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Politik und Kultur in Lateinamerika

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Kogui

Gabriele Töpferwein | | Artikel drucken
Lesedauer: 8 Minuten

Häuptling Cuachacique trägt das Jaguarfell. Pfeile zischen, Pfeile verbrennen, Pfeile vergiften – die Taironas stecken Kirchen in Brand, zertrümmern Kreuze, töten Mönche und bekämpfen den feindlichen Gott, der ihnen ihre Sitten verbietet. Seit grauer Vorzeit ließ sich hier scheiden, wer wollte, und man schlief mit seinen Geschwistern, wenn es einem gelüstete, und Frauen taten es mit Männern oder Männer mit Männern oder auch Frauen mit Frauen. So war es hierzulande üblich, bis die Schwarzberockten und Eisengepanzerten kamen, die jeden, der nach dem Brauch seiner Vorfahren liebte, den Hunden zum Fraß vorwarfen.“* Es muss hier nicht weiter ausgeführt werden, wie der von Eduardo Galeano beschriebene Krieg für das Recht auf freie Liebe ausging; letztendlich vernichteten die Spanier im Jahre 1599 viele Tairona-Dörfer. Die Taironas zu vernichten, gelang ihnen jedoch nicht. Ihre alte vertraute Heimat, die Berge im Kolumbiens Nordwesten, bot ihnen Schutz – bis heute. Für die spanischen Konquistadoren war die Sierra Nevada von Santa Marta in Nordkolumbien eine geo-grafische Grenze, eine gewaltige Bergkette, die sie Festland nannten. Erste Kontakte mit den Bewohnern der nahen Küsten hatten sie im Jahre 1501, als Rodrigo de Bastidas in der Bucht von Gaira an Land ging, nahe dem Ort, an dem 25 Jahre später die Stadt Santa Marta gegründet wurde. Bei seiner ersten Begegnung folgte er einer guten Eroberertradition und tauschte von den Indigenas Gold und Perlen gegen billigen Ramsch ein.

Die Region, die Bastidas Herrschaft unterlag, erstreckte sich über die heutigen Provinzen Santa Marta, Rio Hacha, Chimila, Tamalameque und Ocana, eine geografisch sehr vielfältige Region mit Küstengebieten, Wüsten, Tief- und Bergland. Die Menschen, die dieses Gebiet zur Zeit der Konquista bewohnten, hatten sich den unterschiedlichen Gegebenheiten angepasst und sich diese zunutze gemacht. Es hatten sich verschiedene ethnische Gruppen entwickelt, die sich nach Sprache, Kultur und soziopolitischer Organisation unterschieden. Diese Unterschiede und die ethnische Diversität schufen aber keine Grenzen zwischen den Gruppen; die Beziehungen – ob nun rituell oder auf den Handel bezogen -waren eng.

Von Santa Marta aus erweiterten die Spanier ihren Einflußbereich im Laufe des 16. Jahrhunderts, es entstand eine Reihe von „Grenzstützpunkten“, die jeweils nur ein kleines Gebiet kontrollieren konnten. Im Jahre 1600 gelang es den Spaniern, den organisierten Widerstand der indigenen Gruppen an den nördlichen und östlichen Hängen der Sierra, wo auch die Tairona lebten, zu brechen: Sie zerstörten die wichtigsten Siedlungen und die landwirtschaftlichen Flächen, nahmen die Einheimischen gefangen, verbannten sie oder unterwarfen sie ihrer Herrschaft. Nach dem physischen und moralischen Zerfall der Taironas kam es nicht zu einer unmittelbaren Kolonisation der Sierra Nevada.

An dieser Stelle muß festgehalten werden, dass es die Taironas als solche nicht gab und auch heute nicht gibt. Der Name umfasst vielmehr eine Vielzahl von indigenen Völkern, deren Gemeinsamkeit vor allem eine geografische war. Auch wenn die Spanier verschiedenen Gruppen den Namen Tairona allein nach ihrer geografischen Herkunft gaben, hatten die Indigenas dieser Region, nicht zuletzt durch das Siedlungsgebiet bedingt, eine Reihe gemeinsamer kultureller Merkmale.

Die mittleren und höheren Regionen der Sierra entwickelten sich zu einem Rückzugsgebiet für die Indigenas, die die Verfolgungen am Ende des 16. Jahrhunderts überlebt hatten, auch die Flüchtlinge aus den Encomiendas der Spanier hatten sich in diese Regionen geflüchtet. Die Selva bildete in den folgenden Jahrhunderten eine natürliche Barriere, die das physische und kulturelle Überleben einiger Gruppen bis in unsere Tage ermöglichte. Zu diesen Gruppen gehören auch die Kogui.

Die Kogui sind heute wohl eines der bekanntesten indigenen Völker Kolumbiens. Ihre Lebensweise gilt als ursprünglich und von den spanischen/mestizischen Einflüssen weitgehend unberührt, was heutzutage a priori Berühmtheit konstituieren kann. Selbst das berühmte Goldmuseum in Bogota schmückt sich mit den Weisheiten dieses Volkes, obwohl die Kogui nicht zu den großen Goldschmieden der Andenregion gehörten. Inzwischen gibt es eine Fülle von Veröffentlichungen über dieses Volk, die zum Teil wohl eher mit Vorsicht zu genießen sind, da sie mitunter der recht romantisierenden Darstellung von „Naturvölkern“ anhängen.

Von dieser merkwürdigen Neigung, der guten alten Zeit, in der die Welt angeblich noch in Ordnung war, nachzutrauern, einmal abgesehen: Die Kogui sind wirklich ein sehr interessantes Volk, das sich bis in unsere Zeit den Einflüssen seiner Umgebung nur sehr langsam und kritisch öffnet. Bis heute leben sie an den nördlichen und nordöstlichen Hängen der Sierra Nevada von Santa Marta, wohin sich einst ihre Vorfahren vor den Spaniern zurückgezogen hatten. Diese Region umfasst verschiedene Ökosysteme -von den trockenen Zonen an den Küsten bis hin zum Nebelwald der Berge -, die Kogui sind in all diesen Zonen heimisch geworden.

Kogui-Dörfer existieren unabhängig und in gewisser Weise sogar autonom voneinander, was ihrer Produktionsweise geschuldet ist – Kogui betreiben Weidewirtschaft und eine Art wandernden Ackerbau.

Die Einwohnerschaft eines Dorfes setzt sich zusammen aus den einfachen Leuten (Vasallen), den Priestern von Geburt (mámas) und den älteren Männern höheren Ranges. Die ständigen Siedlungen befinden sich immer in der Nähe der Ufer der großen Flüsse der Region, im allgemeinen in einer Höhe zwischen 600 und l .500 m über dem Meeresspiegel. Als Dorf sollte man nicht nur die räumliche Ansammlung von Wohngebäuden verstehen, Dörfer kontrollieren ganze Abschnitte der Zonen, in denen ihre Bewohner agieren – also Ackerbau und Weidewirtschaft betreiben. Demnach umfaßt ein Dorf auch die Produktionsgebiete seiner Bewohner, und die können weit auseinander liegen. Wenn mehrere Dörfer in einem Tal zu finden sind, dann bilden diese „Produktionsinseln“.

Da die Kogui ihre Felder in verschiedenen Regionen anlegen, haben sie – zumindest theoretisch – die Möglichkeit, sehr unterschiedliche Produkte anzubauen. Darüber hinaus bauen sie auf einer Parzelle verschiedene Produkte an. Auf diese Weise halten sie Ernteverluste in Grenzen und können längeren Hungerperioden begegnen. So breit die Palette landwirtschaftlicher Produkte auch ist – sie reicht von Bodenfrüchten (Kartoffel, Yucca, Batate, Yams) über Getreide (darunter zahlreiche Maissorten), verschiedene Bohnensorten, Baumfrüchte (Orangen, Avokado, Banane) bis zu Zuckerrohr, Kaffee und Gemüse -das Hauptnahrungsmittel ist die Kochbanane (plátano), die sie in unglaublich vielen Varianten konsumieren. Zuckerrohr, Kaffee, aber auch das Fleich der Tiere (Rinder, Schafe, Pferde, Geflügel), die gehalten werden, sind im allgemeinen dem Verkauf vorbehalten.

Eine Folge dieser oft einseitigen Ernährung ist die Unterernährung, die in den indigenen Gemeinden besonders unter den Kindern verbreitet ist. Bis heute ist die Kindersterblichkeit hoch. Hinzu kommt, dass erwachsene Männer auch aus rituellen Gründen wenig essen, und sich nicht selten nur aus einer Mischung von zerstoßenen Koka-Blättern und Kalk „ernähren“.

Normalerweise besteht eine Kogui-Familie aus einem erwachsenen Mann, seiner Ehefrau, den ledigen Kindern und den verheirateten Töchtern und deren Ehemännern. Hat der Schwiegersohn eine bestimmte Zeit mit der Familie seiner Frau gearbeitet, dann ist es auch möglich, daß das junge Paar zur Familie seines Vaters zieht. In jedem Fall ist es so, dass die Erwachsenen einer Familie das Land gemeinsam bearbeiten. Die Leitung übernimmt der älteste Mann, der auch als Besitzer des Landes füngiert. Das Geflügel ist dagegen immer Sache der Frauen, es gehört also ihnen. Das Recht auf Eigentum leitet sich von der Angehörigkeit zur Bevölkerung des Dorfes ab, in welchem der Mann oder die Frau lebt. Die Zugehörigkeit zu einer Dorfgemeinschaft ist abhängig von verwandtschaftlichen Beziehungen und dem Wohnsitz, der nach der Hochzeit gewählt wird; alle Bewohner akzeptieren die Abhängigkeit vom Priester – sie sind Untertanen (Vasallen) des führenden máma.

Das Denken der Kogui ist grundlegend von einer Auffassung geprägt, nach der alles auf der Welt auch immer sein Gegenteil zum Ausdruck bringt. Alles ist geprägt vom ständigen Kampf zwischen Gut und Böse, Leben und Tod, Rechts und Links, Konflikt und Konsens. Kein Extrem kann ohne die andere Seite existieren.

Kogui verstehen sich selbst als die hermanitos mayores (ältere Brüder) in ihrer Welt. Die Spanier, und alle Ankömmlinge nach ihnen, sind die hermanitos menores (jüngere Brüder), sie kennen das „große Gesetz“ nicht, nach welchem die Kogui zu leben haben. Nach den Überlieferungen aus alten Zeiten erschienen die Kogui zum ersten Mal während der fünften Erde. Vorher existierte nur la Madre, die alles umfaßt und Fruchtbarkeit, Reproduktion – das ganze Leben repräsentiert. La Madre hatte vier Söhne und vier Töchter. Jeder Mann leitet heute seine Abstammung von einem dieser vier Söhne ab, seinem „Vater“ – dem Gründer seiner Herkunftsgruppe. Jede Frau ist Nachkomme einer der vier Töchter von la Madre. Die patriarchale Abhängigkeitslinie wird tuxe genannt, die matriarchale dáke. Die Söhne und Töchter der Madre haben, da sie untereinander heirateten, auch die Regeln festgelegt, nach denen Eheschließungen bei den Kogui bis heute vorgenommen werden. Zum Beispiel darf ein Mann aus dem tuxe Hukumeiji nur eine Frau aus dem dake Sei-nake heiraten, dem dake also, aus dem die Gattin seines Vorfahren stammt. Jeder Clan hat ein Totem, und bei den Totems der weiblichen Clans handelt es sich stets um Tiere, die Beute der männlichen Totemtiere sind. Ein Mann kann also nur eine Frau heiraten, deren Totemtier von seinem Totemtier gefressen wird. Nun ja …

Die einflußreichsten Personen in der Kogui-Gesellschaft sind die Priester, die mamas. Sie sind geistliche Oberhäupter, Heiler, gütige Führer ihrer Untertanen. Faktisch sind sie in jedem wichtigen Lebensabschnitt ihrer Untertanen anwesend – bei der Geburt ebenso wie beim Tod.

In jüngster Zeit entwickeln sich in der Kogui-Gemeinschaft jedoch auch neue Formen der Organisation. Neben der Herrschaft der Priester entstand die Organisation Gonawindua Tairona, deren Ziel und Aufgabe es ist, die politische Zersplitterung der Kogui zu überwinden und als einheitliche Stimme ihr Volk gegenüber den Kolumbianern zu vertreten.

Gabi Töpferwein

* Eduardo Galeano: Erinnerung an das Feuer l, Peter Hammer Verlag 1992; S. 212.

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