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Politik und Kultur in Lateinamerika

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20 Jahre QUETZAL – Das Symposium zum Jubiläum

Peter Gärtner | | Artikel drucken
Lesedauer: 8 Minuten

Lateinamerika: Quetzal Symposium zum 20. Jubiläum, Februar 2013, Muruchi Poma - Foto: Quetzal-Redaktion,pgAm 2. Februar 2013 veranstalteten der Leipziger Lateinamerika-Verein QUETZAL e.V. sowie ARBEIT UND LEBEN Sachsen e.V. gemeinsam ein Symposium über „Indigene Völker und gesellschaftliche Alternativen in Lateinamerika“. Es reiht sich ein in die zahlreichen Aktivitäten, die wir aus Anlass unseres 20jähren Bestehens geplant oder bereits durchgeführt haben. Chronologisch und inhaltlich wurde ein Bogen zum Erscheinen der ersten Nummer des Lateinamerika-Magazins QUETZAL im Februar 1993 geschlagen. Im Schwerpunkt dieses Heftes hatten wir uns in Rückblick auf das 500jährige Jubiläum der „Entdeckung“ Amerikas durch Christoph Kolumbus dem Thema des indigenen Widerstandes gewidmet. Dieses hat uns bis heute nicht losgelassen, wovon die Nummer 8 „Indígenas“ (August 1994) und die seitdem in fast jeder neuen Ausgabe zu findenden Artikel über indigene Völker in Gegenwart und Vergangenheit zeugen. Im Online-Magazin (seit 2004) behaupteten Lateinamerikas Indígenas weiter ihren festen Platz. Auch unsere erste, aber sicher nicht letzte Buchpublikation „Bolivien im Umbruch“ (Ende 2010 zusammen mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen) hat ein Land zum Gegenstand, welches wie kaum ein anderes durch die Präsenz und Aktion seiner indigenen Völker geprägt ist. Als die in Wien herausgegebene Zeitschrift „Lateinamerika anders“ den „Indigenen Widerstand heute“ zum Schwerpunkt ihres Oktoberheftes 2012 machte, waren zwei QUETZAL-Redakteure mit eigenen Beiträgen dabei.

Diese Kontinuität ist in erster Linie der Tatsache geschuldet, dass seit dem „historischen Jahr 1992“ indigene Bewegungen das Schicksal Lateinamerikas entscheidend mitbestimmen. Den Ursachen und Dimensionen dieser indigenen Renaissance war deshalb der erste Beitrag des Symposiums (Peter Gärtner) gewidmet. Hier wurde mit Verweis auf den globalen Charakter und die kontinentale Wirkkraft indigener Bewegungen aufgezeigt, dass es sich bei diesen um neue politische Akteure handelt. Diese Neuartigkeit scheint der Jahrtausende alten Existenz und dem Jahrhunderte währenden Widerstandes jener vielfältigen Völker und Kulturen zu widersprechen, die durch die europäischen Eroberer in die koloniale Kategorie des „indios“ bzw. „indians“ gepresst wurden. Die politische Praxis zeigt jedoch, dass „alte Völker“ und „neue Akteure“ zwei Seiten einer Medaille sind.

Dieses hochinteressante Spannungsverhältnis zwischen Vergangenheit und Gegenwart beleuchtete German Muruchi Poma anhand des Konzepts des „Vivir bien“ (bzw. „Buen Vivir“), das in den neuen Verfassungen Boliviens – seines Heimatlandes – und Ecuadors erstmals verankert wurde. Indem er die ursprüngliche Bedeutung der zugrunde liegenden Aymara- (suma qamaña) und Quechua-Begriffe (sumak kawsay) herausarbeitete und mit anderen Prinzipien der andinen Kultur verband, konnte er anschaulich und überzeugend aufzeigen, dass die spanische und deutsche Übersetzung („Gut/es Leben“) zu kurz greifen. Das Prinzip des „Richtig Zusammenlebens“, das damit die Balance und Harmonie zwischen Mensch und Natur, Mensch und Gesellschaft sowie der Menschen selbst meint, hebt auf ein Weltverständnis ab, das zu dem des kapitalistischen „Westens“ vom Grundsatz her im Widerspruch steht.

Der zweite Block des Symposiums begann mit einem aktuellen Film von Claus Deimel, Ethnologe und Direktor der Staatlichen Ethnographischen Sammlungen Sachsen. „Das Spiegelritual – Leben in Tarahumaraland“ zeigte auf sehr eindrucksvolle Weise das heutige Leben des in Nordmexiko beheimateten Volkes der Tarahumara. Durch ruhige, den Betrachter einbeziehende Bilder, ausführliche Interviews und sparsame Kommentare kommt der Zuschauer dem Leben der zurückgezogen lebenden Menschen nahe und beginnt zu begreifen, was diese Gemeinschaft trotz Jahrhunderte währenden Assimilationsdrucks und der Kargheit des Lebensraumes zusammen hält. Auch hier ist die Vergangenheit in der Gegenwart lebendig und bildet zugleich die Basis für die Zukunft der Tarahumara. Damit liefert der Film einen anschaulichen Beleg für jenes andere Zeit- und Weltverständnis, das durch den Vorredner anhand der andinen Cosmovisión beschrieben worden war.

Der folgende Beitrag brachte einen erneuten Perspektivenwechsel: Maren Rössler, ebenfalls Ethnologin, beschrieb anschaulich die besondere Atmosphäre der Treffen von Repräsentanten indigener Völker und ihnen nahestehender NGO’s, die im Rahmen der Vereinten Nationen seit Jahrzehnten für eine Kodifizierung der indigenen Rechte kämpfen. Da treffen „alte Hasen“ und Neuankömmlinge, Abgesandte kleiner Ethnien, Rechtsexperten, Diplomaten, Minister und politische Führer indigener Dachverbände von interkontinentaler Reichweite aufeinander. Angesichts dieser Vielfalt von Erfahrungen, Interessen und Kenntnisse mutet es wie ein Wunder an, dass die Generalversammlung der UNO im September 2007 die „Deklaration der Rechte indigener Völker“ mit der überwältigenden Mehrheit von 143 Ja-Stimmen verabschiedet hat. Dass vier Staaten – die USA, Kanada, Australien und Neuseeland – dagegen stimmten, verdeutlicht zweierlei: zum einen die – hart erkämpfte – Anerkennung der indigenen Völker als souveräne Träger internationalen Rechts, die der Staatenwelt damit auf Augenhöhe gegenübertreten können, zum anderen den hartnäckigen Widerstand von Regierungen mächtiger und wohlhabender Länder, die bislang Nutzen aus der kolonialen Situation der indigenen Völker gezogen haben und ihn deshalb aufrechterhalten wollen.

Lateinamerika: Quetzal Symposium zum 20. Jubiläum, Februar 2013, Axel Anlauf u. Andrea Lammers - Foto: Quetzal-Redaktion,pgDer Beitrag „Lempira Vive!“, der den zweiten Block abschloss, wurde von Andrea Lammers und Axel Anlauf bestritten. Beide waren als Mitglieder einer JournalistInnen-Delegation 2012 in Honduras und berichteten über den Widerstand der Garífuna und Lenca, die sich gegen den Ausverkauf ihres Landes, die Errichtung von Großprojekte und die Militarisierung ihrer Territorien wehren. Dabei kommen der UNO-Deklaration von 2007 und der Konvention Nr. 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) besondere Bedeutung zu. Internationales Recht und Standards bieten den Indigenen oft die einzige Handhabe, um der Willkür der Regierung, die nach dem Putsch vom 28. Juni 2009 die Amtsgeschäfte übernommen hatte, und den transnationalen Konzernen, die inzwischen ein Drittel des Staatsgebietes kontrollieren, überhaupt etwas entgegensetzen zu können. Angesichts der polarisierten Situation, die sich im Vorfeld der geplanten Wahlen im November 2013 höchstwahrscheinlich noch zuspitzen wird, sind die Präsenz internationaler Beobachter und die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit entscheidend.

Den dritten Block des Symposiums bildete die Podiumsdiskussion, die von Sven Schaller (QUETZAL) souverän moderiert wurde. Neben Muruchi Poma und Claus Deimel nahmen Christine Schnichels (Köln/ Berlin) und Zeljko Crncic (Uni Kassel) daran teil. Die fünf Diskutanten vertraten nicht nur unterschiedliche Fachdisziplinen, sondern brachten auch wichtige Kenntnisse über Länder ein (Bolivien, Chile, Ecuador, Mexiko, Kolumbien und Peru), deren Geschichte und Gegenwart in besonders hohem Maße von indigenen Völkern und Bewegungen geprägt ist. Als „roter Faden“ der sehr intensiven und fachkundigen Debatte diente die Frage, inwiefern indigene Bewegungen im 21. Jahrhundert Alternativen zur globalen Krise des Kapitalismus durchsetzen können oder selbst verkörpern. Je nach Land und politischer Stärke der indigenen Bewegungen fiel die Antwort unterschiedlich aus. Selbst für Bolivien, das über Lateinamerika hinaus zu einem zentralen Bezugspunkt der globalen sozialen Bewegungen geworden ist, müssen neben wichtigen Erfolgen und Fortschritten auch Defizite und Fehler bei der Durchsetzung alternativer Vorstellungen und Strukturen konstatiert werden. Die Nationalisierung der natürlichen Ressourcen, Sozial- und Bildungsprogramme für die bisher Marginalisierten, neue Verfassungen und indigene Autonomien sind zwar wichtige Schritte in diese Richtung, stellen aber noch keinen Bruch mit der westlich-kapitalistischen Entwicklungslogik dar, der aber angesichts der globalen Vielfachkrise (Klimawandel, Raubbau an den natürlichen Ressourcen, Ernährungskrise, Finanzkrise, soziale Polarisierung) immer drängender wird. Ohne die indigenen Bewegungen, die in vielen lateinamerikanischen Ländern an der Spitze des Kampfes gegen die Zumutungen des Neoliberalismus stehen, ist dieser Bruch nicht zu bewerkstelligen. Mit ihrer alternativen Weltsicht von Pachamama (Mutter Erde) und sumak kawsay sowie mit ihrer politischen Stärke liefern sie einen entscheidenden Beitrag für eine andere, bessere Welt. Mit ihrer Vielfalt, die immer wieder zur Einheit findet und Einheit fordert, verkörpern sie zugleich den Gegenentwurf zum Homogenisierungsgebot der neoliberalen Globalisierung, dem zufolge es keine Alternativen gibt. Große Anerkennung gebührt dem zahlreich erschienen Zuhörern und Diskutanten, die trotz der Intensität und zeitlichen Länge der Veranstaltung nicht nur tapfer durchhielten, sondern durch ihre Fragen und Bemerkungen diese inhaltlich bereicherten.

Für den QUETZAL war das Symposium in mehrfacher Hinsicht Neuland: die Konzipierung als Ganztagsveranstaltung, die enge und fruchtbringende Kooperation mit ARBEIT UND LEBEN und die Tatsache, dass wir bis auf eine Ausnahme alle Vortragenden und Podiumsteilnehmer aus dem Kreis der ehemaligen und jetzigen Mitstreiter des QUETZAL „rekrutieren“ konnten. Aber auch die „Ausnahme“ – Claus Deimel – ist schon deshalb keine (mehr), weil er als Chef des Grassi-Museums für Völkerkunde zu den Leipziger „Indigenen“ gehört und beide Seiten die einmal begonnene Zusammenarbeit fortsetzen wollen. Den Abschluss bildete dann die Geburtstagsfeier, zu der alle, die durchgehalten und noch Zeit hatten, herzlichst eingeladen waren. Dort bot sich die vielfach genutzte Gelegenheit, ins Gespräch zu kommen, alte Weggefährten willkommen zu heißen und bei chilenischem oder mexikanischem Wein, sächsischem oder tschechischem Bier, handgemachten Tamales oder Saltenyas die Mühen der Stunden davor hinter sich zu lassen. Wir hoffen, dass wir den hohen Ansprüchen des Themas gerecht werden konnten und bedanken uns auf diesem Wege noch einmal bei allen: den Mitwirkenden, den Helfern, den Gästen. Mit unserem Jubiläumssymposium haben wir nicht nur unsere 20jährige ehrenamtliche Arbeit „gefeiert“, sondern durch Zuspruch und Aufmunterung auch Kraft geschöpft weiter zu machen.

Vielen Dank!

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Bildquellen: [1], [2] Quetzal-Redaltion, pg

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