Zacharias, der im Ruhrgebiet lebt und von seinen Freunden Zak genannt wird, beschließt, ein Jahr lang durch Lateinamerika zu reisen. Die Gründe dafür sind ihm selbst nicht ganz klar. So etwas wie Flucht aus dem Wohlstand, Abenteuerlust und Neugier spielen dabei auf alle Fälle mit. Hinzu kommt, dass er seit drei Monaten mit Leila zusammen ist, die er zwar schon mindestens zwei Jahre kennt, aber … „zooom gemacht“ hat es eben erst jetzt. Was ihn nicht davon abhält, seinen lang gehegten Plan in die Tat umzusetzen.
Seine Reise beginnt in Guatemala-Stadt, wo er aber nur kurz bleibt. Erst mal in Antigua Spanisch lernen, dann die für jeden Touristen obligatorischen Besuche am Atitlán-See, in Chichicastenango in den Bergen und in Monterrico am Pazifik. Livingston am anderen Ende Guatemalas, am Atlantik, darf natürlich nicht fehlen, auch wenn es erst im zweiten Anlauf klappt. Über Belize geht es dann nach Tikal, der wohl beeindruckendsten Maya-Stadt im Dschungel des Petén. Davor liegen noch zwei Stationen, die eher abseits von der üblichen Route liegen: Todos Santos Cuchumatán im indianischen Hochland und Lanquín in der Alta Verapaz. Hier kommt Zak auch erstmals den Ureinwohnern des Landes, den Maismenschen, etwas näher.
Ansonsten aber beschränkt sich sein Kontakt mit den Einheimischen auf das, was für Rucksack-Touristen normal ist: kurze Gespräche auf der Straße, in der Kneipe oder im Bus, da und dort eine Übernachtung. Alle Versuche Zaks, aus kurzen, unverbindlichen Bekanntschaften etwas Dauerhafteres werden zu lassen, scheitern, was wohl daran liegt, daß Vulkan-Eddie, Roberto, Lobster, Kika, Media Luna und Elmore, der Dealer auf der Maisinsel, in ihm zu allererst oder gar ausschließlich eine willkommene Geldquelle sehen, die es um jeden Preis anzuzapfen gilt. Derartige Erfahrungen lassen Zak schließlich wütend erklären:
„Ich komme aus einem reichen Land, und ich habe alles was ich will. Und ich bin froh darüber. Aber ich habe mir das nicht ausgesucht … Und ich bin nicht dafür verantwortlich, dass das Leben in Belize so arm und shity ist. … Aber ihr fragt mich, warum ich herkomme – wenn ich alles habe und ihr so wenig? … Ich bin hier, weil ich verstehen will, Euch und das System oder was immer es macht, dass ich in Deutschland zehn- und zwanzigmal mehr Lohn für meine Arbeit bekomme als du und du und du …“ (S. 111)
Ja, genau darin besteht das Dilemma aller Besucher aus dem reichen Norden im armen Süden. Das Wohlstandsgefälle, an dem wir teilhaben, auch wenn wir es gern ändern würden, holt uns eben überall ein. Zak flüchtet sich in die Gemeinschaft seiner Leidensgenossen, auf die er unweigerlich beim Pilgern auf ausgetretenen Touristenpfaden stößt: Gerald, Peter, Layne, die drei Jungs aus Torgau-Oschatz und all die anderen. Nicht zu vergessen Aussteiger wie Jean, der Strandphilosoph, oder Nils und Elsbeth in Vilcabamba/ Ecuador, bei denen er gegen Ende seiner Reise längere Zeit verbringt. Er trifft sie meist dort, wo eine paradiesische Natur zum Verweilen einlädt: auf Roatán in der Karibik, in Montezuma an der Pazifikküste Costa Ricas oder am Strand von Tayrona am kolumbianischen Atlantik, wo Zak mit anderen Deutschen ein „Lotterleben im Busch“ (S. 276) führt, das sich aber schon bald als „verzecktes Hippieleben“ (S. 277) entpuppt.
Aber Zak riskiert auch etwas: Die Überfahrt von Panama nach Kolumbien auf einem alten Schmuggelkahn mit Zwischenstopp in Tuk Bak, das zu den San-Blas-Inseln gehört, ist nicht ohne. Und auch seine Erfahrungen mit dem „San-Pedro-Kaktus“ oder seine Eindrücke beim Auffinden der Wirkungsstätte von Jonny Lovewisdom, dem praktizierenden Vitamin-Alchemisten und (deshalb?) verstorbenen Anführer einer Hardcore-Sekte, lesen sich gut und entlocken gelegentlich ein kleines Schmunzeln. Dennoch: Selbst der geneigte Leser fragt sich, warum sich der Autor der Mühe unterzogen hat, ein Buch mit 337 Seiten über seine Reiseabenteuer zu schreiben. Reflexionen über die nicaraguanische Geschichte (S. 175-177) und die sandinistische Revolution (S. 183-184) zeigen immerhin Zaks Bemühen, der Frage nach den Ursachen von arm und reich im Verlauf seiner Reise auf den Grund zu gehen. Und auch wenn die sporadischen Verweise auf Nietzsche, Hermann Hesse, Jack Kerouac und Bob Marley Orientierung vermitteln sollen, bleibt der Leser – wie auch Zak selber – etwas ratlos zurück:
„Zak merkte, dass er sich vor der Entscheidung drückte, ob diese Reise einen Sinn machte (wenn sie denn je einen Sinn gemacht haben sollte), oder ob es nicht besser wäre heimzukehren, seine Liebe zu verwirklichen. … Es war ihm nicht möglich, ein Fazit zu ziehen. Kein Handlungsstrang zu finden, der sich durch die Ereignisse seiner Reise zog – kein Zusammenhang, kein Ziel auf das sie hinauslief.“ (S. 205)
Aber eines kann er dennoch für sich verbuchen – er hat dazugelernt: „Zur Abenteuerlust war eine neue Wissbegierde hinzugekommen, da er diese Reise mehr und mehr als Lernprozeß begriff. Nein, der Sinn würde nicht mit einem Knall erscheinen. Man musste forschen und arbeiten und ringen, um dieses Etwas zu definieren, das da so offensichtlich falsch lief.“ (S. 206; kursiv im Original)
Dieses Unbehagen und die Suche nach den Ursachen für das, was „so offensichtlich falsch lief“, machen den Autor und sein Buch sympathisch. Alle, die sich mit dem Gedanken tragen, selbst einmal durch Lateinamerika zu reisen, sollten sich vorher die Zeit nehmen, darin zu blättern. Vielleicht schärft die Lektüre ihren Blick und lässt sie etwas weiter oder tiefer schauen, als Zak es vermochte.
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Thomas Mader: Kurvenwasser oder der holprige, etwas kopflastige Flug des Tukans.
Wiesenburg Verlag. Schweinfurt, März 2008
Das E-Book gratis zum Download: www.kurvenwasser.de