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Neoliberaler Extraktivismus in Zentralamerika (III)
Der neue Tourismus-Boom als Teil der „imperialen Lebensweise“

Peter Gärtner | | Artikel drucken
Lesedauer: 6 Minuten

Panama: Panama Kanal Zentralamerika Tourismus - Foto: Quetzal-Redaktion_tpDer Tourismus bildet die dritte Akkumulationsachse des zentralamerikanischen Neo-Extraktivismus. Auch beim Tourismus geht der Boom mit Vertreibungen der lokalen Bevölkerung, der Zerstörung der Umwelt und dem Bau von Megaprojekten einher. Selbst in Costa Rica, wo die Natur unter dem Label der „Nachhaltigkeit“ und des „Ökotourismus“ vermarktet wird, treten die negativen Seiten dieses Wirtschaftssektors deutlich hervor. Aus der Sicht der Touristen, die vor allem aus den USA, Kanada und Europa nach Zentralamerika kommen, wird die Region vor allem    als „Vergnügungsperipherie“ (Navarro Cerdas 2014) wahrgenommen. Typisch für diese periphere Variante des Dienstleistungsexports sind sein Enklavencharakter und die Ausbeutung der lokalen Ressourcen, die vorrangig im Interesse externer Nutznießer erfolgt. Touristen, Investoren und Gewinne kommen aus bzw. fließen in die Zentren der Weltwirtschaft, während die zentralamerikanischen Länder ihre beeindruckende natürliche und kulturelle Vielfalt als „Schnäppchen“ feilbieten müssen. Mit dem Ausbau des Tourismussektors dringt die Logik des Extraktivismus in bisher unberührte Räume vor. Die Privatisierung von Natur und Kulturgütern verbindet sich zudem auf eine perverse Weise mit der Ausweitung prekärer Arbeitsverhältnisse. Die derart strukturierte Vergnügungsperipherie bildet eine expandierende und äußerst gewinnträchtige Facette der „imperialen Lebensweise“ (Brand/ Wissen 2017).

Wie stark die Bedeutung dieser Branche gestiegen ist, zeigt ein regionaler Vergleich der Jahre 1978 und 2006. Zwar mutet die Steigerung des Anteils an den Deviseneinnahmen von 6 auf 15 Prozent noch nicht ungewöhnlich an, der absolute Wert jedoch schon eher: Dieser wuchs – bezogen auf die fünf zentralamerikanischen Kernländer und die jeweils gültigen Preise – von 218,5 Mio. (1978) auf 4.101,5 Mio. US-Dollar (2006) (Rosa 2008:9, 102). Allein von 1995 bis 2006 stieg der Anteil des Tourismus an den Exporten der Region von 13,3 auf 21 Prozent (Estado de Region 2008:532). Einen neuerlichen Schub erfuhr der Tourismus von 2010 bis 2015. In diesen sechs Jahren schnellten die Einnahmen von 6.699 Mio. auf 11.510 Mio. US-Dollar empor. Unter Einbeziehung von Panama und Belize sahen die Zahlen in den einzelnen Jahren wie folgt aus (Tabelle 1):

 

Tabelle 1: Deviseneinnahmen aus dem Tourismus in Zentralamerika (2010-2015) in Mio. US$
Land 2010 2011 2012 2013 2014 2015 Steigerung 2013-2014 Marktanteil 2010 Marktanteil 2014
Panama 1745 2917 3013 3233 3470 4199 7,30% 26,15% 33,90%
Costa Rica 1999 1987 2313 2665 2864 3326 7,50% 29,90% 28,00%
Guatemala 1378 1350 1419 1481 1564 1580 5,60% 20,15% 15,30%
El Salvador 390 615 558 621 822 817 32,40% 5,80% 8,00%
Honduras 625 637 679 608 698 650 14,80% 9,40% 6,80%
Nicaragua 313 378 421 417 445 529 6,70% 4,80% 4,30%
Belize 249 257 298 351 374 408 6,60% 3,80% 3,70%
Gesamt 6699 8141 8700 9376 10236 11510 9,20% 100,00% 100,00%
Quelle: República de Honduras: Boletín de Estadísticas de Turismo 2010-2014, Tegucigalpa, Okt. 2015, S. 7.; für 2015 UNWTO Tourism Highlights, 2016 edition, S. 10

 

Im selben Zeitraum stieg die Zahl der Touristenankünfte in der Region von knapp 8 Mio. auf mehr als 10 Mio. Bei dieser Kennziffer liegt Costa Rica mit einer Steigerung von 2,1 Mio. (2010) auf 2,66 Mio. (2015) an der Spitze. Dicht darauf folgt Panama. Dort wuchs die Zahl der Ankünfte von 1,3 Mio. (2010) auf 2,1 Mio. (2015). Zusammen kommen beide Länder auf einen Anteil, der knapp die Hälfte der Gesamtzahl für Zentralamerika beträgt (alles Angaben aus: UNWTO Tourism Highlights, 2016 Edition, S. 10). Der Anteil des Tourismus am BIP reichte 2014 in den einzelnen Ländern von 15 (Belize) bis 3,4 Prozent (Guatemala). Dazwischen lagen Honduras mit 5,9, Costa Rica mit 4,8, Nicaragua mit 4,3 und El Salvador mit 4,1 Prozent (Tabelle 2). Mit der Schaffung von 763.000 direkten und etwa 1,2 Mio. indirekten Arbeitsplätzen leistet der Tourismus einen wesentlichen Beitrag zur Beschäftigung in Zentralamerika (SIECA 2015:7). Wie tiefgreifend der ökonomische und soziale Wandel die Region inzwischen verändert hat, wird daran ersichtlich, dass die drei traditionellen Agrarexportprodukte Kaffee, Bananen und Zuckerrohr 2014 (zusammen 5.989 Mio. US-Dollar) lediglich 60 Prozent der Tourismuseinnahmen ausmachten. Und das, obwohl der Wert der traditionellen Agrarexporte von 2014 damit immer noch mehr als doppelt so hoch lag wie 1978 (2.630,5 Mio.; eigene Berechnung auf der Grundlage von: Rosa 2008, S. 102 und SIECA 2015, S. 2).

 

Tabelle 2: Zentralamerika – Anteil des Tourismus an den Exporten und am BIP (in Prozent) sowie Platz im weltweiten Ranking beim Anteil des Tourismus am BIP (2014)
Land Anteil an den Exporten Anteil am BIP (direkt) Anteil am BIP (gesamt) Platzierung
Belize 37,8 15 39,2 13
Costa Rica 15,4 4,8 12,5 64
El Salvador 19,9 4,1 10,1 81
Guatemala 12 3,4 8,8 103
Honduras 7,9 5,9 15,9 45
Nicaragua 9,3 4,3 9,9 85
Panama 20,4 7,4 17,5 40
Quelle: World Travel & Tourism Council (WTTC): The Economic Impact of Travel & Tourism 2015 (Country Reports)

 

Auch wenn es sich im Vergleich zum Bergbau und zur Produktion von Agrartreibstoffen um eine mildere Form des Extraktivismus handelt, belegen die genannten Charakteristika, dass es sich auch hier im Kern um eine Variante der „Akkumulation durch Enteignung“ handelt. Indem (zumeist ausländisches) Kapital Gemeingüter und Territorien zum Zwecke der Profitmaximierung privatisiert und in Waren verwandelt, die damit für eine gut betuchte Klientel zur exklusiven Nutzung bereitgestellt werden, vollzieht es einen Prozess der Landnahme, die die bisherigen und zukünftigen Nutzer dieser Gemeingüter enteignet und ausschließt. Für die davon betroffenen bäuerlichen und indigenen Gemeinschaften stellt das Vordringen der extraktiv ausgerichteten Vergnügungsperipherie eine existentielle Gefährdung dar. Monetäre Einkünfte durch die Folklorisierung ihrer Kultur und die touristische Nutzung der Natur können die damit verbundenen Verluste nicht aufwiegen. Der dem Extraktivismus immanente Trend der Enteignung und des Ausschlusses der lokalen Bevölkerung zwingt die Betroffenen oft zur Migration. Der Export billiger Arbeitskräfte, bildet – in länderspezifischer Weise – dessen Kehrseite. Es ist deshalb kein Zufall, dass sich Zentralamerika zu einer Schwerpunktregion der Arbeitsmigration in die USA entwickelt hat. Dies ist jedoch ein neues Thema, was einer späteren Betrachtung vorbehalten bleibt. 

 

Literatur

Brand, Ulrich/ Wissen, Markus: Imperiale Lebensweise. Zur Ausbeutung von Mensch und Natur in Zeiten des globalen Kapitalismus. München 2017

Cañada, Ernest (coord.): Turismo en Centroamérica. Un diagnóstico por el debate. Managua 2013

Navarro Cerdas, Santiago: Geopolítica en una „periferia de placer“. Colonialidad turística en Costa Rica, in: Revista de Ciencias Sociales, No. 145 (2014) III, S. 45-60

Rosa, Herman: Perfiles y trayectorias del cambio económico en Centroamérica. Una mirada desde las fuentes generadoras de divisas. PRISMA, San Salvador 2008

 

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Bildquelle: Quetzal-Redaktion, tp

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