Quetzal Vogel
News Icon
Quetzal

Politik und Kultur in Lateinamerika

Template: single_normal
Printausgaben

Vargas Llosa, Mario: Der Fisch im Wasser

Dagoberto Santillana | | Artikel drucken
Lesedauer: 8 Minuten

Ein Leben für die Literatur

Mario Vargas Llosa erzählt, daß er am 28. März 1936 in Arequipa geboren ist und seinen Vater zum ersten Mal sah, als er zehn war. In der Familie seiner Mutter war nie über den Vater gesprochen worden, und er hielt ihn für tot, bis ihn seine Mutter mit in ein Hotel in Piura nahm, damit er den Vater kennenlernte; diese erste Begegnung war das bis zu diesem Zeitpunkt wichtigste Ereignis in seinem Leben. Seine Eltern hatten sich versöhnt und beschlossen, ihn mit nach Lima zu nehmen, die Stadt, in der sie in der nächsten Zeit leben würden. Diese unvorhergesehene Begegnung ist der Ausgangspunkt für Vargas Llosas Buch Der Fisch im Wasser Erinnerungen, seine Autobiographie, in dem er über seine Kindheit und über die ihm in dieser Zeit nahestehenden Personen berichtet – zumeist Angehörige der Familie seiner Mutter, den Llosas. In Lima wurde ihm klar, daß er seinen Vater nicht liebte, zum einen, weil der ihm das am meisten geliebte Wesen wegnahm – die Mutter -, zum anderen aufgrund seines autoritären Wesens. Er deutet an, daß der Vater ihn und auch die Mutter mehrmals schlug. Dennoch ist es der Vater, der ihn unbewußt zur Literatur hinführte, die für ihn zunächst ein Spiel war, bevor sie sich einige Jahre später in eine Berufung wandelte. Er erzählt, daß Lesen und Gedichteschreiben für ihn in den ersten Jahren in Lima eine Form waren, seinem Vater Widerstand zu leisten, welcher die Literatur verachtete und für den Gedichteschreiben etwa dasselbe bedeutete wie exzentrisch, homosexuell oder ein Bohemien zu sein. Er versuchte, sich von seinem Vater fernzuhalten, was ihm umso leichter fiel, als er 1950 auf eine Kadettenanstalt geschickt wurde. Dort verbrachte er drei Jahre und machte Bekanntschaft mit der anderen Seite des Lebens, die das Gegenteil des Guten und der Großmütigkeit verkörperte. Sein erstes Theaterstück Die Flucht des Inkas entstand in dieser Zeit. Jeder, der den Roman Die Stadt und die Hunde gelesen hat, für die er 1962 den Premio Biblioteca Breve und 1962 den Premio de la Critica erhielt, wird feststellen, daß er die Personen, das Szenario und einige der Begebenheiten dieses Aufenthalts auf der Kadettenanstalt bereits kennt, der hier freilich aus anderer Perspektive erzählt. Vargas Llosa beschreibt die beiden darauffolgenden Jahre als intensiv und reich an persönlichen wie literarischen Erfahrungen: neue Freunde und vertiefte alte Freundschaften, von denen einige bis heute bestehen; die Lektüre neuer Autoren; eine dreimonatige Arbeit bei der Zeitung La Cronica, während derer er das Leben eines Bohemiens führte und die Milieus kennenlernte, die er viel später, mit einigen Abwandlungen, in seinem Roman Gespräch in der Kathedrale zu neuem Leben erwecken würde. Darauf folgten neun Monate Studium in Piura, während derer er bei der lokalen Tageszeitung arbeitete und im Haus seines Onkels Lucho wohnte, dem Mann, den er als seinen Vater betrachtete und der viele Jahre später sein Schwiegervater wurde; in diese Zeit fielen auch regelmäßige Besuche im «Grünen Haus», einem Haus von schlechter Reputation an der Straße nach Catacaos, das den Titel für seinen zweiten Roman liefern würde, für welchen er 1966 erneut den Premio de la Critica sowie den Internationalen Literaturpreis Romulo Gallegos erhielt. Er bekennt, daß er diesem Jahr in Piura den Vorzug gäbe, könnte er ein Jahr seines Lebens noch einmal leben. Dann begann er, Recht und Literatur an der San-Marcos-Universität zu studieren und Französisch in der Alliance Francaise, denn schon damals träumte er davon, eines Tages nach Frankreich zu gehen; in dieser Zeit lebte er im Haus seiner Großeltern, da seine Eltern in die USA übergesiedelt waren. Er arbeitete zwei Jahre an der Zeitschrift Turismo und war Assistent des Professors Porras Barrenecheas, einer politischen und intellektuellen Persönlichkeit Perus, bis zu seiner Abreise nach Europa. In diese Zeit fallen auch seine erste politisch-marxistische Lektüre und sein Engagement für Cahuide, eine geheime politische Bewegung, deren Ziel der Wiederaufbau der Kommunistischen Partei in jenen Jahren der Diktatur von General Odria war. Während seiner aktiven Mitarbeit in der Bewegung, die über ein Jahr währte, veröffentlichte er auch einige Artikel in der politischen Zeitung der Bewegung und war ihr Kanditat für die Fakultätswahlen seiner Universität. Er gewann die Wahlen, und als Vertreter der Studenten von San Marcos hatte er die Gelegenheit, Esparza Zanartu kennenzulernen, den Chef der Regierung von General Odria, der in der literarischen Welt von Vargas Llosa als Cayo Mierda im Roman Gespräch in der Kathedrale wiederkehrt. Eine Zeit als Mitglied in der Christdemokratischen Partei endete mit seiner Trennung von der Partei, als er zum glühenden Verfechter der kubanischen Revolution wurde, während die Partei keine entschiedene Position zur Verteidigung Kubas einnahm. Er berichtet, daß sein Leben im Jahr 1955 einen radikalen Wandel vollzog, nachdem Julia, die zwölf Jahre älter war als er, nach Lima kam, um dort die Ferien zu verbringen; sie war die Schwägerin seines Onkels Lucho, und sie hatte sich vor kurzem von ihrem bolivianischen Mann scheiden lassen; Julia und er verliebten sich und heirateten ohne die Erlaubnis seines Vaters; er war kaum achtzehn Jahre alt und damit noch nicht volljährig. Die Heirat schockierte die Familie seiner Mutter und zwang seinen Vater, ins Land zurückzukommen. Bei dieser Gelegenheit drohte der Vater, ihn umzubringen, wenn Julia nicht umgehend das Land verließe. (Die Geschichte seiner Liebe zu Julia in der Autobiographie ist eine weit weniger fesselnde Lektüre als dieselbe Geschichte im Roman Tante Julia und der Kunstschreiber, denn die Tante Julia des Romans ist eine ungewöhnlich beeindruckende und sich dem Leser nachhaltig einprägende Person.) Sein Vater gab der Heirat zwar nicht seinen Segen, fand sich aber nach einem Gespräch damit ab; Vargas Llosa bekennt, daß dieses Gespräch die endgültige Emanzipation von seinem Vater darstellte, den er nie wieder lieben konnte, obwohl der Vater in seinen letzten Lebensjahren versuchte, die Distanz zwischen ihnen zu verringern. Im Verlauf vieler Jahre verblaßten jedoch der Wunsch, sich an ihm zu rächen, und der Haß auf ihn, wohl vor allem, weil er ihm nach der Übersiedlung seines Vaters in die USA kaum noch begegnete. Der Vater starb 1979 während eines Besuchs in Lima. Thema der letzten beiden der zehn Kapitel des autobiographischen Teils ist Vargas Llosas Leben in Peru bis 1958, als er nach Spanien abreiste, um mit dem Javier-Prado-Stipendium seine Doktorarbeit an der Complutense de Madrid zu schreiben, eine Reise, von der er erst sechzehn Jahre später, im Jahr 1974, zurückkehrte. Er schreibt in diesen Kapiteln über sein Leben als verheirateter Mann, über die verschiedenen Tätigkeiten, mit denen er das Brot für sich und seine Frau verdiente, über Freundschaften, literarische und politische Aktivitäten in jenen Jahren in Lima und über seine erste Frankreichreise, die er dank eines von der Zeitschrift La Revue Francaise verliehenen Preises unternehmen konnte, welchen er für seine Erzählung Die Anführer erhielt. Die französische Übersetzung wurde von Vargas Llosa und Georgette Vallejos, der Witwe des peruanischen Dichters Cesar Vallejos, durchgesehen. Wer bereits Vargas Llosas wichtigste Romane gelesen hat, wird feststellen, daß Mario Vargas Llosa in diesen zehn Kapiteln, die die Hälfte von Der Fisch im Wasser ausmachen, nichts Neues für seine Leser hat; man muß sagen, daß die Romane literarisch und sprachlich weitaus mehr bieten. Diese zehn Kapitel sind nicht mehr und nicht weniger als die Geschichte eines Mannes, der sich zum Beruf des Schriftstellers entschlossen hat und in diesem Beruf erfolgreich war und sich einen Ruferwarb. Die andere Hälfte, weitere zehn Kapitel, hat als zentrales Thema die Präsidentschaftskampagne des Schriftstellers als Kandidat der Demokratischen Front, einer Allianz aus der Acción Popular (AP), der Partido Popular Cristiano (PPC) und dem Movimiento Libertad (ML). Diese Kapitel, die mit denen der anderen Hälfte alternieren, beginnen mit einer Beschreibung der Manifestation auf der Plaza San Martin am 21. August 1987 und enden am 13. Juni 1990, als Vargas Llosa nach Europa abreist, drei Tage nach seiner Wahlniederlage im zweiten Wahlgang. Diese Kapitel sind zum einen eine Darstellung seiner Wahlkampagne, zum anderen sind sie eine kompakte Synthese der politischen Situation Perus in den letzten vierzig Jahren, in die auch persönliche Wertungen einfließen. Ungeachtet der Tatsache, daß einige seine Kandidatur nur für einen Akt der Eitelkeit hielten und seine Niederlage nur im Licht seiner verletzten Eigenliebe sahen, oberflächliche Erwägungen, über die man diskutieren kann, legen diese Kapitel Zeugnis ab von der Zivilcourage Vargas Llosas, der in dieser Kampagne seine demokratischen Positionen verteidigte, ohne seine Feinde zu fürchten, welche alle erdenklichen Intrigen benutzten, um seine Glaubwürdigkeit zu zerstören.

Vor allem aber demaskierte er die Feinde der peruanischen Demokratie, all jene Politiker politischer Parteien oder Gruppierungen, die sich als rechts, links oder progressiv bezeichnen und die die peruanische Gesellschaft in die heutige Situation geführt haben.

Mario Vargas Llosa
Der Fisch im Wasser. Erinnerungen.
Franfurt am Main: Suhrkamp.
1995.
DM 78.00.

Kommentar schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert