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Zentralamerika gegen den Strick

Maite Rico | | Artikel drucken
Lesedauer: 5 Minuten

„Meine Seele ist wie eine Uhr, die die Stunden zählt, die mir noch bleiben“. So beschrieb Anfang August der guatemaltekische Bauer Roberto Giron, 49 Jahre, seinen Gemütszustand nachdem er zusammen mit seinem Komplizen, Pedro Castillo, zur Todesstrafe verurteilt worden war. 1993 hatten sie auf einer Finca im Süden des Landes ein vierjähriges Indigena-Mädchens geschändet und anschließend umgebracht. Nur die eingelegte Berufung in letzter Sekunde wegen angeblicher Unregelmäßigkeiten während des Prozesses könnte“ die Vollstreckung durch Erschießen noch verhindern. Der Präsident von Guatemala, Alvaro Arzu, hat sich jedoch geweigert, ein Gnadengesuch für die Gefangenen zu gewähren, um nicht die Entscheidungen der richterlichen Gewalt zu unterlaufen.

In Guatemala hat dieser Fall eine große Diskussion ausgelöst, es ist das einzige Land in Zentralamerika, in dem die Todesstrafe verhängt werden kann für gewöhnliche Vergehen, wie Mord, Überfall oder Entführung. Die Bewegung der Gruppen der Menschenrechte ist mit der rauhen Realität zusammengestoßen: über 80% der Guatemalteken befürworten die Todesstrafe. Dieser Wunsch entspricht dem derzeitigem sozialen Klima, in dem dieses Land lebt: mit zehn Millionen Einwohner werden jeden Tag zwischen acht und zehn Personen ermordet, zwanzig Autos gestohlen, gibt es unzählige Überfälle und Diebstähle. Entführungen von Personen betreffen Personen jedes Alters und ungeachtet der sozialen Stellung. In einigen der letzten Fällen kam es sogar zu Verstümmelungen oder zum Tod des Opfers. Da es die Kriminalität sogar geschafft hat, die lange erhofften Friedensverhandlungen mit der Guerilla, nach 36 Jahren des bewaffneten Konfliktes, zu verschieben, ist die Stimmung im Land entsprechend tief.

Ein schneller Blick auf die anderen Länder dieser Zone bietet keine sehr viel bessere Situation: die anwachsende Kriminalität, die El Salvador, Nikaragua und Honduras erfaßt, hat die Forderung der Todesstrafe durch die Bevölkerung laut werden lassen. Die Verurteilung der beiden guatemaltekischen Bauern, die erste seit 13 Jahren, hat sozusagen den Hauch eines Pilotprojektes.

Zentralamerika, das gerade erst die Tür zu den blutigen Bürgerkriegen, die in den 80er Jahren die Länder verwüsteten, zugeschlagen hat, durchlebt zur Zeit ein tragisches Paradoxon: die Kriminalität und das organisierte Verbrechen bedrohen ernsthaft den arbeitsreichen Prozess des sozioökonomischen und politischen Wiederaufbaus. Die bewaffneten Konflikte, die in Nikaragua, El Salvador, Guatemala und teilweise in Honduras wüteten, haben eine unheilverkündende Aussaat hinterlassen, die jetzt anfängt zu keimen.

In den Grenzzonen zwischen Honduras, El Salvador und Nikaragua kann man schon für 28 Dollar eine Pistole Makarov oder Gewehre der Marke Kalschnikow erwerben, wie die honduranische Polizei mitteilte. Die Waffen kommen aus den unzähligen Lagern der nikaraguanischen Contras oder der salvadorianischen nationalen Befreiungsfront Farabundo Marti (FMLN). Heute sind sie Werkzeug der vielen organisierten Verbrecherbanden, oft angeführt von ehemaligen Kriegsteilnehmer, die zum Teil multinationale Netze der Kriminalität aufgebaut haben.

In Honduras zum Beispiel, im Departement El Paraiso, Grenzgebiet zu Nikaragua, operieren Banden, die von alten nikaraguanischen Contras angeführt werden, die in diesem Gebiet über 10 Jahre kaserniert waren. In Guatemala, so schätzt die Polizei, werden die Entführerbanden zu 20% von hondurenos und salvadorenos gebildet.

Die Regierungen dieser Länder begegnen dieser Herausforderung vor allem mit der Säuberung der Polizei und dem Militär, aus deren Reihen sich die Banden rekrutieren, die sich hauptsächlich Banküberfällen, Autodiebstahl und Entführungen widmen.

Die zur Zeit schlimmste Situation stellt sich in El Salvador dar: offizielle Angaben sprechen von täglich 21 Morden, 500 Überfällen, 30 Autodiebstählen und 5 Vergewaltigungen. Für ein Land mit 5,4 Millionen Einwohner sind das haarsträubende Zahlen. Polizeiquellen berichten, daß San Salvador eine höhere Verbrechensrate hat als Rio de Janeiro. Die Rückführung von, in den USA festgenommenen salvadorianischen Bandenmitgliedern, verschlimmert diese Situation beträchtlich.

Die Kriminalität beginnt sich auch auf die nationalen Ökonomien auszuwirken: ausländische Investoren ziehen sich zurück, der Tourismus, eine der Haupteinnahmequellen, ist rückläufig. Die Regierung der USA warnt sogar offiziell seine Bewohner vor einer Reise nach Zentralamerika, wogegen die betreffenden Staaten jedoch Protest einlegten.

Auch aus sozio-politischer Sicht sind die Auswirkungen der Kriminalität verheerend. Die neuen demokratischen Institutionen sehen sich überrollt. Das Streben nach dem Erreichen eines harmonischen Zusammenlebens, welches die tiefen Wunden vernarben lassen soll, die der Bürgerkrieg gerissen hat, löst sich auf in der Verbitterung und Wut der Bevölkerung.

Die Forderungen nach einer „starken Hand“ mehren sich. Die wohlhabenden Familien schicken ihre Kinder ins Ausland. Die anderen organisieren sich wie sie können: in El Salvador und Guatemala gründen sich Bürgerwehren zur Bekämpfung der Kriminalität. Einige zeigen die Verbrecher an, andere nehmen die Justiz in die eigenen Hände; die Polizei stellte für dieses Jahr schon 90 Fälle von Lynchjustiz fest.

Die Regierungen versuchen zu handeln. Alle haben Gesetze zur Verbrechensbekämpfung verschärft; nach Meinung der Bevölkerung gehen sie aber immer noch zu „nachsichtig“ mit den Verbrechern um. El Salvador hat ein Notstandsprogramm verabschiedet, das von Kritikern als nichtverfassungsgemäß bezeichnet wird. Guatemala schließlich hat die Todesstrafe auf Entführung erweitert.

In diesen beiden Ländern und in Honduras sieht man wieder Militär auf der Straße, dieses Mal aber, um die Polizei zu unterstützen. Diese Entscheidung, die von einem Großteil der Bevölkerung begrüßt wird, löst aber bei den Menschenrechtsorganisationen und den Oppositionsparteien Besorgnis aus. Sie würden die Militärs lieber in ihren Kasernen sehen, sich mit ihrer neuen Rolle abfindend nur noch Diener der zivilen Macht zu sein, denn die Erinnerungen an andere Zeiten sind immer noch sehr wach.

Die neuen verschärften Strafmethoden, argumentieren diese Gruppen, werden nicht dazu beitragen, die strukturellen Probleme zu beseitigen: Korruption, Straffreiheit, die allgemeine Verarmung, der Mangel an sozialen Mitteln,…

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