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Politik und Kultur in Lateinamerika

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Wie sozial kann Kuba die Auswirkungen globaler Krisen noch bestreiten?

Uta Hecker | | Artikel drucken
Lesedauer: 16 Minuten

Wir erinnern uns daran, wie in der Corona-Pandemie in Deutschland von der Überbelastung der Krankenhäuser gesprochen wurde. Die Folgen für die Wirtschaft wurden mit Sorge in Augenschein genommen. Auch die globale Ungleichbehandlung im Hinblick auf Zugang zu Impfungen war Teil der Debatte. Als weltweite Katastrophe erreichte die Coronapandemie auch Kuba. Aus Berichten meiner Freund*innen gewann ich den Eindruck, dass die Vorsichtsmaßnahmen und Hygieneregeln streng waren und es zum kollektiven Verantwortungsbewusstsein zu gehören schien, sie einzuhalten. Eine Insel, die ohnehin schon durch die Folgen der US-Blockade in seinen wirtschaftlichen und logistischen Möglichkeiten isoliert ist, deren Landeswährung permanent von Devisen überflügelt wird und die beträchtliche Einnahmen aus dem Tourismus schöpft1, ist von einem Lockdown und dem Einbruch der Reiseindustrie schwer getroffen. Die Bevölkerung leidet unter einer immensen Krisenlast. Mir wird erzählt, dass die versorgungstechnische Situation im Gesundheitssektor weiterhin kritisch sei, es fehle u. a. an Sauerstoffgeräten. Die Folgen für Patient*innen auf der Intensivstation sind verheerend. In La Habana Vieja kommt es immer wieder zu Gebäudeeinstürzen, auch mit Todesopfern.2

Vor dem Fenster der Wohnung eines Freundes wird in rasanter Geschwindigkeit mit Hilfe eines chinesischen Unternehmens ein neuer Hotelblock hochgezogen. Nach dem Corona-Tief im Tourismus sollen unbedingt wieder Devisen nach Kuba fließen – und sie sollen dort bleiben. Angesichts einsturzgefährdeter Wohnhäuser und akutem Mangel in essentiellen Bereichen ist es auch dringend nötig, dass die Einnahmen dem Allgemeinwohl dienen. Aber wie genau funktioniert das? Und was passiert mit den Devisen im Land?

Als ich das letzte Mal auf Kuba war, gab es noch zwei Währungen: Den nationalen CUP (peso cubano) und den CUC, eine Devisenwährung, auf die eine durchschnittliche kubanische Familie nur eingeschränkt zugreifen konnte (wenn im Tourismussektor tätig, oder durch Geldsendungen von außen oder durch konsequentes Sparen. 25 CUP entsprachen 1 CUC). Die Nachricht einer angestrebten Währungsunion stimmte mich hoffnungsvoll. Würde damit doch die zumindest währungstechnisch sichtbare Trennung zwischen bessergestellten Kubaner*innen und Yumas3 auf der einen und hauptsächlich Peso-Verdienenden auf der anderen Seite endlich ein Ende haben. Die Antwort, die ich auf diese Frage von meinen kubanischen Gesprächspartner*innen erhielt, war jedoch ernüchternd. Eine Studentin meint, dass die soziale Ungleichheit, die durch CUC und CUP bestanden hatte, mit der Einführung des MLC als Devisenwährung fortgeführt würde. „Der MLC ist nicht für alle Kubaner zugänglich, genauso wie es der CUC vorher war“, erläutert sie. „Wer nicht die Möglichkeit hat, an den Euro zu kommen und damit MLC zu erwerben, kann nicht in MLC-Läden einkaufen. Ich glaube, im Grunde genommen, ist die Lage gleich geblieben. Früher waren diejenigen im Vorteil, die CUC durch die Western Union oder durch ihre Arbeit im Tourismussektor bekommen haben. Jetzt kommen Euro und Dollar direkt durch den Tourismus ins Land und davon profitieren wieder dieselben Leute, denn von Touristen wird verlangt, dass sie in Dollar und Euro bezahlen. Die Ungleichheit ist in keiner Weise aufgebrochen“. Eine Angestellte der Hotelbranche bestätigt, dass der Tourismussektor privilegiert sei, aber dass die Löhne durch staatliche Unternehmen in CUP ausgezahlt würden. Allerdings hebt Cepal (ECLAC) hervor, dass Löhne und Renten im Jahr 2019 angestiegen seien. Auch Arbeitslose sollen dem Cepal-Wirtschaftsbericht von 2019 zufolge von der Regierung noch einen Monat nach Arbeitsverlust abgesichert werden. Die Lohnerhöhungen kommen auch in meinen Interviews zur Sprache. Die Freude darüber war jedoch von kurzer Dauer. Mit den erhöhten Löhnen stiegen auch die Preise und der Effekt löste sich in Luft auf. Ein Kontakt schildert, wie teuer die Bodegas (CUP-Läden) im Vergleich zur CUC-Epoche geworden sind: „Die Produkte der Bodegas für einen Haushalt mit drei Personen kosteten vorher zwanzig oder vierzig Pesos. Mittlerweile bezahlen wir dafür vierhundert bis fünfhundert CUP“ (Stand Sommer 2023). Für Nahrungsmittel und Dienstleistungen müsse so viel gezahlt werden, dass es unmöglich sei zu sparen.

Eine Gruppe, die merklich von den monetären Veränderungen betroffen ist, sind Studierende. Eine Studentin berichtet: „Vorher hatten wir eine Förderung von 150 CUP. Die wurde dann auch erhöht, auf 200 CUP. Nahrungsmittel sind aber gleichzeitig teurer geworden. Wenn wir z.B. eine Pizza essen wollen, geht unser komplettes Stipendium für ein Mittagessen drauf. Das ist besonders schwierig für Studierende, die von weiter weg kommen und von den Cafeterien rings um die Uni abhängig sind, um etwas essen zu können“. Einige Cuentapropistas4 haben also weiterhin Geschäfte in CUP, ziehen aber ihre Preise extrem an. Für die besagte Pizza, die zu CUC-Zeiten um die 20 CUP kostete, musste man, laut meinen Informationen, im Sommer letzten Jahres schon 400-500 CUP hinlegen (Tendenz steigend). Obwohl versucht wird, den Peso als Hauptwährung zu stabilisieren, hat sich an dem Indikator Zugang vs. keinen Zugang zu Devisen (und schlussendlich zu bestimmten Produkten) nicht viel geändert.

Meine Frage, warum die Devisen nicht sofort in Pesos umgewandelt werden und damit nur eine Währung ohne MLC besteht, löst Verwirrung aus. Denn anscheinend ist MLC keine wirkliche Währung, die man verdienen kann, sondern vielmehr eine Art virtuelles Guthaben. Obwohl es MLC-Läden gibt, wie damals die chopis (shoppings, Devisenläden für CUC), wird bei MLC nicht der Begriff „wechseln“ oder „tauschen“ verwendet, sondern „kaufen“. Im Gegensatz zum CUC, der verdient und ausgegeben werden konnte, wird der MLC auf die Geldkarte aufgeladen und wie eine Ware gekauft, verkauft oder versendet. Wie viel Pesos der MLC gerade kostet (oder wert ist), schwankt, meistens steigt der Wert, gerade bei Dollar und Euro. Auf dem Schwarzmarkt beträgt am 03.05.2024 der Wechselkurs von Euro zu CUP 1 : 390; von MLC zu CUP 1 : 297.5 Der Wirtschafts- und Planungsminister Gil Fernández legt 2020 in einem Interview mit der Zentralbank dar, dass der MLC dazu dienen sollte, den kubanischen Peso zu stärken und letztlich eine einzige Währung zu erreichen. Der MLC sei eine notwendige, aber nicht wünschenswerte Option. Durch die brachiale Kombination aus Blockade, Lieferengpässen bei Brennstoffen und Rückgang im Tourismussektor während der Pandemie seien weniger Devisen ins Land gekommen. Er erklärt, dass der Staat Devisen ausgeben müsse, um Waren zu produzieren oder zu importieren, die in CUP oder CUC-Läden verkauft würden. Mit dem MLC solle der Devisenfluss erfasst und weiterhin Produktion und Angebot in den kubanischen Läden aufrechterhalten werden. Seit jenem Interview sind inzwischen mehr als drei Jahre vergangen. Außerdem wurde Gil Fernández Anfang Februar 2024 von der kubanischen Regierung abgesetzt und es wurden Untersuchungen wegen Verdachts auf Korruption eingeleitet.

Da die kubanische Wirtschaft durch Pandemie und Inflation einen Ausnahmezustand erlebt und der Staat auf Devisen angewiesen ist, um die nationale Versorgung sicherzustellen, drängt sich die Frage nach Selbstversorgung auf. Wäre das nicht eine Möglichkeit, um von teuren Importen unabhängiger zu werden?

Das Hauptproblem, was in der nationalen Landwirtschaft bestehe, sei Stagnation in der kubanischen Produktion und Mangel an materiellen Voraussetzungen, um in größerem Stil produzieren zu können, wird mir geantwortet. Ein Kontakt sieht das Problem vor allem bei den eingeschränkten Handlungsmöglichkeiten auf dem Weltmarkt. „Der kubanische Peso hat keinen internationalen Wechselkurs, wie etwa der mexikanische. Kuba war einmal ein großer Zuckerexporteur. Diese Industrie wurde vernachlässigt. Es gibt nicht mehr genügend Produktionsmittel, keine Maschinen, keine Traktoren…das Tierfutter, all das kauft Kuba auf dem Weltmarkt und da schränkt uns immer noch stark die Blockade ein. Wenn die Regierung Produkte für den canasta básica kaufen will, kann sie das nur über verbündete Staaten tun, wie China, Brasilien, Venezuela und Russland. Die Schiffe und Brennstoff müssen finanziert werden und das geht nicht mit dem CUP. Da werden Devisen gebraucht und die kriegt man durch Tourismus, Remesas6 und Auslandseinsätze von kubanischen Ärzten im Ausland, in Haiti oder Spanien. Der Staat schickt medizinisches Fachpersonal, dort verdienen sie viel mehr für ihre Arbeit. Bei ihrer Rückkehr wandelt der Staat ihren Lohn in kubanische Pesos um und behält die Differenz.“

Um trotzdem die eigene Agrarproduktion wieder anzukurbeln, wurde 2020 der Export von kubanischen Erzeugnissen durch staatliche Unternehmen erlaubt. Dadurch sollen Devisen generiert werden, die wiederum den Kauf von Agrargeräten ermöglichen sollen. Der Beschluss 24/2020 des Ministeriums für Arbeit und Soziale Sicherheit hatte das Ziel, das Verfahren zur Gewinnung von vertraglichen Arbeitskräften in der Landwirtschaft zu erleichtern. Zu den Maßnahmen gehört außerdem, dass Landwirt*innen einen Teil ihrer Produkte an den Staat und einen Teil als Cuentapropistas verkaufen dürfen. Laut meinem Interviewpartner führt dies dazu, dass die Preise, etwa für Obst und Gemüse wieder teurer werden. „Ein Bauer, der selbst Produkte anbaut, hat oft keine Zeit, um auch noch zu verkaufen. Er muss also einen Cuentapropista bezahlen, der den Verkauf übernimmt, er muss den Sprit bezahlen, damit das Obst transportiert werden kann. Und um am Ende keine Verluste einzustecken, ist der Preis für Obst und Gemüse so hoch“, wird mir erklärt. „Zwei Pfund Zitronen können 600 CUP kosten“, bestätigt mir ein weiterer Kontakt (Stand 2023).

Wenn meine Interviewpartner*innen abwägen sollen, was besser war – CUC oder MLC – gibt es immer eine Antwort. Der MLC, der ursprünglich seit 2019 nur als Übergangslösung eingeführt wurde, um die Vereinheitlichung der nationalen Währung zu erleichtern, schneidet dabei schlecht ab. Das liegt u.a. am erschwerten Zugang zu der anderen Zweitwährung: „Die Menschen konnten früher etwas leichter an CUC rankommen, er war billiger. Beim MLC muss man darauf warten, dass Familienangehörige Geld schicken. Oder man versucht, auf der Straße ein paar Dollar teuer zu erkaufen, um dann MLC auf der Karte zu haben. Ich glaube, der MLC war nicht die beste Option“. Staatliche Strukturen, um den Umlauf der Devisen zu kanalisieren, gäbe es zwar schon, aber sie scheinen parallel zu einem ziemlich unberechenbaren, stetig preisexplodierenden Schwarzmarkt zu existieren. Die Leute wickeln ihrerseits monetäre Angelegenheiten zusehends auf den Straßen ab. Vielleicht, um das zeitaufwendige Schlangestehen in der Bank zu vermeiden, aber wohl eher, weil die Banken keine Fremdwährung auszahlen. Laut einer meiner Interviewpartner*innen würden Banken Devisen kaufen, aber andersherum keinen Euro, Dollar, etc. herausgeben. Das scheint erst mal eine logische Maßnahme zu sein, wenn es das Ziel ist, endlich eine Landeswährung zu schaffen und Schritt für Schritt Spaltungen in der Gesellschaft abzubauen. Andererseits sind Kubaner*innen durch die MLC-Läden eigentlich darauf angewiesen, umwandelbare virtuelle Devisen zu besitzen. Denn der canasta básica enthält nur Grundnahrungsmittel wie Reis, Zucker und Brot. Hähnchen soll es einmal im Monat geben. Normalerweise sind Zahnpasta und Seife im canasta básica inbegriffen; mancherorts noch Shampoo. Zahnpasta gibt es aber nicht jeden Monat, flüssiges Reinigungsmittel nur einmal im Jahr. Oft müssen Hygieneartikel in MLC-Läden gekauft werden. Bei einem Grundeinkommen von 3600 CUP würden nach offiziellem Wechselkurs (1:124, Stand Januar 2024)7 29 MLC monatlich zur Verfügung stehen. Die Preise für Zahnpasta, Deodorant und Seife belaufen sich auf 20 MLC, eine Zahnbürste kann zwischen einem und fünf MLC kosten (Stand 2023).

Dazu kommt noch die Unsicherheit, ob die garantierten Grundversorgungsmittel wirklich in den Peso-Läden verfügbar sind. Dies ist ein weiterer wichtiger Grund für die Verselbständigung des Schwarzmarktes. Was es an Lebensmitteln in der Bodega nicht gibt, findet sich teurer auf der Straße. Ein Vater erzählt mir das folgende Beispiel: „Weil die Lebensmittel oft nicht den ganzen Monat reichen, bist du gezwungen auf dem Schwarzmarkt zu kaufen. In meinem Fall habe ich einen Sohn in der Pubertät. Er wächst und hat viel Hunger. Aber wir bekommen nur ein Pfund Reis pro Monat über die Libreta (und da ist es auch nicht sicher, wann mehr für den nächsten Monat geliefert werden kann). Der Reis wird schnell alle. Was mache ich dann bis zum Monatsende? Ich muss Lebensmittel auf dem Schwarzmarkt einkaufen. Dabei bin ich gezwungen, mehr Geld auszugeben, denn die Preise sind höher als in der Bodega… Auf dem Schwarzmarkt gibt es immer Produkte. Diese Sicherheit ist bei den Bodegas nicht gegeben“.

Der Schwarzmarkt scheint für viele in der Gesellschaft die einzige Alternative zu sein, durch die man sich überhaupt noch über Wasser halten kann. Es wird bar mit Devisen gezahlt. Im Gegenzug für Euro und Dollar etc. werden dann die entsprechenden MLC über die App transfermovil überwiesen, wird mir erklärt. Schwarzmarktgeschäfte laufen alltäglich ab. Diese vermehrt informelle und scheinbar unkontrollierte Entwicklung hat Schattenseiten: In meinen Gesprächen wird mir berichtet, dass im Gesundheitssektor medizinische Versorgung nicht gewährleistet sei und es in den Apotheken an Medizin fehle. Stattdessen würden Medikamente wohl eher auf der Straße verkauft. Diese Informalität sei zu Zeiten des CUC noch nicht so stark gewesen. Allerdings gibt es noch die MLC-Läden als Alternative. Meinen persönlichen Quellen zufolge verkaufen diese u.a. Produkte der Bodega (also Reis, Brot, Zucker, Zahnpasta) zu teureren MLC-Preisen und höherer Qualität, aber auch andere grundlegende Waren wie Öl und Salz oder Nudeln.

Der Konsens bei meinen Interviewpartner*innen besteht auch darin, dass der MLC wohl nicht so bald abgeschafft würde. Durch das Auffangen der Devisen würde schließlich zum größten Teil die Wirtschaft aufrechterhalten, so eine Meinung. Um die Fremdwährungen der kubanischen Ökonomie zuzuführen, gäbe es schließlich diese Läden, in denen man nur mit MLC einkaufen könne. Mit dem kubanischen Peso ist es unmöglich, auf dem Weltmarkt zu bestehen. Die Bedeutung des Peso belaufe sich auf die Libreta8 (canasta básica als Grundversorgung) und auf private Kooperativen, die Mipyme genannt werden. Diese bieten sogar importierte Waren an, die nicht einmal in MLC-Läden zu finden sind. Jedoch sind die Preise in CUP exorbitant hoch. Eine Packung mit Hühnchen z.B. kostet 13000 Pesos (Stand 22. Januar 2024), eine Packung Kekse 600 CUP (Stand 2023), eine Milchpackung 1000 CUP, eine Schachtel Eier 1600 CUP (Stand 2023). Zum Vergleich: Das durchschnittliche monatliche Peso-Einkommen eines relativ gut verdienenden kubanischen Dozenten beträgt nach der Lohnerhöhung 400 000 CUP. Bei Rentner*innen sind es nur 1000 CUP. Der interviewte Dozent muss demnach mehrere Tätigkeiten aufnehmen, um seine Familie versorgen zu können. Nehmen wir an, ein*e Durchschnittskubaner*in verdient umgerechnet etwa 10-14 MLC monatlich, dann müsste die Person einen Monatslohn arbeiten, um ein Hühnchen für 14 MLC kaufen zu können. „Es gibt Menschen, die keinen Zugang zum MLC haben. Ich weiß nicht, was sie dann machen, wenn sie die Monatsration auf der Libreta aufgebraucht haben. Man sieht mehr Leute als vorher, die auf der Straße leben, oder Dinge verkaufen“, so wird mir geschildert. Kaum lohnt es sich, mit einem knapp bemessenen CUP-Einkommen einen Großteil aufs Spiel zu setzen, um auf dem Schwarzmarkt Euro zu kaufen und damit die MLC-Karte aufzuladen. Strom, Gas, Wasser und Telefonkosten würden nur in CUP bezahlt. Sollte man doch mit Pesos MLC kaufen wollen, so reicht das normale Monatseinkommen dafür nicht aus. In diesem Sinne wird sichergestellt, dass der Peso für bestimmte Bereiche unabdingbar bleibt.

Meine Kontakte stimmen darin überein, dass es sich unter diesen wirtschaftlichen Umständen um den schlechtesten Zeitpunkt überhaupt handle, eine Familie zu gründen. Alles sei unverhältnismäßig teuer geworden („zwischen acht- bis fünfmal so teuer“) als zur Zeit des CUC. Ein Kind zu ernähren ist eine echte Herausforderung. Dazu kommen noch sehr praktische Dinge, z.B. wie all die schmutzige Babywäsche gewaschen werden soll. Wegwerfwindeln sind für viele unerschwinglich. Daher müssten die Kosten für Waschmittel (auch MLC) abgewogen werden.

Zudem hat ein so fast nie da gewesener Pessimismus die Insel eingehüllt. Bidens „Parole Humanitario“ löst einen Massenexodus an jungen, erfindungsreichen und – auch linken – Menschen aus, die darüber frustriert sind, dass die Regierung nicht genug tue, um das Vertrauen der Bevölkerung wieder zu stärken. Eine revolutionsbejahende sozial engagierte Frau beklagt, dass viele keinen Ausweg mehr sehen, als auszuwandern. „Ich kann ihnen nicht vorschreiben, dass sie bleiben sollen“, sagt sie. „Ich bin allein, ich kann für mich entscheiden hier zu bleiben und zu versuchen, die Leute durch mein Ehrenamt zu unterstützen. Aber ich habe keine Verantwortung für eine Familie, für Kinder, die ich großziehen und versorgen müsste. Früher gab es für die Leute immer eine Hoffnung zu bleiben. In der Período Especial war es schwer, aber da existierte die Sehnsucht nach sozialer Gerechtigkeit und die Hoffnung durch eine relativ kurz zurückliegende Revolution. Später gab es wieder neue Hoffnung durch wissenschaftlichen Fortschritt, trotz Blockade. Jetzt nach Covid und der Inflation sind die Hoffnungen aufgebraucht und die Leute gehen in Scharen“. Die aktuelle Währungspolitik ist trotz Aufklärungsversuchen auf offiziellen Foren und der Website der Banco Central für viele nicht transparent genug. Wie werden Devisen, die im Land bleiben, konkret der Bevölkerung zugutekommend eingesetzt? Im Moment scheinen die sichtbaren Anlagen von Devisen in von nicht-kubanischen Unternehmen hochgezogenen Hotelgiganten kurzfristig eher den Tourist*innen zu dienen, als der kubanischen Gesellschaft. „Wir geben unsere Devisen in MLC-Läden aus, verdienen aber nur Pesos“, heißt es dann. „Wo gehen die Devisen hin?“ Oder: „Devisen sollen abgeschöpft werden, um kubanische Läden zu stabilisieren und das Produktangebot sicherzustellen. Ich habe bisher keinen Laden gesehen, wo nennenswert reininvestiert wurde“.

Dabei erkennen die interviewten Kubaner*innen die destruktive Schwere der Blockade und die Krux der Inflation und der Pandemie als Grund für die herausfordernde wirtschaftliche Lage an. Dennoch erweckt die Untergangsstimmung im Land den Eindruck, dass zu wenig „sozial“ ist, was mit den Devisen passiert, die ins Land kommen. Das Ungleichgewicht zwischen immer neuen Hotelanlagen auf der einen Seite und unterversorgten Krankenhäusern auf der anderen, lässt sich nicht ignorieren. Um Kuba als ein links (aktivistisches), progressives Land nicht nur zu propagieren, sondern wirklich zu etablieren, sollten linksgerichtete junge, kreative Leute, die ihre Gesellschaft auf vielerlei Ebenen voranbringen möchten, nicht ausgebremst und so frustriert werden, dass sie irgendwann ihre Heimat zurücklassen, nur damit sie exakt die Visionen umsetzen können, die von der Kommunistischen Partei Kubas in ihren Reden und den offiziellen Straßengraffiti so betont wird: Rebeldía, Pionierrolle in Forschung und Bildung, Solidarität. Abgesehen davon ist klar: In einer globalisierten, überwiegend kapitalistisch (und zum Teil neokolonialistisch) geprägten Weltordnung bedingen sich die Entwicklungen in unterschiedlichen Ländern gegenseitig. Insofern haben die internationale Haltung zu Kuba, die Gestaltung der Weltwirtschaft sowie die Art und Weise, wie und durch wen der Tourismussektor gestaltet wird, Rückwirkungen auf die Situation im Land.

In Gedenken an meine Freundin, verstorben 2023 auf der Intensivstation aufgrund fehlender Sauerstoffgeräte

 


 

1 Laut ECLAC (2020) nahm der Tourismus 28 % aller exportierten Dienstleistungen ein: repositorio.cepal.org/server/api/core/bitstreams/521de7ab-0cbf-4d8b-b449-b2c23ecf3a61/content [21.04.2024]

2 Von den Gebäudeeinstürzen wurde mir berichtet; sie werden aber auch in fidelistisch-ausgerichteten Medien wie z.B. Cubadebate thematisiert www.cubadebate.cu/etiqueta/derrumbe/ [21.04.2024]

3 (weiße) „reiche“ Tourist*innen

4 Privatunternehmer*innen

5 elToque.com

6 Geldsendungen von Familienangehörigen aus dem Ausland

8 Lebensmittelkarte

Bildquellen: [1, 3] Uta Hecker [2] SnapShot

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