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Flüchtlinge, Menschenrechte, usw.

Anka Schmoll | | Artikel drucken
Lesedauer: 5 Minuten

KUBA.(Quetzal) – Ein Lastwagen durchbricht im Botschaftsviertel der Hauptstadt eine Gartenmauer. Sechzehn Menschen riskieren ihr Leben, um aus ihrer Heimat zu fliehen. Zwei Wochen zuvor hatten sich 118 Männer, Frauen und Kinder in einer anderen „westlichen“ Botschaft verschanzt. Auch sie warten nun auf ihre Ausreise. Die ausländischen Medien beklagen die prekäre hygienische Situation; vor allem für Mütter mit Kleinkindern wird es unerträglich. Doch die Regierung bleibt hart. Auf diesem Wege werde niemand das Land verlassen. Bei Aufgabe der Besetzung sei den Flüchtlingen Straffreiheit zugesichert. Sie könnten Ausreiseanträge stellen. Doch erpressen lasse man sich von niemandem. Das Regime und die westlichen Regierungen befürchten eine Kettenreaktion. Die Situation ist unhaltbar. Die Welt schaut peinlich berührt weg.

Déjà vu. Der Juni 1994 erinnert fatal an den Sommer 1989. Geschichte scheint sich zu wiederholen. Doch Kuba ist nicht die DDR, und wer ein schnelles Ende des vorletzten sozialistischen Staates erwartet hatte, sieht sich getäuscht. Ein plötzlicher Kollaps des kubanischen Systems wird – außer von den Möchtegern-Invasoren in Miami – von niemandem gewünscht; noch größere Flüchtlingsströme und möglicherweise unkontrollierbare Gewalt wären die Folge.

Hindernisse, das Land zu verlassen, werden den Kubanern denn auch nicht nur von der kubanischen Regierung in den Weg gelegt. Männer unter 28 Jahren müssen ihren Wehrdienst geleistet haben, bevor sie „die Ausreise beantragen“ dürfen. Auch „dringend benötigten Fachkräften“ wird das Ausreisevisum vielfach verweigert. Das Problem für die anderen liegt jedoch vor allem im Erlangen eines Einreisevisums und der entsprechenden Menge an harter Währung.

Offiziell als Helden und Märtyrer gefeiert, sofern sie die Überfahrt nach Florida in morschen Booten und auf aus Autoreifen zusammengebauten Flößen überleben, sind die kubanischen „Wirtschaftsflüchtlinge“ von den Einwanderungsbehörden der „freiheitlichen Demokratien“ nicht gerade gern gesehen. Schließlich ist Miami bereits die „zweitgrößte kubanische Stadt“ mit mehr als einer Millionen Kuba-Auswanderern. Sind die Neuen erst einmal dort angekommen, sind ihnen Arbeitsgenehmigung und Einbürgerung sicher – ein Relikt der harten Linie gegenüber der Insel, das man in Washington vielleicht lieber zurücknehmen würde; doch Eingeständnisse politischen Kalküls in Menschenrechtsfragen sind in der Weltpolitik leider nicht üblich.

So gestaltet man lieber die Visavergabe an Kubaner extrem restriktiv. 20.000 pro Jahr waren 1984 in einem inzwischen obsoleten Vertrag vorgesehen worden, die wirkliche Zahl ist jedoch weit niedriger. Kuba wirft den USA vor, mit dieser Politik die gefährliche Flucht über die „Straße von Florida“ und Verzweiflungsaktionen wie die Botschaftsbesetzungen zu provozieren, um das Land international zu diskreditieren. Andere Quellen sprechen übrigens von der Planung der Aktionen durch verschiedene Geheimdienste. Warum dann aber Haftstrafen für „Republikflucht“? Das dürfte international wohl viel eher Unverständnis und Protest auslösen.

Daß sich das politische Klima in pragmatischeren Kreisen durchaus geändert hat, beweist der von der kubanischen Regierung verkündete Erfolg der Konferenz „Die Nation und die Emigration“ Ende April in Havanna, an der 200 Exilkubaner aus 35 Ländern teilnahmen. Bereitschaft zum Dialog war auf beiden Seiten vorhanden, selbst bei Leuten wie Eloy Gutierrez Menoyo von der Organisation „Cambio Cubano“, der zwanzig Jahre in kubanischen Gefängnissen gesessen hatte. Ausgeladen waren dagegen die militanten Gruppen, die in den USA immer noch von einem bewaffneten Umsturz träumen. Die „Kubaner des guten Willens“, wie sie Außenminister Roberto Robaina im Vorfeld nannte, sprachen sich dann auch für eine Aufhebung des Wirtschaftsembargos aus; die Zukunft Kubas müsse von den Kubanern selbst entschieden werden. Das Thema der politischen Gefangenen wurde nicht berührt. Konkrete Ergebnisse waren vor allem bei den Besuchserleichterungen zu verzeichnen: das Besuchsverbot vor Ablauf von fünf Jahren nach der Ausreise wurde aufgehoben, die Eröffnung eines Konsulats in Miami soll beantragt und eine Abteilung für Migrationsfragen im Außenministerium geschaffen werden. Die neuen Wirtschaftslenker um Carlos Lage versprechen sich vor allem höhere Deviseneinnahmen durch die Besuchserleichterungen. Die Obergrenze für Familienüberweisungen war nach der Legalisierung des Devisenbesitzes auf US$ 300 monatlich erhöht worden.

Ob das jedoch die verzweifelte soziale Situation der meisten Kubaner ändert, ist sehr unwahrscheinlich. Die Zweiklassengesellschaft der Dollar- oder Nicht-Dollar-Besitzenden hat ohnehin zu unvertretbaren sozialen Abgründen geführt, von deren Härten vielfach auch kleine und mittlere Funktionäre betroffen sind – vor allem ihnen waren Auslandskontakte ja verboten. Die Krise berührt nun immer mehr auch dem gepflegten Image des sozialistischen Kubas grundsätzliche Dinge: z.B. die Preise für den Grundbedarf an Wasser, Strom und Gas, Rum und Tabak (der ohnehin nicht mehr gedeckt werden kann). Außerdem sollen erstmals Steuern erhoben und bestimmte Sozialleistungen und Subventionen gekürzt werden. Die Wirtschaftsreformer erhoffen sich davon eine Reduzierung des Budgetdefizits von 4 Mrd Pesos und eine gleichzeitige Beseitigung des Geldüberhanges von 11 Mrd Pesos – 15 Monatslöhnen, die jeder Kubaner rein statistisch auf der hohen Kante hat. Gewisse Ähnlichkeiten mit IWF-Strukturanpassungsprogrammen sind nicht zu übersehen. Wie diesen fehlt auch den kubanischen Reformen das Entscheidende: eine Perspektive zur Aktivierung der Produktion. Doch nach dem Wegfall der sozialistischen Wirtschaftsbeziehungen und vor dem Fall des kapitalistischen Embargos scheinen grundlegende Fortschritte hier nicht möglich. Sogar das auch international hochgelobte Gesundheitswesen ist betroffen vom Einbruch von Import und importabhängiger Produktion. Der neue ‚plan de medicamentos‘ rationiert den freien Verkauf von essentiellen Arzneimitteln wie Aspirin und führt auch für Ärzte jährliche Obergrenzen für das Verschreiben ein. Gesundheitsminister Julio Teja bekräftigte zwar den Willen der Regierung „…den illegalen Handel mit der Gesundheit und dem Glück der Bevölkerung…“ nicht zuzulassen, dieser ist jedoch – Folge des US-Wirtschaftsembargos wie der jahrzehntelangen einseitigen Abhängigkeiten von der UdSSR – längst in vollem Gange.

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