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Nicaragua – Auf den Spuren der Revolution: Eine Dokumentation von Petra Hoffmann

Gabi Töpferwein | | Artikel drucken
Lesedauer: 7 Minuten

Der Sieg der Sandinisten über den Diktator Anastasio Somoza im Juli 1979 weckte weltweit die Hoffnung auf eine bessere, gerechtere Welt. In einer Zeit, in der brutale Militärdiktaturen gesellschaftliche Veränderungen in Lateinamerika zunichte gemacht hatten, zeigte ein kleines Land, dass brutale Regimes gestürzt werden können. Weltweit wurde Nicaragua zu einer Projektionsfläche für die Träume sehr unterschiedlicher linker Gruppen. Nicaragua war „so einzigartig“, begründet die Regisseurin des Films diese Euphorie.

Petra Hoffmann kommt aus dem Filmmarketing. Als Regisseurin arbeitete sie bisher an drei Filmen: über die Ärztin und Ordensschwester Ruth Pfau (2011), die Ärztin Hanne Glodny (2011) sowie die Städtepartnerschaft zwischen Münster und Acoyapa/Nicaragua (1993). In diesem Jahr erschien „Nicaragua – Ein Traum von Revolution“, eine 95-minütige Kinodokumentation, in der sie gleichzeitig für Buch, Regie und Produktion verantwortlich zeichnet. Der ca. 30 Minuten kürzere Film „Auf den Spuren der Revolution“ ist offensichtlich eine (fernsehgerechte) kürzere Fassung.

Den Nicaraguafilm kann man ohne Zweifel als Hoffmanns Herzensprojekt bezeichnen, gehörte sie doch zu den zehntausenden jungen Aktivisten, die nach dem Sieg der Sandinisten nach Nicaragua gingen, um bei der Entwicklung des Landes zu helfen. Nicaragua, so sagt sie im Film, sei bis heute ihr Lieblingsland geblieben. So gesehen können die Begeisterung und die Leidenschaft, mit der die Regisseurin von dem großen Abenteuer ihrer Jugend erzählt, nicht verwundern. Damit wird der Film (also die kurze Variante) nicht langweilig, kann jedoch wegen seiner Lücken letztlich nicht wirklich befriedigen.

Die Kurzweiligkeit speist sich vor allem aus den Berichten der Protagonisten, unter denen insbesondere Petra Hoffmann selbst und Wolfgang Meier hervorzuheben sind. Hoffmann war als Studentin bis zur Wahlniederlage der FSLN drei Mal in Nicaragua gewesen; sie war eingesetzt beim Aufbau einer Schule sowie bei der Kaffeeernte. Meier hatte 1979 in der FSLN am bewaffneten Kampf teilgenommen und danach weiter im Land gearbeitet, u.a. in der Regionalregierung von San Juan, wo er für die Organisation von Projekten verantwortlich war. Schließlich wurde er sogar beauftragt, die nicaraguanische Botschaft in der Bundesrepublik Deutschland wieder aufzubauen. Die Zeit von 1983 bis 1988, so berichtet er, sei seine beste Zeit in Nicaragua gewesen.

Ergänzt werden diese persönlichen Berichte durch die Darstellung der jüngeren Geschichte des Landes – Somoza, Sieg der Sandinisten, Alphabetisierung, Verstaatlichung der Banken, Bodenreform, Krieg mit den von den USA finanzierten Contras, Ortega und …, untermalt mit der Musik (vor allem) der Brüder Mejía Godoy. Einen breiten Raum nimmt zudem, nicht überraschend, die bereite internationale Solidarität ein. Filmausschnitte, Fotos, Interviews (u.a. mit der Schriftstellerin Gioconda Belli und, nach ihrer Freilassung aus der Haft, Dora María Téllez – einst Comandante der FSLN) vermitteln Authentizität. Sie können dem Film aber nicht über eine gewisse Oberflächlichkeit hinweghelfen. Es wird einfach zu Vieles zu kurz vermittelt. Bei nicht wenigen Themen wäre etwas mehr Tiefe gut gewesen, um sie auch jenen verständlich zu machen, für die diese Etappe bereits in grauer Vorzeit liegt.

Um nur ein Beispiel zu nennen: Was passierte mit dem basisdemokratischen Konzept de cara al pueblo, das der Liedermacher Gerhard Schöne in seinem Lied „Mit dem Gesicht zum Volke“ besang. Fielen den Aktivisten diesbezüglich Veränderungen im Land auf? Oder zumindest Wolfgang Meier, der ja Verantwortung in einer Provinzregierung hatte? Irgendwann wird im Film schlicht festgestellt, dass den Sandinisten der Aufbau demokratischer Strukturen nicht gelungen war. Alles in allem wird zu viel konstatiert und schlagwortartig behauptet, ohne sich mit einer näheren Darstellung und Begründung aufzuhalten. Ich würde schon gerne wissen, worin ein schwerer Fehler besteht, wenn ein solcher benannt wird. Ach ja, warum kann Petra Hoffmann nicht mehr nach Nicaragua einreisen? Vielleicht werden diese Fragen ja in der langen Fassung des Films beantwortet…

Geradezu erschreckend erscheint mir die Naivität, um nicht zu sagen Unbedarftheit, mit der offensichtlich nicht wenige Aktivisten nach Nicaragua gingen. Wenn die Studentin Petra Hoffmann mit leuchtenden Augen davon berichtet, dass es häufig an Material fehlte und die Aktivisten einen Abwasserkanal mit bloßen Händen aushoben, dann zeugt das nicht in erster Linie von wahrer Einsatzbereitschaft, sondern vor allem von einer äußerst schlechten Organisation des Unternehmens. Ein wenig entsteht der Eindruck als hätte man massenhaft junge Leute, voller Tatendrang und Enthusiasmus zu helfen, nach Mittelamerika geschickt, und sie dann dort halt irgendwie beschäftigt. Das hat m. E. zweifelsohne mit der westlichen Solidaritätsarbeit zu tun. Ich war einige Jahre nach der Wahlniederlage der Sandinisten in Nicaragua. Auch damals war die zuständige Organisation noch der Meinung, dass wir den mit Soligeldern finanzierten Initiativen im Land helfen sollten. Zum Beispiel in einer Ziegelei, einem an sich tollen, von Frauen getragenen Projekt. Aber gearbeitet wurde dort nur stundenweise, weil die Nachfrage nach Ziegeln so groß nicht war. Wieso baut man auch eine Ziegelei inmitten von Ziegeleien? Auf jeden Fall brauchte man uns dort nicht. Das Gleiche in einer Tomatenkooperative. Die kleine Kaffeerösterei? Man brauchte uns nicht. Der comedor auf dem Markt von Estelí? Man brauchte uns nicht. Um zum Film zurückzukommen, sei eine ketzerische Frage erlaubt: Wäre es nicht manchmal nutzbringender gewesen, das fehlende Geld für den Fertigbau einer Schule aufzutreiben, als zahlreiche Aktivisten ohne Erfahrung für sinnlose Tätigkeiten einzusetzen.

Unter diesem Gesichtspunkt vermisse ich in diesem Film selbst den Ansatz einer Analyse. Nein, bitte nicht falsch verstehen. Ich stelle nicht die Ehrlichkeit und Leidenschaft der Aktivisten aus westlichen Ländern in Frage, ganz im Gegenteil. Ebensowenig den Glauben, dass die Contras sich angesichts vieler Ausländer im Land zurückhalten würden. Auch wenn das ja definitiv nicht funktioniert hatte. Aber die Nicas mussten zusätzlich ein Auge auf die Ausländer haben und diese auch versorgen. Die Aktivisten bezahlten ihre Lebensmittel zweifellos selbst (wie wir damals auch), aber sie befanden sich in einem Land, in dem Lebensmittel zunehmend knapp wurden.

Sieht die Filmemacherin ihre Einsätze in Nicaragua heute anders, kritischer? Was war gut, was hätte anders, besser laufen können und sollen? Im Film bemerke ich davon nichts.

Auch mit der Beantwortung der Frage, wie es „so weit kommen konnte“, also zum Scheitern der Revolution und schlussendlich zur Diktatur des Ortega-Clans, bewegt sich der Film weitgehend im Vagen. Hoffman bleibt bei diesem Thema bruchstückhaft und verliert sich in Schlagworten. Vermutlich verlangt man von dem Film zu viel, wenn man eine Analyse der Rolle Ortegas für die jüngste Entwicklung Nicaraguas erwartet. Jedoch steht die Frage nach den Gründen für diesen Bruch prominent am Beginn des Films, und weckt Hoffnungen. Die dann definitiv nicht erfüllt werden. Gioconda Belli versucht in dem Interview ansatzweise, das Phänomen Daniel Ortega zu ergründen. Als einen m. E. sehr wichtigen Aspekt nennt sie die militärischen Strukturen in der FSLN. Nach dem Sieg der Sandinisten war es nicht gelungen, diese abzubauen. Der Krieg gegen die Contras und die Wirtschaftsblockade der USA zwangen die Sandinisten  im Gegenteil dazu, diese Strukturen zu stärken und noch auszubauen. Diese strenge Hierarchie mit ihm selbst an der Spitze konnte Daniel Ortega nach der Wahlniederlage der Sandinisten im Jahr 1990 für sich nutzen. Er hatte wieder an die Macht kommen wollen, meint Gioconda Belli, aber nicht mehr im Kollektiv, sondern allein. Die FSLN mutierte so letztlich zu einem persönlichen Projekt Ortegas, mit dessen Hilfe konsequent und rücksichtslos eigene ideologische und wirtschaftliche Interessen verfolgt werden können.

Mit ihrem Nicaraguafilm liefert Petra Hoffmann eine engagierte Darstellung einer abenteuerlichen und prägenden Jugend in ihrem Lieblingsland, die sie in einen weiten Rahmen einzuordnen bemüht ist. Letztlich lässt sie jedoch in einem engen, persönlichen Rahmen, in der Überzeugung, seinerzeit auf der richtigen Seite gestanden zu haben, nicht zu, das die Projektionsfläche ihrer Träume getrübt wird. Das ist m. E. schade und wohl auch eine vertane Chance, zumal ich ihre Überzeugung teile.

 

Regie: Petra Hoffmann

Nicaragua – Auf den Spuren der Revolution

ARTE, 65 Min.

 


 

Bildquellen: [1-4] SnapShots

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