„Das sind keine Dissidenten!“ Juan, der schon so ziemlich alles erlebt hat, was ein Kubaner seiner Generation erleben kann – die Massenflucht über Mariel, die Intervention in Angola und die Wirtschaftskrise – sieht sich mit einer neuen Herausforderung konfrontiert, die seinen gewohnten Tagesablauf stört. Und der könnte geruhsamer nicht sein, lebt Juan in Havanna doch als „Sammler und Jäger“: Er besorgt sich, was er braucht, und muss dafür nicht einmal arbeiten. Dass seine Frau den Tagedieb verlassen hat und mit der geliebten Tochter in Spanien lebt, scheint der einzige Wermutstropfen in einem nahezu perfekten Leben zu sein.
Doch plötzlich verhalten sich einige seine Landsleute sehr seltsam. Die Habaneros bewegten sich zwar schon vorher wie in Trance durch ihren Alltag, womit sie sich nun wahrlich nicht von den Bewohnern anderer Metropolen unterscheiden, aber die plötzliche Neigung, ihre Mitmenschen anzugreifen und zu verspeisen, ist doch etwas merkwürdig. Zombies in Havanna? Nein, weiß man im Fernsehen – das sind Dissidenten.
Nur eine kleine Gruppe Unverzagter stellt sich den Untoten entgegen, was in Filmen dieses Genres wohl nicht unüblich ist: Juan, sein etwas tumber Kumpel und kleinkrimineller Mitstreiter Lázaro, dessen Sohn California (sic), La China, ein Transvestit und der Beschützer El Primo. Zu ihnen gesellt sich noch Camila, Juans Tochter, die eigentlich nach Miami will. Mit Machete, Harpune, Ruder, Wurfstern, Baseballschläger, Schleuder und roher Körperkraft stellen sie sich den immer zahlreicher werdenden Seelenlosen entgegen.
Regisseur Alejandro Brugués, Sohn von Argentiniern, die einst vor der Militärdiktatur nach Kuba flohen, holte den Zombiefilm nach Kuba. Für seinen 2011 in kubanisch-spanischer Koproduktion gedrehten Streifen „Juan de los muertos“ bedient er sich ungeniert bei dem Film „Sean of the Dead (2004), der sich seinerseits bei „Dawn of the Dead“ (1978) bediente. Allerdings gibt Brugués dem Ganzen eine ausgesprochen kubanische Note, verteilt immer wieder Seitenhiebe auf Kubas Alltag.
So ist Juans Nachbarin eine Bloggerin und „verbreitet irgend so einen Blödsinn im Internet“. An den Versammlungen des Komitees zur Verteidigung der Revolution in ihrem Viertel nehmen Juan und Lázaro regelmäßig teil, schließlich müssen sie wissen, inwieweit das Komitee ihren Gaunereien bereits auf der Spur ist. Und als echte Kubaner entwickeln die Freunde in dieser Krise eine neue Dienstleistung: „Juan de los muertos. Wir bringen ihre Liebsten um. Was können wir für sie tun?“ Die Preise dafür sind gestaffelt – Ausländer und Kubaner mit Verwandten in den USA zahlen das Doppelte. Das Ganze wickelt Juan verständlicherweise über ein öffentliches Telefon ab. Anders als bei „Sean of the Dead“ können sich Juan und seine Mitstreiter auch nicht in einem Supermarkt verschanzen. Ein solcher Konsumtempel, der einige Zeit ihr Überleben sichern könnte, steht ihnen in Kuba schließlich nicht zur Verfügung. Also besorgen sie sich alles, was sie zum Überleben brauchen. Das haben sie ja auch vorher schon so gehalten. Krisengestählt wie sie nun einmal sind, sehen Juan und Lázaro die neuen Herausforderungen eher gelassen. Und als die wackeren Zombiebekämpfer überraschend Unterstützung von einem Yankee bekommen, der die Untoten mit einer (selbstverständlich) fortgeschritteneren und wesentlich effizienteren Technik bekämpft, wird dieser von Lázaro mit der Harpune getötet. Aus Versehen natürlich, aber dieser Kampf ist nun einmal eine kubanische Angelegenheit.
Am Ende scheint dann doch nur noch die Flucht nach Miami als letzte Rettung zu bleiben (So ‘ne Scheiße! Zum Schluss kriegt uns der verdammte Kapitalismus doch noch!). Doch Juan wäre nicht Juan, würde er vor dieser Krise davonlaufen. Er kehrt um. Schließlich, so ist seine Erfahrung, braucht er nichts als eine Chance, dann wird alles gut. Und seine Mitstreiter scheinen es ihm gleichzutun…
„El País“ charakterisierte den Film als eine Mischung aus kubanischem Humor und universellem Terror. Und das ist er wohl auch: Selbst für Leute, die Zombie-Filme nicht mögen, gibt es genug durchaus intelligente Anspielungen auf den sozialistischen Alltag hecho en Cuba. Für die anderen spritzt reichlich Blut.
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„Juan de los muertos“. Kuba/Spanien, 2011. Regie: Alejandro Brugués.
Bildquelle: Snapshot