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Politik und Kultur in Lateinamerika

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Artikel

Die Landwirtschaft in Kuba
Probleme und Perspektiven

Lesedauer: 11 Minuten

1. Einführung

Lange Zeit bestimmte Zuckerrohr die Landwirtschaft in Kuba - Foto: Rufino UribeDie aktuelle Agrarreform könnte man als eine Fortsetzung der seit den neunzigern Jahren von oben eingeführten strukturellen Veränderungen bezeichnen. Dieser Prozess wurde verlangsamt durch die relativ hohen Wachstumsraten der Volkswirtschaft bis etwa 2006, die eine neue Dynamik der Investitionen verursachten, wobei der bereits schwache private Konsum kaum, der soziale Konsum hingegen stark anwuchs. Dieser bequeme Zustand verringerte das offizielle Interesse an einer Kontinuität der Reformen in der Landwirtschaft.

Das Wachstumsmodell der letzten Jahre, sehr abhängig vom Export professioneller Dienstleistungen, zeigt heute seine strukturellen Schwächen (v.a. Investitionsschock und Liquiditätskrise), ohne die äußeren Probleme, wie die internationale Finanzkrise, die USA-Blockade und die weitgehend internationale ökonomische Isolierung der Insel, zu ignorieren.

Beim letzten Bauernkongress sowie in allen offiziellen Dokumenten werden die allgemeinen Ziele der nachhaltigen Entwicklung in der Landwirtschaft folgendermaßen dargestellt:

a) Abschaffung der Importabhängigkeit bei Nahrungsmitteln.

b) Übergang zu kompletten oder verstärkten Lebenszyklen in der landwirtschaftlichen Produktion durch bessere Anwendung der biologischen Düngung, der Tierenergie, der Techniken bei der Kombination von Kulturen, der biologischen Kontrolle und der Erhöhung der waldbedeckten Flächen.

c) besseres Lebensniveau

d) Verstärkung der Kooperation, der Partizipation, der Stimulierung und der sozialistischen Redistribution der Einkommen.

Im Allgemeinen präsentiert die Regierung die neuen Maßnahmen als „Reaktualisierung des Modells“ (siehe Rede von Raul Castro, Granma 02.08.10). Gleichzeitig ist es auch nicht falsch, die Veränderungen der Landwirtschaft seit den 90ern Jahren in Richtung Kooperativen und Landübergabe an Familien in „usus fructus“, also die Nutzung des staatseigenen Bodens für den eigenen Anbau, als eine gewisse neue Struktur zu bezeichnen.

Im Rahmen dieses Artikels werden die existierende heterogene Struktur der Landwirtschaft, die Probleme, Widersprüche und Potenziale für ein neues Szenarium analysiert.

2. Strukturelle Aspekte der Produktion und des Handels

Der landwirtschaftliche Boden des Landes gehört fast ausschließlich dem Staat, aber bei der Nutzung hat der Staat seine dominierende Rolle schon längst verloren. Betrachtet man hingegen die gesamte Landwirtschaft in ihrer Komplexität, dann kann man mit Sicherheit behaupten, dass noch heute die staatlichen Richtlinien und Regelungen der entscheidende Faktor bei der Realisierung der landwirtschaftlichen Tätigkeiten sind. Der Staat bestimmt oder beeinflusst – zumindest teilweise – die Produktionsfunktion und die Kommerzialisierung der Produkte. In den letzten Jahren hat sich diese Monopolposition allerdings verringert, und die Tendenz deutet eine weitere Reduzierung an. Es gibt eine ganze Menge von Fakten, deren allmähliche Eliminierung und Ersetzung durch adäquate marktwirtschaftliche Mechanismen eine Verbesserung der Versorgung und sogar des Exports nach sich ziehen können.

Um noch einmal auf die Besitzverhältnisse zurück zu kommen: Die statistische Datenlage ist zwar schwierig, aber es zeigt sich in etwa folgendes Bild:

Tab.1. Landwirtschaftliche Nutzfläche und Besitzverhältnisse (2009)

Die derzeitige Struktur der Landwirtschaft in Kuba - Grafik: Quetzal-Redaktion, fahp

Quellen: Cuba, Asociación Nacional de Agricultores Pequeños (ANAP); Estadísticas del Ministerio de la Agricultura, 2008; Eigene Berechnungen.

Die Proportionen bei den Besitzverhältnissen variieren aus dem Grund, da die Prozesse der Land(um-)verteilung noch keineswegs einen Abschluss fanden, sondern vielmehr in vollem Gange sind.

Parallel zu diesen sich mehr oder weniger verändernden Besitzrelationen funktioniert der Lebensmittelhandel, bei dem die Staatsmonopole Acopio und Frutas Selectas den größten Umsatz machen. Komplementiert werden sie durch die eigene Handelsinfrastruktur der Armee, einiger Kooperativen und privater Bauern – und vieler illegaler Vermittler. An urbanen und suburbanen Gärten entwickelt sich auch eine wachsende direkte Vermarktung. Jedoch ist es schwer, einen Überblick zu bekommen. Denn die verschiedenen Märkte mit ihrer Vielfalt an Preisbildungsprinzipien und die Doppelwährung mit den zwei Kalkulationsarten haben zu einem Chaos im Buchhaltungssystem geführt. Diese Phänomene sind die Ursachen für das Fehlen an Kontrollen, an Prognosen und für unerwünschte Distributionsprobleme.

Der nationale Markt für Nahrungsmittel besteht aus folgenden Märkten:

a) Rationierter Lebensmittelmarkt in Pesos. Es handelt sich um die “libreta“ mit subventionierten Produkten, deren Umfang sich erheblich im Vergleich zu den 80er Jahren reduziert hat, aber heute noch ein wichtiges Element der Sozialpolitik ist.

b) Der frei Markt oder mercado agropecuario, d.h. freie Preise. Dabei konkurrieren die Wirtschaftssubjekte mit dem jeweiligen Mehrprodukt, das nach Ableistung der Pflichtleistung übrig bleibt. Am Anfang war dies nur für die privaten Bauern und die CPA (die sogenannten ersten stabilen sozialistischen Kooperativen) vorgesehen, später wurde es aber auch den anderen Sektoren erlaubt – außer den Militärs. Oft ist dieser „freie“ Zugang sehr relativ, denn ein großer Teil der Staatsfarmen und der Kooperativen müssen strategische Produkte wie Kartoffeln, Kaffee, Kakao, Milch, Rindfleisch und Bienenhonig garantieren, die nicht für den freien Markt produziert werden. Der Peso ist die offizielle Währung, aber der „freie Markt“ funktioniert flexibel auch mit dem CUC (pesos convertibles).

c) Staatlicher Lebensmittelmarkt in Devisen, also in CUC. Es handelt sich um importierte und nationale Produkte mit einem gewissen Qualitätsniveau. Die Gewinnrate für den Staat ist hoch. Oft findet man ausländische Erzeugnisse von niedrigerer Qualität als die einheimisch-regionalen Produkte, aber aus bürokratischen Gründen gibt es kein eigenes Angebot.

d) Staatlicher Markt mit Toppreisen (gewisse Sozialpreise). Das bedeutet, lokal werden die Preise so bestimmt, um eine gewisse Gewinngrenze zu erreichen. Allerdings gibt es die Bedingung, dass diese Preise niedriger als die freien Preise sein müssen. Manchmal liegt dieser Bestimmung ein prozentueller Satz zugrunde. Gemäß eigenen Studien wird die Relation Angebot-Nachfrage sehr prekär, wenn die Differenz bei etwa 30 Prozent liegt. D.h.: Wenn die Toppreise etwa 70 % der freien Preise ausmachen, versuchen die Produzenten, durch eigene Manipulationen so wenig wie möglich auf den Sozialmärkten anzubieten oder mittels Spekulanten einen schnellen Verkauf zu erledigen. Offiziell wird in pesos gehandelt, manchmal werden die CUC akzeptiert.

e) Lebensmittelmarkttage oder ferías agropecuarias. Diese finden meist zwischen zwei und vier Mal im Monat statt und werden vom Staat organisiert. Die Preise müssen sogar niedriger als d) liegen und sind lokal in pesos festgelegt, wobei man oft den CUC akzeptiert. Es handelt sich um eine Art „politisch-sozialen Markt“, auf dem jeder Sektor infolge eines Ex-ante-Kompromisses mit der Regierung und der Partei bestimmte Mengen unter der Losung „Essen für das Volk“ anbieten soll.

f) Direkter Markt an den Gärten der agricultura urbana. Hier reagiert die Preisbildung bis zu einer vernünftigen Gewinngrenze. Mit diesem Markt ist ein Netz von Straßenhändlern verbunden, oft informell. Es gilt offiziell der peso, CUC werden fast immer akzeptiert.

g) Spezielle Einrichtungen für den Verkauf von Produkten der CPA, einiger CCS und der Armee, der sogenannten Jugendarbeitsarmee. Letztere ist besonders stark in Havanna. Sie haben alle eigene, oft sehr günstige Preise, die immer unter den freien Preisen liegen. Die Währung ist pesos, CUC werden aber oft angenommen.

h) Einrichtungen für den Verkauf von wichtigen Produkten unter der direkten Führung der Regierung in den eigenen Libreta-Läden oder anderen Lokalen. Das Angebot ist sehr instabil. Meistens werden Reis, Bohnen, Fleisch- und Backwaren, Süßigkeiten, Getränke, Milcherzeugnisse u.a. gehandelt. Oft sieht man auch importierte Produkte. Die Preise sind in pesos und niedriger als die freien Marktpreise. Selten werden CUC akzeptiert.

i) Selbstversorgungsmärkte bei den bewaffneten Organen, Staatsbetrieben und Kooperativen. Dazu zählen die weit verbreiteten subventionierten Kantinen der Betriebe und Institutionen, Schulmensen und zonalen Kantinen für alleinstehende Rentner. Das interne Preisniveau (kostendeckend oder minimaler Gewinn) bedeutet oft einen enormen Unterschied im Vergleich zu den freien Marktpreisen oder sogar dem Schwarzmarkt. Dieser interne Markt konstituiert sich als ein wichtiges Zusatzeinkommen für die entsprechenden Konsumenten. Es wird nur in pesos verkauft.

j) Der Schwarzmarkt. Seine Existenz gründet auf die Ineffizienz und das bescheidene Angebot, seine Entwicklung ist territorial und temporal unterschiedlich.

3. Der Weg zur nachhaltigen Entwicklung

Biogemüse (Foto: Antonio Montuno)Der politische Willen des Staates muss mit den empirischen Fakten zusammenwachsen, sonst verkommen die politischen Programme zur leeren Rhetorik.

Die Elastizität Beschäftigung-landwirtschaftliche Produktion ist im internationalen Vergleich sehr niedrig oder sogar negativ. In Kuba ergibt sich das Paradox der ineffizienten Entwicklung der Industrie und vor allem der Beginn des Übergangs zur Dienstleistungsgesellschaft bei einer unglaublichen Abhängigkeit von Nahrungsmittelimporten (60%-70% des staatlichen Angebots) begleitet von einem chronischen Defizit an Arbeitskräften auf dem Lande sowie der traditionellen Vernachlässigung des Sektors aufgrund geringer Anreize.

Die aktuelle Landübergabe an private Produzenten sowie die Maßnahmen bei den anderen Wirtschaftssubjekten in Richtung Selbstfinanzierung und Autonomie sollen von Finanzierungsmöglichkeiten, der Errichtung eines Großhandelsmarktes und klaren vertraglichen Besitzverhältnissen begleitet werden. Deshalb ist ein Übergang von der Subvention der Produkte auf die Subvention bestimmter Bevölkerungsschichten geplant. Im Moment analysiert man die Einrrichtung von staalichen Agrarbanken und anderen Varianten.

Zur Debatte steht auch die Herausbildung von Handelsketten der Kooperativen und anderen Wirtschaftssubjekten, die letztendlich eine organisierte horizontale und vertikale Integration aufweisen. Der rigide staatliche Handel mit Verlusten und Subventionen soll teilweise auf diese Art und Weise transformiert werden.

Angedacht ist ferner, die Steuer auf die Nettoeinkommen zu erheben und die sogenannten fixen Quoten zu eliminieren, denn sie sind eine große Marktzugangs- und Produktionsbarriere für neue potenzielle Konkurrenten.

Im Gegensatz zur kurzfristigen Mentalität der geerbten Methoden der „Grünen Revolution“ ist die traditionelle Bauernwirtschaft das beste Beispiel für eine Entwicklung auf dem Weg der Nachhaltigkeit. Das erklärt sich aus einer langjährigen Erfahrung mit der Reproduktion auf der Basis einheimischer Inputs – mit relativ geringer Abhängigkeit von externen Ressourcen.

Die in den 90er Jahren begonnene und heute beschleunigte Etablierung von einer neuen Bauernschaft (Landübergabe) könnte ein Damoklesschwert beinhalten, wenn sich die Produzenten lediglich am „schnellen Gewinn“ orientieren und, wie es heute schon passiert, sich auf dem Schwarzmarkt mit Pestiziden und Herbiziden eindecken. Die Erfahrungen der Vergangenheit würden sich unweigerlich wiederholen, wenn permanent Kontrollen fehlen.

Die Kooperativen sollten in Zukunft nicht mehr an die obligatorischen Spezialisierungsschemas der Produktion gebunden sein, denn die bescheidenen Einnahmen und die festen Preise verhindern u.a. die Stabilisierung des Personals, was die Führungskräfte zur Einstellung von Lohnarbeitern zwingt und nicht mehr einem kooperativen Produktionsmodus entspricht. Bei vielen Kooperativen jeder Art machen die Lohnarbeiter heute durchschnittlich über 60 Prozent der Arbeitskräfte aus.

Die Erfahrungen einiger Kooperativen bei der Zuteilung einer kleinen Parzelle an Familien sollten verallgemeinert werden, denn in Kuba war das eigene Essen immer ein bestimmender Faktor bei den ländlichen Verhältnissen. Seit der Schaffung des Ministeriums für Wissenschaft und Umwelt hat sich ein kontinuierlicher Prozess der Gesetzgebung in dieser Hinsicht entfaltet. Aber beim Gesetz für Kooperativen (Ley de Cooperativas Agropecuarias) fehlen solide Argumente bezüglich einer nachhaltigen Entwicklung. Außerdem gibt es zur Zeit kaum Qualitätskontrollen des Wassers für die Landwirtschaft – außer für die Tabakproduktion.

Die Preisrelation zwischen Einkauf von inputs und Verkauf der Produkte ist total ungünstig für die Kooperativen – trotz der Preissteigerungen für bestimmte Produkte wie Zuckerrohr, Milch und Schweinefleisch. Die Zuckerrohr-Kooperativen leiden besonders unter dieser Situation, weil sie seit Jahren keine eigene Akkumulationsquelle ausweisen. In langjährigen Forschungsarbeiten wurde festgestellt, dass die Kader in diesen Kooperativen entsprechend eine Präferenz für große Verluste aufweisen, damit sie schneller Hilfe bekommen und den „Stress der Rentabilität“ vermeidet.

Es müssen deshalb dringend lokale kooperative Strukturen für die Teilfinanzierung der Genossenschaften entstehen, denn die finanzielle liquidez ist immer noch sehr bescheiden. Viele Bauern und Genossenschaftsmitglieder haben schon ansehnliche Sparquoten aus verschiedenen Gründen, meistens jedoch aus Gewinnen der privaten Landwirtschaft oder aus Geldüberweisungen (remesas). Diese Ersparnisse verbunden mit den Amortisationsfonds könnten den Anfang für eine bescheidene Finanzierungsquelle neuer landwirtschaftlicher Aktivitäten bedeuten.

Die Partizipation an den Entscheidungen der Arbeitskollektive ist oft eine reine Formalität. Die Partner verhalten sich als einfache Angestellte, und die Philosophie der Produktion richtet sich oft heute noch nach industriellen Arbeitszeitmethoden – verbunden mit einer fehlenden Motivation. Das kann man verändern, indem man die Wertkette durch die Schaffung einer lokalen Agroindustrie vergrößert, die Selbstversorgung organisiert und den exzessiven Paternalismus des Staates bei Produktion, Preisen und Handel abschafft.

Schlussfolgernd kann man behaupten, dass trotz der erneut komplizierten Lage, die kubanische Landwirtschaft mittelfristig einen großen Beitrag zur Ernährungsunabhängigkeit und zur Erhöhung der Lebensqualität des Volkes leisten kann. Die Ausgangsposition ist zwar eine langjährige Entkapitalisierung, aber gleichzeitig existieren die Erfahrungen und historische Entwicklungen, die seit den ersten Bodenreformen geprägt sind von der Würdigung der Arbeiter und ihrer Familien und den errungenen sozialen Leistungen.

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Prof. Dr. Felipe Andres Hernández Pentón ist Agrarökonom an der Universidad José Marti in Sancti Spiritus/Kuba. Den Beitrag hat er exklusiv für QUETZAL in der Reihe zur Lage der Landwirtschaft in Kuba verfasst.

Bildquellen: [1] Rufino Uribe; [2] Antonio Montuno_

1 Kommentar

  1. jan z. volens sagt:

    „Elastizitaet“ endlich, und die schon lange notwendige-„Idee“: Abschaffung der Importabhaengigkeit bei Nahrungsmitteln! Ein grosse Insel, mit idealen Klima und Wetter (leider auch manchmal Hurakanschaden), und einer verhaeltnismaessig kleinen Bevoelkerung… In der Dominikanischen Republik waechst die Yucca (Manioc) und Auyama (Kuerbis) auf einer duennen Schicht Erde auf den Felsenkratern an der Suedkueste,und wo Huehner genug wilde Kleinfauna finden: Man kann das essen, was das Land produziert und auf fremde Nahrungsmittel verzichten. Der Sozialismus besteht weiter mit Subventionierung bestimmter Bevoelkerungsgruppen!

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