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Havannas neue Reiche. Oder: Warum ein dunkles Einkaufszentrum zum Spiegelkabinett wird

Sarah Moldenhauer | | Artikel drucken
Lesedauer: 7 Minuten

Kuba: Bauprojekte - Foto: Quetzal-Redaktion, Sarah MoldenhauerAnfang Februar 2013. Nach drei Jahren kehre ich nach Kuba zurück. Zahlreiche Reformen sind angekündigt worden, einige bereits in die Tat umgesetzt. Es ist windig und schwül. Ich habe eine Einkaufsliste bei mir und gehe davon aus, dass ich sie eine Woche mit mir herum tragen werde, bis ich alles bekomme. Aber nein: Nach dreieinhalb Stunden habe ich alles, tatsächlich alles, was auf der Liste steht, besorgen können, und sogar noch mehr. Ich bin sehr erleichtert, dass ich meine Zeit hier nun offenbar für anderes verwenden kann und vermute, dass es den Bewohner_innen hier wohl ähnlich ergeht in letzter Zeit.

Was genau aber ist passiert? Wie kommt es, dass etliche Häuser renoviert und frisch gestrichen sind? Warum haben plötzlich so viele Leute Handys und tragen Kleidung, die sie kaum von den Tourist_innen unterscheidet? Wieso ist das Einkaufszentrum auf der großen Avenida Salvador Allende/ Carlos III, von Waren und Konsument_innen zerberstend, dieses überdimensionierte Shoppingparadies, das dunkel und laut ist und keineswegs zum Verweilen einlädt, trotzdem aber überfüllt mit Menschen, die Hamburger und Cola für CUC (Peso Convertible) kaufen und den gesamten Tag nichts anderes tun, als in dieser Einkaufshölle zu schmoren?

Ich höre mich um, spreche mit Menschen über ihre Eindrücke und Erfahrungen der letzten Jahre beginnender Reformen. Einig sind sie sich nicht, aber es ist wohl auch kaum möglich einen konkreten Zeitpunkt zu benennen, ab dem es nicht mehr sozial verpönt war, CUC in rauen Mengen zu besitzen. Mir scheint es, dass einer der wesentlichsten Veränderungen der letzten Jahre die Legalisierung selbstständiger Kleinst- und Kleinunternehmen ist – neben den neuen Reisebestimmungen vom 15.1.2013 versteht sich.

María Elena musste jahrelang geheim halten, dass sie ihr Einkommen als selbstständige Schneiderin bezieht. Ihr Verdienst als staatliche Angestellte war derart gering, dass sie zu regelmäßigen Nebeneinkünften greifen musste, um bis zum Monatsende Lebensmittel für sich und ihre vierköpfige Familie besorgen zu können. Neuerdings braucht sie keine Angst mehr zu haben vor Kontrolle, Strafzahlungen oder Schlimmerem, sondern bietet ihre Dienstleistungen wie die Mehrheit der kubanischen Bevölkerung nunmehr öffentlich feil. Ihr Sohn und ihr Mann, beide Angestellte auf hohen Posten in staatlichen Unternehmen, verdienen längst nicht so viel wie sie, und so bekam sie peu a peu den Status des pater familias oeconomicus.

Ich möchte auch Teil der neuen kubanischen Handy-Generation sein und beschließe, Alejandro, einen Bekannten einer Bekannten, aufzusuchen, der mir eine kubanische Handykarte borgen wird. Er ist ein junger, aufstrebender Künstler, der sich mit Installationen aus Öl und Holz auf dem kubanischen, vor allem aber internationalen Markt verewigen will. Soweit ich weiß, gelingt ihm das sehr gut. Sogar mehrere Ausstellungen im Ausland inklusive persönlichem Aufenthalt waren für ihn möglich. Wir treten in eine geräumige Garage ein, die sich als sein Atelier entpuppt. Alejandro spricht leise und zerknirscht, erzählt irgendwas davon, dass er gerade aufgestanden sei und deswegen so schlampig aussehe. Ich wage einen scheelen Blick an ihm herunter und muss unwillkürlich an den Roman „Die Eleganz des Igels“ denken. Wie scharfsinnig beobachtet ist es doch von der dortigen Protagonistin Renée, dass die jungen Reichen sich kleideten wie Clochards, aber nicht etwa aus Solidarität oder gar Identifikation mit den Benachteiligten, sondern schlichtweg aus Ignoranz:

„Wenn ich etwas verabscheue, dann ist es diese Perversion der Reichen sich wie Arme zu kleiden, mit Second Hand Klamotten, mit Zipfeln, grauen Wollmützen, Clochard-Schuhen und geblümten Hemden oder ausgeleierten Pullovern. Es ist nicht nur hässlich, es ist auch beleidigend. Nichts ist verachtungswürdiger als die Verachtung der Reichen für das Begehren der Armen.“

Kuba: Reformen - Foto: Quetzal-Redaktion, Sarah MoldenhauerIm Zuge der Krise nach dem Zusammenbruch des Ostblocks konnte die soziale Gerechtigkeit, die einst zentrales Anliegen der Revolution war, vom Staat nicht mehr gewährleistet werden. Mit der Legalisierung des Dollar (1993), der Einführung des Peso Convertible (1994) und durch die fortschreitende Informalisierung der Wirtschaft werden heute Bevölkerungsteile wieder entlang der „sozialen Demarkationslinien des vorrevolutionären Kubas“ [1] ausgegrenzt. Am nachhaltigsten äußert sich die frappante soziale Ungleichheit in Kuba somit in den sehr unterschiedlichen Zugangsmöglichkeiten zu Devisen bzw. CUC. Dem Historiker Michael Zeuske zufolge bildet sich „wie schon so oft in der Geschichte der Insel“ eine wirtschaftliche Elite heraus, die sich

„eine imperiale Ökonomie [sucht], um sich der Lieferung eines Produktes und mit den durch sie kontrollierten internen Arbeits-, Austausch- und Eigentumsbeziehungen Vorteile auf einem äußeren Markt zu schaffen.“ [2]

Diejenigen, die nicht zu dieser Elite gehören, sind zunehmend auf informelle Netze und Überweisungen aus dem Ausland (remesas) angewiesen. Zum neuen Feindbild der Regierung und Symbol aktuellen Sozialneids werden daher die sogenannten „Neureichen“. Einer Minderheit, die von den wirtschaftlichen und sozialpolitischen Reformen profitiert, steht die Masse der Reformverlierer gegenüber. Folglich bleibt festzuhalten, dass das Gleichheitsversprechen nicht trotz, sondern gerade wegen diverser sozialpolitischer und ökonomischer Maßnahmen nicht eingehalten werden konnte, da die Reformen notwendigerweise zu mehr Ungleichheit führten und führen werden.

Angesichts der tiefgreifenden sozialen Veränderungen im período especial (Sonderperiode), d.h. der Krise der neunziger Jahre, und der zunehmenden Ungleichheiten in der Gesellschaft blieben Reaktionen des Staates einerseits und diverser gesellschaftlicher Akteure anderseits nicht aus. Die von der kubanischen Regierung ausgerufene período especial en tiempos de paz (Sonderperiode in Friedenszeiten) bedient schon im Namen eine im revolutionären Kuba omnipräsente Kriegsrhetorik. Damit sollte eine bereits seit Jahren auf einen möglichen Krieg vorbereitete Bevölkerung mobilisiert werden. Dass diese Strategie einem altbekannten Handlungsmuster des Staates entsprach, kommentiert Hans-Jürgen Burchardt wie folgt:

„Die Regierung machte damit das, was sie am besten konnte und was für sie am naheliegendsten war: Sie verglich die Krisensituation mit einem Kriegszustand, bei dem es erst einmal ums pure Überleben ging. […] So begann die letzte Dekade dieses Jahrhunderts in Kuba unter den gleichen Vorzeichen, die auch die ersten Revolutionsjahre prägten: Mit einem rigiden Kriegskommunismus.“ [3]

Ob diese Mobilmachung aber den gewünschten Effekt brachte, ist stark zu bezweifeln, wenn nicht sogar gänzlich zu negieren. Konventionelle Erklärungsmuster und Deutungsversuche, um der Krise ideologisch Herr zu werden (wie das US-amerikanische Embargo, der nordamerikanische Imperialismus oder der Zusammenbruch der Sowjetunion), stellten für viele Kubaner_innen keine zufriedenstellenden Antworten mehr auf ihre drängenden Fragen und Zweifel dar.

Alejandro ist – wie so viele andere Neureiche seiner Generation – erhaben über die Ideale der sozialistischen Revolution von 1959. Er bezeichnet sich als unpolitisch, als freier Künstler eben, der nichts anderes tue, als sich der ‚ästhetischen Idee‘ zu widmen. Offenbar hat er auch nichts für transgesellschaftliche Höflichkeitsformeln übrig, denn er bietet uns weder einen Stuhl noch einen Schluck Wasser an, obwohl er weiß, dass wir satte zwei Stunden in der Mittagssonne für eine Strecke von 20 Kilometern benötigt haben. Ich danke ihm für die Karte und gehe augenblicklich.

Immer wieder formulieren die Menschen in Gesprächen ihre Sorge, dass nun ein moralischer Wandel einsetze, der bisherige gesellschaftliche Errungenschaften wie Sorge um die Mitmenschen unwiderruflich zu Grabe trägt.

Die Literaturkritikerin Luisa Campuzano gesteht mir ihre Angst, dass nun als erstes am Kulturetat gekürzt werde. Ich vermute, dass sie damit leider Recht behalten wird. Bereits jetzt gibt es neuerdings Bars, in denen Türsteher über die Gäste triumphieren und ein Bier 3 CUC kostet. Bei einem durchschnittlichen Monatslohn von 20 CUC wird deutlich, dass die soziale Segregation, letzlich der Ausschluss vieler Inselbewohner_innen von sozialen und kulturellen Aktivitäten, vorprogrammiert ist. Bleibt abzuwarten, welche Interventionsmöglichkeiten zur Marktregulation der Staat etablieren und nutzen wird.

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[1] Burchardt, Hans-Jürgen (1996). Kuba: Der lange Abschied von einem Mythos. Stuttgart: Schmetterling. S. 98.
[2] Zeuske, Michael (2000). Insel der Extreme. Kuba im 20. Jahrhundert. Zürich: Rotpunktverlag. S. 255
[3] Burchardt, Hans-Jürgen (1999). Kuba – Im Herbst des Patriarchen. Stuttgart: Schmetterling. S. 17, Hervorhebungen im Original.

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Sarah Moldenhauer, *1986, Doktorandin am IAFSL der Universität Leipzig mit einem Thema zur Literatur von kubanischen Autorinnen während des „período especial“.

Bildquellen: [1], [2] Quetzal-Redaktion, Sarah Moldenhauer

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