Der Journalist und Soziologe Andreas Boueke hat in diesem Buch 21 Reportagen aus Guatemala versammelt. Wie in einem Kaleidoskop betrachtet er verschiedene Lebenswelten in dem von Armut und Gewalt zerrissenen mittelamerikanischen Land; Elend und Glanz der Hauptstadt, die Kriegsgebiete im Land der Maya-Nachfahren, die Sklavenarbeit auf den Plantagen der Tiefebene, die Isolation der Menschenrechtsaktivisten, das entrechtete Leben von Straßenkindern, der Goldkäfig der Schüler der deutschen Schule – Religion, Tourismus, Maquilas – Guatemala kurzgefaßt, von allen Seiten betrachtet, und doch bleibt kaum etwas im Gedächtnis. Es mag vor allem an der Form der für die Tageszeitung verfaßten Reportage liegen, daß der mit dem Land genauestens vertraute und zweifellos engagierte Autor es nicht schafft, dieses schöne und grausame Land dem Leser nahezubringen. Nähe entsteht vor allem durch Identifikation – doch in den kurzen Texten werden Kinder – die angeblichen Helden des Buches – nur als Bestätigung der Aussagen des Verfassers vorgeführt, keins von ihnen zeigt sich in seiner Individualität, in seinem Charakter; sie stehen, wie in so vielen Medienprodukten über das Leben in anderen Kulturkreisen, nur als Symbole; als Vertreter der vielen ihresgleichen, nicht als Persönlichkeiten.
Das Muster ist immer wieder gleich: Boueke analysiert, seine authentische Figur verdeutlicht und vertieft im Zitat das Gesagte. Eine Methode – im Journalismus legitim, wenn auch nicht besondes interessant, für ein Buch m.E. tödlich, da unendlich repitiert. Bouekes Sprache ist oft klischeehaft, die vorgefertigten, ausgestanzten journalistischen Halbfertigteile bestimmen den trockenen Gestus des Textes. Auch die Situationsschilderungen können daran kaum etwas ändern – sie fügen sich nicht in den Text, bleiben Fremdkörper.
Das Bild, das sich aus dem Kaleidoskop an der Oberfläche ergibt, ist ein bekanntes, zumindest für Kenner der Soli-Szene. Widersprüche und Brüche sind selten – interessant für mich lediglich der Text über die Mennoniten und die Darstellung des Dilemmas in den Rückkehrgebieten.
Für wen ist das Buch gedacht? Sicher nicht für Leser, die sich bereits mit Guatemala beschäftigt haben. Auch nicht für Leute, die ganz speziell die Situation von Kindern untersuchen – auch hier bleibt Boueke zu sehr an der Oberfläche kleben. Die Form bestimmt den Inhalt. Für Neueinsteiger in das Thema? Für sie bietet das Buch viele wertvolle Informationen in leicht verdaulicher Form.
Nimmt man sich nicht das ganze Buch auf einmal vor, ist die kurze Form hier vielleicht sogar von Vorteil. Für Kinder und Jugendliche bietet das Buch jedoch wenig Reiz: zu selten kommen ihre Altersgenossen zu Wort, zu schablonenhaft sind ihre Zitate, zu wenig Chancen zur Identifikation werden gegeben.
Es wäre sicher lohnend, wenn Boueke sich die Mühe machte, mehr und persönlicher über ein stärker eingegrenztes Thema zu erzählen, anstatt alles über ein so vielschichtiges Land in einem schmalen Büchlein berichten zu wollen. Zu argumentativ, zu wenig emotional ist dieses Buch. Er sollte in sich gehen und die wirklichen, menschlichen Erlebnisse mit den Lesern seines nächsten Buches teilen.
Andreas Boueke: Kampf der Kleinsten. Kinder in Lateinamerika. Horlemann-Verlag 1996