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Nikaraguaner fordern Gerechtigkeit von weltbankfinanziertem Zuckerproduzenten

Sydney Frey* | | Artikel drucken
Lesedauer: 5 Minuten

Tod durch Zucker

In der unternehmenseigenen Stadt Chichigalpa im Verwaltungsgebiet Chinandega, in einer der heißesten Regionen Nicaraguas, haben ehemalige Zuckerplantagenarbeiter mit Zelten und Transparenten außerhalb des Mühleneingangs eine permanente Präsenz eingerichtet, um die Aufmerksamkeit auf das Ausmaß an Nierenerkrankungen unter den ehemaligen Arbeitern zu lenken und gegen die Zurückweisung jeglicher Verantwortung durch die Zuckerfabrik San Antonio zu protestieren. Sie sind vor Ort, da bei ihnen chronisches Nierenversagen (CRI) diagnostiziert wurde oder sie dadurch zu Witwen gemacht wurden.

Wenn bei den Arbeitern von den firmeneigenen Ärzten erst einmal CRI diagnostiziert wurde, verlieren sie ihren Job. Nachdem sie entlassen worden sind, haben sie keinen Zugang mehr zum Krankenhaus des Unternehmens. Sie haben sich zusammen getan, um Gerechtigkeit zu fordern, da sie ihre Kameraden sterben sehen. Juan Salgado, einer der Vorsitzenden der Organisation ASOCHIVIDA, dem Verband der Chichigalpeños für das Leben, erzählt, dass sie fast jede Woche einen ehemaligen Arbeiter beerdigen.

Das Führungsgremium der ASOCHIVIDA führt die hohen Raten an CRI unter den Arbeitern auf den chemischen Dünger zurück, dessen Einsatz für das Zuckerrohr durch die Fabrik San Antonio verlangt wird – die Chemikalien entweichen aus ihren Behältnissen, gelangen auf die Kleidung der Arbeiter und treten in die Haut ein. Ehemalige Angestellte bezeugen, dass sie die Originalbehältnisse der Chemikalien verbrennen mussten und das Unternehmen keine Angaben machte, mit welcher Substanz es die Arbeiter zu tun hatten.

Der in der Fabrik San Antonio hergestellte Zucker geht in den Export, wird aber auch genutzt, um den berühmten und preisgekrönten nationalen Rum Nicaraguas, Flor de Caña, herzustellen. Jüngst wurde ebenfalls begonnen in die Ethanolproduktion zu investieren.

Gesetze und Kredite

Die Zuckerfabrik San Antonio ist Teil des Unternehmens Nicaragua Sugar Estates, Ltd. (NSEL), das im Oktober 2006 einen Kredit in Höhe von 55 Millionen US-Dollar erhielt. Dieser wurde durch die International Finance Corporation (IFC) bereitgestellt, einem Arm der Weltbank, der Kredite für den privaten Sektor vergibt. Lange bevor der Kredit bewilligt wurde, protestierten ehemalige Arbeiter aus Chichigalpa gegen die zerstörerischen Umwelt- und Arbeitsbedingungen des Unternehmens. Da die NSEL zum mächtigsten wirtschaftlichen Zusammenschluss Nicaraguas, dem Pellas-Konsortium, gehört, wurden die Proteste von Regierungsbehörden und den lokalen Medien ignoriert.

Frühere Arbeiter und Gemeindemitglieder geben an, dass die Zuckerfabrik San Antonio nicht nur gegen die IFC-eigenen Bestimmungen hinsichtlich der Arbeitsbedingungen, der Gesundheitsstandards sowie der Vermeidung von Umweltverschmutzungen verstößt, sondern auch gegen nicaraguanische Gesetze, und das schon seit etlicher Zeit vor der Kreditvergabe.

Einschüchterung und Almosen

Mitglieder von ASOCHIVIDA fordern Zugang zu spezieller Heilbehandlung und Entschädigungsleistungen für Witwen und Kinder. Gleichzeitig verlangen sie vom Unternehmen einen besseren Schutz der beschäftigten Arbeiter vor dem Kontakt mit Chemikalien.

Das Unternehmen antwortete auf die Forderungen mit der Bedrohung von Angestellten, denen verboten wurde, mit ausländischen Journalisten zu sprechen und die eine Erklärung unterschreiben mussten, dass sie nicht mit den Beschwerden und Forderungen ehemaliger Arbeiter und von Gemeindemitgliedern aus der Umgebung übereinstimmen.

Selbst weit von der Mühle entfernte, von Zuckerrohrfeldern umgebene Gemeinden, die vom Zuckerrohr als temporärer Arbeitsquelle abhängig sind, spüren die negativen Effekte der Industrie. Im Department von León berichten Bewohner von Umweltschäden aufgrund des Einsatzes von Agrarchemikalien. Die häufige und kontrollierte Verbrennung von Zuckerrohr macht zwar die Ernte von Hand einfacher, aber die Ansässigen sagen, dass der Rauch die ihre Atemwege schädigt.

Die Firma reagierte auf die Beschwerden mit der Einrichtung eines minimalen Sozialprogramms für die armen betroffenen Kommunen, welches die Errichtung von Klassenzimmern und die Ausgabe kostenloser Rucksäcke für alle Kinder beinhaltet. Für manche wird mit der unzureichenden Reaktion des Unternehmens den vorausgegangenen Schädigungen noch eine Beleidigung hinzugefügt. Sonia Matute, Direktorin einer Grundschule der armen indigenen Gemeinde Sutiava im Department von León, leidet unter Atemwegsproblemen, die sich durch die Zuckerrohrasche in der Luft noch verschlimmern. Befragt nach den wohltätigen Bemühungen der Zuckerfabrik San Antonio äußerte sie, dass „sie uns kaufen.“

Mögliche Regressforderungen

Die Gemeinden haben sich zusammen getan, um mit Hilfe des Compliance Advisory Ombudsman (CAO), des internen Revisionsbüros der International Finance Corporation (IFC), eine Beschwerde zu führen, damit die IFC und die Weltbank Druck auf die Nicaragua Sugar Estates, Ltd. ausüben, so dass diese die rechtlichen Umwelt- und Arbeitsschutzbestimmungen Nicaraguas einhält und die der IFC eigenen Regulierungen respektiert.

Jetzt handeln!

Menschen die sich mit den Familien solidarisch zeigen wollen, können schreiben an: Lars Thunell, Executive Vice President and CEO of the IFC, at International Finance Corporation, 2121 Pennsylvania Avenue, NW, Washington, DC 20433 USA, und darum ersuchen, dass die IFC die Anliegen und Forderungen der von den Auswirkungen der Zuckerfabrik San Antonio betroffenen Gemeinden berücksichtigt.

* Der Artikel erschien bereits am 11. Juli 2008 bei Upsidedownworld.org. Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung des Autors. Sydney Frey lebt und arbeitet in León, Nicaragua, und kann erreicht werden unter sydney.frey@gmail.com

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Übersetzung aus dem Englischen: Florian Quitzsch

Siehe dazu auch die Seite des Nicaragua Verein Hamburg und besonders die Internetpräsenz der Lateinamerikasektion der Internationalen Gewerkschaft der ArbeiterInnen in Nahrungsmittelbereich, Landwirtschaft, Tabak, Gaststätten. Aufgrund der Verleihung eines Ordens an Carlos Pellas durch die italienische Regierung Ende Juli 2008 erschien eine Protestnote (El macabro cinismo del gobierno italiano) auf der Seite.

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