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Politik und Kultur in Lateinamerika

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Printausgaben

Dabrowski, Martin: Weltliteratur und Filmwelten

Nora Pester | | Artikel drucken
Lesedauer: 4 Minuten

Zwei Welten – über Literatur und Film in Lateinamerika

Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Beziehung zwischen Film und Literatur fristet noch immer ein Schattendasein. Viele Literaturwissenschaftler unterschätzen die Bedeutung des Mediums Film und auch umgekehrt existieren Hemmschwellen, die eine fundierte Beschäftigung mit der faszinierenden Interaktion zwischen beiden Künsten behindern. Auch die vorliegende Textsammlung kann diesem Dilemma nicht entfliehen und bleibt traditionellen methodischen Kategorien verhaftet. Das Buch setzt sich aus Vorträgen zusammen, die auf verschiedenen Tagungen im Rahmen der Reihe „Weltliteratur und Filmwelten: Lateinamerika“ in der Akademie Franz Hitze Haus in Münster gehalten worden sind. Alle Autoren betonen, dass sie mit den vorliegenden Beiträgen keinen Anspruch auf eine vollständige Film- und Literaturgeschichte Lateinamerikas erheben. Vielmehr war es ihr Anliegen, filmisches und literarisches Schaffen in dessen historischen und gesellschaftlichen Kontext widerzuspiegeln.

Cerstin Bauer-Funke versucht in ihrem Essay „Von Mexiko bis Feuerland: Eine Reise durch die Geschichte der lateinamerikanischen Literatur“ das Unmögliche: einen Abriss der Literaturgeschichte eines ganzen Kontinents, von den Azteken bis Allende. Die Verdichtung von Informationen auf ein derart kompaktes Format verblüfft den Leser. Dass die Autorin dabei oft nur sehr stichwortartig und oberflächlich auf die verschiedenen literaturhistorischen Aspekte eingehen kann, ist verständlich. Der Text hätte in seiner Kürze und Überblicksartigkeit gute Chancen, zur Standardlektüre für Hispanistikstudenten im 1. Semester zu werden. Einen Beitrag zur Analyse des Verhältnisses von Film und Literatur kann er indes nicht leisten. Funkes zweiter Beitrag beschäftigt sich ausführlich mit der mexikanischen Literaturgeschichte und sprengt damit alle thematischen Grenzen. Während der Leser sehnsüchtig auf einen kleinen „Filmfetzen“ hofft, wird er zurück zu Popol Vuh katapultiert. Hans Gerhold entschuldigt sich in seinem Aufsatz über die Motive in der Filmgeschichte Lateinamerikas regelrecht dafür, dass er aufgrund des enormen Themenvolumens nur einem Bruchteil aller künstlerischen Facetten gerecht werden kann. Es gelingt ihm jedoch, die prinzipiellen Schwierigkeiten bei der Suche nach einer gemeinsamen Sprache für die lateinamerikanische Filmkunst aufzuzeigen, die in Literatur und Theater schon längst existiert. Die Filmproduktion erweist sich als noch weitaus abhängiger von politischen Umständen und staatlichen Förderungen als die Literaturproduktion. Auch ihre Motive spiegeln vorrangig soziale Ungerechtigkeiten, politische Spannungen und totalitäre Unterdrückung in ihrem jeweiligen historischen Kontext wider.

Anhand anschaulicher Beispiele verdeutlicht Gerhold den starken Einfluss des magischen Realismus auf den lateinamerikanischen Film. Gerholds Beitrag über den „armen Vetter Hollywoods“ könnte auch mit dem Titel „Wie kam der Film nach Mexiko?“ überschrieben werden. Der Autor liefert dabei einen historischen Abriss über die Entwicklung der mexikanischen Filmindustrie und ihr Verhältnis zur US-amerikanischen Konkurrenz. Auch wenn Gerholds dritter Aufsatz „Zwischen Politik und Unterhaltung – Filme in Chile“ wieder eher einer Anthologie als einer Motivanalyse gleicht, geben seine Beiträge den wohl vielseitigsten Einblick in die Filmwelten Lateinamerikas. Er erinnert uns zudem daran, dass wir aus unserer eurozentristischen Kulturperspektive allzu gern vergessen, zwischen den einzelnen nationalen Charakteristika zu differenzieren. Einen viel versprechenden Exkurs über „Die Großstädte Lateinamerikas im Spiegel der modernen Literatur“ liefert schließlich Juan Guillermo Gómez Garcia. Auch wenn er damit einen guten Überblick über die Verarbeitung dieses Motives in der Romanliteratur gibt, scheitert dieses ehrgeizige Vorhaben spätestens an seinen nicht vorhandenen Bezügen zum Film. Ähnlich ergeht es Ruth Damwerth mit „Literatur und Politik in Lateinamerika. Eine Einführung anhand der Romane von lsabel Allende“. Interessant, aber in diesem Kontext eigentlich überflüssig. Einzig ihre eindringliche Mahnung an den deutschen Leser, nicht über Bestsellerlisten zu definieren, was typisch lateinamerikanisch sei und was nicht, wäre ausreichend gewesen und hätte allen Beteiligten die folgenden langatmigen Zusammenfassungen von Romaninhalten und allzu knappe Kategorisierungen erspart.

Exemplarisch sollten ausgewählte Werke für die Vielfalt der lateinamerikanischen Literatur- und Filmkunst stehen und das Interesse des Lesers für eine eindringlichere Auseinandersetzung mit dieser Materie wecken. Insgesamt liefert die Vortragssammlung einen guten Literaturüberblick, lässt aber bezüglich der Verknüpfung von Literatur und Film einen neugierig gewordenen Leser unbefriedigt zurück.

Weltliteratur und Filmwelten: Lateinamerika., Hrsg. v. Martin Dabrowski. Verfuert Frankfurt/M. 1996

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