ausbeutung der Ölfelder in Alaska ausgeglichen werden. So stieg die dortige Ölförderung von 177.100 Barrel pro Tag im Jahr 1977 auf 1,65 Millionen 1982 und erreichte 1988 ihren Peak mit 2,05 Millionen Barrel pro Tag (ADR 2017).
Tabelle 1: Rohölimporte in die USA nach Herkunft 1977-2017 (Anteil in %)
Jahr |
Golf |
Venezuela |
Kanada |
Mexiko |
Nigeria |
OPEC |
Gesamt (%) |
Gesamt (1000b/d) |
1977 |
27,8 |
7,8 |
5,9 |
2 |
13 |
70,3 |
100 |
8807 |
1995 |
17,8 |
16,8 |
15,1 |
12,1 |
7,1 |
45,3 |
100 |
8835 |
2005 |
17 |
11,2 |
15,9 |
12,1 |
8,5 |
40,7 |
100 |
13714 |
2017 |
21,5 |
7,7 |
43,2 |
7,6 |
3,9 |
39,1 |
100 |
7969 |
Eigene Berechnungen auf Grundlage von U.S. EIA 2011, S. 127 sowie aktuelle Statistik 2017
Gegenüber den 1970er Jahren hatten sich die US-Ölimporte in den 1990er Jahren deutlich zu Ungunsten des Nahen Ostens und der OPEC verlagert. So sank der OPEC-Anteil innerhalb von knapp 20 Jahren von 70 (1977) auf 45 Prozent (1995). Im Fall der arabischen Golfstaaten (ohne den Irak, der infolge der US-Sanktionen von 1991 bis 1997 kein Öl exportieren durfte) sank der Anteil im selben Zeitraum von 27,8 auf 17 Prozent. In den 1990er Jahren etablierten sich drei Länder der westlichen Hemisphäre (Kanada, Mexiko, Venezuela) als die wichtigsten Öllieferanten der USA. 1977 betrug ihr Anteil zusammen lediglich 15,7 Prozent. 1995 war er auf 44 Prozent gestiegen. Die Zahlen von 2005 bestätigen dieses Bild im wesentlichen (siehe Tabelle 1).
Im ersten Amtsjahr von Trump (2017) haben sich die Proportionen noch stärker in Richtung westliche Hemisphäre und innerhalb dieser zugunsten der beiden Nachbarländer der USA (Kanada und Mexiko) verschoben. Inzwischen decken die USA ihre Ölimporte zu fast 70 Prozent aus Ländern, die in Nord- und Lateinamerika liegen. Allein Kanada sichert mit seinen Ölexporten, die zu 99 Prozent ins südliche Nachbarland fließen, 43,2 Prozent der US-Ölimporte. Sein Anteil ist damit doppelt so groß wie der aller nahöstlichen Golfstaaten zusammen. In anderen Sparten der kanadischen Energie-Exporte, die 30 Prozent aller Exporte des Landes ausmachen, liegt der Anteil der Lieferungen in die USA noch weitaus höher. So gehen die gesamten Gas- und Stromexporte Kanadas in die USA. Damit stammen 97 Prozent der US-amerikanischen Gasimporte und 89 Prozent der Stromimporte vom nördlichen Nachbarn. Kanada ist der mit Abstand wichtigste Energielieferant der USA.
Allerdings führt die einseitige Ausrichtung der kanadischen Energie-Exporte zu einer enormen ökonomischen Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten und geht zulasten der nationalen Infrastruktur. Sowohl im Strombereich als auch im Ölsektor besteht beim Ausbau der Ost-West-Verbindungen dringender Nachholbedarf. So soll mit dem Projekt Energy East eine Pipeline mit einer Kapazität von 1,1 Millionen Barrel Rohöl pro Tag gebaut werden, die von Alberta und Saskatchewan in die Raffinerien im Osten Kanadas sowie zu einem Hafenterminal in New Brunswick führt. Die verbesserten Ost-West-Verbindungen würden den Export von kanadischem Öl nach Asien und Europa ohne Transit über die USA ermöglichen. Damit könnte Kanada auch seine strukturelle geopolitische Abhängigkeit von den USA reduzieren. Eine solche Umorientierung ist schon deshalb von großer Dringlichkeit, weil der Aufstieg der USA zu einem Öl- und Gasexporteur auch zu Lasten der Energieimporte aus Kanada führen wird (Bacher u.a. 2017, S. 1, 14-15).
Zusammen mit den USA und Kanada, die bereits 1988 eine Freihandelszone gebildet hatten, gehört Mexiko zu den drei Mitgliedsstaaten des 1994 in Kraft getretenen North American Free Trade Agreement (NAFTA). Auch wenn inzwischen 80 Prozent der mexikanischen Exporte aus Industrieprodukten wie Autos, elektrischen Geräten und Maschinen bestehen, spielt der Energiesektor in den Beziehungen zu den USA eine zentrale Rolle. Dorthin gehen nicht nur über vier Fünftel aller Ausfuhren, sondern auch der größte Teil (54 Prozent) der mexikanischen Ölexporte. Umgekehrt beliefern die USA ihren Nachbarn im Süden mit Ölprodukten und Erdgas. Seit 2015 übersteigt der Wert aller Energieexporte aus den USA nach Mexiko den Wert der Energieimporte aus Mexiko in die Vereinigten Staaten. So gehen allein 60 Prozent aller US-Gasexporte nach Mexiko (Ladislaw u.a. 2017, S. 11). Mit der Öffnung des mexikanischen Energiesektors Ende 2013 hat sich ein weites Feld für ausländische Direktinvestitionen eröffnet, die vor allem von US-Unternehmen getätigt werden.
Die Neuverhandlung von NAFTA, an dessen Stelle ab 2020 das USMCA-Abkommen treten soll, ändert nichts an der grundsätzlichen Ausrichtung des nordamerikanischen Wirtschaftsblocks. Im Gegenteil: Die Tendenz eines auf die USA ausgerichteten regionalen Protektionismus wird dadurch weiter gestärkt. Die Dominanz im Energiesektor, die sich die USA innerhalb des NAFTA-Blocks erobert haben, will Trump nunmehr auf der globalen Ebene durchsetzen. Die damit verbundenen Konflikte und Risiken zeigen sich bereits in Lateinamerika, wo sich Washington mit dem rasch wachsenden Einfluss Chinas konfrontiert sieht,
Lateinamerika zwischen energiepolitischen Fallstricken und geopolitischen Rivalitäten
Inzwischen sind die chinesischen Investitionen in Lateinamerika auf 110 Mrd. US-Dollar gestiegen und die Kredite, die Peking an Länder der Region vergeben hat, belaufen sich auf 140 Mrd. Neben Venezuela ist vor allem Brasilien Nutznießer dieser Politik. Das größte Land Lateinamerikas liefert auch 37 Prozent seiner Ölexporte nach China.
Tabelle 2: U.S. Ölimporte aus Lateinamerika und Kanada (2017)
Land |
1.000 b/d |
Anteil am US-Import |
Anteil der US-Exporte an Ölexporten insgesamt |
|
1 |
Kanada |
3446 |
43,20% |
98,00% |
2 |
Mexiko |
638 |
8,00% |
54,30% |
3 |
Venezuela |
618 |
7,70% |
34,40% |
4 |
Kolumbien |
333 |
3,80% |
51,00% |
5 |
Brasilien |
198 |
2,50% |
12,00% |
6 |
Ecuador |
207 |
2,60% |
62,00% |
7 |
Argentinien (2016) |
12 |
0,15% |
26,00% |
Nordamerika (1-2) |
51,20% |
|||
Lateinamerika (3-8) |
16,75% |
|||
Welt |
7969 |
100 |
Eigene Zusammenstellung auf Grundlage der Angaben der EIA und von PEMEX.
Mehr als zehn Prozent aller lateinamerikanischen Exporte gehen in das fernöstliche Land, wobei es sich zumeist um Agrarprodukte, Metalle und Energieträger handelt.
Im Energiesektor setzt China vor allem auf Venezuela und Brasilien, während die USA im Zuge ihres Aufstiegs zum Gas- und Ölexporteur ihre Beziehungen zu ihren lateinamerikanischen Öllieferanten neu austarieren. Auch hier steht Venezuela, das Land mit den größten Ölreserven der Welt, im Brennpunkt. Im Jahr 2000, zu Beginn der Ära von Hugo Chávez, unter dem das Land eine politische Linkswende vollzog, gingen noch 57 Prozent der Ölexporte in die USA. 2017 waren es nur noch 34 Prozent. Das Exportvolumen fiel im selben Zeitraum von 1.546.000 Barrel pro Tag (b/d) auf 674.000 b/d. Nach Angaben der EIA exportierte Venezuelas im Februar 2018 lediglich 472.000 b/d und fiel damit hinter Kolumbien zurück, das 477.000 Barrel Öl pro Tag in die USA lieferte.
Diese Verschiebungen hängen aufs engste mit zwei Entwicklungen zusammen: Zum einen hat Venezuela seit der Jahrtausendwende einen geopolitischen Seitenwechsel vom bevorzugten Partner zum erbitterten Gegner Washingtons vollzogen. Damit gingen sowohl eine Reduzierung der Ölimporte seitens der USA als auch die Diversifizierung der venezolanischen Ausfuhren, die zu 90 Prozent aus Rohöl und Ölprodukte bestehen, einher. Ein wachsender Anteil wird in Asien abgesetzt, wohin inzwischen (2017) 40,6 Prozent der Ölexporte des Landes verschifft werden. Zum anderen durchlebt das lateinamerikanische Land seit 2014 eine tiefe ökonomische und politische Krise, die durch ein US-Embargo massiv verschärft wird. In den letzten vier Jahren gingen das BIP um 30 Prozent und die Erdölförderung um die Hälfte zurück. Gleichzeitig schaukeln sich Hyperinflation und Schwarzmarkt zu einem Teufelskreis auf, den die Regierung trotz massiver Anstrengungen bislang nicht zu durchbrechen vermochte. Inzwischen ist die Regierung Maduro dazu übergegangen, die chinesischen und russischen Milliardenkredite mit Öllieferungen zu begleichen (Porras 2018). Der Einbruch der venezolanischen Ölförderung hat außerdem dazu geführt, dass Petrocaribe, das einstige Kernstück der von Chávez in der Karibik praktizierten Petrodiplomatie, faktisch zum Erliegen gekommen ist. Auch die Öllieferungen nach Kuba sind stark rückläufig. Vom einstigen Peak mit 115.000 Barrel pro Tag im Jahr 2008 sind sie in der ersten Jahreshälfte 2015 auf 103.226 b/d gesunken. Zwei Jahre später hatten sie mit 72.350 b/d einen Tiefpunkt erreicht.
America first versus Eurasische Tektonik
Außerhalb der westlichen Hemisphäre agieren die USA auf verschiedenen Ebenen, um ihre Dominanz im globale Energiesektor durchzusetzen. Bestärkt durch deren neue Rolle als Gas- und Ölexporteur setzt Trump dabei einseitig auf die fossilen Energieträger. In diesem Bereich verfügt die westliche Hegemonialmacht nach wie vor über Trümpfe, die in der globalen Energiepolitik immer noch stechen. So sind die USA die größte Militärmacht der Welt und damit als einziges Land in der Lage, den freien Fluss des Welthandels – und dabei vor allem der Öltransporte – zu garantieren und zu kontrollieren. Durch die Monopolstellung des US-Dollars auf dem globalen Ölmarkt (Petrodollar) sichert Washington trotz wachsender Verschuldung und enormer Budgetdefizite der USA dessen Funktion als Leitwährung der kapitalistischen Weltwirtschaft.
Gegenüber ihren ökonomischen Hauptkonkurrenten stellt die nunmehr erreichte Unabhängigkeit der USA bei den Öl- und Gasimporten einen zusätzlichen Vorteil von großer Reichweite dar. Sowohl Japan als auch die EU mussten 2016 90 Prozent des benötigten Erdöls importieren. Bei China lag dieser Anteil bei 65 Prozent, während die USA mit 25 Prozent klar im Vorteil sind. Zwei Drittel der US-Ölimporte kamen dabei aus der westlichen Hemisphäre und nur 16 Prozent aus dem Nahen Osten, während Japan seine Ölimporte zu 80 Prozent und China zu über 50 Prozent aus dieser Region bezieht. Damit sind beide Länder energiepolitisch in höchstem Maße verwundbar: Bezüglich der Transportwege hängen sie vom guten Willen der USA ab, die im Konfliktfall die Straße von Malakka, die alle Öltanker auf ihrem Weg vom Nahen Osten und auch Afrika nach Ostasien passieren müssen, sperren können. Zudem hat Washington mit seiner aggressiven Politik dafür gesorgt, dass der Nahe Osten, die erdölreichste Region der Welt, in Flammen steht. Der Krieg, den US-Präsident Georg W. Bush 2003 gegen den Iran vom Zaun gebrochen hatte, hat sich zu einem Konflikt ausgeweitet, in den sowohl die rivalisierenden Regionalmächte Iran und Saudi-Arabien als auch Russland (in Syrien) militärisch involviert sind. Trump hat mit dem Aufkündigen des Atomabkommens mit dem Iran und der einseitigen Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt Israels neues Öl ins Feuer gegossen. Damit hat sich die Energiesicherheit für alle Länder, die ihren Bedarf zum überwiegenden Teil durch Öl- und Gasimporte aus dem Nahen Osten decken, erheblich verschlechtert.
Im Falle der EU setzt Washington den Hebel ebenfalls im Öl- und Gassektor an und zielt damit gleichzeitig auf Russland, seinen in geopolitisch-militärischer Hinsicht gefährlichsten Kontrahenten. Deutschland, Führungsmacht der EU und wichtigster Abnehmer der russischen Gas- und Ölimporte in Europa, wird von Donald Trump massiv gedrängt, seine „energiepolitische Abhängigkeit von Russland“ drastisch zu reduzieren. Obwohl sich die Beziehungen zwischen beiden Ländern im Zuge der Ukraine-Krise 2014 bereits deutlich verschlechtert hatten, bezog Deutschland 2017 immer noch 36 Prozent seiner Ölimporte und 51 Prozent seiner Gasimporte aus Russland. Derzeit versucht Trump mit aller Macht, den Bau des zweiten Strangs der Ostseepipeline Nord Stream zu torpedieren. Als Alternative bietet er Flüssiggas (LNG) aus den USA an, dessen Preis jedoch zu einem Drittel über dem der russischen Gaslieferungen liegt.
Der neue „Kalte Krieg“ des Westens gegen Russland und die Trump’sche Politik der „Energiedominanz“ zielen somit nicht nur in die gleiche Richtung, sondern ergänzen und verstärken sich auch gegenseitig. Mit beiden Strategien versuchen die Vereinigten Staaten, den Aufstieg jener zwei Mächte aufzuhalten, die sie als Herausforderer ihres globalen Hegemonialanspruches identifiziert haben. Washingtons Dilemma besteht nun darin, dass es durch seine Politik selbst dafür gesorgt hat, dass Russland und China enger zusammengerückt und eine strategische Allianz eingegangen sind. Einzeln wären diese harten Nüsse vielleicht noch zu knacken gewesen, vereint stellen sie für die Politik des America first jedoch eine Herausforderung dar, die Trump zum Kampf an zwei Fronten zwingt. Die Vorteile, die sich die USA mit ihrer „Fracking-Revolution“ energiepolitisch verschafft haben, sind aus zwei Gründen keine nachhaltigen: Erstens weisen sie in eine falsche – fossile – Richtung und führen in der Ära des Kampfes gegen den Klimawandel in die Sackgasse; zweitens reichen sie nicht aus, um die russisch-chinesische Allianz geopolitisch auszuhebeln.
Die von Trump angestrebte Politik der globalen Energiedominanz ist auf diesem Weg nicht durchsetzbar. Im Gegenteil: Mit ihrer fossilen Stoßrichtung und ihrem globalen Anspruch befördert sie die imperiale Überdehnung der USA und überlässt China die Führerschaft in der Klimapolitik. Energie- und geopolitisch forciert sie die globale Blockbildung: Dem nordamerikanischen Regionalblock mit seiner lateinamerikanischen Peripherie steht ein eurasischer Block gegenüber, der sein Fundament in der Allianz zwischen der neuen ökonomischen Supermacht China und dem militärischen Schwergewicht Russland hat. Im Gravitationsfeld zwischen diesen beiden Polen formt sich eine alternative Weltordnung aus, während sich die Menschheit gleichzeitig mit existentiellen Herausforderungen wie Klimawandel, globaler Energiewende und Ernährungssicherheit konfrontiert sind. In diesem weltweiten Umbruch stellt Trumps America first eine Art Katalysator dar, der einerseits hilft, die Fronten zu klären, anderseits aber auch die Konflikte eskalieren lässt. Beide Aspekte sind auch in der Trump’schen Energiepolitik zu finden. Bleibt zu hoffen, dass sie nicht zum Brandbeschleuniger eines globalen Konfliktes wird. Je eher sichtbar wird, dass sie in die Sackgasse führt, desto größer ist die Chance, eine solche Katastrophe zu verhindern.
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Literatur:
Alaska Department of Revenue (ADR): Production, History and Forecast by Production Area from Fall 2017 RSB.
Anderson Scot u.a.: The America First energy policy of the Trump Administration, in: Journal of energy & Natural Resources Law, 2017, S. 1-50.
Bacher, Kerstin/ Persem Mélanie/ Jahn Andreas: Überblick über die kanadische Energiepolitik. Berlin 2017 (adelphi/RAP).
Hiksch, Uwe: North American Free Trade Agreement (NAFTA). Geschichte und Perspektiven. Naturfreunde Deutschlands, Hintergrundpapier, Oktober 2018.
Ladislaw, Sarah/ Sieminski, Adam/ Verrastro, Frank/ Stanley, Andrew: U.S. Oil in the Global Economy: Markets, Policy, and Politics. Center for Strategic & International Studies (CSIS), April 2017.
Organisation of Petroleum Exporting Countries (OPEC): Annual Statistical Bulletin 2018.
Porras Ponceleón, Temir: Hausgemachtes Desaster, in: Le Monde diplomatique, Nov. 2018, S. 12/13.
U.S. Energy Information Administration (EIA): Annual Energy Outlook 2018.
U.S. Energy Information Administration (EIA): Annual Energy Review 2011.
Vasquez, Patricia: China, Oil and Latin America: Myth vs. reality. The Atlantic Council of the United States, Washington D.C. 2018.
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Bildquellen: Quetzal-Redaktion [1] gc [2] sole_biasatti