Die Schicksalsstunde für Doe Run Perú naht. Anfang Juli wird darüber entschieden, ob die bedeutende Metallschmelze in dem kleinen Andenstädtchen La Oroya endgültig liquidiert wird. Vier Jahre zieht sich bereits der Kampf zwischen der peruanischen Regierung und dem Unternehmen hin. Es geht um Umweltauflagen und Säuberungsaktionen, um Schadensersatz – und um viel Geld.
Die Bewohner La Oroyas sehen dieser Entscheidung jedoch mit gemischten Gefühlen entgegen. Auf der einen Seite droht bei vielen von ihnen der Verlust des Arbeitsplatzes. Sie haben bereits 2012 mit einer Straßenblockade der wichtigen Carretera Central Druck auf den peruanischen Staat ausgeübt und sich damit auf die Seite der Metallschmelze gestellt. Und das, obwohl eine Schließung des Komplexes ihre gesundheitliche Situation (und Lebenserwartung) grundlegend verbessern würde. Denn die peruanische Kleinstadt, die 3750 Metern über dem Meeresspiegel liegt, gehört zu den am meisten kontaminierten Orten weltweit. Das metallurgische Werk im Herzen der Stadt gab etwa 3500 Arbeitern Brot, bestimmte über Jahrzehnte aber auch über das Leben der Menschen. Und deren Tod. Praktisch jeder Einwohner hat Blei im Blut. Die Folge: eine hohe Krebsrate, Asthma, Hautausschläge, Konzentrationsprobleme und Entwicklungsstörungen, vor allem bei Kindern.
Einen ersten Eindruck davon, was passiert, wenn das Werk endgültig schließt, erhielten die Einwohner La Oroyas am 02. Juni 2009. An jenem Tag atmete die Stadt seit langem wieder einmal richtig auf. Denn die Metallschmelze von Doe Run Perú meldete an diesem Tag Insolvenz an. Plötzlich stand der Schornstein still, der täglich über 850 Tonnen hochgiftiger Abgase emittierte. Fortan wehten nicht mehr blaugraue Bleischwaden durch das Tal des Mantaro, in dem sich La Oroya vor den Wetterunbilden der Hochanden wegduckt, sondern frische Winde. Und dennoch: Das Erbe der Metallschmelze blieb – verseuchter Boden, kontaminiertes Grundwasser, eine Mondlandschaft.
Während das Werk still stand, stritten die Regierung und die Unternehmungsleitung darüber, wer die Kosten für die Säuberungsaktionen übernehmen müsse und wie die Emissionen (vordergründig von Schwefeldioxid) auf das im Programm zur Erhaltung und zum Management der Umwelt (Programa de Adecuación y Manejo Ambiental, PAMA) festgehaltene Niveau gebracht werden können. Denn die Verletzung des PAMA, vor allem bei der Kupferaufbereitung, war der Hauptgrund für die Stilllegung der Produktion.
Doe Run Perú trat drei Jahre später, im April 2012, offiziell in einen Prozess der operationellen Liquidation ein. Damit konnte das Unternehmen weiter arbeiten, so lange die Gläubiger – die Schulden werden auf 100 Millionen US-Dollar geschätzt – nicht dem Restrukturierungsplan zustimmen würden. Ein solcher Plan wurde am 25.05.2012 vorgelegt. Demnach wären 760 Millionen (gemäß den Angaben eines Gläubigers bis zu 1 Milliarde) US-Dollar nötig, um die Produktion unter Erfüllung aller Umweltauflagen wieder zum Laufen zu bringen.
Ende Juli 2012 begann dann zunächst wieder die Zinkaufbereitung, weil dieser Prozess die Umweltauflagen erfüllte. Später im Jahr folgte der Bleikreislauf. Anders sah es bei der Kupfer- und Goldgewinnung aus, die wegen zu hoher Schwefeldioxidemissionen weiterhin ruhten. Dabei würde die Anpassung an das PAMA die wenigsten Kosten verursachen. Weitaus teurer wäre die Erfüllung des neues Umweltgesetzes (normativa ambiental), nach dem der Standard zur Luftqualität (estándar de calidad de aire, ECA) in diesem Jahr bei durchschnittlich 80 Mikrogramm Schwefeldioxid pro Kubikmeter innerhalb von 24 Stunden liegen darf, im nächsten Jahr bei nur noch 20 Mikrogramm pro Kubikmeter. Der PAMA-Grenzwert betrug dagegen noch 360 Mikrogramm pro Kubikmeter. Obwohl Doe Run Perú durch die genannten Einschränkungen derzeit nur mit einer 60-prozentigen Auslastung arbeitet, lagen die Emissionen weit über den neuen ECA-Grenzwerten. Am 22.05.2013 beliefen sie sich beispielsweise auf 200 Mikrogramm pro Kubikmeter, am 26.05.2013 sogar auf 500 Mikrogramm Schwefeldioxid pro Kubikmeter.
In den ersten Julitagen entscheiden nun die Gläubiger, wie es bei Doe Run Perú weiter geht. Viel spricht derzeit für eine Fortsetzung der Liquidation, also den Verkauf der Vermögenswerte. Dabei steht bereits fest, dass dadurch nicht alle Gläubiger bedient werden können. Die Fortsetzung der Produktion unter dem neuen Umweltgesetz scheint aber völlig aussichtslos. Denn Vergleichszahlen zeigen, dass auch andere Metallaufbereitungsanlagen in Peru (Ilo von Southern Copper, Cajamarquilla von Votorantim und Pisco von Minsur) weit von den ECA-Grenzwerten entfernt operieren. Teilweise werden hier Werte von 300 Mikrogramm Schwefeldioxid pro Kubikmeter überschritten.
Die Entscheidung über die Liquidation von Doe Run Perú beendet jedoch noch nicht die schwelende juristische Auseinandersetzung zwischen Peru und Ira Rennert, Eigentümer von Doe Run Perú und einem undurchschaubaren Geflecht von anderen Tochterfirmen der US-amerikanischen Renco. Der Rechtsstreit birgt sogar das Potential für einen globalen Präzedenzfall. Denn es geht letztendlich nicht nur um Doe Run Perú, sondern um den Missbrauch von bilateralen Investitionsabkommen (BIT) durch Unternehmen. Normalerweise werden solche BIT – meist als Teil von Freihandelsabkommen – zwischen den Regierungen zweier Staaten geschlossen, um ausländischen Investoren eine Vielzahl an Rechten zu garantieren. Dazu zählen vornehmlich der Schutz gegen Enteignung, gegen Kapitalbeschränkungen oder gegen Leistungsvorschriften, kurz: ausländische Investoren sollen vor willkürlichen Handlungen der nationalen Regierung geschützt werden. Das Problem liegt nun darin, dass die BIT – wohl bewusst – die Pflichten der ausländischen Investoren nicht festlegen. Möchte nun eine Regierung (oder die Bevölkerung des entsprechenden Landes) gegen sie vorgehen, weil Umwelt- oder soziale Belange durch das Unternehmen verletzt wurden, entpuppen sich die BIT als eine schwer zu überwindende Hürde.
Das bilaterale Freihandelsabkommen – und damit das BIT – zwischen den USA und Peru wurde am 12. April 2006 vom peruanischen Kongress ratifiziert, Ende 2007 von beiden Kammern des US-amerikanischen Parlaments und trat schließlich am 01.02.2009 in Kraft. Damit stellt sich die derzeitige juristische Auseinandersetzung so dar: Peru sieht Doe RunPerú (Ableger der US-amerikanischen Renco-Gruppe) in der Verantwortung, die starke Umweltverschmutzungen in La Oroya zu beseitigen. Außerdem habe das Unternehmen über Jahrzehnte die peruanischen gesetzlichen Umweltschutzauflagen nicht erfüllt. Denn Renco habe beim Kauf von Doe Run Perú im Jahr 1997 von der staatlichen Centromin einem 10-Jahres-Plan zur Reduzierung der Umweltverschmutzungen zugestimmt, dessen Kosten auf 107 Millionen US-Dollar geschätzt wurden. Doe Run hält dagegen – unter Berufung auf das US-peruanische Freihandelsabkommen und das darin geregelte BIT –, Peru habe zugesagt, das Gelände rund um La Oroya zu reinigen, da die Verschmutzungen von den Vorgängern stamme. Schließlich existiert bereits seit 1922 eine Schmelze auf dem Gelände (Cerro de Pasco Corporation), die 1974 enteignet wurde und in Staatseigentum überging (Centromin). Außerdem prangert das Unternehmen an, Peru hätte zuletzt so viele (Umwelt-)Auflagen erteilt, dass es unmöglich war, auf diese nicht vorhersehbaren Gesetzesänderungen angemessen zu reagieren. Deshalb wurden dem Unternehmen die notwendigen Betriebsgenehmigungen verweigert, was letztlich zur Insolvenz im Jahr 2009 führte. Renco fordert daher Schadensersatz in Höhe von 800 Millionen US-Dollar.
Ein weiterer juristischer Streitpunkt betrifft die Schadensersatzansprüche von 1300 Familien, die Doe Run Perú für die Vergiftung ihrer Kinder verantwortlich machen. Die Klage soll in den USA erhoben werden, so dass es auch hier um Millionen-Summen gehen dürfte. Das letzte Wort im Falle Doe Run Perú ist somit noch nicht gesprochen, selbst wenn die Liquidation des Unternehmens in der nächsten Woche entschieden werden sollte.
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Bildquelle: [1], [2] Matthew Burpee