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Politik und Kultur in Lateinamerika

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Gegen die Strömung

Ilona Medrikat | | Artikel drucken
Lesedauer: 4 Minuten

ALCA und der Gipfel der Völker von Amerika

Mit einem 34-seitigen Aktionsplan, in dem es nur so von aufgeklärten Versprechungen wimmelt, endete am 19. April der „2. Gipfel der Amerikanischen Staaten“. 34 amerikanische Staatschefs, die nach Santiago de Chile gereist waren, verpflichteten sich zur Herstellung eines gemeinsamen Marktes bis zum Jahr 2005. Mit dem gemeinsamen Markt verbindet sich nach vorherrschender neoliberaler Sichtweise die Hoffnung, daß die „freie Marktwirtschaft“ (Entstaatlichung, Deregulierung, Privatinitiative) über den Preismechanismus Wohlstand für alle bereitstellt. So ganz glaubten die Staatschefs das wohl selbst nicht, denn immerhin wollen sie 45 Mrd. US-Dollar in den kommenden drei Jahren in bi- und multilaterale Programme investieren.

Schwerpunkte bilden dabei die Bereiche Bildung, Demokratie und Menschenrechte, wirtschaftliche Integration und Abbau von Armut und Diskriminierung. Was allerdings davon zu halten ist, wird die Praxis zeigen. Eine Bewertung des bisher Geschehenen fällt enttäuschend aus: Die Mehrzahl der im Aktionsplan von Miami 1994 verabschiedeten Initiativen wurde nicht realisiert. Dennoch schreiten die Regierungen der amerikanischen Staaten in einem beispiellosen Tempo mit der Liberalisierung von Kapitalbewegungen und der rechtlichen Absicherung der Interessen von Konzernen voran, soziale und Umweltaspekte fallen unter den Tisch, ganz nach dem Vorbild von NAFTA – so sahen es zumindest die etwa 1000 Vertreter von sozialen, Umwelt-, Menschenrechts-, Gewerkschafts- und anderen Organisationen, die kurz vor dem „großen“ Gipfel zum „Spielverderbergipfel“ ebenfalls nach Santiago reisten. Der „Gipfel der Völker von Amerika“ war von sechs nationalen Organisationen dem Ziel organisiert worden, eine gemeinsame, alternative Bürgerlnnen-Agenda zu formulieren: die durch die wirtschaftliche Globalisierung entstehenden Probleme sollen mit einem alternativen Entwicklungsmodell gelöst werden, dessen Kern eine sozial- und ökologisch nachhaltige Entwicklung ist. Es war der Versuch, die Regierungen beim Wort zu nehmen und den in San Jose dieses Jahr bekundeten Willen zum Austausch über den Integrationsprozeß in die Tat umzusetzen. Bisher war nur die Unternehmerlobby durch ein Forum mit ca. 2000 Unternehmern über Konsultationen in den ALCA-Prozeß eingebunden. Entsprechendes auf Gewerkschaftsseite, geschweige denn Konsultationen mit NRO, gibt es bisher nicht. Das könnte sich mit der Institutionalisierung der „Kontinentalen Sozialen Allianz“ ändern, soweit die Regierungen die in ihr zusammengeschlossenen Organisationen als legitime Vertreter berechtigter Interessen anerkennen und sie nicht als Vereinigung der „extremen Linken“ abtun. Dabei handelt es sich keineswegs um ein homogenes Forum. Vielmehr wäre der Gipfel beinahe in letzter Minute geplatzt, weil sich zwei Auffassungen zunächst unversöhnlich gegenüberstanden. Die eine lautete, man müsse den laufenden Integrationsprozeß so gut es gehe reformieren; die andere, radikalere Auffassung lehnte das ALCA-Modell im Ganzen ab, da es sozialen Ausschluß reproduziere und unfähig sei, die Armut zu verringern. Auch unter den Gewerkschaften – die Regionale Interamerikanische Arbeiterorganisation vertritt 45 Millionen Arbeiter – schieden sich die Geister an diesem grundlegenden Punkt. In den Zusammenfassungen der einzelnen Foren finden sich zum Teil zwei Empfehlungen – je nach Ausgangspunkt. Ein anderes Problem auf dem Treffen war das Mißtrauen vor allem lateinamerikanischer Organisationen gegenüber dem „Norden“. Hinter dessen starkem Engagement für Sozialklauseln als Vorbedingung oder Zusatz zum ALCA vermuteten die Lateinamerikaner nicht selten versteckten Protektionismus. Dennoch wurde schließlich sehr konstruktiv in verschiedenen Foren zu den Themen Marktzugang, ausländische Investitionen, internationales Finanzwesen, Rolle des Staates in Entwicklung und Integration, intellektuelles Eigentum, Energie, Land- und Forstwirtschaft, Umwelt, Arbeitsund Menschenrechte sowie Mechanismen zur Lösung von Kontroversen und Durchsetzung der Vereinbarungen gestritten. Grundlage war ein Diskussionspapier des „Forums für alternative sozioökonomische Integration“. Das über 30 Seiten umfassende Papier enthält im Kern eine ethische (soziale) Herangehensweise an die Wirtschaft.

In den einzelnen Foren wurde die inhaltliche Richtung weitgehend beibehalten. Transparenz und Kontrolle des Prozesses, klare Zielsetzungen, Möglichkeiten der Steuerung und Korrekturmechanismen wurden eingefordert. Der Markt verpflichte zu Wettbewerbsfähigkeit, produziere sie aber nicht und bestrafe ihr Fehlen. Daher sei die wirtschaftliche Öffnung für sich genommen kein Ziel, sondern Mittel zur Entwicklung. Entwicklung könne aber nicht erreicht werden durch einseitige Förderung von Exportsektor und Finanzkapital.

Vielmehr könne sich die Wirtschaft nur entwickeln, wenn der Lebensstandard der Bevölkerung kontinuierlich steige, sie damit zu strategisch wichtigen Konsumenten werde. In dieser Perspektive ist Armutsbekämpfung nicht nur eine moralische Verpflichtung, sondern auch wirtschaftlich notwendig. Der Staat solle Rahmenbedingungen setzen, nationale Projekte von nachhaltiger Entwicklung müßten in einem demokratischen Prozeß definiert und dürften nicht den Marktkräften überlassen werden.

Dies ist nichts weiter als die Forderung nach sozialer Marktwirtschaft, damit durchaus nicht utopisch, vielmehr eine Frage des politischen Willens der Akteure und ihrer Fähigkeit, gemeinsam vorzugehen. Die Teilnehmer wagten einen Balanceakt zwischen dem Bekenntnis zu Globalisierung und der Forderung, daß soziale und ökologische Aspekte zur Logik selbst des Integrationsprozesses werden müssen.

ALCA: Area de Libre Comercio de las Americas

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