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Politik und Kultur in Lateinamerika

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„Wie Sandino sterben“
Warum Ernesto Guevara in Guatemala zum Revolutionär wurde

Peter Gärtner | | Artikel drucken
Lesedauer: 16 Minuten

Guatemala: Che in Guatemala, 1954 - Foto: Public DomainAb wann ist man ein Revolutionär? Was bedeutet das überhaupt, und wie wird man einer? Gerade im Fall von Ernesto Guevara scheint es, dass diese Fragen leicht zu beantworten sind. Immerhin hat der Argentinier als Guerillero an der Seite von Fidel Castro in der Sierra Maestra gekämpft und mit seinem Sieg in der Schlacht von Santa Clara Ende Dezember 1958 einen entscheidenden Beitrag zum Sturz der Batista-Diktatur geleistet. Bevor er bei dem Versuch, die Revolution bis in das Herz der Anden zu tragen, 1967 in Bolivien tragisch scheiterte, stand Che bei der sozialistischen Umgestaltung in Kuba an vorderster Front. Wie aber wurde aus einem abenteuerlustigen jungen Mann, der mit seinem Freund Alberto Granado 1952 erstmals auf die große Reise durch Lateinamerika gegangen war und dabei bis Miami kam, ein überzeugter und weltweit bekannter Kämpfer gegen den Imperialismus?

Noch bevor sich die Wege von Ernesto Guevara und Fidel Castro im Juli 1955 in Mexiko kreuzten, hatten beide auf höchst unterschiedliche Weise ihre Erfahrungen in Sachen Revolution gesammelt. Fidel hatte am 26. Juli 1953 in Santiago de Cuba versucht, mit dem Sturm auf die Moncada-Kaserne Batista zu stürzen, überlebte dies nur knapp und saß dann bis Mai 1955 im Gefängnis.

Ernesto hingegen hatte bis dahin noch nicht zur Waffe gegriffen. Seine zweite Lateinamerika-Reise hatte ihn kurz vor Weihnachten 1953 nach Guatemala geführt. Einige Tage zuvor hatte er in einem Brief aus San José seiner Tante Beatriz angekündigt: „In Guatemala will ich mich vervollkommnen und mir die Fähigkeiten aneignen, die ein echter Revolutionär braucht.“ Lee Anderson, der diese Worte in seiner Che-Biographie zitiert (Anderson 1997, S. 108), findet dafür folgende Erklärung: „In der Revolution von Guatemala hatte Ernesto zum ersten Mal in seinem Leben etwas gefunden, mit dem er sich politisch voll und ganz identifizieren konnte“ (ebenda, S. 109). Andere Biographen nennen diesen Aufenthalt Guevaras, der immerhin neun Monate währte, eine Zeit des „politischen Erwachens“ (Castañeda 1997, S. 88). Wieder andere sehen im damals 25jährigen Ernesto lediglich „eine Figur … die auf halbem Wege stehengeblieben war“ (Taibo II 1997, S. 62). Besonders harsch fällt das Urteil von Gerd Koenen aus, der in der Reise nach Guatemala schlicht eine „erneute Flucht“ zu erkennen glaubt (Koenen 2012, S. 107). Welche dieser Einschätzungen trifft nun zu? Konnte der junge Ernesto seinen hohen Anspruch einlösen und zum Revolutionär reifen? Oder stellte der Aufenthalt in Guatemala lediglich die vorletzte Station auf dem langen Weg in die Sierra Maestra dar? Und wenn es sich gar um eine Flucht handeln sollte – wovor und wohin?

Ausgerechnet Guatemala?

Nachdem Ernesto Guevara sein Medizinstudium in Buenos Aires erfolgreich abgeschlossen hatte, startete er mit seinem Jugendfreund Carlos „Calica“ Ferrer im Juli 1953 zu seiner zweiten Lateinamerika-Reise. Ihr Weg führte sie zunächst nach Bolivien, wo mehr als ein Jahr zuvor eine Revolution ausgebrochen war und gerade eine Agrarreform umgesetzt wurde. Nach dem erneuten Besuch von Cuzco, Machu Picchu und Lima in Peru gelangten sie Ende September in die ecuadorianische Hafenstadt Guayaquil. Hier entschied sich Ernesto, nicht wie ursprünglich geplant nach Caracas zu reisen, sondern stattdessen seine Route in Richtung Guatemala zu ändern. Über Panama, Costa Rica, Nicaragua, Honduras und El Salvador erreichte er in Begleitung von Ricardo Rojo, einem jungen argentinischen Anwalt, am 24. Dezember Guatemala-Stadt. Bereits auf dem Weg durch Zentralamerika wich Ernestos Abenteuerlust zunehmend einem regen politischen Interesse. So traf er sich in Costa Rica mit Manuel Mora Valverde, dem Führer der dortigen Kommunisten, der ihn über die politische Situation nach dem Bürgerkrieg 1948 und die Positionen der wichtigsten Politiker des Landes aufklärte (Guevara: Tagebuch 1953-1956, S. 43-47).

Außerdem diskutierte er dort mit Juan Bosch und Rómulo Betancourt, die später als Präsidenten ihre Heimatländer – die Dominikanische Republik und Venezuela – regieren sollten. Noch im Nachhinein besticht die präzise und treffende Beschreibung dieser Debatten (ebenda, S. 42 und 47) Auch in Guatemala, wo er sich bis zur dritten September-Woche 1954 aufhielt, interessierte sich Ernesto Guevara für das politische Geschehen und führt intensive Diskussionen mit zahlreichen Aktivisten, Exilanten und Politikern. Das zentralamerikanische Land erwies sich in mehrfacher Hinsicht als prägend für sein weiteres Leben. Hier lernte er Hilda Gadea, eine peruanische Aktivistin der APRA, kennen, die er später in Mexiko heiratete. In Guatemala schloss er Freundschaft mit Nico López, der mit Fidel am Angriff auf die Moncada teilgenommen hatte.

Durch dessen Vermittlung lernte er schließlich die Brüder Raúl und Fidel Castro kennen, an deren Seite er als Guerillero für den Sieg der kubanischen Revolution kämpfte. Über Hilda kam er mit bekannten Intellektuellen wie dem Nicaraguaner Edelberto Torres in Kontakt und schloss Freundschaft mit Aktivisten des kommunistischen Jugendverbandes. Besonders intensiv gestaltete sich sein Verhältnis mit Harold White, einem 50jährigen Professor aus den USA, durch den er systematisch mit dem Marxismus vertraut gemacht wurde (Cambranes 2003, S. 94-97, 168-169, 173-176). In Guatemala erhielt er schließlich auch seinen Spitznamen „Che“. Allein diese kurze Aufzählung macht deutlich, dass die neun Monate Aufenthalt in Guatemala eine entscheidende Phase im Leben von Ernesto Guevara bildeten. Hier lernte er seine erste Frau kennen, und seine marxistische Bildung erhielt ihren intellektuellen Schliff. Ohne Guatemala hätten sich seine Wege kaum mit denen von Fidel Castro gekreuzt. Und erst Guatemala hat ihn gelehrt, worauf es bei einer Revolution im Hinterhof der USA ankommt.

Guatemala 1954 – ein konter-/revolutionäres Lehrstück

Guatemala: Präsident Jacobo Arbenz, - Foto: Public DomainAls Ernesto Guevara Ende 1953 in Guatemala ankam, befand sich die Revolution, die 1944 mit dem Sturz der Ubico-Diktatur begonnen hatte, in ihrer entscheidenden Phase. 1951 war Oberst Jacobo Arbenz zum Präsidenten des Landes gewählt worden und hatte im Juni 1952 mit dem Dekret 900 eine Agrarreform eingeleitet, durch die mehr als 100.000 Bauern mit ihren Familien Land erhielten. Betroffen waren hauptsächlich die United Fruit Company (UFCO), ein in Lateinamerika tätiger US-amerikanischer Bananenkonzern, und die Kaffee-Großgrundbesitzer-Oligarchie.

Betroffen waren lediglich unbewirtschaftete Flächen, was unter den Bedingungen Guatemalas dennoch immensen sozialen Sprengstoff barg, den Reformprozess radikalisierte und damit revolutionäre Dimensionen annahm. Sowohl Washington als auch die guatemaltekische Oligarchie sahen deshalb in der Agrarreform und der mit ihr verbundenen Mobilisierung der Landbevölkerung eine existentielle Gefahr für ihre traditionellen Machtpositionen und reagierten darauf mit einer konterrevolutionären Offensive, der sich auch die katholische Kirche und die reaktionäre Presse anschlossen.

Präsident Arbenz und die revolutionären Parteien, zu denen auch der kommunistische Partido Guatemalteco del Trabajo (PGT – Guatemaltekische Partei der Arbeit) gehörten, vertrauten in dieser angespannten Situation auf die Loyalität der Armee, was sich jedoch als ein kardinaler Fehler erweisen sollte. Als eine von der CIA unterstützte Söldner-Truppe unter der Führung von Oberst Castillo Armas am 18. Juni 1954 von Honduras aus die guatemaltekische Grenze überschritt, leisteten die Regierungstruppen nur zögerlich Widerstand. Daraufhin entschloss sich Arbenz eine Woche später, die Arbeiter und Bauern des Landes zu bewaffnen, was die Armeeführung jedoch verweigerte. Sie stellte dem Präsidenten ein Ultimatum. Um einen blutigen Bürgerkrieg zu verhindern, verkündete Arbenz am 27. Juni seinen Rücktritt und bat in der mexikanischen Botschaft um Exil. Damit hatte die Konterrevolution freie Bahn. Als erstes wurde der PGT für illegal erklärt, gefolgt vom Verbot der übrigen revolutionären Parteien und der Gewerkschaften. Das Land wurde von einer blutigen Welle der Repression überzogen, der besonders Aktivisten und Nutznießer der Agrarreform zum Opfer fielen. Das Dekret 900 wurde aufgehoben, und die UFCO sowie die bis dahin enteigneten Großgrundbesitzer erhielten ihr Land zurück.

Die Wirkungen des konterrevolutionären Sieges in Guatemala reichten weit über das kleine Land auf dem zentralamerikanischen Isthmus hinaus. Obwohl Arbenz bei der Konzipierung und Umsetzung seiner Reformen eng mit dem PGT zusammengearbeitet hatte, zielten diese weder auf eine sozialistische Revolution noch auf eine kommunistische Machtergreifung. Vielmehr verstand sich sein Programm ausdrücklich als eines der kapitalistischen Modernisierung mit dem Ziel, die Rückständigkeit und Abhängigkeit Guatemalas zu überwinden. Aber schon das war für Washington zu viel. Der Sturz von Arbenz machte überall in Lateinamerika und der restlichen Welt klar, dass ein nationalistisches, prokapitalistisch orientiertes Reformprogramm dann keine Chance hatte, wenn es per Agrarreform die traditionellen Macht- und Eigentumsverhältnisse in Frage stellte. Selbst in Bolivien, wo von der Agrarreform im Unterschied zu Guatemala kein US-Eigentum betroffen und die kleinbürgerliche Revolutionsführung strikt antikommunistisch orientiert war, kam es 1964 zu einem Militärputsch, der von Washington gebilligt worden war.

Der Sieg der Konterrevolution von 1954 war für Guatemala eine Katastrophe mit Langzeitwirkung. Deren Tragik lag nicht allein darin begründet, dass sie abrupt eine Zeit des demokratischen Frühlings beendete, in der sich das guatemaltekische Volk erstmals Hoffnung auf eine gerechtere Gesellschaft machen konnte. Danach versank das Land in einem Teufelskreis von Unterdrückung, Gewalt, Korruption und Rassismus, der Anfang der 1980er in einem Genozid an der indigenen Bevölkerungsmehrheit gipfelte. Fortschrittliche Militärs, Studenten, Bauern, Gewerkschafter, christliche Basisgemeinden, indigene Bewegungen und Guerilleros unternahmen immer wieder den Versuch, diesem Alptraum ein Ende zu bereiten, was jedoch bis heute nicht gelungen ist. Aus der Büchse der Pandora, die von den USA 1954 geöffnet wurde, ergießt sich immer neues Unheil über Guatemala.

Für Ernesto Guevara, der sowohl das Versagen der revolutionären Parteien und den Verrat der Armeeführung als auch die US-gesteuerte Söldner-Invasion aus unmittelbarer Nähe miterleben musste, war Guatemala eine grundlegende Erfahrung, die ihn zum Revolutionär reifen ließ. Gerade aus der Position des engagierten Beobachters und klarsichtigen Analysten kam er zu Erkenntnissen, die den kubanischen Revolutionären später halfen, ein zweites Guatemala zu verhindern. „Guatemalas bitterste Stunde“ (Guevara: Tagebuch 1953-1956, S. 150) wurde auf diese Weise zum Geburtshelfer der ersten sozialistischen Revolution in der westlichen Hemisphäre, die der US-Imperialismus seit 1898 schrittweise unter seine Kontrolle gebracht hatte. Die Ironie der Geschichte besteht genau darin: Mit seiner Invasion 1954 in Guatemala hat Washington selbst den Grundstein dafür gelegt, dass die kubanischen Revolutionäre, die daraus gelernt hatten, sieben Jahre später, als die CIA ihren Coup mit der Invasion in der Schweinebucht wiederholen wollte, diese Feuertaufe erfolgreich bestanden. Entscheidend dafür, dass ein Sieg der Konterrevolution á la „Guatemala 1954“ in Kuba verhindert werden konnte, waren die Lehren, die Ernesto Che Guevara und mit ihm seine kubanischen Kampfgefährten aus dem Sturz von Arbenz gezogen hatten (Cambranes 2004, S. 234).

Che Guevaras innovatives Revolutionskonzept

Guatemala: Hilda Gadea und Che Guevara in Yucatán, 1955 - Foto: Public DomainBereits in Guatemala hatte Ernesto Guevara wichtige Erkenntnisse und Lehren aus den Ereignissen von 1954 formuliert. Neben Kommentaren aus seinem Tagebuch sowie Briefen an seine Familie und Freunde in Argentinien finden sich diese in zwei Artikeln, die er dort verfasst hatte. Den ersten, „Das Dilemma in Guatemala“, hatte er im April 1954 geschrieben (Guevara: Tagebuch 1953-1956, S. 153-155; vgl. auch Cambranes 2004, S. 146-149). Den zweiten, „Yo vi la caída de Jacobo Arbenz“ („Ich habe den Sturz von Jacobo Arbenz erlebt“), brachte er während und nach der Söldner-Invasion zu Papier. Obwohl letzterer leider in den Wirren des konterrevolutionären Umsturzes verloren gegangen ist, konnte Hilda Gadea, die Ernesto beim Verfassen geholfen hatte, in ihren Erinnerungen wichtige Erkenntnisse rekonstruieren (Cambranes 2004, S. 54, 218-221).

Nach dem Sieg der Guerilleros 1959 in Kuba kam Ernesto Guevara immer wieder auf Guatemala 1954 zurück, um das Vorgehen der kubanischen Revolution genauer zu erklären und zu begründen. Der guatemaltekische Historiker Julio Castellanos Cambranes, der Che aus einer Diskussionsrunde in der Nacht vom 5. Januar 1963 in La Habana persönlich kannte, gibt mit eigenen Worten jene Erkenntnisse wieder, die dieser damals in Erinnerung an seine Erlebnisse 1954 in Guatemala vorgetragen hatte (Cambranes 2004, S. 20-24). Darüber hinaus hatte sich Che Guevara während seiner „guatemaltkischen Episode“ intensiv mit der Revolution in Bolivien (vgl. Cambranes 2004, S. 100-101, 111), dem intellektuellen Erbe des peruanischen Marxisten Maríategui (ebenda, S. 163), den Werken des Ecuadorianers Jorge Icaza, einem Kenner der indigenen Bevölkerung und der Agrarfrage in den Anden (ebenda, S. 122-128), und von Carlos Luis Fallas, einem bekannten kommunistischen Gewerkschaftsführer aus Costa Ricas und Autor des Buches „Mamita Yunai“ beschäftigt. Auch Diskussionen über die chinesische Revolution gehörten zu den „Lektionen“, mit denen sich der junge Argentinier damals beschäftigte (ebenda, S. 132-134). Immer wieder spielte dabei die Frage der Agrarreform eine zentrale Rolle (ebenda, S. 251-254).

Anhand der genannten Quellen lassen sich folgende Schlussfolgerungen und Lehren nennen, die Che Guevara aus der Niederlage der Revolution 1954 in Guatemala gezogen hatte:

Erstens gehen die USA brutal gegen jeden Versuch vor, der die Verhältnisse in Lateinamerika zugunsten des Volkes ändern will. All jene, die einen solchen starten, ob Reformer oder Revolutionäre, müssen mit der verdeckten oder offenen Einmischung Washingtons rechnen und bereit sein, diese mit allen Mitteln abzuwehren. Der US-Imperialismus ist der Hauptfeind der um ihre Befreiung kämpfenden Völker.

Zweitens bildet die Agrarreform die zentrale Achse des Kampfes gegen Rückständigkeit und Abhängigkeit. Sie muss darauf zielen, die Macht der Oligarchie zu zerbrechen und darf auch vor der Enteignung von US-Unternehmen nicht haltmachen.

Drittens bildet die Bauernschaft die soziale Basis der Revolution.

Viertens muss das Volk darauf vorbereitet werden, der Invasion der USA notfalls seinen bewaffneten Widerstand entgegen zu setzen.

Fünftens neigt die „alte“ Armee generell zum Verrat und ist früher oder später bereit, sich auf die Seite des US-Imperialismus zu schlagen. Sie muss deshalb zerschlagen werden.

Sechstens erfordert all dies die Eroberung der Macht auf bewaffnetem Weg.

Siebtens bedarf es der Einheit der revolutionären Kräfte.

Achtens hat die Revolution nur dann eine Chance, wenn sie offensiv und radikal vorgeht. Zögerliches und unentschlossenes Handeln gefährdet den Erfolg des revolutionären Prozesses.

In seinem Essay „Das Dilemma in Guatemala“ hebt Ernesto Guevara die feste Entschlossenheit hervor, derer es bedarf, um die Revolution zum Erfolg zu führen und verweist dabei auf das Beispiel des nicaraguanischen Guerillaführers Augusto César Sandino: „… und wenn schon gestorben werden muss, dann wollen wir wie Sandino sterben“ (Guevara: Tagebuch 1953-1956, S. 155). Er selbst hatte sich im Juni 1954 mehrfach vergeblich bemüht, an die Front geschickt zu werden, um dort mit der Waffe in der Hand gegen die Söldner von Castillo Armas zu kämpfen (ebenda, S. 77, 137).

Ches guatemaltekisches Vermächtnis

Nach dem Einzug von Castillo Armas in Guatemala-Stadt begab sich Ernesto Guevara als „Gast“ in die argentinische Botschaft, um dort den Exilsuchenden besser helfen zu können. Dort lernte er auch Ricardo Ramírez kennen, der später (ab 1972) als Comandante Rolando Morán die Guerillaorganisation des EGP (Ejército Guerrillero de los Pobres – Guerillaarmee der Armen) anführen sollte. In seinem Tagebuch beschreibt er den künftigen Guerillero mit folgenden Worten: „Ricardo Ramírez ist vielleicht einer der fähigsten Jugendführer. Offenbar hat ihm die Partei (gemeint ist der PGT – P.G.) ein Zuhause gegeben, ein Zuhause, dass er in seiner Jugend nicht gekannt hatte, oder besser gesagt: in seiner Kindheit, denn er ist eben erst 23 geworden. Er will nach Buenos Aires, und es wird ihm guttun, Erfahrungen in der Partei zu machen. Er besitzt einen hohen Bildungsgrad, und seine Art, Probleme anzugehen, ist sehr viel weniger dogmatisch als die anderer Genossen“ (ebenda, S. 91). Der damals 23jährige gehörte im Dezember 1996 zu den Mitunterzeichnern des Friedensvertrages, mit dem der 1960 begonnene „interne Konflikt“ seinen Abschluss fand.

Auf seinem Weg nach Mexiko lernte Ernesto einen jungen Guatemalteken, Julio Cáceres, genannt El Patojo, kennen. Schnell schlossen die beiden Freundschaft, die bis zum frühen Tod von Patojo währte. Dieser hatte sich 1962 in Guatemala der Guerilla angeschlossen und war am 13. März in einem Gefecht mit der Armee getötet worden (ebenda, S. 94/95, 101; Cambranes 2004, S. 24). Mit dem Sieg der kubanischen Revolution erlebte auch in Guatemala der bewaffnete Kampf einen Aufschwung, scheiterte aber an den neuen Strategien der Aufstandsbekämpfung. Die 1954 etablierte Konterrevolution antwortete auf alle Versuche, das unerfüllte Vermächtnis von Arbenz wieder aufzunehmen, mit der Steigerung und Perfektionierung der Repression. Auch die neuen Hoffnungen, die nach dem Sieg der Sandinisten 1979 aufkeimten, wurden im Blute erstickt. Erst 1996 einigten sich Guerilla und Regierung auf ein Friedensabkommen. Mehr als 250.000 Guatemalteken ließen im Bürgerkrieg ihr Leben. Heute gilt Guatemala als Narco-Staat, in dem die allgegenwärtige Korruption bis ins höchste Regierungsamt reicht. Seit 1954 ist das Thema der Agrarreform mit einem Tabu belegt, und die modernisierte Oligarchie tut alles, damit dies so bleibt. Unter diesen Bedingungen hat auch die Demokratie keine Chance.

Che Guevara, der das „Land des ewigen Frühlings“ 1954 verlassen musste, konnte dennoch sein guatemaltekisches Vermächtnis in mehrfacher Hinsicht in die revolutionären Prozesse des 20. Jahrhunderts einbringen: Erstens waren die kubanischen Revolutionäre, denen er sich 1955 angeschlossen hatte, dank seiner direkten Erfahrungen in Guatemala in der Lage, ihre Lehren aus den Ereignissen von 1954 zu ziehen und so den Sieg ihrer Revolution zu sichern. Zweitens verlieh die kubanische Revolution den Befreiungskämpfern in ganz Lateinamerika neue Impulse und eröffnete ihnen neue Horizonte. Zu den Ländern, wo dies in besonderem Maße der Fall war, zählt Guatemala. Drittens inspirierte Che jene Guatemalteken und Exilanten, die ihn persönlich kennen und schätzen gelernt hatten, zur aktiven Teilnahme am revolutionären Kampf gegen den Imperialismus. Viertens hätte er wohl ohne die einschneidenden Erfahrungen, die er 1954 in Guatemala gesammelt hat, nicht jenen Weg einschlagen können, der ihn an die Seite Fidel Castros führte. In diesem Sinne bleiben Ernesto Guevara und Guatemala für immer miteinander verbunden.

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Literatur:

Anderson, Lee: Che. Die Biographie. München 2001 Castañeda, Jorge: Che Guevara. Frankfurt a. M. 1997

Castellanos Cambranes, Julio: La presencia viva del Che Guevara en Guatemala. San José 2004

Castellanos Cambranes, Julio/ Pinto Soria, Julio César: Dos revolucionarios en la historia de Guatemala: el Ché Guevara y Mario Payeras. Centro de Estudios Urbanos y Regionales (CEUR), Serie de documentos para la historia , No. 7, Guatemala, Sep. 1997

Guevara, Ernesto: Das magische Gefühl unverwundbar zu sein. Das Tagebuch der Lateinamerika-Reise 1953-1956. KiWi-Taschenbuch 2003

Koenen, Gerd: Traumpfade der Weltrevolution. Das Guevara-Projekt. Frankfurt a. M. 2012

Pérez, Claudio: Apuntes de Ernesto Guevara: Guatemala (1953-1954) y la influencia en su trayectoria posterior. Buenos Aires 2013

Taibo II, Opaco Ignacio: Che – Die Biographie des Ernesto Guevara. Hamburg 1997

 

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Bildquellen:  [1], [2] [3] Public Domain

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