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Printausgaben

Goldman, Francisco: Estebans Traum

Gabriele Töpferwein | | Artikel drucken
Lesedauer: 4 Minuten

Ein einfacher Seemann

Über Monate sollen siebzehn verlassene Seeleute in einer schwimmenden Hölle in Brooklyns Hafen gelebt haben, an Bord eines rattenverseuchten Geisterschiffes ohne Heizung, fließendes Wasser und Strom. (…) Die lateinamerikanischen Seeleute waren mit der Aussicht auf einen guten Lohn hierher gelockt worden, doch stattdessen ließ man sie ohne Bezahlung auf dem Schreckensschiffsitzen.

Damit ist eigentlich alles über Goldmans Buch gesagt, eigentlich. Goldman hat sich erklärtermaßen von ebendieser Meldung in der New York Daily News aus dem Jahr 1982 zu seinem Roman inspirieren lassen. Allerdings ließ er sich Zeit: Der Roman entstand Mitte der Neunziger Jahre – die Handlung spielt 1989. Das Jahr ist als Handlungshintergrund gut gewählt. In Nikaragua bahnen sich bereits die Veränderungen an, die ein Jahr später in der Wahlniederlage der Sandinisten ihren Ausdruck finden. Und der Fall der Berliner Mauer, wenn auch nur kurz erwähnt, ist wohl das Symbol für Veränderung schlechthin.

Welche Richtung diese Veränderung im Roman nimmt, bleibt letztlich offen. Vielleicht soll uns der Titel bei der Interpretation helfen -Estebans Traum. Nur ist er leider eine Denkhilfe des deutschen Verlegers, die darauf schließen lässt, dass der den Roman mit einer klar vorgefaßten Meinung lesen ließ. Und außerdem deutsche Leser für eher dumm hält. Es ist mitnichten Estebans Traum, im fernen Amerika sein Glück zu finden (wie es im Klappentext heißt). Er will einfach auf einem Schiff (in die Welt) fahren und genug Geld verdienen, um sich in Nikaragua eine Existenz aufzubauen. Der Autor hat es sich zum Glück nicht so einfach gemacht wie der Verlag.

Esteban ist mehr oder weniger die Hauptperson der Geschichte; die Handlungsstränge sind allerdings höchst verzweigt. Die Titelfigur (der deutschen Ausgabe) ist ein junger Ex-Soldat, ehemals Mitglied einer sandinistischen Sondereinheit zur Contra-Bekämpfung – ein entlassener Sohn der Revolution, der im zivilen Leben keine Arbeit findet, da es schlicht und einfach keine gibt. Mit einer finanziellen Leihgabe seiner Onkel nimmt er schließlich das Angebot an, als einfacher Seemann auf einem Schiff in New York anzuheuern. Dieses muss allerdings von der Mannschaft erst noch flott gemacht werden, bevor es auf große Fahrt gehen kann. Die Schiffseigner erwarben den ausrangierten Kahn aus Japan zu Spekulationszwecken, sind aber ihrem Plan zum schnellen Geld nicht gewachsen. Sie scheitern und überlassen die Mannschaft, die auch nie einen Cent Heuer bekommen hat, ihrem Schicksal.

Diese Mannschaft ist nun ihrerseits eine bunt zusammengewürfelte Truppe, bestehend aus fünfzehn Mittelamerikanern. Nur einer von ihnen, der alte Bernardo, verfügt über Erfahrungen als Seemann; er war jahrelang als Schiffskoch zur See gefahren. Die Wirren der Revolution haben auch seine Ruhestandspläne zunichte gemacht. Bernardo ist wohl die interessanteste Person des Romans, was vielleicht darin begründet liegt, dass seine Figur weitgehend authentisch ist. Der Alte nimmt sich des jüngeren Esteban an (ohne, dass der das gutheißt) und hofft insgeheim, dieser möge den Mut aufbringen, die ausweglose Situation auf dem abgeschriebenen Seelenverkäufer hinter sich zu lassen. Er selbst fühlt sich zu alt dazu. Goldman macht ganz bewusst den Jugendlichen, der schon eine Menge Leben hinter, aber noch sein ganzes Leben vor sich hat, zum Helden seines Buches. Letztendlich gelingt es Esteban als einzigem, das Schiff zu verlassen und einen neuen Anfang in Brooklyn zu wagen.

Zwar mutet manche Szene des Buches arg konstruiert an, doch das tut dem Ganzen keinen Abbruch – das Leben ist auch nicht viel „natürlicher“. Die beiden Bootseigner, capitán Elias und Mark, sind noch die am wenigsten überzeugenden Gestalten. Des capitáns Gewissenbisse, nachdem er seine Pläne mit dem Boot aufgegeben und die Mannschaft im Stich gelassen hat, kommen dann doch etwas zu kitschig daher. Mitunter – das sei hier noch erwähnt – erinnert der Roman ein wenig an diese US-amerikanischen Filme, in denen (z.B.) die Mexikaner auch untereinander nicht ihre Muttersprache sprechen, sondern irgendein Kauderwelsch (im Original wohl gebrochenes Englisch). Die Gespräche, inneren Monologe etc. der mittelamerikanischen Protagonisten sind immer mal wieder mit spanischen Brocken gespickt, was dem englischsprachigen Original offenbar Authentizität vermitteln soll. Nur leider wirkt diese Praxis im Rahmen einer Handlung, die unter Mittelamerikanern spielt (die obendrein kein Wort Englisch sprechen), etwas deplaziert, um nicht zu sagen abwegig. —“Komm nicht zurück“, und dann brüllt der viejo noch mit kräftigerer, erwachter Stimme: „Vos, Estebanito? Vete!“— usw. usf.

Vielleicht ist dies Goldmanns Referenz an die zweisprachige Literatur der Chicanos. Für Leser, die die spanische Sprache nicht beherrschen, dürfte dies aber ein wirkliches Ärgernis sein, da nicht alle Wörter im Anhang übersetzt werden. Vielleicht macht ja schöpferisches Gestalten der möglichen Bedeutung das Buch noch interessanter.

Francisco Goldman:
Estebans Traum,

List Verlag München 1998.

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