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Bicentenario 1821-2021 (V): Panamas Unabhängigkeitsdilemma – Transit als Traum und Trauma

Peter Gärtner | | Artikel drucken
Lesedauer: 19 Minuten

In Panama häufen sich im November die Feiertage. Wie jedes Jahr wird auch 2021 gleich viermal an die Unabhängigkeit des kleinen Landes am südlichen Ende des zentralamerikanischen Isthmus erinnert. Zwei davon – der 10. und 28. November – sind 200-Jahres-Jubiläen, an denen die Unabhängigkeit von Spanien gefeiert wird, die anderen beiden – der 3. und 5. November – verweisen auf die Abspaltung (Sezession) von Kolumbien zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Wie im Reino de Guatemala verlief die Trennung von der iberischen Kolonialmacht friedlich und auch Panama suchte unmittelbar darauf den Anschluss an einen großen Nachbarn. Anders als bei Zentralamerika, das sich bereits nach kurzer Zeit von Mexiko trennte, währte die kolumbianische „Episode“ Panamas mehr als 80 Jahre. Seit dem 3. November 1903 ist das Land formell eine unabhängige Republik, deren Souveränität jedoch mehrfach eingeschränkt blieb. Die USA, ohne die Panamas Trennung von Kolumbien kaum möglich gewesen wäre, besaßen bis 1936 nicht nur das verfassungsmäßig verbürgte Interventionsrecht, sondern hatten sich zudem das Gebiet entlang des Panamakanals als koloniale Zone gesichert.

Der geographische Fakt, dass Panama die schmalste Stelle der Landbrücke zwischen Süd- und Nordamerika bildet, hatte bereits die Spanier veranlasst, diesem Teil ihres Kolonialreiches eine Sonderstellung einzuräumen. Es gab keinen geeigneteren Weg, die Gold- und Silberschätze Perus von der pazifischen auf die atlantische Seite und damit nach Spanien zu schaffen, als den Camino Real in Panama. Die Geographie war auch für die USA ein gewichtiger Grund, sich beim Bau eines inter-ozeanischen Kanals für diesen Teil des zentralamerikanischen Isthmus zu entscheiden. Die Arbeiten begannen 1904, unmittelbar nachdem Panama seine Trennung von Kolumbien vollzogen hatte, und endeten im August 1914. Das historischen Schicksal als Transitzone bestimmte auch den Weg Panamas zur staatlichen Unabhängigkeit und den daran anschließenden Kampf um seine Souveränität. Dabei erweist sich der transitismo, wie der Historiker Alfredo Castillero-Calvo die „Hyperspezialisierung“ seines Landes auf den Transit im Dienste von Imperien und globalen Handelsströmen nennt, nur für eine kleine Elite als Traum. Die sich daraus ergebende Abhängigkeit erwies sich jedoch allzu oft als Trauma. Will man das nationale Dilemma der Landes verstehen, muss man den Bicentenario der Unabhängigkeit von Spanien im historischen Kontext des „Transits als Mission“ (Friedrich von Krosigk) beleuchten.

Transitzyklus und Kolonialpakt

Die Fixierung Panamas auf den Transit geht bis ins 16. Jahrhundert zurück und resultiert aus der zentralen Bedeutung, die der Isthmus für das spanische Imperium hatte. Nachdem klar geworden war, dass der Atlantische und der Pazifische Ozean nur durch eine schmale Landbrücke voneinander getrennt waren, die sich zwischen den beiden Zentren Spanisch-Amerikas, Mexiko und Peru, erstreckte, wurde Panama zur Transitzone par excellence. Von den riesigen Mengen an Edelmetall (185.000 Kilogramm Gold und 16.886 Tonnen Silber), die zwischen 1503 und 1660 nach Sevilla gebracht wurden, passierten 2/3 die Häfen von Panama-Stadt, Nombre de Dios und Portobelo. In seiner besonderen Transitfunktion für Spanien hat Panama sechs spezifische Dienstleistungsbereiche rund um den Transit abgedeckt. Dieser Transitkomplex erfüllte zentrale Aufgaben als:

1. Zentrum der Kolonialverwaltung (audiencia und Bischofssitz);

2. Versorgungsbasis für die dort anlaufenden spanischen Flottenverbände (flotas y galeones);

3. Marktzentrum und Umschlagplatz (ferias von Nombre de Dios bzw. Portobelo);

4. bedeutendes Transportunternehmen;

5. Zentrum der Bewirtung und Unterbringung der zahlreichen Transitreisenden;

6. strategisch wichtige Militärbasis.

Die Transitökonomie erforderte eine große Zahl an Arbeitskräften (meist Sklaven aus Afrika), an Maultieren, die vor allem aus Costa Rica und Nicaragua geliefert wurden, sowie an Lagerkapazitäten. Hinzu kamen Agrar- und Viehwirtschaft, die den enormen Bedarf aber nur teilweise abdecken konnten. Nach der Ära der Messen und Galeonen (1543-1748), die Mitte des 17. Jahrhunderts durch eine schwere Krise überschattet wurde, blühte die Transitökonomie, vermittelt durch die engen Handelsbeziehungen zu Jamaika, zum Ende der spanischen Kolonialherrschaft (1808-1818) noch einmal kurz auf.

Panama: Kanalverwaltung_Hauptgebäude - Foto: Quetzal-Redaktion, tp.Dieser Boom, der aufs engste mit der Wiederbelebung des kolonialen transitismo verbunden war, liefert auch den Schlüssel dafür, dass Panama bis unmittelbar vor der Erklärung seiner Unabhängigkeit loyal zu Spanien stand. Dies ist auch der entscheidende Unterschied gegenüber den in Südamerika gelegenen Gebieten des Vizekönigreichs Neu-Granada, zu dem Panama seit 1739 gehörte. Dort hatte die Unabhängigkeitsbewegung schon frühzeitig eingesetzt (Quito 1809) und war zunächst auch erfolgreich (Patria Boba 1810-1815 in Kolumbien und Erste Republik 1810-1812 in Venezuela). Während die französische Invasion Spaniens 1808 in Kolumbien, Venezuela und Ecuador die Junta- und Autonomiebewegung beflügelten und die Trennung von Spanien beförderten, konsolidierten sie in Panama den Kolonialpakt, was in erster Linie ökonomische Gründe hatte. Die Kontrolle des Atlantik durch Großbritannien, das die Spanier in ihrem Unabhängigkeitskampf gegen Napoleon unterstützte, und die Unabhängigkeit von Buenos Aires führten zum Zusammenbruch und zur Neuausrichtung der Handelsrouten, auf denen das amerikanische Silber transportiert wurde. Wie in Hochzeiten der Messen und Silberflotten lief der Transit nun wieder über den Isthmus. Hinzu kamen die engen Handelsbeziehungen zur britischen Kolonie Jamaika und der Freihandel mit befreundeten und neutralen Staaten, d.h. vor allem mit Großbritannien und den USA. Von diesem unverhofften Wirtschaftsboom profitierten sowohl der spanische Fiskus als auch die kreolische Handelsoligarchie von Panama-Stadt.

Der Transitboom sorgte mit der daraus resultierenden politischen Stabilität und in Verbindung mit der exponierten geographischen Lage dafür, dass sich Panama in dieser Zeit zugleich zur logistischen Drehscheibe der spanischen Truppenbewegungen und zu einem sicheren Rückzugsort der spanischen Royalisten entwickelte. Der Vizekönig von Neu-Granada, Benito Pérez Valdelomar, der sein Amt im August 1810 übernommen hatte, sah sich aufgrund der militärischen Erfolge der Unabhängigkeitsbewegung 1812 gezwungen, Panama erneut den Status einer Real Audiencia zu verleihen und in dieser Eigenschaft zum provisorischen Sitz seiner Regierung zu machen. Nachdem die Spanier unter dem Befehl von Pablo Murillo mit frischen Truppen das Gebiet Neu-Granadas 1815 weitgehend zurück erobert hatten, wurde die Audiencia mit dem neuen Vizekönig Francisco Montalvo an der Spitze Mitte 1816 wieder nach Bogotá verlegt.

Vom abrupten Ende des Transitbooms zur Unabhängigkeitserklärung

Bald danach verlor die panamaische Handelsoligarchie auch ihre Freihandelsprivilegien und der Schiffsverkehr sowohl mit Südamerika als auch mit Mexiko ging drastisch zurück. Die Handelsrouten nach Kolumbien, Ecuador, Peru und Chile waren durch das erfolgreiche Vorrücken von San Martín, Cochrade und Bolívar blockiert, während in Mexiko der Hafen von Veracruz nach dem Sieg der Royalisten über Morelos wieder seine traditionelle Rolle übernehmen konnte. Ein anschauliches Beispiel für die veränderte Situation liefert die Eroberung von Portobelo durch Gregor MacGregor am 10. April 1819, die in Absprache mit der antikolonialen Bewegung erfolgte. Zwar konnten die spanischen Truppen unter Führung von Gouverneur Alejandro de Hore die Invasoren zurückschlagen und mehr als 300 Gefangene machen. Dennoch zeugt der Angriff von der Verwundbarkeit Panamas, zumal auch auf der pazifischen Seite des Isthmus die chilenische Flotte unter Thomas Cochrane jederzeit zuschlagen konnte.

Für die kreolische Handelsoligarchie von Panama-Stadt, die die Spitze der Kolonialgesellschaft bildete, kehrte sich mit dem abrupten Ende des Transitbooms die Interessenlage um. Der Kolonialpakt, aus dem sie bisher immense Vorteile gezogen hatte, wurde immer mehr zur ökonomischen Belastung. Als dann Fernando VII. 1820 die Verfassung von 1812 wieder in Kraft setzen und die Cortes einberufen musste, weckte dies bei der kreolischen Elite in Panama zunächst neue Hoffnungen. Mariano Arosemena, der zu den führenden Vertretern der hauptstädtischen Handelsoligarchie gehörte, nutzte die neuen Freiheiten und gab ab Januar 1821 zusammen mit José María Goytía die Wochenzeitung Miscelánea del Istmo de Panamá heraus. In der Ausgabe vom 26. August bekannte sich Arosemena zum Liberalismus und als Anhänger der konstitutionellen Monarchie. Noch am 3.Oktober ließ sich sein Bruder Blas Arosemena zum Abgeordneten des spanischen Cortes wählen. Wenige Wochen später – am 28. November 1821 – unterzeichneten Mariano und Gaspar Arosemena dann zusammen mit weiteren Persönlichkeiten die Erklärung der Unabhängigkeit von Panama. Wie ist diese jähe politische Wendung zu erklären?

Zum einen hatten sich die Konflikte mit der spanischen Kolonialverwaltung verschärft, deren Ressourcen zugleich immer mehr schwanden. Juan de Sámano, der von 1817 bis 1819 das Amt des Vizekönigs von Neu-Granada ausgeübt hatte, war nach dem Sieg Simón Bolívars in der Schlacht von Boyacá aus Bogotá geflohen und hatte Panama als Zufluchtsort gewählt. Da er als royalistischer Falke bekannt war, weckte seine Ankunft (28. Dezember 1820) ernste Befürchtungen bei den Anhängern der Verfassung von Cádiz, die sich auch rasch bestätigten. Nach dem Tod von Sámano (1. August 1821) übernahm General Juan de la Cruz Mourgeón die Amtsgeschäfte. Der Hof in Madrid hatte ihn zum Generalkapitän und Präsidenten von Quito ernannt und ihm den Auftrag erteilt, die verlorenen Gebiete von Neu-Granada zurückzuerobern. Wenn zwei Drittel wieder unter spanischer Kontrolle wären, sollte er auch den Titel des Vizekönigs führen dürfen. Um seine Expedition nach Ecuador zu finanzieren, forderte er von den reichen Familien Panamas zusätzliche Mittel. Außerdem beanspruchte er das Gros der spanischen Truppen vor Ort (800 Mann) und ließ lediglich eine kleine Truppe von 300 Mann unter dem Kommando von Oberst José Domingo Fábrega zurück.

Zum zweiten gestaltete sich die Lage für die Spanier immer schwieriger. Im September 1821 hatten Mexiko und das Reino de Guatemala ihre Unabhängigkeit von Spanien erlangt. Am 10. Oktober verließen die letzten spanische Truppen für immer Kolumbien und auch die Expedition von General Cruz zur Rückeroberung Ecuadors sollte keinen Erfolg haben. Anfang 1822 gestand er in einem Brief an Bolívar sein Scheitern ein. Im April starb er in Quito. Mit ihm endeten die Versuche der Spanier, die Kolonialherrschaft auf dem Gebiet Neu-Granadas zu restaurieren. In Cartagena standen Truppen Bolívars unter dem Kommando von General Mariano Montilla bereit, den militärisch weitgehend entblößten Isthmus von Panama zu befreien.

Cadiz_Bild_Quetzal-Redaktion_gcIn dieser angespannten, von Unsicherheit und Gerüchten geprägten Situation bekannte sich die Versammlung der Bürger (cabildo abierto) von Villa de Los Santos zu Bolívar und rief am 10. November 1821 die Unabhängigkeit von Spanien aus. Dieser Primer Grito de Indepencencia, dem sich fünf Tage später Natá-Penonomé anschloss, setzte die Handelsoligarchie von Panama-Stadt unter Zugzwang: Am 28. November trat sie mit einer eigenen Unabhängigkeitserklärung die Flucht nach vorn an. Portobelo (30 November 1821), Santiago de Veraguas (1. Dezember 1821) und Alanje (5. Januar 1822) zogen nach. Die Reihenfolge erklärt sich aus der unterschiedlichen politischen Positionierung der jeweiligen Orte: Während der cabildo von Villa de Los Santos im Osten der Halbinsel Azuero die Initiative ergriffen hatte, zögerten die reichen Händler von Panama-Stadt noch, weil sie darin einen irregulären Akt sahen. Erst nachdem sie sich mit José de Fábrega, dem Kommandeur der spanischen Truppen , abgesprochen und ihm das Amt des Jefe Superior del Istmo angetragen hatten, machten sie aus ihrer Not eine Tugend und erklärten ihrerseits für ganz Panama die Unabhängigkeit. Das Schlusslicht bildeten die konservativen Großgrundbesitzer von Veraguas, die der spanischen Monarchie bis dahin die Treue gehalten hatten.

Obwohl es Stimmen gab, die sich wegen der traditionellen Handelsbeziehungen für den Anschluss an Peru oder Mexiko aussprachen, entschied sich die kreolische Elite Panamas für Neu-Granada. Den Ausschlag gab weniger die Bewunderung für Simón Bolívar als vielmehr die Geographie. Neben der Nähe und den historischen Bindungen war es vor allem die beeindruckende Macht der neuen Republik von Großkolumbien, die sich mit ihren 2,5 Millionen Einwohnern auf einem Territorium von 2,5 Millionen km² erstreckte. Per Dekret wurde Panama, wo damals etwa 100.000 Einwohner auf einer Fläche von 85.000 km² lebten, als Departamento del Istmo in den neuen Staat aufgenommen.

Kolumbien, Kalifornien und die Kanalfrage

Bereits kurz nach dem dem Betritt zu Großkolumbien begannen die führenden Sektoren der panamaischen Elite, mehr Autonomie zu fordern, wobei ihnen die mittelalterliche Städteliga der Hanse als Modell für ihren neuen Status vorschwebte. Aus der vorteilhaften geographischen Lage als Transitroute wollten sie ein ökonomisches Maximum schlagen und den Isthmus in eine neutrale Freihandelszone umwandeln. Panama sollte als „país ansiático“ zum zentralen Teil eines globalen Handelsimperiums unter britischem Schutz werden. Die zunehmende Schwäche der Zentralregierung in Bogotá und der Austritt Venezuelas und Ecuadors aus der Konföderation im Juli 1831 beförderte das Unabhängigkeitsstreben der panamaischen Elite. Obwohl die Abspaltung von Kolumbien nur für kurze Zeit Bestand hatte, bot der dort ausgebrochene Bürgerkrieg im November 1840 eine weitere Gelegenheit, Panama für unabhängig zu erklären. Der neue Staat gab sich den Namen Estado Libre del Istmo (dt. Freistaat des Isthmus) und existierte mit einer eigenen Verfassung bis zum 31. Dezember 1841. Nach 13 Monaten Unabhängigkeit kehrte Panama in den politischen Verband Neu-Granadas zurück. 1855 wurde der Isthmus zum souveränen Bundesstaat erklärt, was in der Verfassung der Confederación Granadina von 1858 seine Bestätigung fand. Der Weg in den extremen Föderalismus wurde dann mit der Verfassung von 1863 besiegelt. Kolumbien setzte sich nun aus neun souveränen Teilstaaten zusammen, darunter auch Panama. Die Verfassung von 1886, die – durch Reformen ergänzt – bis 1991 Bestand hatte, markierte schließlich die Umkehr zur unitarischen Republik. Der Streit um die für Kolumbien am besten geeignete Verfassung war Teil des permanenten Richtungskampfes zwischen Konservativen und Liberalen, der oft in blutigen Bürgerkriegen gipfelte und erst durch den Kompromiss der Frente Nacional von 1957 ein Ende fand. Besonders dramatische Folgen hatte der „ Krieg der 1000 Tage“, der von 1899 bis 1902 währte. Er bereitete maßgeblich den Boden für die endgültige Trennung Panamas von Kolumbien im Jahr 1903.

Neben der auf die Transitmission fixierten Elite Panamas und der politischen Instabilität Kolumbiens spielte der wachsende Einfluss der USA eine entscheidende Rolle bei der Gründung der Kanalrepublik. Mit dem kalifornischen Goldrausch (1848) und dem Bau einer trans-isthmischen Eisenbahnlinie (1850-1855) erlebte Panama einen erneuten „Transitboom“. Zwischen 1856 und 1867 wurden von der Panama road, die von US-Unternehmen gebaut worden war, auf der Strecke zwischen Aspinwall (heute Colón) und Panama-Stadt ca. 400.000 Passagiere befördert. Zusammen mit der Nikaragua-Route verkürzte der Transit durch Panama den Weg zwischen der Ost- und Westküste der USA deutlich. Die Eröffnung der Route nach Kalifornien legte den Grundstein für die rapide Nordamerikanisierung der Transitzone, was in der Gründung Panama_Canal_Railway_Bild_wiki_cceiner neuen Hafenstadt (Aspinwall 1852), der Herausgabe des Panama Star and Herald als eigenständiges Presseorgan, der raschen Verbreitung der englischen Sprache und im Gebrauch des US-Dollar als faktische Währung deutlich sichtbar wurde. Hinzu kamen noch Sicherheitstruppen vor Ort, die von US-Amerikanern organisiert wurden, sowie die zahlreichen Militärinterventionen Washingtons.

Nach der Fertigstellung einer transkontinentalen Eisenbahnverbindung in den USA (1867) fand der neuerliche Transitboom ein abrupten Ende. Die traumhaften Dividenden aus dem Transitgeschäft fielen von 44 Prozent (1868) auf drei Prozent (1871). Von den riesigen Gewinnen verblieb kaum etwas in Panama. Bis zum nächsten großen Transittraum, dem französischen Kanalprojekt (1880-1889), verfiel das Land wieder in Lethargie. Totale Abhängigkeit und extreme Passivität gegenüber externen Schocks bildeten die Kehrseite der Transitökonomie. Die kurze „kalifornische Wiederentdeckung“ Panamas signalisierte zugleich die Ablösung der britischen Hegemonialstellung durch die rasch aufsteigende USA. Im Clayton-Bulwer-Vertrag von 1850 gaben sich beide Seiten gegenseitig die Zusage, dass sie keine ausschließliche Kontrolle über einen künftigen inter-ozeanischen Kanal in Zentralamerika anstreben werden. Nach dem Spanisch-Amerikanischen Krieg von 1898 ging Washington dann endgültig daran, diesen Jahrhunderte alten Traum in die Tat umzusetzen. Der transitismo wurde damit endgültig zum Schicksal Panamas.

Die Kanalrepublik …

Der inter-ozeanische Kanal stellt für Panama Fluch und Segen dar. Mit seiner Fertigstellung am 15. August 1914 erfüllte sich einerseits der lange gehegte Traum all jener, die den Isthmus als Zentrum und Drehscheibe globaler Vernetzung sehen. Gemessen an den natürlichen Hindernissen, die zu überwinden waren, stellt er ein bleibendes Meisterwerk der Ingenieurkunst dar. Der 81,6 km lange und mit drei Schleusen (Gatún, Pedro Miguel, Cerro Sosa) ausgestattete Kanal überwindet einen Höhenunterschied von 26 Metern. Dem riesigen Aushub an Erdreich (238 Mio. Kubikmeter) entspricht der enorme Kapitaleinsatz von 387 Mio. US-Dollar. Für den Kanalbau wurden mehr als 62.000 Arbeitskräfte aus 72 Nationalitäten beschäftigt, von denen mehr als 2/3 (68,5 Prozent) aus Barbados, Jamaika, Martinique, Guadeloupe und von anderen karibischen Inseln kamen. Außerdem stammten etwa 12.000 aus Europa (v.a. Spanien und Italien). Mehr als 11.000 Arbeiter starben an Unfällen, Gelbfieber und Malaria (Schmidt-Häuer, S. 252-309). Aus der Sicht westlichen Fortschrittsglaubens symbolisiert der Panama-Kanal einen Sieg des Menschen über die (tropische) Natur.

Der Baus des Kanals ist untrennbar mit der Gründung Panamas am 3. November 1903 und dem Kanalvertrag, der am 18. November 1903 zwischen dem US-Außenminister John Hay und dem Franzosen Philippe Bunau-Varilla in Washington geschlossen worden war, verbunden. Artikel 1 des Vertrages legt fest, dass die USA die Souveränität Panamas garantieren und dafür eine Zone zu beiden Ufern des Kanals „auf ewig“ zugesprochen bekommen. Sie teilte das Territorium des neuen Staates inmitten seines ökonomischen und politischen Zentrums und erlaubte den USA den direkten Zugriff die Hafenstädte Colón (Atlantik) und Panama-Stadt (Pazifik). Darüber hinaus gab der Artikel 136 der 1904 verabschiedeten panamaischen Verfassung den USA das Recht, jederzeit zu intervenieren, wenn sie die Stabilität des Landes und die Sicherheit des Kanals gefährdet sahen (Schubert, S. 86-89). Kanalkolonialismus und Protektoratsstatus bildeten die unauslöschlichen Geburtsmale Panamas und gaben dem neuen Staat das Gepräge einer Kanalrepublik. Auch nachdem im Zuge der Good Neighbor Policy von Franklin D. Roosevelt Washington von seiner Interventionspolitik vorerst Abstand nahm und der Kanal in den 1950er Jahren für die USA an strategischer Bedeutung verlor, war es bis zur Rückgabe der Kanalzone an Panama noch ein weiter Weg.

Die Kanalzone bildete von 1903 bis 1979 eine militärische, politische, ökonomische und kulturelle Enklave innerhalb Panamas und erwies sich damit als ein erstes Grundübel der neuen Republik. Als eine von den USA beherrschte Kolonie erstreckte sich die Zone in einer Gesamtbreite von zehn Meilen (16,2 km) entlang der Wasserstraße und umfasste einschließlich des Gatunsees ein Territorium von 1.432 km³, auf dem 1972 ca. 50.000 Einwohner lebten. Sie unterstand dem Pentagon, das dort 14 Militärbasen unterhielt, und wo auch das SOUTHCOM der US-Streitkräfte seinen Sitz hatte. Innerhalb der Zone galt US-amerikanisches Recht, das durch eine eigene Polizei und Justiz durchgesetzt wurde. Ihre Existenz stellt den prägnantesten Ausdruck der Unterwerfung des Isthmus unter die US-amerikanische Herrschaft dar. In den Augen der Panamaer galt die Kanalzone aber nicht nur als „Inkarnation des Yankee-Kolonialismus und Imperialismus“, sondern präsentierte sich auch als multifunktionales Medium für Wohlstand, als Quelle von Arbeitsplätzen und für den Schwarzhandel sowie als Sozialstaat mit vorzüglichen Krankenhäusern und Schulen. Sie „verführte und deformierte zugleich“ (Krosigk, S. 181f).

… und ihre drei Grundübel

Blickt man auf seine lange Geschichte zurück, dann zeichnet sich der transitismo Panamas (a) durch die einseitige und dauerhafte Fixierung auf Dienstleistungen aus, die (b) darauf gerichtet ist, die Überseeverbindungen von Imperien zu gewährleisten, weshalb (c) diese sich mit einem breiten Spektrum von Mitteln das Kontrollmonopol über die dafür genutzten Territorien, Ressourcen und Einrichtungen sichern. Damit verbinden sich solche Eigenschaften wie Abhängigkeit, Unterwerfung unter fremde Interessen, Verwundbarkeit, Rentenmentalität, sozioökonomischer Dualismus und territoriale Fragmentierung. Mit dem von den USA gebauten und beherrschten Kanal steigert sich der transitismo ins Extrem, der in dieser neuen Variante das zweite Grundübel der Kanalrepublik darstellt.

Als Panama 1903 unabhängig wurde, herrschte dort bereits ein für Lateinamerika ungewöhnlicher Rassismus, der sich einerseits aus kolonialen Wurzeln und andererseits aus der Nordamerikanisierung während des „Kalifornien-Booms“ speiste. Der Bau des Panama-Kanals und der Errichtung der US-Zone steigerte und institutionalisierte die rassistisch begründete Segregation weiter, was sich besonders im Arbeitsregime zeigte, das in der Kanalzone herrschte. Während die (weißen) Nordamerikaner auf der Basis einer Goldparität des Dollars (gold pay roll) noch über dem in den USA üblichen Niveau bezahlt wurden, bekamen die farbigen, englisch sprechenden Zuwanderer aus Westindien (span.: antillanos) ihren Lohn nach der niedrigeren Silberparität (silver pay roll).

Wie bereits beim Eisenbahnbau gingen auch beim Bau des Panama-Kanals Amerikanisierung und die Antillanisierung Hand in Hand. Während ganz Panama bei den Nordamerikanern sowieso als isthmische „Negerhochburg“ (Krosigk, S. 108, 245) galt, waren die Arbeitskräfte von den Antillen in den Augen der Panamaer „kooptierte Gehilfen des amerikanischen Kanalregimes“ und damit einem doppelter Zwang zur Selbstbehauptung ausgesetzt: Sie mussten sich sowohl gegen panamaische als auch gegen US-amerikanische Diskriminierung zur Wehr setzen. Für den Zeitraum bis 1914 wird angenommen, dass etwa 130.000 Antillaner, die als Arbeitskräfte angeworben worden waren, nicht mehr auf ihre Heimatinseln zurückkehrten. Im Verlaufe der Zeit gaben die meisten dem Druck nach und assimilierten sich, während andere (ca. 16.000) in den 1950er Jahren in die USA auswanderten. Im letzten Zensus von 2010 gab ein Viertel der über 300.000 Afro-Panamaer als Identität „Negro/a colonial“ an, während ein Fünftel die Kategorie „Negro/a antillano/a“ bevorzugte. (Krosigk, S. 126, 133-137; Schmidt-Häuer, S. 283-285). Indem die USA den kolonial vererbten Rassismus in Panama noch steigerten und strukturell „modernisierten“, bescherten sie der Kanalrepublik ihr drittes Grundübel.

Ein Akt der nationalen Befreiung

Als Reaktion auf die koloniale Vereinnahmung Panamas durch die USA entwickelte sich ein anti-imperialistisch ausgerichteter Nationalismus. Im Zentrum des Kampfes um die volle Souveränität stand die Rückgabe des Kanals an Panama. Die Machtübernahme von Omar Torrijos 1968 leitete eine Wende im Kampf des isthmischen Davids gegen den „Koloss im Norden“ ein. Unter seiner Führung gelang das schier Unmögliche: 1977 wurden die Torrijos-Carter-Verträge unterzeichnet, in denen Washington seine Bereitschaft erklärte, die Kontrolle über die Kanalzone schrittweise an Panama zu übertragen. Am 31. Dezember 1999 erlangte das Land endlich seine Souveränität über den Kanal zurück. Nach der Independencia von Spanien 1821 und der Trennung von Kolumbien 1903 war die nationale Befreiung vom Kanalkolonialismus der USA der letzte und entscheidende Schritt, mit dem sich Panama aus seinem Unabhängigkeitsdilemma befreite.

 

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Literatur

Araúz, Celestino Andrés: La independencia de Panamá en 1821: Antecedentes, balance y proyecciónes. Panamá 1980

Castillero-Calvo, Alfredo: Transitismo y dependencia. El caso del istmo de Panamá, in: Nueva sociedad, numero 5, März-April 1973, S. 35-50

Castillero Calvo, Alfredo: Independencia de Panamá de España. Para el Bicentenario: nuevas evidencias y reflexiones Tareas, núm. 141, mayo-agosto, 2012, pp. 101-128

Gärtner, Peter: Zwischen zwei Kontinenten. Geschichte und Gegenwart Zentralamerikas. Münster 2020, bes. S. 291-316

Jaén Suárez, Omar: Bicentenario de Independencia de Panamá de España. Panamá, 11 de noviembre de 2020.

Krosigk, Friedrich von: Panama – Transit als Mission. Frankfurt a. M. 1999

Leis, Raúl: Panama und die Übergabe der Kanalzone. Ibero-Analysen 2, Berlin 1999

Orueta, Luis de: Los virreyes de América del Sur II. Valencia 2018

Schmidt-Häuer, Christian: Tatort Panama – Konquistadoren, Kanalbauer, Steuerflüchtlinge. Münster 2018

Schubert, Alex: Panama – Geschichte eines Landes und eines Kanals. Berlin 1978

 

Bildquellen: [1] Quetzal-Redaktion_tp; [2] Quetzal-Redaktion_gc; [3] wiki_cc

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