Zu Patagonien ist nicht viel zu sagen…
Der Band „Geschichten vom Ende der Welt“, herausgegeben von Gabriele Eschweiler, präsentiert 25 Autoren mit ihrem Bild von Patagonien und Feuerland. Die Palette der Autoren reicht von Pablo Neruda bis zu Lady Florence Dixie, wer immer letztere auch war, und sie umfasst damit eine Zeitspanne vom 16. Jahrhundert bis in die Gegenwart.
Die Weite des Landes, seine Leere müssen schon immer eine hervorragende Projektionsfläche geboten haben, schließlich kursieren die unglaublichsten Geschichten über diesen Teil Südamerikas. Diese kann man im ersten Teil des Buches nachlesen: Im Land der Wunder und wunderlichen Existenzen. Erinnert sei hier nur an die Legenden von den Riesen in Patagonien oder an Butch Cassidy und Sundance Kid. Auch Teil 2, Menschen am Ende der Welt, enthält Dichtung und Wahrheit, Verne und Melville ebenso wie Reiseschilderungen neueren Datums (Ulrich). Hier ist auch Edward Lears Nonsense-Gedicht zu finden. Einsamkeit und Winde, der dritte Teil, beschäftigt sich mit der Landschaft Patagoniens. Borges‘ Aussage Man findet dort nichts scheint insofern nicht der Realität zu entsprechen, als sich, wie das Buch belegt, reichlich Geschichten finden ließen und lassen.
Ich zumindest war erstaunt, wer sich alles an diesem Landstrich abgearbeitet hat. Albert Camus, Georges Perec (das hätte ich wissen müssen), Bruce Chatwin (natürlich), Antoine de Saint-Exupéry (der hatte sogar als Flieger in Argentinien gearbeitet), Jules Verne (ja, stimmt), um nur einige zu nennen. Nicht alle sind in diesem Band zu finden, was wiederum auf die Fülle des Materials verweist. Der Herausgeberin ging es offensichtlich darum, ein wirklich breites Spektrum von Autoren vorzustellen, bekannte und unbekannte. Und so ist die oben genannte Lady zu finden, Saint-Exupéry jedoch nicht. Aber der Leser soll ja noch etwas zu entdecken haben. Dabei hilft ihm schon das sehr informative Vorwort von Gabriele Eschweiler, das die Geschichte der Patagonienliteratur beleuchtet und so – en passant – Anregungen zum Weiterlesen und (Neu)Entdecken gibt.
Mein Favorit ist übrigens der Text von Mollie Robertson, die von 1907-1981 lebte und sieben Jahre ihrer Kindheit in Patagonien verbrachte. Das Buch bietet einen Ausschnitt aus ihren Erinnerungen „Sand, Wind und Sierras – Tage in Patagonien“. Robertson beschreibt ihre Protagonisten – Ladenpächter, Indianer, Familienangehörige – lakonisch und mit liebevoller Ironie. Das ist sehr amüsant zu lesen; ich habe bedauert, dass nach zehn Seiten schon Schluss war.
Wie gesagt, das Buch bietet 25 entdeckenswerte Beispiele aus aller Welt: Pablo Neruda, Antonio Pigafetta, John Byron, Bruce Chatwin, Paul Theroux, Albert Camus, František Langer, George Chaworth Musters, Matthias Ulrich, Francisco Coloane, Mollie Robertson, Isabel Allende, Luise Ullrich, Georges Perec, Edward Lear, Herman Melville, Gorch Fock, Jules Verne, Gabriela Mistral, Lady Florence Dixie, William Henry Hudson, Gunther Plüschow, Otto Schreiber, Claudio Magris und Otto Steiger. Bei dieser Auswahl findet mit Sicherheit jeder Leser mindestens einen Text, an dem er sich festliest. Und er kommt zu der Erkenntnis, dass der im Titel der Rezension zitierte Satz von Claudio Magris (S. 197, Ein anderes Meer) wohl nur ironisch gemeint sein kann. Offensichtlich gibt es zu Patagonien sehr viel zu sagen.
Edward Lear: Der alte Mann vom Kap Hoorn
Ein betagter Mann vom Kap Hoorn
wär‘ am liebsten gar nicht gebor‘n.
So setzte er sich hin
bis vor Pein er verging.
Jener Schmerzensmann von Kap Hoorn.
(dt.: G. Eschweiler)
Gabriele Eschweiler (Hrsg.)
Geschichten vom Ende der Welt.
Patagonien und Feuerland in der Weltliteratur
edition 8. Zürich 2009.
ISBN 978-3-85990-133-9