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Der Friedensprozess: Wie ist das Unmögliche möglich geworden?

María Jimena Duzán | | Artikel drucken
Lesedauer: 11 Minuten

María Jimena Duzán berichtet über den Weg, den die Delegationen genommen haben, seit sie sich das erste Mal in Havanna im Jahr 2014 trafen, bis hin zur historischen Unterzeichnung des Friedensvertrags.

Kolumbien: FARC - Flagge: Public Domain 

 

 

Über den Friedensprozess mit den Farc könnte auf viele unterschiedliche Arten berichtet werden. Nach vier Jahren, die durch zahlreiche An- und Abreisen aus Havanna gekennzeichnet waren, sowie nach zahlreichen Interviews mit Abgeordneten der Regierung und der Farc bin ich zu dem Schluss gekommen, dass, während wir uns noch immer im Zustand der Verwirrung befinden, die beste Art und Weise darüber zu berichten nicht darin besteht, streng chronologisch vorzugehen, sondern mit Nachdruck darauf zu verweisen, weshalb das Unmögliche möglich werden konnte.

Schon bei meinem ersten Besuch in Havanna wurde offensichtlich, dass sich beide Seiten kampfbereit an den Verhandlungstisch setzten. Obwohl sie in dem ovalen Raum des Versammlungszentrums von Havanna nur durch einige wenige Meter getrennt waren, stand zwischen ihnen doch ein 50 Jahre alter Konflikt, dem bisher niemand die Stirn zu bieten vermocht hatte. Die Jahre des Krieges überwogen die Jahre der Annäherungen, in denen man es unter der Leitung von Sergio Jaramillo geschafft hatte, sich gemeinsam mit den Farc auf ein generelles Abkommen zu einigen, welches als Wegweiser für den Beginn der Verhandlungen auf der Insel dienen sollte.

Das erste Mal, bei dem sich aufeinanderzubewegt und das Misstrauen dem Anderen gegenüber deutlich gemacht wurde, fand in der ein Jahr andauernden geheimen Phase statt. Nur ein Wort, „Abrüstung”, verursachte den ersten großen Zusammenstoß. Sergio Jaramillo hatte dieses Wort in aller Seelenruhe in den Mund genommen und zum Ausdruck gebracht, dass dieses Übereinkommen mit der Abrüstung der Farc enden müsse. Sofort erhoben sich die Farc unter Getöse vom Verhandlungstisch. Der Kommandant des Ostblocks, Mauricio Jaramillo, Chef der Delegation der Farc, erklärte, dass man nicht gekommen sei, um abzurüsten und dass sie, als Guerilla, nicht geschlagen seien. Er bestand darauf, dass dieser Friedensprozess keine Unterwerfung, sondern eine Verhandlung sei. Um die Gemüter zu beruhigen, erbat man sich die Intervention der Garantländer Kuba und Norwegen, welche ausschlaggebend waren, um diese erste Krise zu überwinden, die beinahe den Friedensprozess beendete, bevor er überhaupt richtig begonnen hatte. Um die Situation zu beruhigen, berief man sich auf den guten Gebrauch der Semantik – denn nach so vielen Jahren im Konflikt war die Sprache zu einer Waffe im Krieg geworden – und unter allgemeiner Zustimmung wurde nicht mehr von „Abrüstung” sondern von „Verzicht auf Waffen” gesprochen.

Bereit zum Kampf

Der Bekanntmachung, dass ein allgemeines Abkommen zwischen der Regierung und den Farc getroffen worden war, welches den Anfang von Verhandlungen ermöglichte, folgte die Rede des Verhandlungschefs der Farc, Iván Márquez, in Oslo. Diese Rede traf die öffentliche Meinung wie eine kalte Dusche, da man bereits die Bereitwilligkeit der Farc zum Frieden anzweifelte, besonders weil man die Bilder der Verschleppten und Eingesperrten noch deutlich vor Augen hatte, von denen einige in Gefangenschaft starben. Diese Rede war nicht an das Land gerichtet, sondern an die Guerilla. Gefordert wurde der bewaffnete Kampf, der kolumbianische Staat wurde als Feind der Armen dargestellt, die Farc ernannten sich selbst als Opfer des Konflikts und entzogen sich jeglicher juristischen Aufarbeitung, weil diese sie als Mörder dastehen ließe.

Nach dieser Rede, geschrieben und geprüft vom gesamten Sekretariat der Farc, war es offensichtlich, dass die Verhandlungen langsam angegangen werden müssten und kein schneller Friedensprozess innerhalb weniger Monate zustande kommen würde, wie Präsident Santos einige Tage vor den Verhandlungen in Oslo angekündigt hatte.

So ging man die Verhandlungen zwischen den langjährigen Feinden, die sich nur durch die Zerstörung kannten, die der Krieg hinterlassen hatte, langsam an. Der oberste Kommisionär für den Frieden, Sergio Jaramillo, traf im Februar 2012, als die Sondierungsphase in Havanna begann, das erste Mal einen Gesandten der Guerilla. Hierbei handelte es sich um den Kommandanten des Ostblocks, Mauricio Jaramillo, von den Farc ausgewählt, um die kommenden Verhandlungen anzuführen. Als Vizeverteidigungminister von Juan Manuel Santos hatte Sergio Jaramillo sich bereits mit vielen demobilisierten Guerillas getroffen, ihnen zugehört und sie mit der ihn charakterisierenden Ernsthaftigkeit eingehend studiert. Er wusste, wer die Mitglieder des Sekretariats waren, kannte die Verbrechen, die man ihnen zur Last legte und sogar ihre Gewohnheiten. Trotz alledem änderte sich seine Einstellung, als er den Kommandanten des Ostblocks in der Erprobungsphase kennenlernte. Er fand heraus, dass es einerseits die mittleren, demobilisierten Befehlshaber gab, diejenigen, die er bereits getroffen hatte, und andererseits die aktiven Kommandanten. Obwohl man an zwei entgegengesetzten Enden stand, überraschte Sergio Jaramillo die Ernsthaftigkeit seines Gesprächspartners. „Er ist ein wahrhaftiger Kommandant”, erklärte er mir, als ich ihn vor kurzem fragte.

Kolumbien_Proteste-gegen-Farc_Foto-Camilo Rueda LópezAls ich den Kommandanten des Ostblocks vor einem Monat in der Yarí-Savanne interviewte, stellte ich ihm dieselbe Frage und er antwortete, dass sich sein Eindruck, den er von Sergio Jaramillo vor der Erprobungphase gewonnen hatte, trotz dessen Obsession für die Semantik verändert hatte, nachdem er sich auf das generelle Abkommen eingelassen hatte. „Ich erkenne an, dass er eine Person ist, in deren politischem Interesse einzig und allein der Frieden steht”, erklärte er mir.

Im Falle des Verhandlungschefs in Havanna, Humberto de la Calle, sah dies jedoch anders aus. Anders als Jaramillo kannte er sie mit all ihren schlechten Eigenheiten. Als Regierungsminister des Präsidenten Gaviria war er über die erfolglosen Verhandlungen informiert, die die Regierung mit den Farc geführt hatte. Und obwohl er es mir nie gesagt hatte, hatte ich den Eindruck, dass er die aktuellen Verhandlungen mit einem Pessimismus anging, der seiner Vergangenheit als „Nadaist“ entsprang. Nun aber, durch die Art wie die Dinge vorranschritten, wurde er Stück für Stück optimistischer, was dazu führte, dass er heute sogar als möglicher Präsidentschaftskandidat in Betracht gezogen wird. Seine Leichtigkeit im Umgang mit Worten hat ihn in einer ansonsten wenig eloquenten Regierung weit gebracht, wenn es darum ging über die Geschehnisse in Havanna zu berichten.

Auch die Farc änderte nicht nur die Ansprachen, sondern auch ihre Art im Allgemeinen. Stück für Stück begannen sie, das Land zu verstehen und zu begreifen, dass das, was sie geringschätzten – die schlechte öffentliche Meinung – keine bloße Erfindung der Medien im Dienst großer Städte war. Sie öffneten sich der Möglichkeit, dass der Grund, weshalb man sie derartig verachtete und die Abneigung ihnen gegenüber nicht ausschließlich das Resultat einer gegen sie gerichteten Medienkampagne ihrer Gegner war und zogen in Betracht, ihre Ansicht darüber zu ändern. Auch die Kommandanten durchliefen ihre eigene Veränderung. Iván Márquez entwickelte sich zu einem Experten der Konstitution von 1991. Dies ging soweit, dass Pablo Catatumbo mir einmal gestand, dass sie sich am Verhandlungstisch befanden nicht etwa, weil sie das System ändern wollten, sondern um sicherzustellen, dass die Verfassung erfüllt würde. Sein oberster Vorgesetzter, Timochenko, begrüßte die ausländischen Firmen und stellte klar, dass seine politische Bewegung weder mit dem Chavismus noch mit Maduro zu tun habe. Selbst Santrich musste zugeben, dass wir Journalisten, die wir für die Presse arbeiten, keine bösen Handlanger sind, wie er es mir einmal vorwarf.

Trotz allem gibt es Dinge, die sich niemals ändern werden. Bis heute hat weder Humberto de la Calle noch Sergio Jaramillo seine Art geändert. Sie behalten ihre Gewohnheiten bei und haben niemals zugelassen, dass sich in diesem Prozess wiederholt, was in Verhandlungen wie beispielsweise in Irland möglich gewesen ist, in denen man sich zum Schluss an einen gemeinsamen Verhandlungstisch gesetzt hatte (so wie in den Verhandlungen mit M-19*). Durch vier Jahre hinweg traf man sich mit den Farc kaum abseits des Verhandlungstisches, und die einzige, die entschied, dieses eingefahrene Schema zu durchbrechen, war die Außenministerin María Ángela Holguín, die die Delegierten der Farc mehrfach zum Abendessen eingeladen hatte, damit man die Differenzen fern der Atmosphäre des Verhandlungstisches ausheben könne.

Dennoch berichten meine Quellen, dass man es trotz allem erreicht hatte, in den letzten Tagen, während der abschließenden Versammlung, das Gefühl zu gewinnen, es gäbe nicht zwei, sondern nur einen Verhandlungstisch.

Ein Prozess, der seine Akteure verändert

Auch wenn der Hochkommissar – dessen Ruf einer kalten und distanzierten Person ihn niemals verlassen hat – es öffentlich noch nicht anerkannt hat, ist es offensichtlich, dass diese Verhandlungen nicht nur durch gute Sternenkonstellationen möglich waren. Und auch nicht nur, weil an der Spitze der USA ein Präsident wie Obama stand oder weil die Brüder Castro überzeugt waren, dass der bewaffnete Kampf keinen Sinn mehr hat. Sie waren auch möglich durch das Maß des voranschreitenden Prozesses, durch den Bruch mit Paradigmen, durch die Beauftragten der Regierung und der Farc und deren persönlichen Wandel in der Wahrnehmung ihrer Verhandlungspartner, wodurch sie sich auch als Personen verändert haben.

Hier halfen die Sitzungen in Havanna, wo die Beauftragten die Opfer des Konfliktes trafen, die von den Medien kaum noch wahrgenommen werden. Diese Sitzungen hatten einen berührenden und intimen Effekt, der fast unmerklich im Bewusstsein derer hängen blieb, die von diesen herzzerreißenden Berichten berührt waren. Diese Konfrontation mit dem Schmerz der Opfer erinnerte den Staat und die Farc daran, dass der Krieg unsere Menschlichkeit degradiert und uns gefühllos gegenüber der Barbarei macht.

Kolumbien: Forderung nach Frieden - Foto: Martin GiraldoZähneknirschend mussten sich die Farc diese erschütternden Berichte über den Schmerz, den der Krieg über die Jahre angerichtet hatte, ansehen und anhören. Und obwohl viele Kommandanten diese Sitzungen aufgebracht und verärgert verließen, mit der Annahme, dass all dies ein Trick sei, dazu gedacht, sie als Mörder darzustellen und in Vergessenheit geraten zu lassen, dass der Staat ihre Brüder, Schwestern und Väter hatte ermorden lassen, sollte diese Präsentation des Schmerzes dabei helfen, dass die Farc ihre Verantwortung für den Konflikt annahmen, was sie dann später auch taten. Ohne diese Katharsis zu Beginn wäre die Zeremonie der Vergebung der Farc in Bojayá nicht möglich gewesen, wo die Guerilla die Entrüstung und den Schmerz der Opfer zu spüren bekam und dem Pastor Alape die Tränen kamen.

Man muss aber auch sagen, dass es für den kolumbianischen Staat und im Speziellen für General Jorge Mora ebenfalls ein Moment der Selbstbesinnung gewesen sein dürfte, als er, der einzige pensionierte Militär der Verhandlung, sich ebenfalls den Opfern stellen musste, deren Schmerz durch Handlungen des Staates verursacht worden war. Durch Gespräche mit den Abgeordneten der Regierung kann ich konstatieren, dass die Katharsis sehr berührend gewesen ist. General Naranjo gestand mir, dass sie die Katharsis als neue Personen verließen. Selbst Präsident Juan Manuel Santos, der zumeist unbewegt bleibt, gestand, von den schmerzvollen Berichten der Opfer berührt gewesen zu sein.

Während der Prozess voranschritt kamen andere interessante Gegebenheiten ans Licht, die davon zeugten, dass die Fronten sich aufeinander zubewegten. Am besten erinnere ich mich an das emotionale Zusammentreffen von General Flórez, der von Präsident Santos ernannt worden war, um den Teil des Unterausschusses zu formen, der mit dem Ende des Konfliktes um den “Verzicht auf Waffen” zu tun hatte, und Carlos Antonio Lozada, ein Kommandant, den Flórez mehr als sechs Jahre verfolgt hatte.

Flórez war der erste aktive General, der sich mit einer Guerilla, mit der das Heer in den letzten 50 Jahren gekämpft hatte, an einen Tisch setzte, um zu verhandeln. Als der Unterausschuss ins Leben gerufen wurde, nach den protokollierten Gesprächen, nahmen die beiden zögernd ihre Masken ab und gestanden, dass sie sich im Krieg kennengelernt hatten. General Flórez hatte jahrelang nach Lozada gesucht und ihn in einer Operation, in der man seinen Rastplatz hatte ausfindig machen können, auch fast gefangen genommen. Lozada konnte trotz allem aus der Umzingelung fliehen, war jedoch schwer am Bauch verletzt. Er verbrachte etwa zwei Monate orientierungslos im Wald, bis ihn die Farc, beinahe im Sterben liegend, in einem Gehöft fand. Einmal hatte Lozada sich das Hemd hochgezogen und zeigte Flórez seine gewaltige Narbe: „Schauen Sie, General, was Ihre Arbeit hinterlassen hat”.

Obwohl dies für viele eine einfache Anekdote sein wird, ist es in Realität eine Demonstration, wie hoch die Schutzmauern des jeweils Anderen tatsächlich waren. Mauern, die man stürzen musste, damit zwei langjährige Feinde sich an denselben Tisch setzen konnten, ohne sich an die Kehlen zu gehen. Und dafür, dass er das Unmögliche möglich gemacht hat, trotz aller „Wenns” und „Abers”, die es ohne Zweifel gab, wird Präsident Santos in die Geschichte eingehen.

 

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* M-19 steht für “Movimiento 19 de Abril” und ist der Name einer linksgerichteten kolumbianischen Guerilla-Organisation, die sich 1990 in eine politische Partei umwandelte.

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Original-Beitrag aus La Semana vom 27.08.2016 (Ausgabe 1791). Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung.

Übersetzung aus dem Spanischen: Ina Verhülsdonk

Bildquellen: [1] Public Domain [2] C. Rueda López [3] M. Giraldo

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