Ein Ausflug zum mexikanischen Dia de los Muertos und gegenwärtiger lateinamerikanischer Tätowier-Kunst
Die Artcollection ‚Day of the Dead. Tattoo Artwork Collection. ‘Skulls, Catrinas and Culture of the Dead‚ von Edgar Hoill widmet sich einem ganz speziellen Thema: dem mexikanischen Fest Dia de los Muertos (Tag der Toten). Tattoo-Künstler aus der ganzen Welt geben sich in dem Bildband die Ehre und tragen eigene Interpretationen bei.
Hoill obliegt es, die verschiedenen Interpretationen der beteiligten Künstler zusammenzustellen und den „Tag der Toten“ in Mexiko aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten. Insgesamt leisten 144 lateinamerikanische, amerikanische, japanische und europäische Künstler einen Beitrag zu diesem umfangreich gestalteten Werk.
Der Bildband wird mit einem Vorwort von Dr. Eberhard J. Wormer eingeleitet. Wormer skizziert einige Hintergründe und führt den Leser mit vielen Fotografien in die Thematik ein.
Der Día de los Muertos findet in Mexiko jährlich zwischen dem 31. Oktober und 2. November statt. In Mexiko ist dieses Fest eine große Feierlichkeit zum Gedenken der Toten und vergleichbar mit dem amerikanischen Halloween oder dem christlichen Reformationstag.
Der „Tag der Toten“ zeigt die spezielle Beziehung der Mexikaner gegenüber dem Tod. Octavio Paz formulierte in seinem Werk „Labyrinth der Einsamkeit“ treffend, dass der Unterschied zwischen Mexikanern und anderen Nationen, wie z.B. den Europäern, in der Sichtweise auf die Absolutheit des Todes besteht. In Europa beispielsweise wird der Tod eher am Rand thematisiert. Die öffentliche Debatte ist hier eher zurückhaltend.
In Mexiko dagegen wird der Tod in all seinen Facetten thematisiert. Es wird darüber geredet, gelacht, gespottet, ironisiert. Der Tod dient dem Entertainment eines breiten Publikums. Paz merkt dazu an, dass die Mexikaner eine ähnliche Furcht vor den Tod haben, wie es in westlichen Kulturen der Fall ist. Die mexikanische Kultur verbirgt diese Furcht jedoch nicht und tabuisiert den Tod somit nicht als gesellschaftliches Thema.
Das mexikanische Fest Dia de los Muertos oder der Tag der Toten kann auf eine lange historisch begründete Tradition zurückblicken. Bereits im 18. Jahrhundert wurden Holzschnitte überliefert, die den Tod als Skelett visualisierten. In prächtigen Umzügen wurden die Skelette, die Santísma Muerte (Der heilige Tod), durch die Straßen getragen.
Laut einigen Wissenschaftlern hatte diese Form der Darstellung des Todes im mexikanischen Raum seine Wurzeln in europäischen Bildern des Mittelalters, die durch die Spanier im frühen 16. Jahrhundert nach Mexiko gelangten. Auf gestufte Katafalke gemalt und mit Bestattungsriten des kolonialen Mexiko verbunden, tanzen und fahren die Skelette der Vergangenheit bis in die Gegenwart. Über die Jahrhunderte erschienen die Skelette auf Spielkarten, in Büchern, Zeitungen.
Die Santísma Muerte waren und sind in diesem Kontext weniger die spottenden Vorboten des Todes, die den Lebenden auf dieser Welt schaden wollen, sondern waren und sind vielmehr die ironischen Kommentatoren gegen die Eitelkeit und Koketterie der Menschen. Als Spielzeug mit wackelnden Köpfen und baumelnden Gliedmaßen haben die Santísma Muerte sich bis in die Moderne getanzt und fungieren heute noch durch die satirische Darstellung der Vergänglichkeit des Lebens als gesellschaftliches Ventil.
Das Todos Santos (Allerheiligen) oder, wie es ebenfalls genannt wird, der Tag der Toten (Día de la Muerte) ist das wichtigste Fest in Mexiko. Der Tod erreicht hier einen semigöttlichen Status im Volkskatholizismus Mexikos. Der Diá de la Muerte wird dabei hauptsächlich im familiären Kreis auf privater Ebene gefeiert. Es ist die Zeit der Wiederzusammenführung der Familie, insbesondere der Verstorbenen und Hinterbliebenen. An diesem Fest können die Verstorbenen temporär ihre lebenden Verwandten besuchen. Für viele Mexikaner ist die Sphäre der Verstorbenen ihrer eigenen sehr ähnlich. Beide Welten, die der Lebenden und der Toten, stehen dabei in permanenter Interaktion zueinander.
Historisch betrachtet gibt es viele Theorien über die Entstehung des Diá de la Muerte. Eine, die von der Wissenschaft vertreten wird, erläutert eine Art Synkretismus zwischen prähispanischen Religionen der mexikanischen Indigenen sowie Sitten des alten Europa, welche durch die Eroberung ebenfalls wie der Katholizismus in die Neue Welt gelangten. Eine andere Theorie besagt, der Tag der Toten sei ein Erbe der aztekischen und toltekischen Zivilisationen.
In Hinblick auf die hier vorgestellte Bildband liegen die Wurzeln der gegenwärtig publizierten Ästhetik, welche weltweit in Form von Sugar Sculls und der Catrina vertreten ist, in den Fresken des Malers Diego Rivera (1886-1957) begründet. Ebenfalls verhalfen die Calavera-Zeichnungen des Künstlers José Guadalupe Posada, den Dia de la Muerto weltweit zu popularisieren. Der Künstler José Guadalupe Posada etablierte die Skelett-Figuren als satirische Darstellungen über Politik, Gesellschaft und das alltägliche Leben. Die bekannteste Figur aus der Hand Posadas ist die Calavera Catrina, die Totenkopffrau. Die Catrina stellt eine skelettierte Dame des Mittelstandes dar, ausgestattet mit einem großen Hut und prächtigem Kleid. Zu Zeiten der mexikanischen Revolution wurde sie zum nationalen Symbol der Freiheitskämpfer. Gegenwärtig ist sie die Gallionsfigur des Día de la Muerte sowie der westlichen Tattoo-Szene.
Dieses Konglomerat an vielfältigen Facetten greift Edgar Hoill in seinem Buch ‚Day of the Dead‘ auf. Heraus kam ein großformatiges Hardcover-Buch, ein Kompendium an vielfältigem Bildmaterial zum mexikanischen „Tag der Toten“.
Dieses Buch lebt durch die verschiedenen Perspektiven der Künstler. Unterschiedliche thematische Einflüsse werden hier vereint und machen es für den Betrachter zu einem bunten, visuellen Ereignis. Katholische sowie aztekische Einflüsse gepaart mit floralen Elementen drücken die Sinnlichkeit und Leidenschaft der Motive aus. Ebenfalls sind black-and-grey- sowie newschool- Elemente eingearbeitet.
Die Darstellungen der Catrina oder Calaveras de Azúcar (Zuckergussschädel) in vielfältigen Variationen und Abstraktionen machen dieses Buch für alle Interessierte der Latino-Tattookunst zu einem unverzichtbaren Werk im heimischen Bücherschrank.
‚Day of the Dead. Tattoo Artwork Collection. Skulls, Catrinas and Culture of the Dead‘ ist im Edition Reuss Verlag erschienen und umfasst 143 Seiten geballte Grafikkunst voller Leidenschaftlichkeit und Stärke.
Dieses Buch ist eine satirische Ode an die Eitelkeit des Lebens und zeigt uns, was diese wirklich ist: ein paar blanke Knochen mit einer hässlichen Grimasse. Im Sinne des Memento Mori zeigen hier Sugar Skulls und wunderschöne, düstere Catrinas die Belanglosigkeit des Anspruchs, den das Leben stellt. Sie sind die Bestätigung für die Bedeutungslosigkeit des menschlichen Seins, wie sie sich in der gegenwärtig als Tattoo-Stil populären Interpretation des mexikanischen Dia de la Muerte manifestiert und in Edgar Hoills Artcollection ‚Day of the Dead. Tattoo Artwork Collection. Skulls, Catrinas and Culture of the Dead‘ sehr schön reflektiert wird.
Edgar Hoill
Day of the Dead. Tattoo Artwork Collection. Skulls,Catrinas and Culture of the Dead
Gebundene Ausgabe, 144 Seiten
Edition Reuss Verlag
Deutsch/Englisch
ISBN-10: 3943105253
ISBN-13: 978-3943105254
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Bildquellen: Verwendung der Bilder des Buches im Rahmen der Rezension.