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Politik und Kultur in Lateinamerika

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Wählen oder Nicht-Wählen? Peru vor den Präsidentschaftswahlen

Lesedauer: 11 Minuten

Wahlkampf zwischen Skandalen und Entfremdung

Praesidentpalast - Foto: Quetzal-Redaktion, sscAm 10. April 2011 werden in Peru wahrscheinlich wieder Wunder wahr: Die Kongress- und Präsidentschaftswahlen stehen an. Und da keiner der fünf Kandidaten Alejandro Toledo, Ollanta Humala, Keiko Fujimori, Pedro Pablo Kuzynski und Luis Castañeda das Wahlvolk bisher überzeugen konnte, ist alles möglich. Zwar haben nach den letzten Umfragen die drei erstgenannten Kandidaten die größten Chancen, Präsident zu werden. Aber es kann auch ganz anders kommen – ein Wunder eben. Am sichersten scheint derzeit zu sein, dass die Wahl nicht im ersten Durchgang entschieden und eine Stichwahl notwendig wird.

Der Wahlkampf zeichnete sich bisher mehr durch Skandale als durch konstruktive Vorschläge aus. Beispiel dafür ist die öffentliche Bekanntgabe von diplomatischen Mitteilungen der Vereinigten Staaten durch Wikileaks. Demnach seien höchste politische Ebenen verschiedener Parteien in den Drogenhandel verwickelt[1]. Weitere Skandale betreffen die ständigen Konfrontationen zwischen den Kandidaten und deren permanente Deskreditierungsversuche gegeneinander.

Ansonsten singen die Kandidaten unisono das gleiche Lied. Alle betonen sie das positive Wachstum des Landes infolge des neoliberalen Wirtschaftsmodells der letzten 20 Jahre. Sie möchten diesen Weg weiter beschreiten, aber stimmen darüber überein (zumindest vor der Wahl), dass etwas getan werden muss, um die Ärmsten in diesen „Wirtschaftsboom“ zu integrieren. Zweifellos, diesen „Wirtschaftsboom“ gibt es wirklich. Zugleich zeigt sich allerdings, dass in Peru ein Drittel der Bevölkerung in Armut lebt (32% nach Angaben der Weltbank) und die Unterschiede zwischen Armen und Reichen wachsen.

Wie weit sich die Politik und die Bevölkerung von einander fortbewegt haben, offenbart sich bei der Meinung beider Gruppen zu diesen Punkten eindrucksvoll. Denn während die meisten Kandidaten das neoliberale Wirtschaftsmodell weiter unterstützen wollen, wünscht sich die Mehrheit der peruanischen Bevölkerung laut Umfragen der IMASEN (73,9%) und PUCP (77,7%) eine andere Wirtschaftspolitik. Nur 17,4% der Befragten gaben an, dass sich ihre ökonomische Situation verbessert hat, während 48,6% meinten, dass es mehr Armut gibt[2]. Problematisch ist vor allem die Erhöhung der Armut in der Sierra (d.h. in den ländlichen Zonen) und im Regenwald[3].

Verfolgte man die Reden der Kanditaten, dann stand ein Thema ganz oben auf der Agenda: Sicherheit. Alle Kandidaten wollen energisch gegen die zunehmende Gewalt vorgehen, die ihrer Meinung nach Ausdruck des Wechselspiels zwischen Armut, Kriminalität und Drogenhandel ist. Dagegen wurden umstrittene Punkte tunlichst gemieden. Einige der Kandidaten haben zwar in ihren Regierungsprogrammen Themen wie Umwelt, nachhaltige Entwicklung, Programme zur Förderung der Kleinlandwirtschaft oder Lebensmittelsicherheit stehen. Aber in den Debatten vor der Präsidentschaftswahl wurden diese Felder kaum gestreift. Kein Wort auch darüber, neue Vertragsverhandlungen mit den Bergbauunternehmen zu führen, damit diese aufgrund ihrer riesigen Gewinne in den letzten Jahren mehr Steuern zahlen. Dieser Punkt taucht aber wenigstens bei zwei politischen Parteien (Gana Perú und Perú Posible) in ihren Regierungsprogrammen auf.

Ökonomische Stabilität auf Kosten des Sozialen

Armut in Peru - Foto: Quetzal-Redaktion, sscDas nächste Staatsoberhaupt Perus wird ein Land in einer relativ stabilen ökonomischen Situation übernehmen, das sich vor allem durch die Öffnung des nationalen Marktes auszeichnet, womit inländlische und ausländlische Privatinvestitionen weiter gefördert werden sollen. Natürlich gibt es mehr ausländische als inländische Investitionen. Aber das erfahren die Wähler nicht von ihren Politikern. Insbesonders ist Peru sehr attraktiv für Investionen in Sektoren wie Bergbau und Energie, die Milliongewinne bedeuten – und ins Ausland fließen.

Es stehen vor dem Gewinner der Wahl jedoch riesige Herausforderungen vor allem im sozialen Bereich, wie z. B. die bessere Verteilung des Reichtums im Land, die Implementierung von Reformen zum besseren Zugang zu Krankenversicherung und Bildung, politische Maßnahmen zur sozialen Integration von Indigenen und Bauern besonders im Hinblick auf die Ausbeutung der natürlichen Resourcen. Eine schwierige politische Aufgabe für den nächsten Präsidenten wird es sein, einen Konsens mit dem Kongress zu finden; denn wer gewinnt, wird keine Mehrheit im Kongress haben. Selbst der Sieger des ersten Wahlganges kann in der Regel nur mit einer Unterstützung von einem Drittel der Abgeordneten (entsprechend dem Anteil seiner Partei bei den zeitgleichen Kongresswahlen) rechnen. Politische Koalitionen sind aber schwierig. Wenn der Präsident Übereinstimmung für seine Reformen will, bedarf es jedoch der Zusammenarbeit mit anderen Parteien.

Profil der Kandidaten

Alejandro Toledo

Alejandro Toledo - Foto: Agencia Brasil, Marcello Casal Jr.Alejandro Toledo Manrique, 64 Jahre alt, geboren in einem armen Dorf in den Anden, war Präsident von Peru zwischen den Jahren 2001 und 2006. Toledo kandidiert für seine Partei Perú Posible. Er ist Wirtschafswisenschaftler und führt gemäß Umfragen die Wahlprognosen an, obwohl seine Werte in den letzten Wochen zurückgingen. Während seiner Amtszeit förderte er Freihandelpakte und die Rückkehr zu einer demokratischen Regierung nach dem Sturz von Präsident Alberto Fujimori im Jahr 2000. Er musste aber auch die Unruhen und die Unzufriedenheit der Bevölkerung und der Medien überstehen. Diese kritisierten seine häufigen Feiern, seine übermäßigen persönlichen Ausgaben und die Verweigerung, seine uneheliche Tochter anzuerkennen. Seine Sympathiewerte bei der Bevölkerung sanken dadurch von 59 Prozent bei seiner Vereidigung im Jahre 2001 auf gerade noch acht Prozent im März 2005 – die geringste Popularität unter allen Staatsführern Lateinamerikas. Im Juli 2006, am Ende seiner Amtszeit, erreichte er wieder einen Zustimmungswert von 42 Prozent, wobei unklar blieb, was den Wandel herbeigeführt haben könnte. Viele sahen in ihm wohl das kleinere Übel gegenüber den neuen Kandidaten, denn durch eine selbst verfügte Gesetzesänderung darf sich der Präsident fortan nicht direkt wiederwählen lassen.

Der Vorteil von Toledo in diesem Wahlkampf ist seine Erfahrung. Auch hat die Bevölkerung seine erste Regierung vor allem hinsichtlich der politischen und wirtschaftlichen Stabilität in Erinnerung. Der Nachteil ist, dass er keine neuen Vorschläge für seinen Regierungsplan gemacht hat.

Keiko Fujimori

Keiko Fujimori - Foto: Congreso de la República del PerúKeiko Sofía Fujimori Higuchi, 35 Jahre alt. Sie ist die Tochter des ehemaligen Präsidenten Alberto Fujimori. (1990-2000), der vom peruanischen Gerichtshof mehrfach verurteilt wurde. Als sie im Jahr 1994 19 Jahre alt war, erklärte sie ihr Vater nach dessen Scheidung von seiner Frau zur First Lady („Primera Dama del Perú“), und damit trat sie ans Licht der Öffenlichkeit. Sie kandidiert zur Präsidenschaft für die Partei ihres Vaters Fuerza 2011. Sie studierte Wirtschaftsverwaltung in der Universität von Boston bis 1997. Dann arbeitete sie dort bis zu ihrer Rückkehr nach Peru im Jahr 2005. Die Finanzierung ihrer Studien ist sehr strittig, weil gemäß einem beauftragten Gutachten der peruanischen Justiz diese Studien durch eine nicht-angemeldete Finanzierung durch den Staat gefördert wurden. Im April 2006 erhielt sie einen Sitz im Peruanischen Kongress.

Keiko Fujimori verteidigt die Politik ihres Vaters, und sie bekommt deswegen die Unterstützung von den Sympathisanten ihres Vaters. Für sie rettete Alberto Fujimori das Land vor einem politischen und ökonomischen Zusammenbruch, als Peru unter den terroristischen Aktivitäten litt. Bei der Verurteilung ihres Vaters sagte sie in einem Meeting: „Wir werden nicht stoppen, bis Fujimori die Freiheit erlangt“ („No pararemos hasta lograr la libertad de Fujimori“)[4].

Ihre Kritiker meinen, dass sie zu jung ist, um Präsidentin zu werden, da sie zu wenig Erfahrung besitzt. Wenn sie den Wahlkampf dennoch gewinnen sollt, wäre sie erste Frau als Staatsoberhaupt in der peruanischen Geschichte.

Ollanta Humala

Perus Präsidentschaftskandidat Ollanta Humala- Foto: AgenciaBrasil, José CruzOllanta Moisés Humala Tasso, 48 Jahre alt, ist ehemaliger Oberst der peruanischen Armee. Im Oktober 2000 führte er eine Meuterei an, von der bis heute nicht ganz klar ist, gegen wen sie sich richtete und was er damit bezweckte. Er gab an, er hätte sich damit gegen den diktatorisch regierenden damaligen Präsidenten Alberto Fujimori gewandt. Das rettete ihm wahrscheinlich die politische Karriere. Denn obwohl zunächst festgenommen und aus der Armee entlassen, wurde er nach dem Sturz Fujimoris rehabilitiert. Bis Dezember 2004 fungierte er als Militärattaché in Paris und Seoul. Anschließend konzentrierte er sich auf die Kandidatur zur Präsidentschaft 2006, wobei er in der Stichwahl mit 47 Prozent nur knapp Alan García unterlag. Humalas politische Ausrichtung orientiert sich an den Links- und Mitte-Links-Regierungen in Bolivien, Brasilien, Chile, Uruguay und Venezuela. Seine Kandidatur wird unterstützt durch das Wahlbündnis Gana Perú. Dieses Wahlbündnis besteht aus der Partido Nacionalista Peruano und mehreren traditionellen linken Parteien. In letzter Zeit hat er aber seine Strategie gewechselt. Er versteckt nun z.B. seine Verbindung zu dem Präsidenten Hugo Chávez. Seine radikalen Reden wichen gemäßigten Diskursen in Anzug und Krawatte. Er trifft sich mit Firmenleitern und Vertretern der Kirche. Ein umstrittenes Thema seines Regierungsplans ist die Schaffung einer neuen Verfassung durch eine Verfassungsgebende Versammlung. Eine diesbezügliche Frage bei der letzten Debatte mit den anderen Kandidaten wurde von ihm nicht beantwortet. Ein weiterer Wahlprogrammpunkt von ihm ist die Überprüfung der Verträge mit transnationalen Minengesellschaften.

Pedro Pablo Kuckzynski

Pedro Pablo Kuczynski - Foto: CestradaPedro Pablo Kuckzynski, 72 Jahre alt, ist Ökonom. Er hat polnisch-schweizerische Eltern und studierte an den Universitäten Oxford und Princeton. Jahrelang arbeitete er beim Internationalen Währungsfonds, bei der Weltbank und bei der peruanischen Zentralbank. Die letzten Jahre war er in den USA als Banker und Finanzexperte tätig. Unter der zweiten Regierung von Fernando Belaúnde Terry (von 1980 bis 1985) übernahm er den Posten als Energieminister. Dann wurde ihm das Amt des Wirtschafts- und Finanzministers in der Regierung von Alejandro Toledo übergeben. Seine Erfahrung in der Weltpolitik und seine internationalen Kontakte hinterließen im Ausland einen positiven Eindruck, um mehr Investitionen und Kredite zu erhalten. Bei den jetzigen Präsidentschaftswahlen kandidiert er für das Bündnis Alianza para el Gran Cambio, das von mehreren Parteien wie der Partido Popular Cristiano (der traditionellen konservativen Partei Perus), der Partido Humanista Peruano, der Partei Restauración Nacional und der Partei Alianza para el Progreso gebildet wird. Aufgrund seiner politischen Ausrichtung tritt er dafür ein, das bisherige neoliberale Wirtschaftsmodell beizubehalten.

Kontroversen gibt es wegen seiner Doppelstaatsbürgerschaft, da er neben der peruanischen auch die amerikanische Staatsbürgerschaft besitzt. Kuckzynski sagte dazu, dass er die Aufhebung seiner US-Staatsbürgerschaft beantragt hat. Kontrovers diskutiert wird auch eine im Januar 2011 durch Wikileaks veröffentlichte Depeche, in der der damalige US-Botschafter in Peru, James Curtis Struble, Kuczynski als einen wichtigen Verbündeten der Bergbauunternehmen betrachtet[5].

Luis Castañeda

Luis Castañeda Lossio - Foto: ChriscastillocLuis Castañeda, 65 Jahre alt, ist Anwalt und Arzt. Er war von 2003 bis 2010 Bürgermeister von Lima. Im Oktober 2010 legte er sein Amt nieder, um für die Präsidentschaft zu kandidieren.

Er besaß schon früher Ambitionen auf das Präsidentenamt und gründete dafür die Partei Solidaridad Nacional, mit der er allerdings erfolglos in den allgemeinen Wahlen von 2002 antrat. Während seiner Amtszeit als Bürgermeister von Lima genoss er teilweise große Popularität. Seine Gegner kritisierten hingegen die Verzögerungen beim Bau des Transportprojekts El Metropolitano, dessen Budget zudem weit überschritten wurde. Die Eröffnung war für das Jahr 2005 geplant, doch die Fertigstellung des Metropolitano erfolgte erst im Jahr 2010. In seine Amtszeit fiel auch der Skandal der „Comunicore“[6].

Castañeda belegte bei den nun bevorstehenden Wahlen zunächst den ersten Platz in den Wahlumfragen, aber dann änderte sich die Situation. Er rutschte auf Rang 5 ab[7].

Wahlverweigerung trotz Wahlpflicht?

Wahl - Foto: Quetzal-Redaktion, sscAm 10. April müssen die peruanischen Staatsbürger einen neuen Präsidenten und einen neuen Kongress wählen. Wenn jemand nicht wählt, wird gegen ihn eine Geldstrafe (zwischen 72 und 180 Nuevos Soles, ungefähr 18 bis 45,50 Euro) verhängt. Außerdem darf die betreffende Person keine Anträge bei Institutionen einreichen – eine doppelte Bestrafung also. Viele wollen trotzdem angesichts dieser Art von Kandidaten nicht wählen gehen. Warum soll jemand verpflichtet werden zu wählen, wenn er keinem Kandidaten glaubt? Vielleicht liegt darin der Grund zur Wahlpflicht, denn bei freiwilliger Wahl würden viele ihre Stimme vielleicht nicht abgegeben. Peru bleibt also weiter ein Land, wo die Wahl nicht mehr ein Recht ist, sondern eine Pflicht. Werden diese Präsidentschaftswahlen daran etwas ändern? Wohl kaum. Quo vadis Peru?

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[1] Siehe: http://elcomercio.pe/wikileaks-peru/10; http://elcomercio.pe/wikileaks-peru/11; http://elcomercio.pe/wikileaks-peru/9 (auf Englisch)

[2] Alarco Tosoni Germán, in Zeitung: La Primera, vom 04. Februar 2011, Website: http://www.diariolaprimeraperu.com/online/columnistas/cambios-al-modelo_79277.html (auf Spanisch)

[3] Zeitung La Primera, vom 20. August 2010, Website: http://www.diariolaprimeraperu.com/online/economia/desigualdad-economica-contin-a_68547.html (auf Spanisch)

[4] http://www.youtube.com/watch?v=mvmJAn95iSw&feature=player_embedded

[5] Siehe: http://www.guardian.co.uk/world/us-embassy-cables-documents/38881?intcmp=239

[6] Siehe: http://www.desdeeltercerpiso.com/2010/02/castaneda-y-comunicore/; http://www.otramirada.pe/una-millonaria-sospecha-en-la-municipalidad-de-lima (beide auf Spanisch)

[7] http://www.imasenperu.com/

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Bildquellen: [1],[2] Quetzal-Redaktion, ssc; [4] Congreso de la República del Perú_; [3] Agencia Brasil, Marcello Casal Jr.; [5] Agencia Brasil, José Cruz; [6] Cestrada; [7] Chriscastilloc; [8] Quetzal-Redaktion, ssc

1 Kommentar

  1. jan z. volens sagt:

    Inzwischen hat Humala diese Vorwahl gewonnen. Das Beispiel Brasilien unter Lula (und Lula) ist fuer Humala der Wegweiser. Natuerlich werden die USA und der Vatikan versuchen die Wahl Humalas zur Praesidentschaft zu verhindern und man ist gespannt ob sie dabei neben dem ueblichen „operations“ noch neue Tricks anwenden werden. Die USA wuerde durch Humala eine Unterbrechung ihrer „Westkuestepartnerschaft“ erleiden – denn dann verbleiben nur Chile, Kolumbien, Panama, Costa Rica, El Salvador und Honduras unter ihrer geopolitisch-strategischen Kontrolle. Humala wird keine zweiter Velasco Alvarado, und kein Hugo Chavez, aber die Richtung Humalas wird nationalistisch und „sozial“ (nicht „sozialistisch“ im ideologischen Sinn).

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