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Honduras: Wenn Engagement zur Komplizenschaft wird

Laura Carlsen | | Artikel drucken
Lesedauer: 8 Minuten

Honduras: Gewaltopfer - Foto: Quetzal-Redaktion, lunaDer US-amerikanische Vizepräsident Joe Biden reiste am 6. März in doppelter Mission nach Honduras: Zum einen, um der Debatte über Drogenlegalisierung den Wind aus den Segeln zu nehmen und den von den USA mitfinanzierten Krieg gegen die Drogen in Mittelamerika voranzutreiben, und zum anderen, um die Präsidentschaft von Porfirio Lobo zu unterstützen.

Nach dem einstündigen Gespräch zwischen Biden und Lobo hinter verschlossenen Türen verkündete die honduranische Regierung in einer Erklärung, der Vizepräsident habe erneut bekräftigt, dass sich die USA für eine Aufstockung der Hilfe für die Regierung und Bevölkerung von Honduras einsetzen und die von Präsident Lobo in den letzten zwei Jahren unternommenen Anstrengungen gewürdigt haben.

In einer Pressekonferenz am 1. März sprach der nationale Sicherheitsberater der USA, Tony Blinken, von der „enormen Führungsstärke, die Präsident Lobo durch die Förderung der nationalen Aussöhnung sowie der demokratischen und verfassungsrechtlichen Ordnung unter Beweis gestellt hat“.

Man könnte meinen, dass von einem anderen Land die Rede war als jenem, das wir nur ein paar Wochen zuvor auf einer Informationsreise zum Thema Gewalt gegen Frauen besucht hatten.

Wir sahen eine Nation, die in Gewalt und Gesetzlosigkeit zu ertrinken drohte, einen Präsidenten, der unfähig oder nicht willens war, etwas dagegen zu unternehmen, und ein völlig ausgehebeltes Justizsystem.

Die letzten zwei Jahre – ein düsteres Bild

Honduras: Militaer - Foto: Quetzal-Redaktion, lunaDie Krise im Hinblick auf die Menschenrechtslage und die staatlichen Strukturen in Honduras ist in das Bewusstsein der Weltöffentlichkeit vorgedrungen und prägt das alltägliche Leben des Landes. Seit den von der Opposition boykottierten Wahlen vor zwei Jahren, aus denen Lobo als Sieger hervorging, kämpft Honduras mit einer der höchsten Pro-Kopf-Mordraten weltweit: Laut einer Studie über weltweit begangene Morde (Global Homicide Survey) des Büros der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) lag die Mordrate in Honduras 2010 bei 82 pro 100.000 Einwohner. Zwischen 2010 und 2011 wurden 120 politische Morde gezählt. In der Region Bajo Aguán kamen seit 2009 42 der Bauern ums Leben, die dort gegen große Bauunternehmer um ihr Land kämpfen. Ferner wurden seitdem 18 Journalisten, 62 Mitglieder der homo-, bi- und transsexuellen Gemeinde sowie 72 Menschenrechtsaktivisten ermordet. Ein Bericht des honduranischen Frauenrechtszentrums zeigt, dass sich die Zahl der Frauenmorde mehr als verdoppelt hat und 2011 mehr als eine Frau täglich ermordet wurde.

In einem Bericht der Interamerikanischen Menschenrechtskommission zum Putsch in Honduras ist die Rede von mindestens sieben Todesfällen, der Verfolgung von Oppositionsmitgliedern, übermäßiger Gewaltanwendung durch die Sicherheitskräfte, Tausenden illegalen Festnahmen, systematischen Verstößen gegen politische Rechte und die Meinungsfreiheit sowie von sexueller Gewalt und sonstigen Verbrechen – Taten, die in den seltensten Fällen untersucht oder strafrechtlich verfolgt wurden.

Obwohl eine Vielzahl dieser Verbrechen von Sicherheitskräften begangen wurde, verstärkt die honduranische Regierung als Reaktion darauf die Militärpräsenz – mit Hilfe der USA. Honduras, das zu den ärmsten Ländern der westlichen Hemisphäre zählt, hat seine Militärausgaben von 63 Millionen US-Dollar im Jahr 2005 auf 160 Millionen US-Dollar im Jahr 2010 erhöht. Die Regierung von Porfirio Lobo rechtfertigt diese Militarisierung mit der Behauptung, dass der eigenen Polizei nicht vertraut werden könne. „Wir arbeiten daran, Recht und Ordnung im Polizeiwesen wiederherzustellen. Das wird aber einige Jahre dauern. Die Korruption ist tief verwurzelt“, sagte er uns während eines Treffens.

Dass gewöhnliche Kriminelle, Vertreter wichtiger transnationaler Interessen und Staatsbedienstete völlig ungestraft die fundamentalen Grundsätze der Gesellschaft mit Füßen treten und dabei auf die Komplizenschaft oder zumindest Gleichgültigkeit der Regierung zählen können, ist der Tatsache geschuldet, dass die Regierung selbst auf der Verletzung dieser Grundsätze aufgebaut ist. So weitreichend diese mit Menschenrechtsverletzungen und Gewalt einhergehende Krise auch ist – sie ist nur das Symptom eines noch größeren Übels. Indem zugelassen wurde, dass die nach dem Putsch 2009 entstandenen Machtverhältnisse bestehen blieben und vor Strafverfolgung geschützt wurden, wurden mit einem Schlag die staatlichen Strukturen, die Rechtsstaatlichkeit und der Sozialpakt untergraben. Die honduranische Verfassungskrise hat sich zu einer anhaltenden sozialen und politischen Krise ausgeweitet.

Ein Putsch zugunsten Krimineller

Porfirio Lobo  - Foto: Organization of American States (OAS)Der Staatsstreich vom 28. Juni 2009 war nicht nur ein krimineller Akt. Er war ein Akt, der Kriminellen zu Gute kommen sollte.

Als Mitglieder der Streitkräfte den demokratisch gewählten Präsidenten Manuel Zelaya in seinem Pyjama nach Costa Rica entführten, zerstörten sie die zerbrechliche Demokratie, die seit dem Ende der Militärdiktaturen aufgebaut worden war. Keine der verworrenen Diskussionen über die angeblichen Machenschaften des Präsidenten, die eine gewaltsame Entmachtung rechtfertigen sollten, konnte etwas an der Tatsache ändern, dass sich der erste Putsch des Millenniums in einem amerikanischen Land ereignet hatte.

Was viele nicht wissen, ist, dass die Geschichte des Putsches tragischer ist als der Putsch an sich und noch denkwürdigere Lektionen für das staatliche Handeln weltweit bereithält. Kurz gesagt, hat das honduranische Putschistenregime auf unglaubliche Weise internationale Embargos und diplomatische Verhandlungen überlebt, die letzten Endes nur dazu dienten, dass es seine unrechtmäßig erworbene Macht noch ausweiten konnte. Die beunruhigende Vermutung, dass die US-Regierung – historische Patin der Region – dem neuen Regime ihren Segen gegeben hatte, wurde zur Gewissheit, als das Außenministerium ein Abkommen aushandelte, das den Weg für Wahlen ebnete, die durch den Putsch begünstigt worden waren, aber die Rückkehr der gewählten Regierung nicht sicherten.

Porfirio Lobo kam an die Macht, und eine von Armut gebeutelte Nation rutschte ab in ein unkontrolliertes Chaos, geprägt von politischer Polarisierung, einem sprunghaften Anstieg der Kriminalität und weit verbreiteten Landaneignungen. Honduras ist kein gescheiterter Staat. Es ist ein geschändeter Staat.

Seit dem Putsch gedeiht die Kriminalität – die allgemeine Kriminalität genauso wie die organisierte Kriminalität, die Staats- und die Wirtschaftskriminalität. Der Drogenschmuggel im Land hat zugenommen. Dem jüngsten US-amerikanischen Bericht über internationalen Drogenschmuggel zufolge benutzen 79 Prozent der Flugzeuge, die Kokain aus Südamerika schmuggeln, Landebahnen in Honduras. Häufig ist zu hören, dass Mexikos Drogenbaron El Chapo Guzmán und andere ins Drogengeschäft verwickelte Personen in Honduras Unterschlupf suchen. Während das Land zunehmend militarisiert wird, breitet sich die organisierte Kriminalität aus – ein Phänomen, das zu denken geben sollte. Aber die honduranische und die US-amerikanische Regierung sind zu beschäftigt mit der Unterstützung des Kriegs gegen die Drogen, um den Zusammenhang zwischen Militarisierung und organisiertem Verbrechen zu bemerken.

Landaneignungen zugunsten von großen Bauunternehmern und Megaprojekten, durch die Kleinbauern, Ureinwohner und arme Stadtbewohner um Grund und Boden gebracht werden, führen zu Gewaltausbrüchen im ganzen Land. Honduranische Frauen berichteten uns häufig, dass es im Zuge von Konflikten über Grundbesitz zu Gewalt und sexuellem Missbrauch kam. Bei der illegalen Inbesitznahme von Land für den Tourismus, den Bergbau und Infrastrukturprojekte unterstützt das Regime aktiv die Interessen Wohlhabender zu Lasten der armen Bevölkerung, wie es bei den Machenschaften des Palmölmagnaten Miguel Facusse in Bajo Aguán der Fall war.

Da Verbrechen weder strafrechtlich untersucht noch verfolgt werden und der Staat offensichtlich an Verstößen gegen die Menschenrechte von Oppositionsmitgliedern und anderen „unerwünschten“ Personen beteiligt ist, ist Honduras ein Paradies für Kriminelle und die Hölle für die Mehrheit der Bevölkerung.

Die USA – Partner oder Komplize?

Die Frage, inwieweit die USA für die Ereignisse nach dem Putsch verantwortlich sind, sollte sehr gründlich analysiert und erörtert werden. Durch ihre Entscheidung, eine Rückkehr zur demokratischen Ordnung und einen politischen Heilungsprozess vor den Präsidentschaftswahlen nicht zu unterstützen, haben die USA dem politischen System und der Gesellschaft von Honduras einen schweren Schlag versetzt. Sie tragen für die katastrophale Situation eine enorme Verantwortung. Nun stellt sich die dringende Frage, was zu tun ist.

Biden hat auf US-amerikanische Programme zur Überprüfung von Polizisten und Justizbeamten verwiesen. In einem Gespräch mit uns betonte die US-amerikanische Botschafterin Lisa Kubriskie, dass die weitere Finanzierung der honduranischen Sicherheitskräfte letztendlich durch die „Interaktion“ mit den Regierungskräften zu Reformen führen werde.

Aber selbst wenn es dazu kommen sollte, werden in der Zwischenzeit von eben diesen Regierungskräften Honduraner ermordet, vergewaltigt, geschlagen und festgesetzt, und zwar mit US-amerikanischer Hilfe.

Wann wird aus Engagement Komplizenschaft? Bürgerrechtsgruppen und Abgeordnete des US-amerikanischen Kongresses sind zu dem Entschluss gekommen, dass die Grenze schon vor einiger Zeit überschritten wurde. Bisher haben über 60 Kongressabgeordnete einen Brief der demokratischen Abgeordneten Jan Schakowsky aus Illinois unterzeichnet, in dem sie ein Ende der Finanzierung der honduranischen Militärs und Polizisten fordert, da ihre Unterstützung den Missbrauch fördere.

Es kann nicht sein, dass das Geld der US-amerikanischen Steuerzahler für die Unterstützung des honduranischen Sicherheitssystems ausgegeben wird, während sich die Menschenrechtsverletzungen häufen. Finanzmittel, die in diese Programme fließen, können erst dann etwas gegen die systemische Korruption und Menschenrechtsverletzungen ausrichten, wenn es ein klares politisches Bekenntnis zu Gerechtigkeit und Aussöhnung gibt. Das ist unter dem derzeitigen Regime offensichtlich nicht der Fall.

Laura Carlsen ist Leiterin des Americas Program.

Original-Beitrag aus CIP Americas vom 16.03.2012. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Americas Program.

Übersetzung aus dem Englischen: Sandra Zick

Bildquelle: [1][2] Quetzal-Redaktion, luna.  [3] Organization of American States (OAS).

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