In der Karibik braut sich seit Wochen ein Konflikt zusammen, der sich jederzeit in einer offenen militärischen Konfrontation entladen kann. ABC News Live brachte am 21. Oktober 2025 eine Meldung der Nachrichtenagentur AP, die über Details der aktuellen Präsenz des US-Militärs in der Region informiert. Seit Wochen kreuzt in der Nähe der venezolanischen Küste eine Flotte aus acht hochgerüsteten Kriegsschiffen und einem atomgetriebenen U-Boot, auf denen über 4.500 Soldaten und Marines – darunter 2.200 Angehörige der 22nd Marine Expeditionary Unit (MEU) – ihren Dienst versehen. In Puerto Rico sind seit kurzem Jets vom Typ F-35B Lightning II sowie MQ-9 Reaper-Drohnen stationiert. Immer wieder durchqueren Militärflugzeuge, darunter eine Gruppe von B-52 Stratofortress-Bombern, den Luftraum. Nach Angaben der Tagesschau vom 4. September handelt es sich um die größte US-Marinepräsenz in der Karibik seit dem Ende des Kalten Krieges.
Im Internet hat ein aus der Luft gefilmtes Video die Runde gemacht, das folgende Szene zeigt: Ein Schnellboot bewegt sich mit hoher Geschwindigkeit über das offene Meer. An Bord sind mehrere Personen und Pakete zu erkennen. Ort und Zeitpunkt der Aufnahmen sind unklar. Nach rund 30 Sekunden folgt eine Explosion, anschließend endet die Aufnahme. Veröffentlicht wurde das Video von US-Präsident Donald Trump auf seiner Social-Media-Plattform. Nach seiner Darstellung sind bei der Operation des US-Militärs elf Menschen getötet worden. Dabei habe es sich um Drogenschmuggler der Organisation „Tren de Aragua“ gehandelt, die auf dem Weg in die USA gewesen seien. Später schränkte US-Außenminister Marco Rubio ein, das Boot sei wahrscheinlich in Richtung Trinidad und Tobago oder in ein anderes Karibikland unterwegs gewesen. Unabhängige Belege für diese Angaben legte die Regierung nicht vor.
Militär und CIA als Kämpfer im Drogenkrieg?
Inzwischen folgten weitere Aktionen dieser Art, der bislang 32 Menschen zum Opfer gefallen sind. Amnesty International spricht von Mord und laut Völkerrecht sind solche Angriffe auf Zivilisten in internationalen Gewässern verboten. Auf einer Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrates, die am 10. Oktober in New York stattfand, verurteilten die Vertreter Chinas und Russland die Aktionen des US-Militärs. Trump hatte diese mit dem Kampf gegen die in der Region tätigen Drogenkartelle begründet, die er kurzerhand zu Terrororganisationen erklärt hatte. Anfang August hatten die Behörden in Washington die Belohnung für Angaben, die zur Verhaftung von Nicolás Maduro, dem Präsidenten Venezuelas, führen würden, auf 50 Millionen US-Dollar verdoppelt. Wie aus der Pressemitteilung des US-Außenministeriums hervorgeht, werden ihm Verstöße gegen die US-Drogengesetze vorgeworfen.
Damit nicht genug: Auf einer Pressekonferenz am 15. Oktober (Ortszeit) hat Trump einen Bericht der New York Times bestätigt, dass er der CIA die Genehmigung erteilt habe, verdeckte Operationen in Venezuela durchzuführen. Als Gründe führte er zum einen an, dass die venezolanische Regierung massenhaft Gefängnisinsassen in die USA geschickt habe; zum anderen würden viele Drogen über Venezuela illegal in die Vereinigten Staaten gelangen. Beide Aktionen gefährdeten die nationale Sicherheit der USA.
Friedensnobelpreis als Teil eines Regime Change?
Ironischerweise passt auch die diesjährige Verleihung des Friedensnobelpreises in das von Trump entworfene Bild von Venezuela. Die Auszeichnung wurde in der Zeremonie am 10. Oktober in Oslo zwar nicht an den „Friedenspräsidenten“ vergeben, es ist aber mehr als ein Zufall, dass María Corina Machado den Preis erhielt. Die Venezolanerin ist eine erklärte Gegnerin Maduros und führt die Opposition gegen ihn an. Sie setzt sich für eine Verschärfung der Sanktionen gegen ihr eigenes Land ein, die Trump 2017 verhängt hatte. Machado, die aus einer wohlhabenden Industriellenfamilie stammt, kümmert es wenig, dass davon vor allem die Armen im Land getroffen werden. Der Wirtschaftskrieg, den Washington gegen Venezuela führt, ist einer der Hauptgründe für den wirtschaftlichen Niedergang des südamerikanischen Landes. Aber Machado geht noch weiter: Sie fordert immer wieder eine direkte Intervention der USA in Venezuela, um einen Regime Change herbeizuführen. An dieser Stelle schließt sich der Kreis: Alle genannten Aktionen dienen einem Ziel – dem Sturz der venezolanischen Regierung. Es genügt ein Blick auf die Riege von Maduros Gegnern, die von Trump, über die europäischen Eliten bis zur venezolanischen Oligarchie reicht, um sich vorzustellen, was geschieht, sollte dieser Regime Change gelingen. Der Ernst der Situation rückt zwei Fragen in den Vordergrund, die hier kurz erörtert werden sollen: Wie glaubwürdig ist der Vorwurf des Drogenschmuggels zur Rechtfertigung der Kanonenbootpolitik Trumps und was sind die wahren Gründe für die jetzige Zuspitzung der Situation?
„Die wahren Routen der Drogen: Geografie versus Propaganda“
Bei der Überprüfung der Behauptung des US-Präsidenten, dass es sich bei Venezuela um einen Drogenstaat handele und Maduro höchstpersönlich Chef eines Drogenkartells sei, wird schnell klar, dass es sich um Propaganda handelt, die allein der Legitimierung eines geplanten Regime Change dient. Pino Arlacchi, ein italienscher Soziologieprofessor, der als stellvertretender Generalsekretär der Vereinten Nationen das Drogen- und Verbrechensbekämpfungsprogramms der UNO (UNODC) leitete, hat in einem kürzlich erschienenen Beitrag Trumps Argumentation als Lügengebäude enttarnt. Sowohl der geographischen Gegebenheiten als auch alle bekannten Fakten belegen, dass Venezuela im regionalen Drogenhandel eine marginale Rolle spielt und es sich bei dem venezolanischen „Cártel de los Soles” um eine Fiktion handelt. Dazu Arlacchi: „Kolumbien produziert mehr als 70 Prozent des weltweiten Kokains. Auf Peru und Bolivien entfällt der größte Teil der restlichen 30 Prozent. Die naheliegenden Routen in die Märkte der Vereinigten Staaten und Europas führen über den Pazifik nach Asien, über die östliche Karibik nach Europa und über Land durch Mittelamerika in die Vereinigten Staaten. Venezuela, das an den Südatlantik grenzt, ist für die drei Hauptrouten geografisch im Nachteil. Die Logik der kriminellen Logistik macht Venezuela zu einem Randakteur im weiten Szenario des internationalen Drogenhandels.“
Der Bericht der UNODC vom Jahr 2025 bestätigt dies ebenso wie die vorherigen Jahresberichte. Arlacchi macht dazu folgende Angaben: „Nur fünf Prozent der kolumbianischen Drogen passieren Venezuela. Um diese Zahl in Perspektive zu setzen: 2018 liefen 210 Tonnen Kokain über Venezuela, während Kolumbien 2.370 Tonnen produzierte oder vermarktete (zehnmal so viel) und Guatemala 1.400 Tonnen. Nebenbei bemerkt: In Kolumbien verfügen die USA über sieben Militärbasen, umgeben von Kokaproduzenten.“ Auch der Europäischen Drogenbericht 2025 erwähnt Venezuela an keiner Stelle als Korridor des internationalen Drogenhandels. Stattdessen entwickelt sich Ecuador zu einem „wahren Zentrum“ des Drogenhandels. „Im Jahr 2024 meldete Spanien seinen bislang größten Fall sichergestellten Kokains (13 Tonnen), das in einer Bananenlieferung mit Ursprung in Ecuador versteckt war“ (EUDA 2025). Dort schnellte die Mordrate von 7,8 pro 100.000 Einwohner im Jahr 2020 auf 45,7 im Jahr 2023 hoch. Im Unterschied dazu bleibt „Kuba … das Vorzeigemodell der Drogenbekämpfungskooperation in der Karibik“, so Arlacchi.
Erdöl und andere Begehrlichkeiten
Der italienische Drogenexperte verrät auch den wahren Grund für die systematische Dämonisierung Venezuelas – Erdöl! Der Ölsektor ist nicht nur die Hauptzielscheibe der US-Sanktionen, die riesigen Erdölvorkommen des südamerikanischen Landes sind das eigentliche Objekt der Begierde von Donald Trump. Seine Politik ist bislang insofern erfolgreich, als dass die Förderleistungen seit 2017, dem Beginn der Sanktionen, dramatisch eingebrochen sind und der venezolanische Ölexport schweren Einschränkungen ausgesetzt ist. So ist die Fördermenge von fast zwei Millionen Barrel pro Tag (b/d) Mitte 2017 drei Jahre später auf einen Tiefstand von rund 350.000 b/d gesunken. Im interamerikanischen Vergleich der Erdölproduzenten liegt Venezuela derzeit (2024) mit 956.000 b/d auf dem 5. Platz. Als weltweit größter Produzent fördern die USA über 20 Millionen b/d. Es folgen, Kanada mit 6 Millionen und Brasilien mit 3.5 Millionen b/d auf dem zweiten bzw. dritten Rang. In Mexiko beläuft sich die Fördermenge auf knapp zwei Millionen. 90 Prozent der venezolanischen Ölexporte gehen nach China, wobei der Anteil Venezuelas an den Ölimporten der Volksrepublik, die 2024 insgesamt bei 11 Millionen b/d lagen, knapp ein Prozent beträgt.
Angesichts dieser Zahlen könnte man schlussfolgern, dass der Faktor „Erdöl“ wohl kaum so wichtig ist, wie von Arlacchi behauptet. Das Bild verändert sich jedoch schlagartig, wenn man weiß, dass Venezuela mit 303 Milliarden Barrel die größten Erdölreserven weltweit besitzt. Das sind immerhin 17 Prozent aller globalen Reserven. Wenn man zudem bedenkt, dass die USA nur über einen Anteil von 2,7 Prozent (10. Rang) verfügen und auch Kanada etwas über zehn Prozent (4. Rang) liegt, dann dürfte die große geostrategische Bedeutung Venezuelas auf der Hand liegen. Die restlichen Plätze der Top 10 werden von den Ölstaaten am Persischen Golf (Saudi-Arabien, Iran, Irak, VAE, Kuwait), Libyen (Rang 9) und Russland (Rang 7) belegt. Hinzu kommt, dass Venezuela außerdem über zahlreiche andere Rohstoffe verfügt. Neben großen Vorkommen an Erdgas lagern dort bedeutende, oft noch ungenutzte Mengen an Eisenerz, Bauxit und Gold. Außerdem werden auch Lithiumvorkommen vermutet. Aus der Sicht Washingtons bietet die geographische Nähe Venezuelas am Südrand der Karibik einen zusätzlichen logistischen und strategischen Vorteil.
Die wahren Interessen Washingtons
Wenn Trump gerade jetzt in der Karibik propagandistisch und militärisch eskaliert, dann hat dies noch weitere Gründe. Sie liegen in der politischen Orientierung Venezuelas, das eng mit China, Russland und dem Iran zusammenarbeitet. Alle drei Länder gelten in Washington als die gefährlichsten Herausforderer der wertorientierten Weltordnung des Westens. Und als solche haben sie in der Westlichen Hemisphäre, die gemäß der Monroe-Doktrin von 1823 von den USA als Einfluss- und Sicherheitszone beansprucht wird, nichts zu suchen. Wie eng die Beziehungen zu Russland sind, zeigt der Besuch von Nicolás Maduro in Moskau, wo er am 9. Mai zusammen mit seinen Amtskollegen aus Kuba und Brasilien an den Feierlichkeiten zum 8o. Jahrestag des Sieges über den Faschismus teilnahm. Dort unterzeichneten er und der russische Präsident Vladimir Putin ein Abkommen über strategische Partnerschaft. Seit 2019 haben beide Staaten 350 Abkommen miteinander abgeschlossen und arbeiten in 18 gemischten Kommissionen zusammen. Zahlen, die das neue Abkommen nach Medienberichten noch übertreffen soll. China ist der wichtigste Handelspartner Venezuelas. Bei seinem fünften Besuch in der Volksrepublik im September 2023 unterzeichnete Maduro zahlreiche Vereinbarungen zur Vertiefung der Zusammenarbeit mit China. Außerdem ist Venezuela ein Anwärter auf den Status eines Partnerlandes der BRICS+. Angesichts des hohen Stellenwertes, den Venezuela als strategischer Partner Chinas und Russlands besitzt, spricht die Logik dafür, dass es sich bei den Aktionen der Trump-Regierung in der Karibik nicht um Drogenbekämpfung, sondern um die Eindämmung der beiden wichtigsten Kontrahenten Washingtons handelt.
Sollte Trump an seiner Eskalationsstrategie festhalten und ernsthaft einen Regime Change in Caracas anstreben, dann haben wir es nach der Ukraine, Westasien und dem Südchinesischen Meer mit einem vierten Brandherd zu tun, der die Welt in einen großen Krieg stürzen kann. Die ökonomische Krise und die politische Polarisierung zwischen dem chavistischen Lager und der Opposition unter Führung von María Machado könnten Trump und seinen Außenminister Marco Rubio zu der Annahme verleiten, dass sie es in der Karibik mit dem schwächsten Kettenglied in der Reihe der vier Konfliktherde im Ringen um eine multipolare Weltordnung zu tun haben. Eine solche Einschätzung ist nicht nur höchst gefährlich, sondern blendet auch einen entscheidenden Faktor aus: die Bereitschaft der venezolanischen Massen und der Völker Lateinamerikas zum anti-imperialistischen Widerstand.
Im Rahmen der „Strategie der integralen Vereidigung“ hat die venezolanische Regierung mit der Operation „Independencia 200“ begonnen. In verschiedenen strategischen Regionen wie Mérida, Trujillo, Lara und Yaracuy wurden Militärübungen durchgeführt. Die venezolanischen Truppen an den Grenzen zu Kolumbien und Brasilien wurden ebenso aktiviert wie die Milizen, denen 6,2 Millionen Venezolaner und Venezolanerinnen angehören. Es bleibt abzuwarten, ob es sich im Falle der aktuellen militärischen Eskalation „nur“ um die üblichen Drohgebärden Trumps handelt oder ob mehr dahinter steckt. Wie auch immer: In der Karibik ist (erneut) ein Konfliktherd aufgebrochen, den es im Auge zu behalten gilt.
Quellen:
AP vom 21.10.2025 unter: https://abcnews.go.com/US/wireStory/us-militarys-unusually-large-force-caribbean-sea-126731617
Arlacchi, Pino: Der große Witz gegen Venezuela: Geopolitik als Drogenbekämpfung getarnt, Beitrag von amerika21 vom 6.9.2025 unter: https://amerika21.de/analyse/276810/venezuela-usa-geopolitik-oel-und-drogen; auch als Beitrag der Nachdenkseiten unter: https://www.nachdenkseiten.de/upload/flyer/250906_Drogenstaat_Venezuela_NDS.pdf
Austen, Thorben: Lateinamerikanische Präsidenten zu Besuch in Russland, Beitrag von amerika21 vom 9.5.2025 unter: https://amerika21.de/2025/05/275128/lateinamerika-tag-des-sieges
Blumenthal, Max: Gunboat diplomacy, Video von Grayzone vom 5. September 2025; zur Verleihung des Friedensnobelpreises an María Corina Machado vgl. Video von Grayzone mit Max Blumenthal.
ENI: World Energy Review 2025. Rom 2025
European Union Drugs Agency (EUDA): Europäischer Drogenbericht 2025. Trends und Entwicklungen, unter: https://www.euda.europa.eu/publications/european-drug-report/2025_de
Fernández Cruz, Isabel: Maduro asegura que plan de defensa ante “amenaza” de EEUU está activo en toda Venezuela, Beitrag vom 21. Oktober 2025 unter: https://estoyenlafrontera.com/noticias/maduro-asegura-que-plan-de-defensa-ante-amenaza-de-eeuu-esta-activo-en-toda-venezuela/
Tagesschau vom 8.8. 2025 unter: https://www.tagesschau.de/ausland/amerika/usa-maduro-belohnung-100.html
Tagesschau vom 4.9.2025 unter: https://www.tagesschau.de/ausland/amerika/usa-marine-karibik-venezuela-100.html
Tagesschau vom 10.10.2025 unter: https://www.tagesschau.de/ausland/europa/friedensnobelpreis-machado-100.html
United Nations Office on Drugs and Crime (UNODC): World Drug Report 2025, unter: https://www.unodc.org/unodc/data-and-analysis/world-drug-report-2025.html
Vaz, Ricardo: Venezuela: Ölsektor bleibt stabil, Unsicherheit im Hinblick auf Trumps Politik, unter: https://amerika21.de/2025/01/273382/venezuela-oelsektor-bleibt-stabil
Weiser, David: Der Friedensnobelpreis geht indirekt doch an Trump, in: Jacobin, 17. Oktober 2025, unter: https://jacobin.de/artikel/friedensnobelpreis-maria-machado-donald-trump-venezuela
Yujing Chentu: The China angle in Trump’s Venezuela adventure, in: Asia Times, 17.9.2025 unter: https://asiatimes.com/2025/09/the-china-angle-in-trumps-venezuela-adventure/
Bildquellen: Quetzal-Redaktion [1] gc, [2] soleb