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Politik und Kultur in Lateinamerika

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»Jesus Cristus gestern, heute und in Ewigkeit«

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Lesedauer: 8 Minuten

Ansprache von Johannes Paul II. zur Eröffnung der 4. Vollversammlung der lateinamerikanischen Bischöfe in Santo Domingo am 12. Oktober (Auszüge)

Liebe Brüder im Bischofsamt, liebe Priester, Ordensleute und Laien!

2. Diese Konferenz tritt zusammen, um Jesus Christus zu feiern, um Gott zu danken für seine Präsenz in diesen Ländern Amerikas, wo vor nunmehr 500 Jahren die Verbreitung der Heilsbotschaft begann; sie tritt zusammen, um den Beginn der Kirche zu feiern, die diese fünf Jahrhunderte hindurch so überreiche Früchte der Heiligkeit und der Liebe in der Neuen Welt hervorgebracht hat.

3. In diesem einzigartigen Vorgang bildet das Jahr 1492 ein besonders wichtiges Datum. Am 12. Oktober nämlich – also heute vor 500 Jahren – kam der Admiral Christoph Kolumbus mit den drei Karavellen aus Spanien hier an und pflanzte in diesem Land das Kreuz Christi auf. Die Evangelisierung im eigentlichen Sinn begann freilich erst mit der zweiten Reise der Entdecker, die von den ersten Missionaren begleitet waren. So begann die Aussaat der kostbaren Gabe des Glaubens. Wie sollten wir nicht Gott dafür, vereint mit euch, liebe Brüder im Bischofsamt, danken, die ihr heute in Santo Domingo alle Ortskirchen Lateinamerikas präsent macht! Wie sollten wir nicht für die überreichen Früchte des Samens danken, der im Verlauf dieser fünf Jahrhunderte durch so viele unerschrockene Missionare ausgestreut wurde! Mit der Ankunft des Evangeliums in Amerika weitete sich die Heilsgeschichte aus, wuchs die Familie Gottes, und es vervielfältigte sich „die Zahl der Menschen, die Gott dankten“ (2 Kor 4,15). Die Völker der neuen Welt waren „neue Völker … bis zum Jahre 1492 der Alten Welt völlig unbekannt, jedoch von Ewigkeit her Gott bekannt und von ihm immer mit der Väterlichkeit umfangen, die der Sohn in der Fülle der Zeiten geoffenbart hat.“ (vgl. Gal. $/$ (Homilie, 1.1.1992). In den Völkern Amerikas hat sich Gott ein neues Volk erwählt, es in seinen Erlösungsplan einbezogen und seines Geistes teilhaftig gemacht. Durch die Evangelisierung und den Glauben an Christus hat Gott seinen Bund mit Lateinamerika erneuert.

Wir sagen also Gott Dank für die große Schar derjenigen, die das Evangelium verkündet haben, die ihre Heimat verließen und ihr Leben einsetzten, um in der Neuen Welt das neue Leben des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe auszubreiten. Sie bewog nicht die Legende vom Gold oder persönliches Interesse, vielmehr der dringende Ruf zur Evangelisierung von Brüdern, die Jesus Christus noch nicht kannten. Sie verkündeten „die Güte und die Menschenliebe Gottes, unseres Retters“ (Tit 3,4), vor Völkern, die ihren Göttern auch Menschenopfer darbrachten. Sie bezeugten mit ihrem Leben und ihrem Wort die Menschenliebe, die aus der Begegnung mit Christus kommt….

4. Seit den ersten Schritten der Evangelisierung war die katholische Kirche auf Grund ihrer Treue zum Geiste Christi eine unermüdliche Verteidigerin der Indios, Beschützerin der Werte, die in ihren Kulturen vorlagen, und Förderin der Menschlichkeit angesichts der Mißbräuche der Kolonisatoren, die manchmal keine Skrupel kannten. Die Anprangerung der Ungerechtigkeiten und Grausamkeiten durch das Wirken von Montesinos, Las Casas, Cordoba, Fray Juan de Valle und vieler anderer war wie ein Schrei, der zu einer Gesetzgebung führte, die auf Anerkennung des sakralen Wertes der Person beruhte. … Es sind bekannte Namen, die auch bei der Fünfhundertjahrfeier mit Bewunderung und Dankbarkeit genannt wurden. Ich habe meinerseits, auch um die Züge der historischen Wahrheit herauszustellen und die christlichen Wurzeln sowie die katholische Identität des Kontinents zu betonen, die Abhaltung eines internationalen Symposiums über die Geschichte der Evangelisierung Amerikas empfohlen, das dann von der Päpstlichen Kommission für Lateinamerika organisiert wurde. Die historischen Daten zeigen, daß eine gediegene, fruchtbare und bewundernswerte Evangelisierung zustande kam und durch sie in Amerika die Wahrheit über Gott und den Menschen Bann brach, daß weiter gerade die Evangelisierung eine Art Anklagebank für alle bildete, die für diese Mißbräuche verantwortlich waren.

13. … Im Blick auf diesen konkreten Menschen stellt ihr als Hirten der Kirche die schwierige und heikle soziale Lage fest, die Lateinamerika heute erlebt in weiten Bereichen der Bevölkerung durch Armut und Randdasein. Da ihr euch mit dem Ruf der Armen solidarisch gemacht habt, fühlt ihr euch aufgerufen, die Rolle des heiligen Samariters zu übernehmen (vgl. Lk 10,25-37), denn die Liebe zu Gott zeigt sich in der Liebe zur Person des Menschen.

14. Ihr, liebe Hirten, kennt die beängstigende Lage vieler eurer Schwestern und Brüder, denen das Notwendigste zu einem echt menschlichen Leben fehlt. Trotz des Fortschritts auf einigen Gebieten bleibt und wächst sogar die Armut. Die Probleme werden noch schwerer durch den Verlust der Kaufkraft des Geldes infolge der oft unkontrollierten Inflation sowie durch die Verschlechterung der Handelsbedingungen, so daß sich dann die Preise für gewisse Rohstoffe vermindern und die internationale Verschuldung, verbunden mit schrecklichen sozialen Folgen, zur unerträglichen Last wird. Die Lage wird noch schmerzlicher durch das Problem der wachsenden Arbeitslosigkeit, die die Familie nicht mehr zu ernähren gestattet und den Zugang zu weiteren grundlegenden Gütern verwehrt, (vgl. Laborem exercens, 18). Hier liegt ein Problem der Gerechtigkeit vor, das die ganze Menschheit betrifft, vor allem jedoch die reichen Länder, die ihrer Verantwortung für die Entwicklungsländer nicht aus-weichen dürfen. Diese Solidarität ist eine Forderung des Gemeinwohls, das von allen Gliedern der Menschheitsfamilie geachet werden muß (vgl. Gaudium et spes, 26).

15. Die Welt kann angesichts der chaotischen und erschütternden Situation, die sich vor unseren Augen enthüllt nicht ruhig und zufrieden bleiben: Einige Nationen, Bevölkerungsschichten, Familien und einzelne werden immer reicher und privilegiert gegenüber Völkern, Familien und vielen Personen, die Armut leiden müssen, Opfer von Hunger und Krankheiten werden, keine würdigen Lebensverhältnisse, Gesundheitsdienste und keinen Zugang zur Natur besitzen. All dies ist ein beredtes Zeugnis für eine wirkliche Unordnung und eine institutionalisierte Ungerechtigkeit, wozu bisweilen noch die Weigerung kommt, die notwendigen Mittel zu ergreifen, Passivität und Unklugheit, wenn nicht gar die Mißachtung der ethischen Prinzipien bei der Ausübung der Verwaltungsaufgaben, wie es bei der Korruption der Fall ist. Angesichts all dessen ist „eine Änderung der Gesinnung, des Verhaltens und der Strukturen erforderlich“ (Centesimus annus, 60), um den Graben zu überbrücken, der zwischen den armen und reichen Ländern vorhanden ist (vgl. Laborem exercens, 16; Centesimus annus, 14), aber auch die tiefreichenden Unterschiede zwischen den Bürgern eines gleichen Landes. Mit einem Wort: Es muß ein neues Ideal der Solidarität angesichts des überholten Willens zur Herrschaft zur Geltung kommen.

Es geht nicht darum, um jeden Preis die Zahl der zum Mahl des Lebens Geladenen zu vermindern; es fehlt vielmehr die Vermehrung der Mittel und die gerechtere Verteilung des
Reichtums, so daß alle gleichmäßig an den Gütern der Schöpfung beteiligt werden.

Wir müssen nach Lösungen auf Weltebene suchen und eine echte Wirtschaft der Gemeinschaft und der Aufteilung der Güter sowohl in der internationalen als auch in der nationalen Ordnung anstreben. Hier wäre ein Faktor, der erheblich zur Überwindung der drängenden Probleme, mit denen der Kontinent heute zu tun hat, beitragen könnte, die Integration Lateinamerikas. Die Regierungen sind ernstlich dafür verantwortlich, den bereits begonnenen Prozeß der Integration einzelner Völker zu fördern, die der gleiche geographische Raum, der christliche Glaube, die Sprache und Kultur ein für allemal auf dem Weg der Geschichte vereint haben.

17. Wie ich bereits auf der Konferenz von Puebla bemerkt habe, gibt es von der Armut besonders betroffene Menschengruppen, wie die der Eingeborenen (vgl. 1265). An sie und auch an die Afroamerikaner wollte ich eine besondere Botschaft der Solidarität und Verbundenheit richten, und ich werde sie morgen einer Gruppe von Vertretern ihrer jeweiligen Gemeinschaften überreichen. Als Geste der Solidarität hat der Heilige Stuhl kürzlich die Stiftung „Populorum progressio“ gegründet, die über einen Hilfsfond für die Landbevölkerung, die Indios und andere Menschengruppen auf dem Land, verfügt, die in Amerika besonders schutzlos dastehen.

Ferner muß das Leben von seiner Empfängnis im Mutterschoß an bis zu seinem natürlichen Ende entschieden und nachdrücklich verteidigt werden. Es ist daher notwendig, in Amerika eine Kultur des Lebens zu schaffen, die die Antikultur des Todes aufhält, weil diese durch Abtreibung, Euthanasie, Krieg, Guerillakämpfe, Entführung, Terrorismus und andere Formen der Gewalt oder Ausbeutung in einigen Nationen das Übergewicht zu erlangen versucht. In diesem Bild von Angriffen auf das Leben nimmt einen erstrangigen Platz der Drogenhandel ein, den die zuständigen Instanzen mit allen verfügbaren erlaubten Mitteln aufhalten müssen.

28. … Lateinamerika war bisher hauptsächlich Empfängerin des Glaubens, der ihm von den Kirchen der Alten Welt übermittelt wurde. Nun muß es sich vorbereiten, die Botschaft Christi in der ganzen Welt zu verbreiten, indem es „aus seiner Armut heraus“ gibt (vgl. die Botschaften an den 3. und 4. lateinamerikanischen Missionskongreß in Santa Fé de Bogota 1987 und Lima 1991). „Ich halte die Zeit für gekommen, da alle kirchlichen Kräfte für die neue Evangelisierung und für die Mission ad gentes einzusetzen sind. Keiner der an Christus glaubt, keine Institution der Kirche kann sich dieser obersten Pflicht entziehen: Christus muß allen Völkern verkündet werden“ (Redemptoris missio,3). Diese Zeit ist auch für Lateinamerika gekommen….

Wir schließen mit der Anrufung Marias, des Sterns der ersten und der neuen Evangelisierung. Ihr, die immer gehofft hat, vertrauen wir unsere Hoffnung an. In ihre Hände legen wir unsere pastoralen Sorgen und alle Aufgaben dieser Konferenz. Wir vertrauen ihrem Mutterherzen seinen Erfolg und seine Auswirkung auf die Zukunft des Kontinents an. Sie möge uns helfen, ihren Soha zu verkünden:

„Jesus Christus gestern, heute und in Ewigkeit.“
Amen.

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