Am 31. Dezember 1999 um 12 Uhr ist die Übergabe der Kanalzone an die Republik Panama abgeschlossen, die damit zugleich aufhört, ein geteiltes Land zu sein. Das Geschick des Staates am Südende des zentralamerikanischen Isthmus ist untrennbar mit jener künstlichen Wasserstraße verkettet, die auf 81,6 Kilometer Länge den Atlantischen und Pazifischen Ozean miteinander verbindet und die als das größte moderne Bauwerk der Menschheit gilt. Was die Weltmeere auf so grandiose Weise zusammenführte, schnitt zugleich ein kleines Land (75.000 Quadratkilometer), kaum dass es das Licht der staatlichen Selbständigkeit erblickt hatte, in zwei Teile und würdigte Panama zum Wurmfortsatz der US-Kanalzone herab. Der Kanal, obwohl noch nicht gebaut, stand schon Pate bei der am 3. November 1903 erfolgten Sezession Panamas von Kolumbien. Im geopolitischen Schatten des „Koloss im Norden“ verwandelte sich der Segen der Natur jedoch in den Fluch von Abhängigkeit und Bevormundung. Bereits 1850 hatten die USA die Bedeutung Panamas für den transkontinentalen Verkehr erkannt und in den Bau einer Eisenbahnlinie investiert, durch die die Reise zu den zwei Jahre zuvor entdeckten Goldfeldern Kaliforniens erheblich verkürzt wurde. Aber noch wurde der imperiale Appetit der Vereinigten Staaten vom Konkurrenten Großbritannien gezügelt, mit dem im Clayton-Bulwer-Vertrag (1850) vereinbart wurde, dass ein künftiger Kanal nicht der ausschließlichen Kontrolle irgendeines Landes unterliegen und im Kriegsfall neutrales Gebiet sein sollte. Nach dem Bankrott einer französischen Gesellschaft, die sich unter Leitung von Lesseps zwischen 1879 und 1889 vergeblich am Bau eines Kanals versucht hatte, nahmen sich die USA der Sache mit umso größerem Nachdruck an und kauften 1893 die Konzessionrechte auf. Als sich Kolumbien 1901 weigerte, als Gegenleistung für den Bau eines interozeanischen Kanals auf seine Souveränitätsrechte über diesen zu verzichten, wurde den nie ganz verstummten Unabhängigkeitsbestrebungen der Panamesen nun umso nachdrücklicher Unterstützung aus dem Norden zuteil. Eine Junta, die mit tatkräftiger Hilfe der USA die Macht übernommen und die Unabhängigkeit von Kolumbien verkündet hatte, dankte den Nordamerikanern die sofortige Anerkennung schon wenige Tage später am 18. November 1903 mit einem großzügigen Kanalvertrag. Zwecks Bau, Betrieb und Schutz eines Kanals erhielten die USA auf „unbegrenzte Zeit“ gegen die jährliche Entrichtung einer Viertel Million Dollar und die einmalige Bezahlung von 10 Millionen die „kompletten Hoheitsrechte“ über eine fünf Meilen breite Zone beiderseits der Wasserstraße.
Am 4. August 1918 durchquerte die „Ascon“ als erstes Schiff die Strecke zwischen Atlantik und Pazifik, dem bis heute rund 830.000 weitere folgten. Nach zahlreichen technischen Verbesserungen kann der Kanal, der mindestens 12,4 Meter tief ist und dessen drei Schleusen einen Höhenunterschied von 26 Metern bewältigen, innerhalb von 24 Stunden passiert werden. Vier Prozent des Welthandels werden über ihn abgewickelt. Seine Kapazität nähert sich jedoch mit rund 14.000 Passagen jährlich langsam der Obergrenze. Durch den Kanal gehen ein Zehntel der Ex- und Importgüter der USA und drei Prozent des Handels zwischen deren Ost- und Westküste (1940 waren es noch 50 Prozent). Immerhin 70 Prozent aller Schiffe, die USA-Häfen anlaufen, benutzen auch den Kanal. Nach hart erkämpften Änderungen des Vertragswerkes fließen inzwischen jährlich etwa 500 Millionen Dollar der Gebühren und Einnahmen in die Staatskasse Panamas, was ca. 10 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung des Landes ausmacht. Die wirtschaftliche Dominanz des Kanals findet ihren Niederschlag darüber hinaus in der einseitigen Ausrichtung auf den Dienstleistungssektor, der 1996 einen Anteil von 73 Prozent am Bruttoinlandsprodukt (BIP) hatte. 25 Prozent BIP-Anteil resultieren aus der Rolle, die Panama als wichtiges Off-shore-Finanzzentrum spielt. Das Billigflaggenland ist auch einer der weltgrößten Standorte für Schiffsregistrierungen. Die nordamerikanische Präsenz und besonders der frühzeitige Ausbau von Colón zur Freihandelszone am atlantischen Eingangstor des Kanals haben den Tourismus einen kräftigen Auftrieb gegeben. Die offizielle Erfolgsgeschichte wird jedoch durch die öffentlichen Auslandsschulden in Höhe von 3,7 Milliarden US-Dollar getrübt, die die Schuldenquote auf 110 Prozent BIP-Anteil hochgetrieben und Panama zu einem der relativ am höchsten verschuldeten Länder der Welt gemacht haben. Panama ist nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht ein Anhängsel des Kanals, es ist auch politisch schwer von diesem „Staat im Staate“ gezeichnet. Als 1908, 1912 und 1918 Aufstände aufloderten, intervenierten die USA – formal-juristisch gedeckt durch den Kanalvertrag – militärisch. Die 1936 erwirkte Vertragsrevision sicherte Panama zwar eine größeren Anteil an den Einnahmen, hatte aber ihren politischen Pferdefuß im Recht der USA, im Kriegsfall militärische Stützpunkte in der Kanalzone zu errichten, wofür der 2. Weltkrieg denn auch reichlich (134 Militärbasen) Gelegenheit bot. Auf dem 1.432 Quadratkilometer großen Territorium, davon knapp die Hälfte Wasserfläche, übten die USA auch ihre Gerichtsbarkeit aus, was zu der paradoxen und für die Panamesen schmerzlichen Situation führte, dass sie nach USA-Gesetzen und von USA-Behörden verurteilt werden konnten. Hier befanden sich auch das Südkommando der US-Streitkräfte und jene berühmtberüchtigte „School of the Americas“, wo spätere Militärdiktatoren und „Aufstandsbekämpfer“ ihren letzten Schliff erhielten. Erst ab 1960 war das Hissen der panamesischen Flagge – neben den „Stars and Stripes“ der USA – in der Kanalzone offiziell erlaubt. Besonders in den 60er Jahren kam es zu antiamerikanischen Unruhen, die ihren dramatischen Höhepunkt im Januar 1964 in einem von US-Soldaten verübten Massaker an demonstrierenden Studenten fanden. Danach wurde der Druck, den Kanalvertrag neu zu verhandeln, immer größer und führte nach dem 1968 erfolgten Machtantritt nationalreformistischer Militärs unter Omar Torrijos 1974 schließlich zu einem entsprechenden Grundsatzabkommen zwischen Panama und den USA. Erst nach zähen Verhandlungen wurde der neue Kanalvertrag am 7. September 1977 von Revolutionsführer Torrijos und dem US-Präsidenten Carter unterzeichnet und am 17. Juni 1978 mit leichten Einschränkungen ratifiziert. Damit wurden die Verträge von 1903, 1936 und 1954 aufgehoben und für das Jahr 2000 die volle Souveränität Panamas über den Kanal in Aussicht gestellt. Bereits per l. Oktober 1979 wurden 1.076 Quadratkilometer ohne Einschränkung in die Verfügung des zentralamerikanischen Landes entlassen (v.a. Gatún- und Alajuelasee, der Großteil der Waldgebiete, wenige Siedlungs- und Wirtschafträume wie die Häfen von Baiboa und Cristóbal). 98 Quadratkilomer an strategisch wichtigen Orten (in der Nähe der Schleusen und an beiden Einfahrten) verblieben bis Dezember 1999 als Militärbasen bei den USA, 178 Quadratkilometer wurden gemeinsam militärisch genutzt. 316,5 Quadratkilometer dienen der Unterhaltung des Kanals, Forschungseinrichtungen der USA und als gemeinsam verwaltete Wohnsiedlungen der Kanalangestellten. Die Panama-Kommission, eine US-amerikanische Behörde, der die Verwaltung des Kanals untersteht, setzte sich bis zur vollständigen Übergabe aus fünf US-Bürgern und vier Panamesen zusammen. Zeitlich nicht begrenzt ist der „Vertrag über die ständige Neutralität und den Betrieb des Panamakanals“. 1982 wurde ein gemeinsames Vorbereitungskomittee zum Studium der Alternativen für einen neuen, schleusenlosen Kanal ins Leben gerufen, das auch Japan offenstand und später in ein trilaterales Ständiges Sekretariat umgewandelt wurde. Nach dem Abzug der letzten US-Soldaten (1979 noch 10.000) im Dezember 1999 sind voraussichtlich über 22.000 Arbeitsplätze vakant, und für über 350 Millionen Dollar jährlich, die durch die Truppenpräsenz in die Wirtschaft des Landes flössen, muss Ersatz gesucht werden. Unter jenen Sektoren, die direkt oder indirekt davon profitierten, begann sich angesichts des Wegfalls guter und sicherer Einkommensquellen seit Mitte der 90er Jahre verstärkt Unmut breit zu machen. Während 1977 in einem Volksentscheid noch über 60 Prozent für den neuen Kanalvertrag gestimmt hatten, zeichnet sich nach neuesten Umfragen ein Stimmungsumschwung ab. Dieser wurde von der Regierung genutzt, um mit den USA über ein Multilaterales Zentrum zur Drogenbekämpfung mit Sitz in Panama zu verhandeln und Möglichkeiten einer verdeckten Militärpräsenz der USA durchzuspielen. Nachdem dies ruchbar geworden war, ließ Washington die Gespräche platzen. Denn immerhin bleibt den USA noch ein letzter Trumpf: Sie haben das vertraglich zugesicherte Recht, bei einer Bedrohung der internationalen Schifffahrt im Panamakanal militärisch zu intervenieren. Was will man mehr?
Karte: University of Texas at Austin