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Südamerika: US-Militärstützpunkte in Kolumbien und der Streit um Gemeingüter

Raúl Zibechi | | Artikel drucken
Lesedauer: 9 Minuten

Das bevorstehende Abkommen zwischen den USA und Kolumbien über die Nutzung von sieben Militärstützpunkten durch das US-Südkommando ist einer der Anlässe für die heftigen Diskussionen, die derzeit in Südamerika über Gemeingüter geführt werden.

Zunächst einige aktuelle Informationen:

  • Venezuela ist an die erste Stelle der Länder mit den weltweit größten potentiellen Erdölreserven gerückt, nachdem die staatliche Erdölgesellschaft Petroléos de Venezuela SA (PDVSA) bekannt gab, dass sich im Orinoco-Streifen Reserven von 314 Mrd. Barrel befinden. Laut PDVSA verdrängt Venezuela dadurch Saudi-Arabien, dessen Vorkommen mit 264 Mrd. Barrel angegeben wird, auf Platz zwei der Liste (1).
  • Fatih Birol, Chefökonom der Internationalen Energie-Agentur (IEA), bestätigt, dass die Ölkrise viel früher als erwartet eintreten wird: „Wir bewegen uns auf eine katastrophale Energiekrise zu, die eine Erholung der Weltwirtschaft verhindern könnte, denn der Großteil der wichtigsten Ölfelder hat den Höhepunkt der Förderung bereits überschritten.“ Birol zufolge waren die in der Vergangenheit von der IEA verwendeten Daten fehlerhaft. Das Maximum der weltweiten Ölförderung (Peak Oil) werde bereits in 10 Jahren und nicht wie zuvor behauptet im Jahr 2030 erreicht.

Der Chefökonom weiter: „Bei der ersten genauen Untersuchung von mehr als 800 Ölfeldern auf der ganzen Welt, die zusammen drei Viertel der globalen Reserven ausmachen, zeigte sich, dass das Fördermaximum der meisten Felder bereits erreicht war und dass die Ölproduktion nun fast doppelt so schnell zurückgeht, wie man noch vor zwei Jahren errechnet hatte.“ Im Jahr 2007 hatte die IEA den Rückgang noch auf 3,7 Prozent geschätzt, während er jetzt bei 6,7 Prozent liegt. (2)

  • In der Liste der größten Handelspartner Lateinamerikas lag China vor zwanzig Jahren noch auf Platz 12, mit einem Handelsvolumen von insgesamt etwas mehr als 8 Mrd. US-Dollar. Seit 2007 ist das Land der zweitgrößte Partner und die Zahl ist auf mehr als das 13-fache angestiegen. Seit den 1990er Jahren baut China eine strategische Partnerschaft mit Brasilien auf, später sind Venezuela, Mexiko, Argentinien, Chile und Peru hinzugekommen.

Ausweitung des Handelsvolumens zwischen Brasilien und China (Foto: Agencia Brasil, Ricardo Stuckert)In diesem Jahr hat China Vereinbarungen zur Verdoppelung seines Entwicklungsfonds in Venezuela auf 12 Mrd. USD geschlossen, daneben gewährt es Ecuador 1 Mrd. USD für den Bau eines Wasserkraftwerks, und Argentinien erhält für verschiedene Projekte Zugriff auf 10 Mrd. USD. Weitere 10 Mrd. USD gehen an die staatliche Ölförderungsgesellschaft Brasiliens. Offiziellen brasilianischen Angaben zufolge erreichte das Handelsvolumen zwischen Brasilien und China im Jahr 2008 36,4 Mrd. USD und ist damit im vergangenen Jahr um 55,9 Prozent gestiegen. Seit April dieses Jahres ist China Brasiliens Handelspartner Nummer eins und hat somit selbst die USA überholt. Die nach 15-jähriger Verhandlungsdauer erfolgte Zulassung Chinas als Geberland in der Interamerikanischen Entwicklungsbank (IDB) im April war ein wichtiges Zeichen für das wachsende Engagement des Landes, seine Beziehungen mit dieser Region auszubauen. (3)

  • In der Wirtschaftspolitik Brasiliens und in Hinblick auf das Verhältnis des Landes zu den USA fand eine bedeutende Wende statt: Von August 2008 bis Mai dieses Jahres – zum Zeitpunkt des Ausbruchs der Weltwirtschaftskrise – verringerte Brasilien seine Investitionen in US-Anleihen um 17 Prozent. Damit ist Brasilien unter den 15 größten Kreditgebern der USA das Land, das seine Investitionen am stärksten zurückfuhr. Dagegen erhöhte Russland im gleichen Zeitraum seine Käufe von durch die US-Notenbank ausgegebenen Anleihen um 20 und China um 40 Prozent. (4)
  • Das staatliche chinesische Erdölunternehmen CNPC entschied, seine Käufe in Afrika und Lateinamerika auszuweiten, da „die relativ niedrigen Preise der Vermögenswerte dem Unternehmen dieses Jahr beispiellose Gelegenheiten bieten“. Eine dieser Gelegenheiten könnte der Kauf von 84 Prozent der Anteile von Repsol YPF in Argentinien für 17 Mrd. USD sein. Dieses Geschäft, an dem auch das drittgrößte chinesische Erdölunternehmen CNOOC beteiligt ist, wäre die größte Auslandsinvestition Chinas im Ölsektor. (5)

Diese Ereignisse, von denen die internationale Presse Mitte August dieses Jahres berichtete, zeigen, wie hart der Kampf zwischen den Wirtschaftsmächten um die natürlichen Ressourcen Südamerikas tobt. Daneben haben die wichtigsten Länder dieser Region (Argentinien, Brasilien und Venezuela) begonnen, ihre Geschäfte in anderen Währungen als dem US-Dollar abzuwickeln und Partnerschaften mit asiatischen und anderen Schwellenländern einzugehen.

Welchen Einfluss diese mit Hegemonie verbundenen ökonomischen Faktoren auf die Entscheidung der USA haben, ihre militärische Präsenz in Kolumbien zu erhöhen, ist klar daran zu erkennen, dass Obama immer mehr strategische Entscheidungen für diese Region trifft.

Gegen wen richten sich die Stützpunkte?

US Militärbasen in Lateinamerika. Grafik: Lencer.Den Vereinigten Staaten geht es angeblich vor allem darum, die Basis in Manta, Ecuador, zu ersetzen, die sie im November verlassen müssen, von der sie sich jedoch ohnehin bereits zurückgezogen haben. Präsident Alvaro Uribe gibt an, mit Unterstützung der USA den sogenannten Kolumbien-Plan fortsetzen zu wollen, womit die Fortsetzung des Kampfes gegen die FARC bis zum Sieg und das Vorgehen gegen den Drogenhandel gemeint sind. In diesem Punkt stimmen Bogotá und Washington vollständig überein, zudem bietet die Erhöhung der US-Militärpräsenz für die kolumbianischen Machthaber ein gutes Mittel zur Lösung eventueller Konflikte zwischen beiden Ländern.

Die im vergangenen Jahr beschlossene Reaktivierung der Vierten Flotte wurde nun mit sieben Stützpunkten abgeschlossen, die vom Südkommando genutzt werden können, sobald es nötig erscheint. Natürlich bemühen sich Washington und Bogotá, die Behauptung aufrecht zu erhalten, dass es sich bei keinem dieser Stützpunkte um US-Basen handelt, da sich die Basen wie zuvor unter der Kontrolle des kolumbianischen Staates und seiner Streitkräfte befinden werden, und dass die Zahl der im Land stationierten 800 Soldaten und 600 Mitarbeiter in Zukunft nicht erhöht wird.

Dies stimmt jedoch nur teilweise. Die heutigen Gegebenheiten führen zu neuen, flexibleren militärischen Modellen anstelle von unbeweglichen Anlagen, großen Konzentrationen von Menschen und Ausrüstung an einem Ort, wie sie während des Kalten Krieges üblich waren. Dargestellt ist dies in dem Bericht „Global en Route Strategy“ der US-Luftwaffe vom April 2009. Darin wird die Bedeutung von Anlagen insbesondere für den Luftverkehr herausgestellt, da sie eine Kontrolle aus der Distanz und ein abschreckendes Vorgehen ermöglichen und die direkte Intervention außergewöhnlich kritischen Situationen vorbehalten bleibt. Das vorrangige Interesse der Supermacht besteht also in der Kooperation mit Regierungen der Region, um Radare und Überwachungssysteme installieren sowie Flughäfen und Häfen nutzen zu können. Diese Kooperation ist von viel größerer Bedeutung als die direkte militärische Präsenz, welche aufgrund heutiger technischer Möglichkeiten nur eine Frage von Stunden ist.

Die erneute Aktivierung des Südkommandos weist jedoch in eine andere Richtung. Für Juan Gabriel Tokatlián, Professor für Internationale Beziehungen an der argentinischen Di Tella-Universität, „geht die Botschaft vor allem an Brasilien, nicht an Venezuela“. (6) Er hat Recht, doch müssen ein paar Details hinzugefügt werden. Brasilien bedeutet, gemäß der herrschen­den Logik Washingtons, „das Amazonasgebiet“, und darunter sind wiederum „natürliche Ressourcen“ zu verstehen. Zum Zweiten könnte das bevorstehende Abkommen über die Nutzung der sieben kolumbianischen Militärbasen durch das Südkommando mit dem erstarkenden Bündnis zwischen China und Brasilien zusammenhängen, dessen Handel über die Anden verlaufen würde.

Die Einkreisungsstrategie

Diese Fakten können je nach Standpunkt des Betrachters unterschiedlich beurteilt werden. Brasilien traf der Beschluss, die militärische Präsenz des Südkommandos in der Region zu erhöhen, wie ein Schlag. Außenminister Celso Amorim und der Berater für internationale Beziehungen Marco Aurelio García äußerten sich sehr deutlich. Amorim erklärte gegenüber der Folha de Sao Paulo: „Was Brasilien Sorgen macht, ist eine starke militärische Präsenz der USA, deren Ziel und Potenzial weit über das hinausreichen könnten, was die kolumbianischen Bedürfnisse erfordern.“ Er fügte hinzu, die Behauptung Bogotás, die FARC seien nahezu vollständig besiegt, stehe im Widerspruch zur Erhöhung der US-Militärpräsenz zu ihrer Bekämpfung. „Es ist wichtig, dass in der Region Transparenz und Klarheit herrscht. Dies hat vielleicht gefehlt. Zum Beispiel wäre es gut, formale Garantien darüber zu erhalten, wie diese Stützpunkte genutzt werden sollen.“ (7)

US SouthCom Unitas Manöver 2009. Foto: U.S. Southern Command, U.S. Navy photo by Mass Communication Specialist Seaman Patrick Grieco.Präsident Lula da Silva dagegen verbindet die Militärbasen und die erneute  Reaktivierung der Vierten Flotte mit den enormen Erdölvorkommen, die sich 7000 Meter unter dem Atlantik in den Bundesstaaten Santa Catarina und Espíritu Santo befinden und die Unabhängigkeit Brasiliens von anderen Energiequellen sichern würden. Damit schließt er sich der alten Furcht der Strategen und Militärs seines Landes vor einer „Einkreisungspolitik“ (Geopolítica del Cerco) an. Und tatsächlich zeigen die Ergebnisse dreier Studien zur militärischen Präsenz der USA in Südamerika, die im Jahr 2002 vom militärischen Geheimdienst mit Sitz in Brasilia durchgeführt wurden, dass in den Jahren 2001 und 2002 6300 US-Militärangehörige Lande­bahnen und Militäranlagen in Form eines „Gürtels“ um Brasilien errichteten. (8)

Laut einer der Studien („Präsenz der USA in Südamerika”), die unter der Führung des damaligen Infanterie-Oberst und jetzigen Militärchefs der Nordost-Region, José Alberto da Costa Abreu, entstand, folgt dadurch hauptsächlich die „Verringerung der Fähigkeit Brasiliens, Macht auf regionaler Ebene zu planen, da in der Nähe der brasilianischen Grenze, vor allem in der Amazonas-Region, ein ‚Gürtel‘ US-amerikanischer Anlagen entstanden ist.“ (9)

In einer Reihe von Berichten auf der Webseite des brasilianischen Militärs Defesanet ist zu lesen, dass 25 Prozent des von den USA verbrauchten Erdöls aus den Andenländern stammen, und dass das Amazonas-Problem die brennendste Frage in der Region sowie ein extrem sensibles Thema für Brasilien ist.

Endnoten:

(1) Xinhua, 13. August 2009.
(2) The Independent, 3. August 2009.
(3) Diario del Pueblo, 11. August 2009.
(4) Folha de Sao Paulo, 12. August 2009.
(5) China Daily, 12. August 2009.
(6) Página 12, 7. August 2009.
(7) dpa Brasilia, 2. August 2009.
(8) Defesanet, 2. August 2009.
(9) Ebd.

Übersetzung aus dem Spanischen: Anja Kanbach

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Raúl Zibechi ist internationaler Analyst der Wochenzeitung Brecha aus Montevideo, Dozent und Forscher für soziale Bewegungen an der Multiversidad Franciscana de América Latina und Berater verschiedener sozialer Vereinigungen. Er ist der Verfasser des monatlichen „Zibechi-Berichts“ für das Americas-Programm.

Dieser Artikel erschien bereits im August 2009 in Programa de las Américas / Americas Program. Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung des Americas Program.

Bildquellen:

1) Brasilien/China: Agencia Brasil, Ricardo Stuckert.
2) US Militärbasen: Lencer
3) US SouthCom Manöver: U.S. Southern Command_, U.S. Navy photo by Mass Communication Specialist Seaman Patrick Grieco.

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