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Ich tötete den Che

Víctor Montoya | | Artikel drucken
Lesedauer: 6 Minuten
Ich tötete den Che (105 Downloads )

Che asesinado. Malerei von Agustín García Espina Martínez.Als ich den Befehl erhielt, den Che zu beseitigen aufgrund eines Beschlusses des Hohen Militärkommandos von Bolivien, machte sich Angst in meinem Körper breit, als würde ich innerlich entwaffnet. Ich begann von einem Ende zum anderen zu zittern und wollte in die Hosen pinkeln. Manchmal war die Angst so groß, dass ich nur noch an meine Familie zu denken vermochte, an Gott und die Jungfrau Maria.

Ich muss jedoch gestehen, dass ich ihn beneidete, seit wir ihn in der Schlucht von Churo festnahmen und nach La Higuera brachten und Lust hatte, ihm das Leben zu nehmen. So hätte ich wenigstens die enorme Befriedigung, in meiner Karriere als Unteroffizier endlich auf einen wichtigen Mann zu schießen, nachdem ich viel zu viel Pulver in Hühnerhöfen verschossen hatte.

An dem Tag, an dem ich das Klassenzimmer betrat, in dem der Che war, auf einer Bank sitzend, den Kopf nach unten gebeugt und die Mähne, die sein Gesicht umriss, nahm ich zuerst ein paar Schluck Alkohol, um mir Mut anzutrinken und sodann der Verpflichtung nachzukommen, ihn umzulegen.

Der Che, kaum dass er meine Schritte vernommen hatte, die sich der Tür näherten, stand auf, hob den Kopf und warf mir einen Blick zu, wodurch ich einen Augenblick lang ins Schwanken geriet. Sein Aussehen war beeindruckend, wie das eines charismatischen und zu fürchtenden Manns, seine Kleidung war abgetragen und das Gesicht bleich von den Entbehrungen in der Guerilla.

Nachdem ich ihn auf der Seite hatte, nur ein paar Meter vor meinen Augen, stöhnte ich tief und spuckte auf den Boden, während mir der kalte Schweiß ausbrach. Als der Che mich so nervös sah, die Hände um die M2 geklammert und die Beine in Schießposition, wandte er sich ruhig an mich und sagte: Schieß. Keine Angst. Du wirst nur einen Mann töten.

Seine vom Tabak und Asthma rau gewordene Stimme dröhnte mir in den Ohren, während seine Worte eine merkwürdige Empfindung aus Hass, Zweifel und Mitleid hervorriefen. Er verstand nicht, wie ein Gefangener, abgesehen davon, dass er ruhig seine Todesstunde erwartete, das Gemüt seines Mörders beruhigen konnte.

Ich erhob das Gewehr zur Brust und gab womöglich, ohne den Gewehrlauf darauf zu richten, die erste Salve ab, die ihm die Beine zerschoss und ihn zerriss, ohne Klagen, ehe er von der zweiten Salve zwischen die auseinander fallenden Bänke niedergestreckt wurde, die Lippen halb geöffnet, wie im Begriff, mir etwas zu sagen und die Augen, die mich noch von der anderen Seite des Lebens her anschauten.

Che. Malerei von Agustín García Espina Martínez.

Nachdem ich den Befehl ausgeführt hatte und während das Blut in die festgestampfte Erde rann, verließ ich das Klassenzimmer und ließ hinter mir die Tür offen stehen. Der Einschlag der Schüsse bemächtigte sich meines Geistes und Alkohol rann mir durch die Adern. Mein Körper zitterte unter der olivgrünen Uniform und mein getupftes Hemd war von Angst, Schweiß und Pulver durchtränkt.

Seitdem sind viele Jahre vergangen, doch ich erinnere mich an diese Begebenheit, als ob sie gestern gewesen wäre. Ich sehe den Che mit seinem beeindruckenden Äußeren, dem wilden Bart, dem gekräuselten Haar und den großen Augen, so klar wie die Unendlichkeit seiner Seele.

Die Erschießung des Che war die größte Dummheit meines Lebens und wie Sie verstehen werden, fühle ich mich nicht wohl, wie von einem Schatten verfolgt. Ich bin ein niederträchtiger Mörder, ein unverzeihlicher Schurke, einer, der nicht stolz herausschreien kann: Ich habe den Che umgebracht! Das würde mir keiner glauben, nicht einmal die Freunde, die sich über meine falsche Tapferkeit lustig machen und mir entgegnen, dass er lebendiger denn je ist.

Am Schlimmsten ist jedoch, dass mich an jedem 9. Oktober, nachdem ich gerade aus diesem fürchterlichen Alptraum erwacht bin, meine Kinder daran erinnern, dass der Che aus Amerika, den ich glaubte, in der kleinen Schule von La Higuera getötet zu haben, eine im Herzen der Menschen brennende Flamme ist, weil er zu dieser Kategorie Mensch gehörte, deren Tod ihnen mehr Leben verleiht, als sie zu Lebzeiten hatten.

Hätte ich das gewusst, im Licht der Geschichte und der Erfahrung, hätte ich mich geweigert, den Che zu erschießen und so mit meinem Leben für den Vaterlandsverrat zahlen müssen. Doch es ist zu spät, viel zu spät…

Manchmal, wenn ich nur seinen Namen höre, spüre ich, dass mir der Himmel auf den Kopf fällt und mir die Welt unter den Füßen weggerissen wird und in einem Abgrund versinkt. Manchmal, so wie jetzt, kann ich nicht weiterschreiben; die Finger verkrampfen sich, das Herz pocht in meinem Innern, und die Erinnerungen quälen mich, als ob sie mir aus meinem tiefsten Inneren zuschrien: Mörder!

Daher bitte ich Sie, diese Erzählung zu beenden, denn wie auch immer das Ende sein mag, wissen Sie bestimmt, dass der moralische Tod schmerzlicher als der körperliche Tod ist und dass der Mann, der tatsächlich in La Higuera starb nicht der Che war, sondern ich, ein einfacher Unteroffizier des bolivianischen Heeres, dessen einziger Verdienst ist, so man denn von einem Verdienst reden kann, auf die Unsterblichkeit geschossen zu haben.

Übersetzung aus dem Spanischen: Margrit Klingler-Clavijo

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Über den Autor:

Víctor Montoya. Foto: Baristo Lorenzo.Víctor Montoya, geboren 1958 in La Paz, Bolivien, ist Schriftsteller, Kulturjournalist und Lehrer. Seit seiner Kindheit lebte er in den Minenarbeitersiedlungen  Siglo XX und Llallagua, im Norden von Potosí, wo er das Leid der Minenarbeiter mit eigenen Augen sah und sich an ihren Arbeitskämpfen beteiligte. Auf Grund seiner politischen Aktivitäten wurde Montoya 1976 unter der Militärdiktatur von Hugo Banzer Suárez verfolgt, gefoltert und inhaftiert. In der staatlichen Strafanstalt Panóptico Nacional de San Pedro und in dem Hochsicherheitsgefängnis von Chonchocoro-Viacha schrieb er seinen ersten Tatsachenroman Streik und Unterdrückung (1979).

Nachdem er durch eine Kampagne von Amnesty International aus dem Gefängnis befreit worden war, ging er 1977 ins Exil nach Schweden. Er ließ sich in Stockholm nieder, studierte am dortigen Höheren Lehrerseminar Pädagogik und war einige Jahre als Lehrer tätig. Er leitete die literarischen Zeitschriften PuertAbierta und Contraluz und ist Mitglied des Schwedischen Schriftstellerverbandes sowie des Internationalen Pen Clubs.

Sein Werk ist in verschiedene Sprachen übersetzt und einige seiner Erzählungen wurden in internationale Anthologien aufgenommen. Er schreibt für verschiedene lateinamerikanische, europäische und US-amerikanische Publikationen. Seine zahlreichen Schriften umfassen Romane, Erzählungen, Essays und Reportagen. Besonders zu nennen sind: Tage und Nächte der Angst (1982), Gewaltsame Erzählungen (1991), Das Labyrinth der Sünde (1993) Das Echo des Gewissens (1994), Anthologie lateinamerikanischer Erzählungen in Schweden (1995), Entflammtes Wort (1996), Das Kind in der bolivianischen Erzählung (1999), Bergarbeitergeschichten (2000), Zwischen Gräbern und Albträumen (2002), Fluchten und Bergwerksstollen (2002), Kinderliteratur: Sprache und Fantasie (2003), Bolivianische Poesie in Schweden (2005), Portraits (2006), Geschichten im Exil (2008).

Übersetzung aus dem Spanischen: Gabriele Eschweiler

Bildquellen:

Che-Bilder von Agustín García Espina Martínez.
Montoya-Foto von Baristo Lorenzo.

Alle Bilder mit freundlicher Genehmigung von Víctor Montoya.

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