Der III. Gipfel der Völker als Gegenentwurf zum V. EU-Lateinamerika-Gipfel
Während die gewählten Vertreter auf dem V. EU-Lateinamerika-Gipfel in Lima um die unverbindlichste Wortwahl für die Abschlusserklärung rangen, suchten zugleich auf dem III. Gipfel der Völker insgesamt 500 Repräsentanten von sozialen Organisationen, Gewerkschaften, Umweltschutzverbänden und indigenen Völkern aus Peru, Bolivien, Chile und Ecuador eine tiefergehende Antwort auf die Herausforderungen des Neoliberalismus. Thematisiert wurde nicht nur die zunehmende Vermarktung des gesellschaftlichen Lebens und der sozialen Beziehungen, sondern im Ständigen Gerichtshof der Völker (Tribunal Permanente de los Pueblos, TPP) auch die Anschuldigungen verschiedener lateinamerikanischer Völker gegen multinationale Konzerne aus Europa. Prozesse mit symbolischem Charakter gab es zum Beispiel gegen Bayer, Repsol-YPF, Telefónica, die spanische Unión Fenosa, Aguas de Barcelona, die Banken BBVA und Santander sowie gegen die finnische Papier-Firma Botnia. Sie wurden aufgrund von Menschenrechtsverletzungen, Gefährdung der Gesundheit der Bevölkerung sowie Beeinträchtigungen der Wirtschaft (Korruption, Nichteinhaltung von Investitionszusagen, illegale Verträge), der Umwelt (Verschmutzungen, Abholzungen) und der Souveränität der amerikanischen Völker (Privatisierung elementarer öffentlicher Dienstleistungen wie Wasserversorgung) angeklagt.
Nach der öffentlichen Anhörung der NGOs, Landgemeinden, Arbeiter und Indígenas beschloss das TPP, moralisch und ethisch die multinationalen Konzerne für die „offensichtlichen Verletzungen der Prinzipien, Normen, internationalen Konventionen und Pakte, welche die zivilen, politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und Umweltrechte der Bevölkerung in Lateinamerika schützen, zu sanktionieren“. Darüber hinaus wird der Rat der Menschenrechte bei den Vereinten Nationen um die Ernennung eines Sonderberichterstatters gebeten. Mehr Möglichkeiten besitzt der Gerichtshof auch nicht. Das moralisch-ethische Recht ist eben nicht bindend.
Interessant ist außerdem, dass man schon bei den spanisch-sprachigen Nachrichtenagenturen oder lateinamerikanischen Zeitungen nachschauen mußte, um überhaupt Informationen über den Alternativ-Gipfel zu erhalten. Er paßt eben nicht ins Bild – ins europäische Bild vor allem. Denn während man auf der offiziellen Seite um bilaterale Handelsabkommen feilscht, ganz zum Nutzen einiger weniger Multis, kann nicht zugleich beim TPP deren Handeln (sic!) an den Pranger gestellt werden. Da nun aber der Ständige Gerichtshof der Völker die wichtigste Repräsentationsorgan des Alternativgipfels ist, muss folglich bei der Berichterstattung eine Vorauswahl stattfinden – oder aber man ignoriert das Ereignis als unbedeutend.
Die beiden Gipfel in Lima fanden allerdings nicht so isoliert von einander statt, wie man aufgrund der Berichterstattung vermuten könnte. Beispielsweise überreichten Vertreter des Sozial-Gipfels den Teilnehmern des EU-Lateinamerika-Treffens eine Erklärung, in der als Ursache für die Armut, die sozialen Probleme und die zunehmende Umweltbelastung in den Ländern des lateinamerikanischen Kontinents die Vorherrschaft des Marktes gegenüber den Rechten der Menschen angesehen werden müsse. Anstelle weiterhin den multinationalen Unternehmen Garantien zukommen zu lassen, welche die Möglichkeiten zu einer eigenen nationalen Entwicklung behindern, sollten die Regierungen der jeweiligen Länder wieder die Partizipation der Bevölkerung suchen. Die Völker seien aufgerufen zu kooperieren, Solidarität zu zeigen, Diskriminierung zu bekämpfen und die Souveränität der Staaten anzuerkennen. Von den Regierungen wird verlangt, dass sie einen neuen Typ der Beziehungen zwischen den Regionen umsetzen – basierend auf der Überwindung der Vorherrschaft des Marktes. Die Deklaration weist folglich auch die Interventionsbestrebungen der USA und der EU durch Freihandelsabkommen (TLC) beziehungsweise Assoziierungsabkommen zurück.
Bei der Abschlußkundgebung brachte Boliviens Präsident, Evo Morales, die Forderungen des Alternativgipfels auf den Punkt: „Öffentliche Dienstleistungen sind Menschenrechte.“ Es sei daher für die europäischen Regierungen geboten, nicht weiter ihre Wasser- und Telefonkonzerne zu verteidigen. Zudem müsse jedem klar werden, dass die grenzenlose Industrialisierung es unmöglich mache, die Umwelt zu erhalten.
„Big morality“ konnte also wieder gegen das „big business“ punkten – auch wenn nur wenige davon erfuhren.
——————————-
Bildquelle: Offizieller Flyer des III. Gipfels der Völker in Lima