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Politik und Kultur in Lateinamerika

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Haubrich, Walter; Karnofsky, Eva: Städte Lateinamerikas

Klaus Jetz | | Artikel drucken
Lesedauer: 4 Minuten

Nichts als Cholera und Mafia – Das Lateinamerikabild deutscher Korrespondentinnen

Kein Reiseführer, keine Beschreibung exotischer Sehenswürdigkeiten sollte es werden, sondern vielmehr eine Darstellung lateinamerikanischer Realität. Deren „Licht-und Schattenseiten“ wollten die beiden Journalisten Eva Karnofsky und Walter Haubrich (eigentlich FAZ-Korrespondent in Madrid) schildern. Und doch ist bei diesen hehren Vorsätzen nur ein Kaleidoskop altbekannter Klischees und unverschämter Vorurteile herausgekommen.

Darauf nämlich beruht ihr armseliges Lateinamerikabild: in Lima wütet die Cholera, in Medellin treibt die Drogenmafia ihr Unwesen, Panama ist eine einzige Geldwaschanlage, Buenos Aires hingegen, die „Kapitale der Kultur“, hat Tango und Literatur zu bieten. Und was im architektonisch reizvollen Havanna der Zahn der Zeit anrichtet, das hat in Managua das berühmte Erdbeben von 1972 in einer Nacht erledigt. Sonst haben die urbanen Zentren nichts zu bieten, zumindest für Walter Haubrich und Eva Karnofsky. Ihre „Städtebilder“ sind eindimensional, farblos, voller Tristesse, bestenfalls Momentaufnahmen.

Das Interesse des Lesers wird geweckt und sogleich enttäuscht. So stellt Eva Karnofsky den 1899 in Managua geborenen Alberto Vogl als Veteran des Ersten Weltkriegs und Freund Sandinos vor. Doch anstatt ihm das Wort zu erteilen, langweilt die Journalistin den Leser immer wieder mit den Folgen des großen Erdbebens. Selbst aktuelle Themen, politische und soziale Fragen, die die Menschen beschäftigen, werden ausgeklammert. Wen interessiert in Managua die seit über zwanzig Jahren zerstörte Kathedrale, das ehemalige Stadtzentrum? Ob Havanna, Managua oder Cartagena de Indias (sie), die Menschen haben anderen Sorgen, und die sind existentieller Art.

In der Natur allerdings den Hauptschuldigen für die zunehmende Verelendung auszumachen, das ist mehr als boshaft. Gerade im Fall Nikaragua, das einem jahrenlangen Aggressionskrieg ausgesetzt war, von „geographischen Gegebenheiten“ zu sprechen, die es „den Lateinamerikanern oft schwer (machen), den erwirtschafteten Wohlstand zu bewahren“, zeugt von Realitätsverlust. Oder soll hier gar unter dem Deckmantel eines harmlosen Städteführers für Architekturliebhaber ein politisches Süppchen gekocht werden?

Diesen Eindruck gewinn der kritische Leser, wenn er von den Versuchen liest, die unternommen werden, um „auf legalem Wege Wohlstand zu erwirtschaften“, wenn ihm Freihandelszonen als Ausweg aus der Misere vorgestellt werden. Hier wird dem Neoliberalismus das Wort geredet, einer Wirtschaftsphilosophie, die für das Elend verantwortlich ist, das die Lateinamerikaner in den 80er Jahre eher euphemistisch mit dem Begriff „decada perdida“ umschrieben. Alle anderen Anstrengungen der Lateinamerikaner weichen vom „Pfad der Tugend“ ab, machen uns die Autoren glauben. Die Bauern fliehen in die Coca, Medellin kommt durch das Kokain zu zweifelhaften Weltruhm, „und die Panamaer, ein geschäftstüchtiges kleines Völkchen, wußten die Kokain-Dollars geschickt anzuziehen“.

In den sechzehn Städtebildern, die größtenteils schon im Frankfurter Allgemeinen Magazin abgedruckt wurden, wimmelt es von Stereotypien und rassistischen Vorurteilen. Beiden Journalisten sei ein Grundkurs in political correctness empfohlen. Haubrich bescheinigt den Argentiniern, insbesondere den portenos, „im allgemein gut erzogene Leute“ mit „gepflegten Umgangsformen“ zu sein. Er schreibt dies der „gelungenen Mischung aus mehrere europäischen Ländern“ zu. Und Salvador da Bahia oder Rio de Janeiro? Auch dort macht er eine „gelungene Mischung“ aus, denn „die Mädchen (werden) nach der Farbskala von Europäisch-Weiß über verschiedene Brauntöne bis zu Haarlos-Schwarz gehandelt“. In Rio, so der Spanien-Korrespondent, wird pausenlos getanzt, und das nicht nur im Karneval. Den cariocas bescheinigt er ein „übertriebenes Selbstbewußtsein“ und Arroganz, die sich auf „ihre in harten täglichen Übungen gepflegten Körper“ stütze. Zu „geistigem Training“ haben sie dann meistens keine Zeit mehr, so resümiert Haubrich, dem der kritische Leser mittlerweile gerne raten möchte, seine journalistischen Eskapaden auf Madrid und Umgebung zu beschränken.

Das kolumbianische Cartagenas ist für Eva Karnofsky eine rassistische Stadt, da nirgendwo sonst in Lateinamerika deutlicher werde, „wie sehr der Kontinent sich müht, weiß zu erscheinen“ . Doch auch Karnofsky spricht hemmungslos von „rassischer Vielfalt“, vom „Stadtteil der Neger“, von „Negerinnen“ und „Negersklaven“, denen die cartageneros ihren Ruf als Rebellen verdankten. Als Mörderbanden hingegen stellt sie die Jugendlichen der kolumbianischen Millonenstadt Medellin dar, um dem deutschen Leser das Phänomen der sicarios, der vom Drogenkartell beauftragten Killer auf Sold, zu erklären. Für ihre Reportage über Medellin ist es Eva Karnofsky gelungen, sowohl den Anführer der Mörderbande „Skorpione“ als auch den Chef der „Kapuzen“, die sich der Jagd auf sicarios widmen, zu interviewen. Dies blieb selbst dem kolumbianischen Journalisten Alexander Prieto Osorno verwehrt, der acht Jahre lang vor Ort recherchiert und eine beachtliche „Feldstudie“ zu diesem Thema veröffentlich hat, die 1991 erschien. Ob dies wohl der Grund ist, weshalb Eva Karnofsky im selben Jahr für ihre Medellin-Reportage mit dem Internationalen Publizistikpreis der Stadt Klagenfurt ausgezeichnet wurde?

Walter Haubrich/Eva Karnofsky: Städte Lateinamerikas.- Frankfurt/M., Leipzig: Insel 1994.

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