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Mariachi. The Sound of Hysteria & Heartache

Gonzalo Compañy | | Artikel drucken
Lesedauer: 3 Minuten

Trikont_Mariachi_ScanCoverDas von Trikont bereits vor fast zehn Jahren Zeit verlegte Album bietet uns einen Überblick über die unterschiedlichsten Formen, die die sogenannte Mariachi-Musik nicht nur in ihrer Heimat Mexiko sondern auch weltweit (Chile, Großbritannien, USA, Rumänien, Japan) annimmt. Die ausgewählten Songs machen deutlich, dass Mariachi ihre Freiheit bzw. Vielseitigkeit, welche ihre Entstehung ermöglichte und gekennzeichnete, lebendiger denn je ist. Sowohl jeder offizielle Versuch, ein behauptetes „Original“ vor angeblichen Deformierungen bzw. Verunreinigungen zu bewahren, als auch die Suche nach dem Mariachi-Ursprung erweisen sich als sinnlos. Außerdem setzten diese Versuche paradoxerweise die Idee der „Kopie“ durch und forcierten die Entstehung von „Klischees“.

Der Auftakt des vorliegenden Albums ist eher herkömmlich d.h. spektakulär, als hätte man den Versuch gemacht, das Vertrauen der Hörenden zu gewinnen bzw. zu erhalten. Die Reihenfolge, in der die Songs präsentiert werden, ist natürlich kein Zufall. Bevor man sich mithilfe der Fanfare auf „bekanntem“ Boden fühlt („El gusto“, „Voj de gallo“), beginnt die Verwandlung der Vorstellung von Mariachi-Musik. Nachdem diese Vorstellung, d.h. quasi „das Thema“ präsentiert wird, erklingt „El Fracaso“, ein experimenteller, elektronischer Reggae-Dub-Song mit aus einem Sampler ergänzten Melodien, die die „Essenz“ des Mariachi aufrufen. Damit wird der Weg für den DJ-Song „The Time“ geebnet. Doch handelt es sich nicht bloß um eine neue, am Pult verdünntes Summer-Kompilieren. So wird gegen die Erwartungen erneut die Stimmung verändert; und uns kommt das eher nach Indie-Akustik klingende instrumentale Stück von Calexico („Minas de Cobre“) entgegen, welches an Ennio Morricones Filmmusik erinnert. Anschließend sind Hip-Hop („El mariachi dehesperado“) und elektronische Musik („Magic Carpet Ride“) zu hören, bevor man wieder ins Reich von Indie-Folk-Blues („Lamento Borincano“, „Hey Joe“) und Latin-Rhythm & Blues („Fake Mexican Tourist Blues“) getragen wird. Ein Höhepunkt wird zweifelsohne bei „Everybody in The Casa Mare“ erreicht, einer rumänischen Hymne, die zeigt, dass sowohl die konzeptuellen als auch die geographischen Grenzen der Mariachi erweitert wurden und unaufhaltsam fließen. Wenn man sich an diese „Variationen“ gewöhnt hat, taucht das gewohnte Mariachi-Thema erneut auf. Die darauf folgenden Stücke sind mehr oder weniger in „traditioneller“ Art und Weise gestaltet („Puño de tierra“, „Corrido de Cananea“). Doch vor dem Ende des Albums erklingt „Cerezo Rosa“, ein hartes elektronisches Stück mit dem Bass-Sequenzer und der Trompete Toshinori Kondos, das eine echte Perle darstellt und den Miles Davis etwa vom Album „Doo-Bop“ wiederbelebt.

Wie jede andere Darstellung von Kunstform fordert auch die Mariachi-Musik zunächst die persönliche Aneignung der Realität durch die Musiker. Diese Musik bedeute „Ganzkörpersampling ohne Rücksicht auf ein schützendes ‚Original'“. Das meint der österreichische Journalist und Musiker Fritz Ostermayer in seinem Essay, das der CD beigefügt wird. Mariachi, schreibt er, sei kein Stil, sondern eher eine bestimmte Musikformation, welche der Volksmusik Jaliscos zur Verfügung stand (Gitarre, Vihuela, Bass-Gitarre, Geige, Trompete), die damals sogar – genauso wie im Jazz – kein eigenes Repertoire besaß bzw. im Grunde genommen besetzen könnte.

Die in «Mariachi. The Sound of Hysteria & Heartache» versammelten Lieder machen deutlich, dass sich Mariachi-Melodien, -arrangements und die damit verbundenen Lebensgefühle zu «Standards» bzw. Referenzen jenseits der gesetzten und vorgestellten Grenzen entwickelten. Da das Album mit eher „traditionellen“ Stücken schließt („Dolor de muerte“, „El muro“, „Volver, volver“), hat man das Gefühl, alles wäre geträumte, reine Phantasie.

Davon kann man doch überzeugt sein.

 

Fritz Ostermayer (Hg.)

Mariachi. The Sound of Hysteria & Heartache

Trikont US-0365 (2008)

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