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Politik und Kultur in Lateinamerika

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Dokumente zum Kuba-Seminar in Leipzig

Janette Habel* | | Artikel drucken
Lesedauer: 16 Minuten

Vom 4. bis 6. November 1994 fand auf Initiative des Bundeskongresses der entwicklungspolitischen Aktionsgruppen (Buko), des Dritte-Welt-Zentrums Leipzig e.V. und anderer Gruppen im Haus der Demokratie in Leipzig ein Kuba-Seminar statt. Es nahmen 58 Interessenten am Seminar teil. Als Referenten waren die Französin Janette Habel und Horst-Eckart Gross eingeladen. Auf den folgenden Seiten veröffentlichen wir den Vortrag von Janette Habel.

Ist die kubanische Revolution in Gefahr?

Wie bereits im Titel des Buches formuliert, ist die kubanische Revolution in Gefahr. Diese Aussage trifft heute noch viel mehr zu als zu der Zeit, als das Buch erschienen ist, in französischer Version. Es steht sogar infrage, ob überhaupt ein Überleben dieser Revolution gewährleistet ist. Man muß sich also die Frage nach den Ursachen und Wurzeln für diese schwerwiegende Krise stellen. Auf eine der Ursachen werde ich nicht näher eingehen, da darüber in den Medien viel berichtet und in den Solidaritätsbewegungen viel diskutiert wird: das US-amerikanische Embargo gegen Kuba.

Der zweite Grund sind die Verbindungen und die Art der Beziehungen Kubas mit dem Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW). Ihr Abbruch ist eine entscheidende Ursache der aktuellen Situation Kubas. Allerdings liegt auch ein Teil der Verantwortung bei der kubanischen Regierung. Hierauf werde ich in meinem Vortrag ebenfalls eingehen. Aber auch die Ausgangsbedingungen der Insel, d.h. die Situation Kubas vor der Revolution 1959, dürfen nicht vergessen werden.

Ich möchte dazu nur kurz etwas in Erinnerung rufen – und zwar deswegen, weil es heute eine ganze Menge falsche Interpretationen über die sozialökonomische Situation Kubas vor 1959 gibt. Vor der Revolution war Kuba ein unterentwickeltes Land. Bedingt durch die Nähe zu den Vereinigten Staaten hatte Kuba aber eine ausgesprochen moderne Hauptstadt, Havanna. Es war eine ganz besondere Art von Unterentwicklung, denn es gab in Havanna eine bedeutende Mittelschicht. Charakteristisch für das Land waren insbesondere das Elend der Landbevölkerung und die großen Ungleichheiten, besonders die Gegensätze zwischen dem Land und der Hauptstadt Havanna. Man darf auch nicht vergessen, daß Havanna nur 150 km von der US-Grenze von Florida entfernt liegt und somit von den USA aus gut zu erreichen war und ist. Dies förderte ein in Entwicklungsländern sehr verbreitetes Phänomen: eine hoch entwickelte Hauptstadt und ein im Vergleich dazu sehr rückständiges Umland. Daher kommt es, daß viele Leute heute sagen: „Vor der Revolution war Kuba ein modernes Land. Heute, mit Castro, ist alles verfallen und viel schlimmer.“ Dies führt zu einem Phänomen, das in Frankreich als „revisionistische Geschichtsinterpretation“ bezeichnet wird: Es wird gesagt, die Revolution sei schlecht und habe zu nichts Gutem geführt; sie habe das Land nur zurückgeworfen. Ich will mich an diesem Punkt nicht länger aufhalten, aber ich hebe ihn deswegen hervor, weil ganz klar sein muß: nicht in Havanna, sondern auf dem Land, insbesondere in der Ostprovinz Oriente, wurde die Revolution durchgeführt.

Die Revolution führte zunächst einmal zur nationalen Befreiung. Man kann die Ansicht vertreten, daß die wirkliche Befreiung Kubas nicht schon 1902 von Spanien, sondern erst 1959 stattgefunden hat. Vor 1959 war Kuba quasi ein Protektorat, ein Schutzgebiet der USA. Weiterhin hat diese Revolution aber auch eine soziale Befreiung mit sich gebracht – vor allem für die Regionen abseits Havannas und besonders für die verarmte Bauernschaft. Das städtische Kleinbürgertum, vor allem in Havanna, hat ein Absinken seines Lebensstandards hinnehmen müssen. Aus dieser Schicht sind sehr viele nach Miami emigriert. Heute leben in Miami, Florida, 1,5 Millionen Kubanerinnen. Dies sind ca. 10% der kubanischen Bevölkerung.

Um diese einleitenden Bemerkungen zum Abschluß zu bringen, noch folgendes: Im Zentrum der Abhängigkeit Kubas vor der Revolution stand der Zucker. Diese Umstände lassen sich in folgenden Zahlen zusammenfassen: 80% der Ausfuhr Kubas bestand aus Rohrzucker, und 80% dieser Ausfuhr ging im Rahmen der von den US-Behörden festgesetzten Quoten in die USA. Auf Kuba gab es das Schlagwort: ein einziges Produkt, ein einziger Markt. Allerdings läuft es auf dem Weltmarkt mit einem einzigen Ausfuhrprodukt und einem einzigen Absatzmarkt kaum oder extrem schlecht. Zwei Zahlen zu den Verhältnissen jetzt, nach über 30 Jahren Revolution auf wirtschaftlichem Gebiet: bis zum Fall der Berliner Mauer 1989 bestand die Ausfuhr von Kuba immer noch zu 80 % aus Zucker, und 80% dieser Ausfuhr gingen in eine bestimmte Ländergruppe: die Sowjetunion und den restlichen RGW. Damit ist schon fast die Schlußfolgerung in bezug auf die Ursachen für die Krise geliefert: Wenn mit einem Schlag 80 % der Ausfuhren wegfallen – wohin sollen sie dann mit ihrem Zucker? Dies liefert ein zentrales Element zum Verstehen der gegenwärtigen Krise. Es bedeutet aber auch ein schlechtes Urteil in bezug auf die Art und Weise der Handelsbeziehungen im Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe, des RGW. Es gab drei Dritte-Welt-Länder, die dem RGW angehörten, nämlich Kuba, Vietnam und die Mongolische Volksrepublik. In den Statuten des RGW war vorgesehen, daß diese drei Länder den Lebensstandard der übrigen Industrieländer des RGW einholen sollten. Aber jetzt, 1994, muß man feststellen, daß Kuba in vielerlei Hinsicht heute immer noch ein unterentwickeltes Land ist. Die bekannten Ausnahmen sind das kubanische Gesundheits- und das Bildungswesen. Die Art und Weise der Integration Kubas in den RGW kann man als untergeordnete Integration charakterisieren – eine Eingliederung und Mitgliedschaft Kubas im RGW unter den Bedingungen der Unterentwicklung. Kuba wurde in den RGW aufgenommen mit der Hauptrolle, als dessen Zuckerdose zu dienen. Eine gesamte Volkswirtschaft läßt sich aber heute nicht auf Zucker aufbauen. Dazu ein Beispiel: Der Preis für ein Pfund Zucker auf dem Weltmarkt betrug 1974 60 US-Cents; seit fünf Jahren variiert der Preis zwischen 9 und 12 Cents. Ihr werdet sicher verstehen, daß unter solchen Bedingungen, wenn die Preise von dem Produkt, das 80% der Exporte ausmacht, solche Zickzack-Kurven machen, Ressourcen schwer einschätzbar sind. So sind weder reale Wirtschaftsplanung noch ein wirtschaftlicher Aufbau möglich. Aus diesem Grund gab es zu Beginn der kubanischen Revolution Anfang der 60er Jahre, Bestrebungen, von diesem Hauptexportprodukt und dem Anbau von Zucker wegzukommen. Es wurden dabei Ratschläge der CEPAL, der Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Lateinamerika, befolgt. Es sollte eine Industrialisierung eingeleitet werden. Bevor Che Guevara aus Kuba wegging, hat er eben diese Position vertreten. Diese Position ist allerdings in der Minderheit geblieben.

Ab 1972, dem Jahr, in dem Kuba in den RGW eingetreten ist, war die Grundlage für die gesamten Wirtschaftsbeziehungen wieder der Zucker. Ich möchte dieser Feststellung einen Kommentar darüber anschließen, was oft „sowjetische Hilfe für Kuba“ genannt wurde: Es stimmt, daß die Sowjetunion Kuba großen Kredit gegeben hat, aber umgekehrt hat auch die UdSSR aus den Wirtschaftstauschbeziehungen zu Kuba großen Nutzen gezogen. Ich gebe Euch ein Beispiel: Es ist wesentlich billiger, Rohrzucker aus Kuba zu importieren, als selbst Zuckerrüben in der Sowjetunion anzubauen. Wenn Kuba Zucker geliefert hat, dann war dies überall verbrauch- und eßbarer Zucker. Sowjetische Traktoren oder andere Maschinen hingegen, die unter den Bedingungen auf Kuba nicht oder nur schlecht funktioniert haben, können dann nicht unbedingt als gerechter Zuckerpreis bezeichnet werden. Diesbezügliche Einzelheiten und genauere Ausführungen würden den Rahmen dieses Vertrags sprengen. Ich möchte aber zusammenfassend sagen, daß, global gesehen, die Bilanz der sowjetischen Hilfs- und Austauschbeziehungen zu Kuba sehr negativ ist. Erst am Ende, in den 80er Jahren, hat es Entwicklungen in Richtung einer Diversifizierung gegeben; d.h. es wurden auch Fortschritte im Bereich der Biotechnologie und der Informatik gefördert. Aber dies geschah erst kurz vor dem Fall der Berliner Mauer – und damit zu spät.

Damit möchte ich diesen Bereich abschließen und komme zum dritten Abschnitt, den Maßnahmen zur Wirtschaftsreform. Man muß verstehen, daß die kubanische Führung fast über Nacht damit konfrontiert war, daß die gesamten Quellen für ihre Importe und andererseits ihre Absatzmöglichkeiten weggebrochen waren. Man wußte, daß ein Großteil der Lebensmittel sowie Erdöl nicht mehr geliefert wurden – und daß im Gegenzug die eigenen Ausfuhrprodukte keine gesicherten Abnehmer mehr hatten. Um in solch einer Situation des wirtschaftlichen Zusammenbruchs überleben zu können, sah sich die kubanische Führung dazu gezwungen, marktwirtschaftsorientierte Wirtschaftsreformen einzuführen und Strukturanpassungsmaßnahmen vorzunehmen. Diese Entscheidung wurde durch den Druck internationaler Wirtschaftsgremien beeinflußt.

Ich möchte nun einige Bemerkungen zu den in Angriff genommenen Wirtschaftsreformen machen. Dabei muß man immer sehen, daß sie auf sozialem Gebiet verheerende Folgen haben, weil diese Maßnahmen große Zwistigkeiten und Ungleichheiten in die kubanische Bevölkerung gebracht haben, auf die diese nicht vorbereitet war. Vor etwas mehr als einem Jahr wurde der Besitz von Dollars legalisiert, und der freien, privaten Initiative wurde gewisser Raum geöffnet – im Kleinhandel, Handwerk etc. Diese Reformen haben zu einer Destabilisierung der Gesellschaft geführt, weil es Leute gibt, die legal Dollars haben, und andere, die nicht darüber verfügen. Es ist inzwischen soweit, daß einige wichtige Dinge ausschließlich mit Dollars und nicht mehr mit Pesos zu kaufen sind. So versuchen inzwischen viele Ingenieure und Ärzte, als Taxifahrer zu arbeiten, weil sie dort Dollars erhalten, hingegen mit ihrer „normalen“ Arbeit lediglich Pesos verdienen könnten. Das Ziel von vielen ist es, sich in Touristengegenden einen Job zu verschaffen. Auch einige Medikamente sind nur noch gegen Dollars erhältlich. Es herrscht inzwischen alltäglicher Mangel auf Kuba. Das Alltagsleben fast der gesamten kubanischen Bevölkerung ist äußerst angespannt und kompliziert. Der Schwarzmarkt entwickelt sich weiter. Dort werden Waren inzwischen nicht nur gegen Pesos, sondern verstärkt gegen US-Dollars gehandelt. Die Wirtschaft ist aus dem Gleichgewicht geraten, und die Menschen sind verstört. Früher gab es ein relativ geringes Einkommensniveau, das aber ziemlich egalitär angelegt war; d.h. alle hatten in etwa gleich wenig. Die Wirtschaftsmaßnahmen fuhren zu einer Zuspitzung dieser Lage. Sie sind Teil eines Planes, über den derzeit mit den Experten des Internationalen Währungsfonds diskutiert wird. Diese Experten schlagen viel einschneidendere Maßnahmen vor -insbesondere die Privatisierung und Schließung von Betrieben. Das hätte natürlich ein Ansteigen der Arbeitslosigkeit zur Folge- die allerdings jetzt schon beträchtlich ist. Soviel zum Gesamtbild, das nicht sehr viel Anlaß zu Optimismus gibt.

Es sind aber auch Reformen zu erwähnen, die vor allem im Bereich der Landwirtschaft bis jetzt positive Auswirkungen hatten. Ihr wißt wahrscheinlich, daß seit etwas mehr als einem Monat die Bauernmärkte wieder zugelassen sind. Dies hat dazu geführt, daß die Preise der Produkte auf dem Schwarzmarkt drastisch gesunken sind. Auf diesen Märkten können die Kleinbauern einen Teil ihrer Erzeugnisse frei verkaufen, was zu einer deutlichen Verbesserung der Versorgungslage geführt hat. Die Frage der Ernährung ist auf Kuba eine sehr zentrale Frage. Es ist paradox, aber die Lebensmittelproduktion auf Kuba reicht nicht aus zur Ernährung der kubanischen Bevölkerung. Das hat mit dem zu tun, was ich vorhin zum Zucker gesagt habe. Das Land dieser Insel läßt sich nicht ausdehnen, und wenn, zwecks Devisengewinn, immer mehr Zuckerrohr angebaut und geerntet werden, bleibt nicht genügend Platz zum Anbau von Lebensmitteln übrig. Früher importierte man große Mengen an Konserven aus der Sowjetunion oder Bulgarien, das Milchpulver wurde aus der DDR bezogen. Und da die Lieferungen von Milchpulver nun plötzlich ausbleiben, braucht man Ländereien, um zur Steigerung der Milchproduktion Kühe darauf weiden lassen zu können.

Die Wirtschaftsreform-Maßnahmen sind von Fidel Castro darauf ausgerichtet, Zeit zu gewinnen – möglichst mehrere Jahre, denn für eine Wiederankurbelung der Wirtschaft sind mindestens fünf bis zehn Jahre erforderlich… um ein Überleben zu ermöglichen. Das politische System an sich stellt er dabei nicht infrage. Seine „Vorbilder“ sind China und Vietnam, in denen eine große wirtschaftliche Öffnung gegenüber dem Auslandskapital mit einer Beibehaltung der politischen Kontrolle gekoppelt ist.

Einer Realisierung dieser Politik stehen zwei Hindernisse entgegen: eins davon ist intern, das andere extern. Das interne Hindernis wurde diesen Sommer offensichtlich: die Ermüdungserscheinungen der kubanischen Bevölkerung. Schon seit fünf Jahren ist die Situation inzwischen ziemlich hart: Es ist eine Verschlechterung in allen Bereichen zu verzeichnen, einschließlich Gesundheits- und Bildungswesen. Wenn Ihr kürzlich auf Kuba wart, habt Dir sicher festgestellt, wie schwierig es für die „normale“ kubanische Bevölkerung geworden ist, sich durchzuschlagen – es ist einfach höllisch. Die Freigabe des Dollarbesitzes vor etwas über einem Jahr hat dazu geführt, daß es einer Minderheit der Bevölkerung etwas besser geht – für den Großteil von ihnen ist es aber eher schlimmer geworden. Bevorzugt sind diejenigen, die im Außenhandel oder im Tourismus-Sektor arbeiten – und diejenigen, die emigrierte Familienangehörige im Ausland haben. Ebenfalls begünstigt sind die kleinen Handwerker, die etwas basteln/herstellen können, das sich gegen Dollar verkaufen läßt. Alle anderen haben keinen Zugang zu Dollars. Schlimmer noch für sie – es entwickelt sich eine Peso-Inflation. Je länger dieser Zustand andauert, desto weniger Dollars sind für Pesos erhältlich. Die Menschen ertragen dieses Situation sehr schlecht. Da es immer schwerer fällt, diese Entwicklungen hinzunehmen, reagieren sie damit, daß sie immer weniger arbeiten. Schließlich gibt es immer weniger Anreize, mehr zu arbeiten, um mehr zu verdienen, da es für kubanische Pesos kaum etwas zu kaufen gibt. Ein kubanischer Wirtschaftswissenschaftler, Julio Caranzas, hat die Schätzung aufgestellt, daß die Arbeitsproduktivität auf Kuba in den letzten fünf Jahren um 45 % – also um fast die Hälfte – zurückgegangen ist. Die Leute versuchen, über andere Wege als die ihres normalen Arbeitsplatzes an Dollars heranzukommen. Zum Beispiel haben Ärzte eigentlich zwar nicht das Recht, private Konsultationen vorzunehmen. Inzwischen tun dies einige von ihnen aber dennoch – gegen Dollars. Es gibt auch auf politischen Gebiet massive Forderungen nach Demokratisierung – nicht im Sinne eines formalen Mehrparteiensystems, sondern im Sinne von mehr Kontrolle und Mitsprachemöglichkeiten der Bevölkerung. Die Reaktionen ‚von oben‘ auf diese Begehren sind allerdings äußerst negativ.

Dies sind die internen Hindernisse – nun möchte ich aber auch noch auf die Hindernisse von außen eingehen. Diese sind zum einen bei der Politik der US-amerikanischen Regierung zu suchen – zum anderen aber auch bei derjenigen der Europäischen Union. Die US-amerikanische Politik ist, trotz gewisser Anzeichen von Veränderungen und neuer Akzentsetzungen – siehe Haiti – im wesentlichen eine ausgesprochen traditionelle Politik: eine Politik der permanenten Kontrolle ihres Hinterhofs – insbesondere der Karibik, und Lateinamerikas überhaupt. Von der kubanischen Exilgemeinschaft – zumindest von einem mächtigen Teil dieser Gemeinde – geht ein ziemlich starker Druck in Richtung einer wesentlich aggressiveren US-Politik gegenüber Fidel Castro aus – nicht für eine militärische Intervention, aber für das Hinwirken auf einen Sturz Castros. Das ist heute ein Ziel, das große Teile der Clinton-Administration immer noch verfolgen. Es ist für Washington und diese Leute heute ein politisch äußerst wichtiges Ziel zu zeigen, daß die kubanische Revolution gescheitert ist. Dies soll insbesondere gegenüber ganz Lateinamerika demonstriert werden.

Die Europäische Union verfolgt eine etwas andere Taktik. Dort ist man der Meinung, man müsse den Übergang von der jetzigen zu einer zukünftigen Ordnung mit Fidel Castro an der Spitze sicherstellen, da das die einzige Garantie sei, um Chaos und Bürgerkrieg zu vermeiden. Sie wollen aber eindeutig nicht nur wirtschaftliche, sondern auch politische Veränderungen durchsetzen. Und der Hauptdruck seitens der Europäischen Union geht in die Richtung zu erzwingen, daß Verhandlungen mit den Exil-Kubanerinnen aufgenommen werden – mit politischen Kräften des kubanischen Exils in Miami und in Spanien. Vielleicht habt Ihr mitbekommen, daß der kubanische Außenminister Roberto Robaina in Madrid vor einigen Monaten zum ersten Mal Repräsentanten bestimmter Kreise von Exil-Kubanerinnen getroffen hat. Im April fand darüber hinaus ein Treffen mit bestimmten Kräften aus der kubanischen Emigration in Havanna selbst statt.

Die kubanische Regierung praktiziert derzeit ein Kräftemessen, das angefangen hat, aber noch nicht beendet ist – mit den US-amerikanischen und den europäischen Großmächten, die eine radikale Veränderung des gegenwärtigen Systems erzwingen wollen. Vereinfacht und etwas schematisch ausgedrückt: Fidel Castro widersetzt sich solchen Veränderungen. Aber um Widerstand leisten zu können, benötigt er Rückhalt und Unterstützung im Volk. Mit den derzeitigen Wirtschaftsreformen sägt er jedoch an dem Ast, auf dem er selbst sitzt. Dies ist die Darstellung der aktuellen Situation. Meiner Meinung nach besteht der einzig denkbare Weg, um aus dieser Situation herauszukommen und um der zunehmenden Apathie in der Bevölkerung entgegenzuwirken, darin, eine Demokratisierung an der Basis einzuleiten.

Ich habe im Frühjahr diesen Jahres eine ganze Reihe von Betriebsversammlungen in Fabriken miterlebt, auf denen über die in Gang befindlichen Wirtschaftsreformen diskutiert wurde. Dort wurde sehr viel Unmut geäußert, und insbesondere Unzufriedenheit mit den Verwaltern, mit den Technokraten, mit der Bürokratie, weil es von Seiten dieser Kreise viel Vergeudung, Verschwendung und Korruption gibt. Da die Menschen derzeit unter miserablen Bedingungen leben müssen, ertragen sie es sehr schlecht, daß von ihnen immer neue Anstrengungen und Bemühungen verlangt werden, während andere sich Geld in die Tasche stecken. Sogar von der Dollar-Legalisierung profitieren insbesondere die Technokraten, denn sie sind es, die Auslandsreisen machen können, die Kontakte zu Joint Ventures haben usw. Deswegen habe ich gesagt, daß derzeit ein Wettlauf mit der Zeit stattfindet: Wenn Fidel Castro das absolute Machtmonopol der kommunistischen Partei beibehält, ohne mehr Entscheidungsmöglichkeiten an der Basis zuzulassen, dann wird die Situation immer schwieriger. Ihr habt es in diesem Sommer gesehen: Es war das erste Mal, daß nicht nur Leute mit ihren Flößen Kuba verließen, sondern es gab zum ersten Mal eine Demonstration gegen die kubanische Regierung; es war zwar eine kleine, aber trotzdem bezeichnende Demonstration.

Zum Abschluß zweierlei: Unter den verantwortungtragenden Personen auf Kuba vertreten heute einige die Meinung, daß Kuba nichts anderes bleibt, als es so zu machen wie die DDR mit der BRD; d.h. mit Miami verhandeln, da es dort eine sehr reiche und mächtige kubanische Bourgeoisie gibt. Nur von dorther könnte Kuba dringend benötigte Mittel beziehen. Das Problem dabei ist natürlich, daß diese Bourgeoisie im Ausland vor einem Engagement in Kuba die gleichen Bedingungen und Voraussetzungen setzt, wie Kohl sie für das „Beitrittsgebiet“ gesetzt hat – nämlich das bestehende soziale System völlig hinwegzufegen. Deswegen vertrete ich die Ansicht, daß sich Kuba heute in einer sehr gefährlichen Lage befindet. Daher ist die kubanische Revolution heute noch wesentlich mehr in Gefahr als vor einigen Jahren.

Meiner Ansicht nach sind einige Initiativen, Handlungen und Politikansätze der kubanischen Führung zu kritisieren. Doch darf man dabei nie vergessen, daß das Kräfteverhältnis zwischen einem kleinen Land wie Kuba und der größten militärischen Weltmacht, den USA, dazu geführt hat, daß sich das kleine Land in den letzten 35 Jahren nie wirklich hat entwickeln können. Es ist ein Land, das immer in einem Belagerungszustand war. In einem gewissen Sinn ist dies eine der großen Ungerechtigkeiten der Welt von heute. Kuba ist ein unschuldiges Opfer der Veränderungen, die sich in der Sowjetunion, in Ost- und Mitteleuropa abgespielt haben. Wobei Kuba doch immer ein Land war, das nach nationaler Unabhängigkeit strebte und immer versucht hat, ein soziales Projekt umzusetzen, das mit Sicherheit das fortgeschrittenste war in ganz Lateinamerika.

Deswegen ziehe ich die Schlußfolgerung, daß es, trotz aller Schwierigkeiten, wichtig ist, Kuba mit Solidarität – kritischer Solidarität – weiter zu unterstützen. Denn die Solidarität ist die einzige Chance für das Überleben der kubanischen Revolution.
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* Janette Habel ist Mitarbeiterin der französischen Monatszeitung „Le Monde Diplomatique“. Sie beschäftigt sich inzwischen nicht mehr nur politisch, sondern auch hauptberuflich und wissenschaftlich mit Lateinamerika, mit dem Schwerpunkt Kuba. Sie hat eine Stelle an der Universität in Paris VII in Saint-Denis.

Deutsche Fassung nach der Tonbandaufnahme: Wilfried Dubois.

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