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Politik und Kultur in Lateinamerika

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Menschenrechte und Rechte der indigenen Völker gehören zusammen

Gunter Weller | | Artikel drucken
Lesedauer: 4 Minuten

Zusammenfassung eines Vortrages von Gunter Weller – ALASEI Bonn im Juni 1994 in Leipzig

Fünfhundertundzwei Jahre nach der „Entdeckung“ Amerikas durch Kolumbus, mit der die europäische Invasion in Amerika ihren Anfang nahm, sind die eingeborenen Völker und Stämme (indigenas) des Kontinents noch immer Opfer schwerster Menschenrechtsverletzungen, die von der „einfachen“ Diskriminierung bis zum Völkermord reichen. Es ist vorrangig den eigenen Anstrengungen der indigenas zu danken, daß dieses Thema heute zum Gegenstand internationaler Erörterung geworden ist.

Ein erster Streitpunkt ist die Anwendbarkeit des Menschenrechtsbegriffs auf die Situation der indigenas während der Kolonialzeit. Eine Verneinung impliziert die Bestätigung der damaligen Sicht der Eroberer, die zweierlei Maß anlegten und zwischen sich, den Zivilisierten, und den anderen, den „Wilden“ und „Niederen“ unterschieden. Auch wenn die „Indios“ aus bestimmten Gründen den Schutz der spanischen Krone durch spezielle Gesetze erfuhren und ihr Menschsein im Ergebnis des Wirkens solcher Humanisten wie Las Casas wenigsten formell anerkannt werden mußte, wurden damals die Grundlagen ihrer Unterdrückung gelegt. Die Verneinung des Anderen, des „Indios“, seiner Kultur, ja sogar seines Existenzrechts, bildete die Basis der europäischen Herrschaft über die indigenen Völker. Diese Verneinung des Anderen ist die erste und grundlegende Verletzung der Menschenrechte. Am Ende der Kolonialzeit stellten die zuvor souveränen Ureinwohner eine ausgebeutete Masse von billigen Arbeitskräften dar, die am unteren Ende der sozialen Pyramide stand. Die Trennung nach Klassen war und ist auch eine kulturelle und ethnische Trennung. Mit der Unabhängigkeit verschlechterte sich die Menschenrechtssituation für die indigenen Völker sogar noch. Im Modell der „modernen Nation“ des 19. und 20. Jh. hatten sie keinen Platz. Das Konzept der „nationalen Kultur“ anerkannte die indianischen Kulturen höchstens als historische Wurzeln, ansonsten galten sie als inexistent. Assimilierung, „Akkulturation“, Auslöschen der kulturellen Eigenständigkeit der „Indios“ waren die Ziele der daraus abgeleiteten „Integrationspolitik“, die auch auf dem I. Interamerikanischen Indigenisten-Kongreß 1940 ihre Bestätigung fand. Die noch vorherrschende Idee des Nationalstaates schließt das Indigenistische aus.

Die Verletzung der Rechte der indigenen Bevölkerung vollzieht sich auf drei Ebenen:

  1. l. Verletzung der bürgerlichen Individualrechte, wie sie neben internationalen Abkommen (Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen, Internationaler Pakt der Bürgerlichen und Politischen Rechte, Interamerikanische Menschenrechtskonvention) auch in den Verfassungen der lateinamerikanischen Republiken enthalten sind: Recht auf Leben, Recht auf Freiheit, Recht auf Teilnahme am politischen Leben, auf Meinungsfreiheit, auf Freizügigkeit etc.
  2. 2. Verletzung der kollektiven Rechte der indigenen Völker, ihrer ökonomischen, politischen und kulturellen Rechte als ethnische Gruppen (Recht auf ethnische Identität, auf eigene Kultur, Sprache und Religion).
  3. 3. Verweigerung des Rechts der indigenen Völker auf freie Selbstbestimmung. Bei der Verabschiedung der internationalen Abkommen, in denen dieses Recht verankert ist, wurde auf Druck auch lateinamerikanischer Staaten zugleich festgelegt, daß dies nur auf Kolonialgebiete angewandt wird und demzufolge nicht für ethnische Minderheiten gilt. Daß eine „Erklärung der Rechte eingeborener Bevölkerungsgruppen“ von der UN-Vollversammlung bisher nicht verabschiedet wurde, zeigt, daß die Nationalstaaten mehrheitlich immer noch wenig Bereitschaft zeigen, die grundsätzliche Gleichwertigkeit des Anderen anzuerkennen. Besonders das brasilianische Außenministerium wies unter Rückgriff auf Falschaussagen, die schon bei der Begründung militärischer Sicherheitsvorhaben aus der Zeit der Militärdiktatur herhalten mußten, derartige Absichten zurück. Dem politischen Erwachen der indigenen Völker ist es zu danken, daß in einigen Ländern Lateinamerikas die Gesetzgebung zu ihren Gunsten verändert wurde. So wurden in den Verfassungen Panamas, Guatemalas, Mexikos, Nikaraguas und Kolumbiens den indigenen Gemeinschaften wichtige Rechte zugestanden. Argentinien und Chile haben „Gesetze für die indigenen Einwohner“ verabschiedet, und in Bolivien, Peru, Ekuador und Paraguay sind die indigenen Sprachen offiziell anerkannt. In Brasilien wird über dieses Thema noch diskutiert.

In der deutschen Lateinamerikapolitik finden die indigenen Völker kaum Beachtung. Allein die Tatsache, daß in den „Thesen zur Lateinamerikapolitik“, die am 10.10.1993 auf einer Regionalkonferenz der deutschen Botschafter in Lateinamerika unter Leitung von Außenminister Kinkel verabschiedet wurden, die indigenen Völker nur einmal und dann noch als Restgruppe zusammen mit Straßenkindern, Frauen und Flüchtlingen – also völlig unspezifisch – erwähnt werden, sagt genug.

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