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Puerto Rico – Das Sorgenkind der USA

Lisa Krause | | Artikel drucken
Lesedauer: 11 Minuten

Puerto Rico steht vor einem riesigen Schuldenberg von 72 Mrd. US-Dollar sowie einer möglichen Zahlungsunfähigkeit in wenigen Monaten. Laut Gouverneur Alejandro García Padilla ist die Lage so akut, dass sich die Insel spätestens im Mai als zahlungsunfähig bekennen werde, da nicht genügend Geld zur Verfügung steht, um seinen Obligationen nachzukommen. Sollte es soweit kommen, ohne dass eine Einigung mit den Gläubigern erreicht wird, warnte der Gouverneur vor einer humanitären Krise auf der Insel. Eine Schuldenrate über 757 Mio. US-Dollar Anfang des Jahres wurde nur teilweise beglichen. Diese Parallelen erinnern an das europäische Sorgenkind Griechenland, doch die Situation in Puerto Rico unterscheidet sich von der griechischen in einer Reihe von Aspekten.

Puerto Rico: Gouverneur Alejandro García Padilla - Foto: Presidencia República DominicanaWährend die Staatsverschuldung 1949 bei lediglich 910 Mio. US-Dollar lag, mussten in den folgenden Jahren Kredite mit unvorteilhaften Konditionen für Puerto Rico abgeschlossen werden, die für einen großen Teil der heutigen Schulden verantwortlich sind. Im vergangenen Jahr erklärte der Gouverneur der Insel, die finanzielle Lage habe sich so zugespitzt, dass man die angehäuften Schulden nicht mehr bezahlen könne. Obwohl diese Aussage einer Illiquiditätserklärung gleichkommt, sei so ein Schritt laut US-Bundesgesetzen nicht für Puerto Rico möglich. Eine anerkannte Zahlungsunfähigkeit könnte Puerto Rico gegen Forderungen von Gläubigern schützen, indem ein Teil der Schulden erlassen wird. Jedoch haben verschiedene Kreditgeber bereits angekündigt, auf die vollständige Rückzahlung der Verpflichtungen zu bestehen und notfalls per Gerichtsurteil die Begleichung durchzusetzen, sollte Puerto Rico unilateral seine Insolvenz erklären. Die hohen Schulden sowie die Teilzahlungen von anfallenden Raten haben zu einer Abstufung der Bonität geführt, was den Zugang zu den Märkten weiter erschwert und die Kosten erhöht.

Um diese Situation besser zu verstehen, ist es notwendig, einen kurzen Blick auf die Geschichte der Insel zu werfen. Im Laufe der spanischen Eroberung Amerikas wurde auch das heutige Puerto Rico kolonisiert und war bis 1898 Teil des spanischen Kolonialreiches. Nach dem Sieg der USA über Spanien im Spanisch-Amerikanischen Krieg verlor Spanien einige seiner verbliebenen Kolonien, u.a. Puerto Rico, welche nun von den USA besetzt wurden. Seit 1952 zählt Puerto Rico als freier assoziierter Staat der USA. Das heißt für die Insel, dass es ein nicht inkorporiertes Außengebiet ist und somit zu den Vereinigten Staat gehört, aber kein offizieller Bundesstaat ist. Trotzdem besitzen Puerto Ricaner die US-Staatsbürgerschaft und können sich demnach im gesamten US-Festland dauerhaft niederlassen. Im Kongress wird die Insel von einem vor Ort gewählten Repräsentanten vertreten, der jedoch selbst über kein Stimmrecht verfügt. An Präsidentschaftswahlen dürfen allerdings nur Puerto Ricaner teilnehmen, die im Bundesgebiet der USA leben. Aufgrund dieser Stellung ist Puerto Rico kein souveräner Staat und besitzt folglich auch kein vollständiges Selbstbestimmungsrecht, sodass es in vielen Gebieten, u.a. im finanzpolitischen Bereich, von der Regierung und den Gesetzen der USA abhängig ist. Im Falle der Finanz- und Wirtschaftskrise bedeutet das, dass Puerto Rico keine eigene Währungspolitik betreiben darf und beispielsweise die lokale Währung, den US-Dollar, nicht abwerten kann. Dieser Bereich unterliegt den Entscheidungen in Washington. Daraus folgt, dass die Insel keine der üblichen Maßnahmen eines Staates umsetzen kann, um auf eine Krise zu reagieren sowie keine monetären Hilfen in Form von Krediten und ähnlichen bei internationalen Organisationen wie der Weltbank oder dem Internationalen Währungsfond beantragen kann. In diesem Kontext ist es auch zu verstehen, dass Puerto Rico aufgrund seiner besonderen Stellung innerhalb der USA kein Recht hat, sich auf Kapitel 9 des Konkursgesetzes zu berufen, wie es vor einigen Jahren die Stadt Detroit getan hatte.

Puerto Rico: Lage Puerto Ricos in der Karibik - Foto: Raimond SpekkingIm August 2015 kam Puerto Rico erstmals einer Ratenzahlung nicht nach. Von den anstehenden 58 Mio. US-Dollar zahlte die Insel lediglich 628.000 US-Dollar. Die lokale Regierung begründet diese Entscheidung damit, dass sonst grundlegende öffentliche Leistungen nicht für die Bevölkerung zur Verfügung gestellt werden könnten. Jedoch war es dem Gouverneur wichtig zu betonen, dass es sich um eine Nichtzahlung und nicht um eine Zahlungsunfähigkeitserklärung handele. Einige Analysten der Situation sehen diesen Schritt eher als Druckmittel für Verhandlungen. Weitere Zahlungsverpflichtungen werden nur mittels nicht nachhaltiger Notfallmaßnahmen, wie das Zurückgreifen auf Pensionsfonds und das kurzfristige Umschulden, beglichen. Der Mangel an finanziellen Möglichkeiten bringt Puerto Rico nicht nur in Zahlungsschwierigkeiten gegenüber seinen Gläubigern, sondern auch gegenüber seinen Bürgern, d.h. staatlichen Leistungen und Gehältern im öffentlichen Dienst, die immer schwerer zu finanzieren sind. Letzteres ist von besonderer Bedeutung, da die Regierung der größte Arbeitgeber der Insel ist.

Die Ursachen für die heutige Wirtschafts- und Finanzkrise sind vielseitig. Puerto Ricos Wirtschaft war bis in die 1940er Jahre hauptsächlich landwirtschaftlich geprägt. Zucker, Tabak und Kaffeebohnen zählten zu den wichtigsten Agrarprodukten. In den darauffolgenden Jahren konzentrierte sich die Wirtschaft auf die Produktion und den Dienstleistungsbereich, hier besonders im pharmazeutischen Bereich. Die Insel befindet sich seit acht Jahren in einer Rezession, die zur Folge hat, dass es mehr Ausgaben als Einnahmen gibt. In diesem Zusammenhang spielt sicherlich auch der Small Business Act eine Rolle. Diese Entscheidung von 1996 annullierte die Steuervorteile für US-Unternehmen, die zur Belebung der puerto-ricanischen Wirtschaft in den 1970er Jahren im US Steuergesetz eingeführt wurde. Nach einer zehnjährigen Übergangszeit, in denen 60% der Investitionen und Gehälter zurückgefordert werden konnten, verließen viele US-amerikanische Unternehmen die Insel wieder. Des Weiteren ist Puerto Rico wenig attraktiv für Unternehmen, da zum einen qualifizierte Fachkräfte fehlen und zum anderen die Lohnkosten nicht niedrig genug sind. Da die Einwohner Puerto Ricos US-Staatsbürger sind, können die Gehälter nicht unterhalb des Mindestlohnes gesenkt werden. Zudem sind die Transportwege in die USA lang und damit teuer. All diese Gründe zeigen auf, dass Puerto Rico keinen wirtschaftlichen Vorteil gegenüber seinen Nachbarn im Handel mit den USA hat.

Zwei Berichte von ehemaligen IWF-Ökonomen, einer im Auftrag der lokalen puerto-ricanischen Regierung und ein weiterer im Auftrag eines Zusammenschlusses von verschiedenen Hedgefonds, haben die Sachlage analysiert und Maßnahmen für die Zukunft empfohlen, die die Position des jeweiligen Auftraggebers widerspiegelt.

Die Studie im Auftrag der Regierung führt die Krise auf strukturelle, institutionelle und wirtschaftliche Probleme zurück und empfiehlt der Insel, die Schulden umzustrukturieren. Nach Berechnungen der Ökonomen werde Puerto Rico bis 2025 rund 4 Mrd. US-Dollar mehr einnehmen und weitere 2,5 Mrd. US-Dollar sparen können. Trotzdem werde es eine Finanzierungslücke für Zins- und Tilgungszahlungen zwischen 2016 und 2023 geben. Eine Umschuldung durch einen freiwilligen Austausch von bereits laufenden Anleihen durch Bonds mit längeren oder niedrigen Schuldendienstprofilen könne das Defizit ausgleichen. Jedoch ist eine Umschuldung in diesem Umfang noch nie unternommen worden, sodass noch unklar ist, ob dies eine nachhaltige Lösungsmöglichkeit sein kann. Neben diesem Vorschlag legen die Ökonomen nahe, den Haushaltsplan einzuhalten sowie Kosten zu senken. Da es Grenzen bei der Kostenreduktion und den Steuererhöhungen gibt, sollten die Ausgaben für Elektrizität, Transport und Gehälter gekürzt werden, um wirtschaftlich rentabler und attraktiver zu werden.

Der Bericht der Ökonomen seitens der Gläubigerseite kritisierte Puerto Rico für die schlechte Verwaltung der zur Verfügung stehenden Mittel sowie zu hoher Ausgaben für soziale Leistungen. Aus diesem Grund sollten Kürzungen bei öffentlichen Angeboten durchgeführt werden. Besonders emblematisch ist in diesem Zusammenhang die Forderung, die Kosten im Bildungssektor zu senken. So seien die Bildungsausgaben von 573.000 US-Dollar auf 756.000 US-Dollar in den letzten Jahren gestiegen, obwohl die Zahl der Schüler gesunken und die Qualität der Bildung nicht gestiegen sei. An dieser Stelle muss erwähnt werden, dass der Bildungsetat in Puerto Rico nur 79 Prozent des durchschnittlichen US-Bildungsetats entspricht und allein im vergangenen Jahr 100 Schulen schließen mussten. Der Bericht befürwortet trotzdem weitere Schulschließungen und die Entlassung von Lehrern. Durch den Verkauf von öffentlichen Einrichtungen und einen effektiveren Steuereinzug könnten 4 Mrd. US-Dollar mehr zur Begleichung der Schulden eingenommen werden.

Puerto Rico: Kunst in San Juan - Foto: Alexander RabbGouverneur García Padilla strebt eine Umschuldung an und setzt sich vor allem in Washington für eine Änderung der Gesetzeslage ein, die es Puerto Rico erlauben würde, seine Zahlungsunfähigkeit offiziell zu erklären und einen finanziellen Kollaps zu verhindern. Dadurch würden auch die Gläubiger an Verhandlungen und zu einem Kompromiss hinsichtlich einer Lösung der Krise bereit sein. Im Februar 2015 hatte die Regierung schon einmal versucht, die Schulden über ein Gesetz umzustrukturieren. Dieses wurde aber durch einen US-Bundesrichter nach einer Klage von Investmentfonds als nicht verfassungskonform erklärt, da es gegen Bundesgesetze verstoße. Der republikanisch dominierte Kongress setzt sich für weitere Sparmaßnahmen ein, da er die Krise auf Missmanagement und zu hohe soziale Ausgaben der lokalen Regierung zurückführt. Dabei werden die republikanischen Abgeordneten von einer Vielzahl von Gläubigern unterstützt. Verhandlungen und eine mögliche Einigung mit seinen Gläubigern werden aufgrund der Diversität der Anleger ein schwieriges Unterfangen sein. Unter ihnen befinden sich neben Banken, Versicherungsgesellschaften, Hedge- und Investmentfonds auch Pensionskassen, kirchliche Einrichtungen und viele Privatanleger.

Die Krise hat auch schwerwiegende soziale Auswirkungen. Eine der tief greifenden gesellschaftlichen Folgen der Krise ist die Abwanderung auf das US-Festland, die seit einigen Jahren kontinuierlich zunimmt. Allein zwischen 2010 und 2013 sind rund 48.000 Personen abgewandert. Mittlerweise übersteigt die Zahl der Puerto Ricaner im Ausland die der auf der Insel lebenden. Auf dem Festland leben etwa 4,9 Mio., auf der Insel selbst circa 3,6 Mio. Menschen. Damit sind die Puerto Ricaner die zweitgrößte hispanische Bevölkerungsgruppe nach den Mexikanern in den USA. Viele Auswanderer haben heute einen mittleren Bildungsstand, aber auch viele Universitätsabsolventen verlassen die Insel. In früheren Auswanderungswellen war der Nordosten der USA, speziell New York, ein beliebtes Ziel. Jetzt spielt der Süden, besonders Florida, ebenso wie weiterhin New York eine zentrale Rolle. Bei den diesjährigen Präsidentschaftswahlen könnten also puerto-ricanische Wähler auf dem Festland entscheidend sein. Sie könnten sich für den Kandidaten entscheiden, der sich für Lösungsvorschläge für die Insel stark macht.

Puerto Rico versucht mit verschiedenen Maßnahmen, einen Weg aus der Krise zu finden. So wurden beispielsweise Preise und Steuern (Verkaufs- und Mehrwertsteuer) erhöht. Allerdings haben diese Programme den Nachteil, dass sie vor allem den Durchschnittsverdiener betreffen, der schon jetzt unter den steigenden Preisen leidet. Ein Beispiel: Im Sommer musste man in Puerto Rico für eine Gallone (entspricht etwa 3,8 Liter) Gas 3 US-Dollar und Milch 7 US-Dollar bezahlen. In Miami, Florida, kostete dieselbe Menge Gas mit 2,8 US-Dollar etwas weniger , eine Gallone Milch mit 4 US-Dollar deutlich weniger. Obwohl Puerto Rico stark von föderalen Finanzhilfen für Lebensmittel, Wohnraum, Gesundheit und Bildung profitiert, leben rund 45 Prozent der Bewohner in Armut.

Gleichzeitig hat die Insel ein Steuervorteilprogramm für ausländische Unternehmen und wohlhabende Privatpersonen eingeführt. Unternehmen, die ihren Hauptsitz nach Puerto Rico verlegen und auf der Insel investieren, zahlen niedrigere Steuersätze als auf dem US-Festland, max. sieben Prozent auf Gewinne. Privatpersonen mit hohen Einkommen können von dieser Regelung profitieren, wenn sie sich ebenfalls permanent auf Puerto Rico niederlassen. Dauerhaft heißt in diesem Fall 183 Tage im Jahr. Für Dividenden und Kapitalgewinne, die aus Puerto Rico stammen, beträgt der Steuersatz null Prozent, für die Körperschaftssteuer vier Prozent. Durch diese Initiative sollen bisher etwa 350 Unternehmen und 500 Privatpersonen angelockt und circa 1 Mrd. US-Dollar an Investitionen auf die Insel gekommen sein.

Des Weiteren plant Puerto Rico, sich als Investitionsziel in Lateinamerika zu präsentieren. Es positioniert sich als Alternative zu Miami als Eingangspunkt in die USA für Lateinamerika und Spanien. Lateinamerika wurde in den vergangenen Jahren eher vernachlässigt, doch man hofft durch die Zugehörigkeit zu den USA sowie Steuerprivilegien, zu einem interessanten Investitionsziel zu werden. Dafür muss Puerto Rico jedoch Bürokratie abbauen und die Infrastruktur verbessern.

Die lokale Regierung erkennt die Notwendigkeit für Veränderungen an und ist auch bereit, seinen Teil dazu beizutragen. Doch ebenso erwartet sie von allen Beteiligten Zugeständnisse und Kompromissbereitschaft. Alle müssten zu Opfern bereit sein. Jedoch scheint es, als seien momentan die Bewohner der Insel die einzigen, die die Last durch Steuer- und Preiserhöhungen tragen müssen, während gewinnbringende Firmen und gut situierte Privatpersonen von niedrigen Steuersätzen profitieren. Zuletzt hatte Puerto Rico seine Gläubiger aufgerufen, auf fast die Hälfte seiner finanziellen Forderungen zu verzichten und so zu einer Entspannung der Situation beizutragen.

Bildquellen: [1] Presidencia de la República Dominicana_; [2] Raimond Spekking_; [3] Alexander Rabb_.

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