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Lateinamerikanische Filme auf der Leipziger Dokumentarfilmwoche

Anka Schmoll | | Artikel drucken
Lesedauer: 5 Minuten

Wenn es sie denn gibt, die „Erste“, die „Dritte“ und die „Vierte Welt“, so stoßen sie wohl kaum irgendwo so hart aufeinander wie in Brasilien. Die Konflikte der verschiedenen, kaum integrierten und doch verflochtenen Teile der brasilianischen Gesellschaft jedenfalls kommen in den drei brasilianischen Filmen des Dokumentarfilmfestivals Mitte November in Leipzig zum Ausdruck. In „Taking aim“ von Monica Foca, „Tem que ser baiano“ von Henri Gervaiseau und „Profesión doméstica“ von Sérgio Goldenberg werden Geschichten erzählt von Bewohnern verschiedener Welten: Tagelöhnern und Bankern, Hausangestellten und Politikern, Menschen des Regenwaldes und der Megastädte. Es sind dem Fernsehkonsumenten ungewohnte Bilder von der Arroganz der Mächtigen und der lebendigen Stärke der Schwachen, von Abhängigkeit und Anpassung, Ausgrenzung und Neuanfang. Sie ähneln den Bildern aus Deutschland und anderswo, Bildern von Diskriminierung und Rassenhass, etwa in Gervaiseaus Film über arbeitsuchende Brasilianer in São Paulo – erschreckend – gewohnt.

Gemeinsam ist den drei brasilianischen Filmen das Bemühen um die Perspektive derer, denen sonst die eigene Stimme und das eigene Bild verweigert werden – der 14- bis 76jährigen Hausangestellten der Mittelschicht Rio de Janeiros, der von den „echten“ Einwohnern São Paulos abfällig „baianos“ genannten Brasilianer aus dem Nordosten und der Kayapo-Indianer des Amazonas. …

„Taking aim“ ist dabei am konsequentesten. Denn Monica Foca lässt ihre Protagonisten ihr Schicksal nicht erzählen; sie beobachtet sie nicht; die Kayapo haben die Kamera selbst in die Hand genommen und nutzen sie als Kommunikationsmittel – zur Übermittlung von Botschaften des Friedens oder der Herausforderung, zur Beratschlagung gemeinsamer Aktionen gegen das Eindringen der Bauern auf das den Kayapo gesetzlich zustehende Land, zur Dokumentation ihres Kampfes gegen die Vernichtung des Regenwaldes. Nicht die Bilder voller Lethargie und Schwermut ob der zugrunde gehenden Ursprünglichkeit der „Wilden“ sind es, die man aus „populärwissenschaftlichen“ Reportagen oder sogenannten engagierten Filmen über die Yanomami gewöhnt ist, vielmehr Bilder des Alltags dieser uns fremden Welt – skurril manchmal, befremdlich; doch woher rührt dieser Eindruck? Das Statement eines Häuptlings mit bemaltem Gesicht vor der Kamera – es zwingt zu einem Lächeln. Bilder im Kopf geraten durcheinander: Stereotype über „Exotik“ und „Armut“, „Moderne“ und „Unterentwicklung“. Eingeübte Erklärungsmuster werden wertlos -wer ist eigentlich hier der Unwissende, der (Medien-)Analphabet, der (kommunikativ) Machtlose? Metuktire Kayapo, einer der ersten der Mekaron Opoi D’joi („der die Bilder macht“), wird das Dokument der Festnahme eines Piloten, der für Landräuber Kundschafterdienste tut, nicht aus der Hand geben – Schutz gegen Manipulation und Vertuschung durch die staatlichen Ordnungshüter. „Noch Fragen?“

Der Film „Beruf Hausmädchen“ („Professión doméstica“) macht auf andere Weise die getrübte Sicht der sich zu jener weißen, „ersten“ Welt zugehörig Fühlenden deutlich. „Sie ist meine Freundin“, sagt die „Senhora“ über Maria, doch diese wohnt mit ihrer Tochter in einer Abstellkammer; von der Herrschaft unerwünscht, abgestellt auch das Kind. „Die Dinge haben sich nicht sehr verändert, seit der Zeit, als sie uns Sklaven nannten“ – Isolation, Diskriminierung und ein unerträglicher Paternalismus („Es ist besser, eine Angestellte mit jungen Jahren ins Haus zu nehmen, dann kann man sie noch erziehen“) prägen die Situation der Hausangestellten. Doch die Selbstaussagen der Frauen lassen bloßes Bedauern durch den Zuschauer nicht zu. Auch hier das ungewöhnliche Selbstbewusstsein der Frauen, ihr Geschick, trotz allem etwas aus ihrem Leben zu machen, für andere und für sich selbst; keine völlige Hingabe oder Aufopferung, obwohl auch der Aspekt der „Identifikation mit dem Unterdrücker“ in den Erzählungen anklingt. In seinen Mitteln ein eher konventioneller Dokumentarfilm, zwingt auch er zur Überprüfung vorgefaßter Ansichten.

„Tem que ser Baiano“ – „Ich soll ein Baiano sein“ („Baiano“ eigentlich: Bewohner des Bundesstaates Bahia) ist der bedrückendste Film der kleinen brasilianischen Reihe. Bedrückend ist er vor allem wegen seiner Parallelen zu deutschen, europäischen, ja offenbar weltweiten Erscheinungen der Ausgrenzung und Diskriminierung gegenüber allen, die überhaupt ausgrenzbar sind – in Brasiliens Metropole São Paulo sind es die Zuwanderer aus dem armen Nordosten des Landes, bei weitem nicht alles Baianos, für die ein Bewohner im Interview sogar einen Pass zum Eintritt in die Stadt fordert. Die Kontinuität des Rassismus wird durch historisches Material aus den dreißiger Jahren deutlich. Damals wurden billige Arbeitskräfte aus dem Norden angeworben, um auf den Kaffeeplantagen um São Paulo zu schuften. Obwohl als Arbeitssklaven begehrt, wurden sie als Menschen oder gar als Brasilianer nicht wahrgenommen, hatten sie doch „schwarzes Blut“, „eine andere Knochenstruktur“, so dass man sich als Weißer glücklich schätzte, einem „anderen rassischen System, frei von indianischen Elementen“ anzugehören. Heute sind die Zuwanderer, unter ihnen auch Ignacio Lula da Silva, Sündenböcke, die herhalten als einfache Erklärung für Kriminalität, Schmutz, Prostitution und Arbeitslosigkeit – ein allzu bekanntes Muster.

Zwei weitere Filme vervollständigen das diesjährige, lediglich quantitativ etwas magere Programm lateinamerikanischer Filmkunst zur Dokwoche: „La flaca Alejandra“ aus Chile – das Porträt einer von der Pinochet-Diktatur zur Denunziantin gemachten Frau und „Metal y Melancolía“ – eine Taxifahrt, gelenkt und kommentiert von den Überlebenskünstlern Limas – Lehrern, Ökonomen, Schauspielern und Hausfrauen, die ein brillantes Panorama dieser mörderischen Stadt und ihrer Verhältnisse zeichnen.

Die Leipziger Dokumentarfimwoche findet vom 15. bis 19. November in den Kinos Capitol, Grassi, Nato und Katakombe statt.

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