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Politik und Kultur in Lateinamerika

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Chicano-Murals

Gabriele Pisarz-Ramírez | | Artikel drucken
Lesedauer: 14 Minuten

Murais zählten zu den sichtbarsten und spektakulärsten visuellen Artikulationen der politischen Bewegung des Chicano Movement. der mexikanisch-amerikanischen Protestbewegung in den USA der sechziger und siebziger Jahre, die sich gegen kulturelle und politische Nichtrepräsentanz von Mexican Americans richtete.

Sie wurden von Künstlern, Kunststudenten und Autodidakten in großer Zahl in Städten wie San Francisco, Los Angeles, San Diego, Sacramento und Fresno (Kalifornien), San Antonio und Crystal City (Texas) und Santa Fe (New Mexico) produziert: einschlägige Studien sprechen von mehreren tausend Murais allein in Kalifornien. Die Geschichte der Chicano-Muralbewegung in den Städten des amerikanischen Südwestens beginnt als Grassroots-Bewegung, die auf Vorläufer wie den mexikanischen Muralismus und die Muralprojekte im Rahmen der New Deal-Initiativen der dreißiger Jahre zurückgreifen kann. Vor allem der mexikanische Muralismus hatte eine mehrfache Vorbildwirkung für die Mural-Bewegung.

Zum einen war er als „öffentliche“ Kunstform für eine vom Mainstream-Kulturbetrieb (Galerien, Museen) ausgeschlossene Bevölkerungsgruppe attraktiv, zum anderen übernahmen viele Muralisten Stilelemente und Motive der Tres Grandes des mexikanischen Muralismus Diego Rivera, Clemente Orozco und David Siqueiros, die sie (mit unterschiedlichem Erfolg) in ihre Murals integrierten. Schließlich verband die Muralisten im Südwesten der USA mit ihren mexikanischen Vorgängern das Motiv der kollektiven Identitätssuche: der Muralismus in Mexiko entstand in der Zeit der Konsolidierung des mexikanischen Nationalstaates nach der Revolution von I910-I917, während der Fragen der nationalen und kulturellen Identität eine zentrale Rolle spielten.

Auch in den Identitätsdiskursen der Mexican Americans in den USA in den sechziger Jahren wurde kollektive Identität zunächst im Zeichen einer eigenen „Nation“ entworfen. Der nationale Diskurs der Chicanos war eine Reaktion auf die soziale Lage und den Rassismus gegenüber Mexican Americans als ethnischer Gruppe. [1] Er konzeptionalisierte Mexican Americans in den USA als nationale Gemeinschaft, die durch gemeinsame kulturelle und historische Wurzeln, ein mythisches homeland und eine über ethnicity und race definierte Identität als Mestizen verbunden waren. Die Idee gemeinsamer Wurzeln war bedeutsam im Hinblick auf die Diversität einer disparaten und über den gesamten Südwesten der USA sowie Teile des Mittelwestens verstreuten mexikanisch-amerikanischen Bevölkerung, die verschiedene soziale Schichten mit unterschiedlichen historischen Erfahrungen und Assimilationsgraden, diversen linguistischen und kulturellen Praktiken sowie verschiedene Migrantengenerationen ebenso wie alteingesessene Familien umfasste, deren Vorfahren bereits vor 1848 auf dem heutigen Gebiet der USA gelebt hatten.

Die Vertreter des mexikanisch-amerikanischen Muralismus in den USA arbeiteten zunächst an der Peripherie der Gesellschaft: so war die Mehrzahl der frühen Murals in den Barrios/Ghettos der Innenstädte lokalisiert, und die meisten Muralisten waren mittellos und – wenigstens in der Anfangsphase – auf Materialspenden aus den communities angewiesen. Erst etwa ab Mitte der siebziger Jahre kann man von einer zunehmenden „Institutionalisierung“ des Muralismus insofern sprechen, als staatliche Stellen Murals zunehmend als eine Form preiswerter Stadtsanierung innerhalb ethnischer Viertel und als ein Mittel ansahen, Jugendliche in konstruktive Aktivitäten einzubinden. Ein Beispiel sind staatlich geförderte Projekte wie das „City-wide Mural Project“ in Los Angeles: die Stadt finanzierte 250 Murals von Künstlern verschiedener ethnischer Herkunft in unterschiedlichen Teilen der Stadt.

Chicano-Murals erfüllten eine Reihe von Funktionen. Sie waren erstens ein Vehikel des Protests und der Artikulation konkreter Forderungen in Bezug auf die Probleme von Mexican Americans als marginalisierter Minderheit. Zweitens signalisierten die Muralisten als Produzenten „öffentlicher Kunst“ den Anspruch auf visuelle Repräsentanz im urbanen Raum.

Obwohl sich diese Inbesitznahme öffentlichen Raumes zunächst innerhalb der innerstädtischen Barrios vollzog, war sie sowohl für das Selbstbild der Bewohner als auch für das Bild der Barrios nach außen bedeutsam. Zum einen waren Darstellungen von Mexican Americans und deren Geschichte und Kultur auf den Barrio-Wänden für dessen Bewohner vielfach die erste Form affirmativer visueller Repräsentation mexikanischer Präsenz in den USA und insofern für die Konstruktion einer positiven Gruppenidentität von erheblicher Bedeutung. Murals boten eine Möglichkeit, stereotypen Darstellungen von Mexikanern in den Main-stream-Medien mit alternativen Repräsentationen mexikanisch-amerikanischer Kultur und Geschichte zu begegnen. Zum anderen „produzierten“ Murals das Barrio als kulturellen Raum. Damit stellten die Muralisten das Negativ-Image des Barrios und die Stigmatisierung seiner Bewohner als geschichts- und kulturlose Migranten in Frage und reklamierten gleichzeitig die Kontrolle über seine Gestaltung. Gleichzeitig boten sie eine Möglichkeit direkter Kunstrezeption für die Barrio-Bevölkerung unter Umgehung von Galerien und Museen. Wie bedeutsam der Aspekt der Kontrolle sein konnte, zeigt das Beispiel von Chicano Park in San Diego im Jahr 1970: während die Bewohner des Viertels sich um die Gestaltung eines Parks auf einer Leerfläche innerhalb des Barrios (unter einer Freeway-Brücke) bemühten, versuchte die Stadt den Bau einer Station der Highway Patrol auf dieser Fläche durchzusetzen. Als die Stadt mit den Baumaßnahmen beginnen wollte, reagierte die community von Barrio Logan mit der Gestaltung von Murais auf den Brückenpfeilern und nannte das Gebiet Chicano Park. Die Pläne der Stadt wurden schließlich aufgegeben, und Chicano Park hat bis heute eine hohe symbolische Bedeutung. [2] Immer wieder gibt es auch vehemente Proteste gegen das Übertünchen von Murais durch Hausbesitzer oder städtische Organe, die als Eingriff in die Selbstbestimmungsrechte urbaner mexikanisch-amerikanischer communities interpretiert werden.

Neben den Funktionen des Protestes und der visuellen Repräsentanz erfüllten Murais eine wichtige didaktische Funktion im Hinblick auf das Studium und die Vermittlung der eigenen kulturellen und historischen Tradition innerhalb der mexikanischamerikanischen communities – ein Wissen, das aus verschiedenen Gründen nicht präsent war. Dabei existierte eine Wechselwirkung zwischen den präkolumbianischen Motiven vieler Murais, den kulturnationalistischen Diskursen des politischen Chicano Movement und einem wachsenden Interesse an den eigenen kulturellen Wurzeln in den communities.

Die Themen der ersten Chicano-Murals reflektierten weitgehend die Ideen des Kulturnationalismus und kreisten um Fragen der eigenen Geschichte sowie der ethnischen und kulturellen Identität. Dabei wurde Bezug auf unterschiedliche Traditionslinien wie etwa Elemente des Malstils der mexikanischen Muralisten oder den mexikanischen Indigenismus genommen. Vielfach wurden präkolumbianische und indigene Motive wie Pyramiden und Tempel, aztekische Gottheiten und präkolumbianische Krieger als Symbole der eigenen reichen Kulturgeschichte referiert. Unter Vermeidung der Komplexität und Widersprüchlichkeit einer knapp fünfhundertjährigen Geschichte der Kolonisierung und Mestizisierung Mesoamerikas appropriierten die Kulturnationalisten dabei die mexikanische Legende des präkolumbianischen Aztlan, die als verbindendes Konzept zum zentralen Symbol des, Chicano Movement wurde. Das Konzept Aztlan bündelte die verschiedenen Ideen eines sowohl historisch-kulturell als auch geographisch bestimmten gemeinsamen Ursprungs. Aztlan verweist auf das mythische Land der Azteken, von dem diese im 12. Jahrhundert nach Süden wanderten und in Anahuac die Stadt Mexico-Tenochtitlan begründeten.

Weitere typische Elemente in Murais waren Darstellungen mexikanischer historischer Figuren wie Zapata und Villa und zeitgenössischer politischer Führungsfiguren. Darüber hinaus reflektierten zahlreiche Murais der sechziger und siebziger Jahre ideologische Bewegungen der Zeit wie den Marxismus. Ein weiterer Einfluss waren Placas und Graffiti als Ausdrucksformen urbaner Street Culture. Vor allem Muralisten, die in den USA aufgewachsen waren und keinerlei Beziehung zu Mexiko besaßen, zogen es vor, Elemente der sie umgebenden Realität in ihre Arbeiten zu integrieren. In späteren Murais finden sich vielfach Konstruktionen einer „people of color“ – Gruppenidentität mit Bezügen zu anderen ethnischen Minoritäten wie Native Americans (häufig) oder Afroamerikanern (seltener) sowie zu anderen politischen Bewegungen in Lateinamerika. Sowohl stilistisch als auch ikonographisch erscheinen viele Chicano-Murals als Pastiche verschiedener Formen, Stile und thematischer Bezüge und dokumentieren damit, was Victor Zamudio Taylor als eine „Ästhetik der Fragmentierung“ in der Gegenwartskunst von Latinos beschreibt. [3] Der selektive Bezug auf verschiedene Traditionen sowie die Auswahl von Themen und Repräsentationsformen lässt sich als performative Strategie der Synthese verschiedener Identifikationssymbole lesen, deren Ziel die Konstruktion eines alternativen, positiven Selbstbildes war. Sie sind darüber hinaus ein Ausdruck dessen, was Tomas Ybarra-Frausto als „visuelles Narrativ kultureller Verhandlung“ bezeichnet,“ [4] als Verarbeitung der unterschiedlichen kulturellen, stilistischen, ideologischen und ikonographischen Einflüsse im postmodernen urbanen Grenzraum.

Damit wird klar, dass auch der frühe Muralismus ein keineswegs homogenes Bild bietet. Entgegen Darstellungen, die den Zeitpunkt der Diversifizierung der Muralbewegung erst in den achtziger Jahren ansetzen, war die Muralbewegung bereits zu einem frühen Zeitpunkt ebenso heterogen wie das Chicano Movement und von internen Differenzen gekennzeichnet. Solche Differenzen ergaben sich aus der unterschiedlich starken Bezugnahme auf einzelne stilistische Traditionen und aus unterschiedlichen ideologischen Ansätzen, aber auch aus Reaktionen auf einzelne Tendenzen des kulturnationalistischen Muralismus. So wandten sich manche Muralisten vom Neo-Indigenismus des Kulturnationalismus und von dessen heroisierenden Darstellungen (zumeist männlicher) politischer und historischer Protagonisten ab.

Eine solche Abkehr von „heroischen“ Themen zeichnet zum Beispiel die Murais von John Valadez aus, einem Vertreter des Photorealismus. In seinen Arbeiten präsentiert er urbane Milieus der sozialen Peripherie, in denen er den Barrio-Alltag dokumentarisch verarbeitetet und die gekennzeichnet sind durch Figuren unterschiedlicher ethnischer Provenienz, durch die Darstellung von gender-Konflikten und von intra- und interethnischer Gewalt. Andere besetzten deutliche thematische „Leerstellen“ der Repräsentation, wie die „Mujeres Muralistas“ eine Gruppe von Muralistinnen, die feministische Perspektiven in den Muralismus einbrachten. Allein die Tatsache, dass Frauen den Anspruch erhoben, als Künstlerinnen im öffentlichen Raum zu agieren, auf Gerüsten zu arbeiten und eigene politische Visionen zu entwickeln, wurde in konservativen mexikanisch-amerikanischen Kreisen Mitte der siebziger Jahre als Skandal empfunden. Auf kulturnationalistischen Murais waren Frauen selten und vornehmlich in stereotypen Rollen zu sehen. Dagegen traten sie in populären Darstellungen mexikanischen Lebens umso stärker in Erscheinung: als vollbusige Schönheiten in Tattoos oder aber als erotisierte Darstellungen halbnackter „aztekischer Prinzessinnen“ in populären Kalendern.

Aufsehen erregte auch die Muralistin Judith Baca, die versuchte, über die Arbeit an Murais die Grenzen zwischen verschiedenen sozialen und ethnischen Gruppen zu überwinden. Einem ihrer ersten Mural-projekte lag die Idee zugrunde, Gangmitglieder aus verschiedenen „Territorien“ in einem gemeinsamen Unternehmen zusammenzubringen. Dabei betrachtete Baca den Entstehungsprozess eines Murais als Teil des Kunstwerks und seiner Idee. Bacas größtes und bekanntestes Projekt, The Great Wall of Los Angeles, entstand in den Jahren von 1976 bis 1983 unter Beteiligung von mehreren Hundert Personen auf einer Länge von 800 Metern. Das Mural besteht aus vierzig Tafeln, die in grob chronologischer Reihenfolge die multiethnische Geschichte Kaliforniens und der Stadt Los Angeles von der Frühgeschichte bis in die fünfziger Jahre narrativisiert.

Ungewöhnliche Wege schlug die Gruppe ASCO ein, ein lose organisiertes Künstlerkollektiv, das die Erfahrung einer jüngeren Generation von Chicanos/as repräsentierte. Der Name ASCO entstand im Zusammenhang mit den Reaktionen auf ihre Arbeiten, deren expressive und mitunter surrealistische Qualität auf den Widerspruch traditionellerer Chicano-Künstler und vieler Vertreter des vor allein an didaktischer Kunst interessierten Chicano Movement traf. Das urbane Vokabular von ASCO nahm Anleihen an einer Vielzahl visueller Diskurse wie dem Hollywood-Film, Mode, dem absurden Theater und dem Cartoon. Ein häufig genanntes Urteil gegenüber ihren Werken war, dass sie „asco“ (Brechreiz) vermittelten, worauf die Gruppe schließlich provokant diese Stigmatisierung für sich appropriierte. Ihre „Performance-Murals“ waren kritische Kommentare auf die institutionalisierung bestimmter Formen des Muralismus, karikierten die Stasis der Muralproduktion und stellten den fixen Bedeutungsgehalt kultureller Symbole und deren klischeehafte Wiederholung in Frage. So inszenierte die Gruppe ein „lautendes Mural“ (Walking Mural), das seinen Platz aus Überdruß verlassen hatte. Murais und ihre Themen, so die Botschaft von Walking Mural, sind kein „essentieller“ Bestandteil einer unveränderlichen, stabilen, „authentischen“ Chicano-Identität, sondern strategische enactments einer imaginierten Kollektivität, die über kulturelle Produktionen und Praktiken ständig neu inszeniert oder performiert wird. Indem ASCO das Medium der Performance wählte, kritisierte sie nicht nur schlaglichtartig die thematische Begrenzung vieler Murais auf die Ideen des Kulturnationalismus, sondern auch ihre räumliche Begrenzung auf das Barrio.

Seither haben sich innerhalb des Muralismus mehrere Tendenzen manifestiert. Zum einen gibt es weiterhin community-Projekte mit politisch-modernistischem Charakter, die entweder von den „Veteraninnen“ des Muralismus oder aber unter deren Anleitung von Laien realisiert werden. Dabei zeichnen sich mediale Veränderungen ab, am auffälligsten in der Herstellung digitaler Murals, die am Computer produziert werden. Hier stehen zum einen pragmatische Erwägungen wie die Reproduzierbarkeit von Murals im Vordergrund, zum anderen aber die Möglichkeit, authentisches historisches Material wie Fotografien einzubeziehen.

Gleichzeitig kann man von einer zunehmenden Kommerzialisierung des Muralismus sprechen. Auch ein Teil der community-Aktivitäten geht fliessend in den kommerziellen Bereich über, wie die mittlerweile regelmässigen „Mural walks“ für Touristen in San Francisco und Los Angeles zeigen. Insgesamt sind Murals heute ein Bestandteil der touristischen Industrie des amerikanischen Südwestens und kaum noch an bestimmte politische Inhalte gebunden.

Drittens ist der Muralismus längst nicht mehr auf Mexican Americans beschränkt. Neue interessante Projekte haben oft interethnischen Charakter, wie etwa das 1993 ins Leben gerufene Muralprojekt CAMP in San Francisco. In einem demographisch sehr heterogenen Teil des Mission Districts, dem traditionellen Latino-Viertel der Stadt, bringt CAMP (Clarion Alley Mural Project) Künstler verschiedener ethnischer Herkunft zusammen. Das Projekt zeichnet sich vor allem durch seine Diversität der Stilrichtungen und das Fehlen einer einheitlichen Perspektive aus. In und um Clarion Alley sind bislang etwa 100 Murals entstanden; einige wurden durch Rekonstruktionsmaßnahmen der Stadt bereits wieder zerstört. Die beteiligten Künstler haben kaum Erfahrungen in der Mural-Malerei und bringen stattdessen andere ästhetische Einflüsse (Graffiti, Punk, Pop Art etc.) mit. Vielfach in spraypaint gestaltet, zeigen die Murais teils abstrakte, teils geometrische Motive, oft ohne erkennbaren thematischen Fokus, wobei kaum Einflüsse des sozialen Realismus zu erkennen sind, der du- Muralproduktion im 20. Jahrhundert dominierte. Wenige Murais haben politische Inhalte. Die Organisatoren des Projekts streben vor allem nach einer Wiedergabe der kulturellen und stilistischen Vielfalt der Produktion „öffentlicher“ Kunst im Viertel. Darüber hinaus verbindet die Künstlergemeinschaft von Clarion Alle; vor allem ihr besonderer Bezug zu diesem Teil (.‘.es Mission District (einige sind Anwohner von Clarion Alley).

Dabei wird Clarion Alley als Ort gesehen, wo, wie ein Beobachter formulierte, „we can communicate ideas without paying for space“ [5] Der Gedanke der Reappropriierung öffentlichen Raums für alternative Gemeinschaften, der bereits in früheren Muralprojekten wesentlichen Raum einnahm, wird hier erneut deutlich. Bemerkenswert ist zudem der dialogische Charakter des CAMP-Projekts, das sich als Forum für die Bewohner des Viertels versteht; einzelne Murais kommentieren einander, neue Murais entstehen in Reaktion auf ältere. Graffitikünstler fügen Kommentare hinzu. Der gemeinsame Rahmen ist gegeben durch den Ort und sozialen Kontext und das gemeinsame Interesse, ohne Konkurrenzdenken, aber auch ohne den Anspruch einer „kollektiven Botschaft“ zusammenzuarbeiten. Barry McGee, einer der ersten Künstler von Clarion Alley. nennt als hauptsächliche Intention seiner Arbeiten den Wunsch nach einem Dialog:

I never wanted my graffiti to be absolute – ,this is the way it is.‘ I wanted to bring a smile […] I want a dialogue, so the most effective work is humorous because it engages the viewer, as does leaving the meaning a little bit unclear. [6]

Gemeinschaft wird hier imaginiert vor allem als kommunikative Interaktion; dabei geht es nicht länger um die Essenz einer Kulturgemeinschaft, sondern allenfalls um eine momentane, performative Gemeinschaft. Dabei verschwimmen die Grenzen zwischen ethnischen Gruppen ebenso wie die zwischen Mainstream und Peripherie. Während die Auseinandersetzung mit dem dominanten Diskurs im Kulturnationalismus vor allem auf polare Gegensätzlichkeit und Abgrenzung zielte und dabei die eigene Außenseiterposition fixiert wurde, zeichnet sich in den neuesten Muralproduktionen eine Aufgabe binärer Konfliktmuster (Peripherie/Mainstream, Chicano/Anglo) ab. Diese Abkehr von Binarismen ist zum einen einer Reflexion des eigenen partiellen Eingebundenseins in den Mainstream geschuldet. Zum anderen deuten sich in den neuen Strategien kritischen Humors, wie sie McGee beschreibt, Wege an, das subversive Potential des Muralismus vor veränderten Konstellationen zu erhalten: in einer Zeit, da politisch radikale Perspektiven ebenso „konsumiert“ werden wie soziale Extremismen aller Art, in der, wie der mexikanisch-amerikanische Performance-Künstler Guillermo Gomez-Pena formuliert, „Subcomandante Marcos and Tim McVeigh will be granted equal Status and media coverage“ [7] muss öffentliche Kunst nach neuen Wegen der Vermittlung kritischer Perspektiven suchen.

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[1] Jorge Klor do Alva, ,,Aztlan, Borinquen. and Hispanic Nationalism in the United States“. The Latino Studies Reader: Culture, hegemomy, and Society. Hgg. Antonia Darder LI. Rodollb D. Torres. Oxford: Blackwell, 1998, 69.

[2] Vgl. Raul Villa, Barrio Logos. Space and Place in urban Chicano Literature and Culture. Austin: University of Texas Press. 2000, 172-184.

[3] Victor Zamudio-‚Taylor ,,Contemporary Commentary“. Ceremony of Memory. New Expressions in Spirituality union“ Contemporary Hispanic Artists. Kuratiert von Amalia Mesa-Bains. Center for Contemporary Arts of Santa Fe (N.M.) 19SS, 14-18.

[4] Tomas Ybarra-Frausto, ,,The Chicano Movement/The Movement of Chicano Art.“ Beyond the Fantastic. Contemporary art criticism from Latin America. Hg. Gerardo Mosquera. Cambridge, Mass.: The MIT Press, 1996, 165-182. 180.

[5] Lynn Rapoport. Wall space: The Clarion Alley Mural Project uses public art to paint a home.“ San Francisco Bay Guardian, 23. Okt. 2002, online-Version. www.slbg.com/37/04/art_clarionmural.html (22.1.2003).

[6] Timothy W. Drescher. ,,Street Subversion: The Political geography of Murals and Graffiti“. Reclaiming San Francisco. History. Politics, Culture. Hgg. James Brook, Chris Carlsson u. Nancy J. Peters. San Francisco: City Lights Books, 1998. 231-246, 240.

[7] Tim Mc Veigh sprengte 1995 das Murrah Federal Building in Oklahoma City in die Luft und totete dabei 168 Menschen. Guillermo Gomez-Pena, „Performing against the cultural backdrop of the mainstream bizarre“. La Pocha Nostra (19.12.2002).

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