Gerade in Zeiten, in denen man mit Schlagzeilen aus aller Welt überflutet wird, die einen manchmal an der Menschheit zweifeln lassen, sollte der Fokus auch mal auf die schönen Dinge, die unsere Welt hervorgebracht hat, gelenkt werden. Den Fokus einmal geschärft wird erkennbar, dass es diese schönen Dinge auch in Oasen der Kriminalität und Armut, von einer Naturkatastrophe nach dem anderen gebeutelten und politisch äußerst instabilen Land geben kann. Wir wagen heute einen Blick nach Haiti, aber aus einer anderen, angenehmeren Perspektive und tauchen ein in die haitianische Kultur.
Um uns nun dem heutigen Haiti etwas zu nähern, beginnen wir mit einem kleinen Rückblick auf die Geschichte des Landes, um die Wurzeln der heutigen haitianischen Kulturen etwas besser zu verstehen. Und wie sollte es anders sein, wie so häufig, wenn es um Lateinamerika geht, beginnt auch Haitis Geschichte mit der Ankunft Kolumbus auf der Insel Hispaniola am 6. Dezember 1492.
Bereits zu der Zeit lebten mit den Arawak und den Ciboney bereits hochentwickelte den Taínos zugehörigen Völker auf dem Gebiet des heutigen Haiti. Diese sogenannte präkolumbische Zeit endete jedoch, als die Spanier den ersten Fuß auf die Insel setzten; der Anfang vom Ende der Taínos begann. Deren Einflüsse in der gegenwärtigen haitianischen Gesellschaft sind dennoch leicht erkennbar, (wie beispielsweise der Name des Landes „Haiti“, der aus der Sprache der Taíno stammt und „Bergiges Land“ bedeutet). Die folgende durch Sklaverei geprägte Zeit, brachte bis 1770 rund 800.000 Sklaven aus Westafrika in das damals noch Saint-Domingue genannte Gebiet. Der bereits französisch anmutende Name lässt auf den großen Einfluss schließen, den Frankreich zu der Zeit bereits auf die Insel hatte. Nachdem sich die Bukanier (Siedler, vorwiegend französischer Herkunft) zunächst auf der Insel La Tortuga niederließen und dann auch noch im westlichen Teil der Insel Hispaniola ihre Zelte aufschlugen, musste Spanien nach heftigen Kämpfen im Frieden von Rijswijk von 1697 den Westteil der Insel an Frankreich abtreten. Zahlreiche Aufstände führten Ende des 18. Jahrhunderts zur Abschaffung der Sklaverei, die im Jahre 1804 schließlich in der völkerrechtlichen Souveränität der ehemaligen Kolonie mündet, da Frankreich aufgrund der eurozentristischen Bestreben Napoleons keine Kapazitäten aufbringen konnte, um der von Jean-Jacques Dessalines geführten blutigen Revolution in seiner Überseekolonie entsprechend entgegenzutreten. Das unabhängige Haiti war geboren.
Nach dem sehr kurzen Sprint durch die haitianische Geschichte, die den Grundstein für die heutige Kultur des Landes gelegt hat, lenken wir unsere Aufmerksamkeit aufs heutige Haiti und seine Menschen.
Beginnen wir unsere kleine Kulturreise bei der hohen Kunst der Malerei, die mit der sogenannten naiven Kunst in Haiti einige international durchaus anerkannte Vertreter vorzuweisen hat. Die abwertend konnotierte Bezeichnung „naiv“ bezieht sich auf die nicht stimmende Perspektiven, Licht-und Schatteneffekte und die Proportionen. Der figurative Stil wird durch flächige Farben und volkstümliche Motive, wie Straßenszenen oder lebhafte Märkte geprägt. Als größter Förderer der haitianischen Malerei gilt DeWitt Peters, der mit Freunden in Port-au-Prince, der Landeshauptstadt, 1944 eine Kunstschule, das »Centre de Art« gründete, in dem auch autodidaktischen Straßenmaler aufgenommen wurden damit auch sie ihr Talent zum Ausdruck bringen konnten. Mit der Veröffentlichung des Buchs »Surrealismus und Malerei« des französischen Dichters André Breton, der die Werke mit einem surrealistischen Ansatz in Verbindung brachte, erfuhr die haitianische Kunst eine noch größere Bekanntheit. Zu nennen sind hier zum Beispiel Hector Hyppolite oder Rigaud Benoit. Ab Anfang der 70er Jahre beschlossen einige Künstler sich auf ihre Wurzeln zurückzubesinnen und rückten die Voodoo-Kultur in den Mittelpunkt ihres künstlerischen Schaffens, die zweifelsfrei eine große Rolle in Haiti spielt.
Der Voodoo, der seine Wurzeln in Westafrika hat und dort auch weiterhin ausgeübt wird, verbreitete sich durch die Sklaverei auch in der Karibik, wobei Haiti eindeutig hervorragt. Zwar geben nur wenige Haitianer:innen eine Zugehörigkeit zur Voodoo-Religion an, die seit 2003 neben der römisch-katholischen Kirche ebenfalls als Staatsreligion anerkannt wird. Doch es gibt es viele Haitianer:innen, die sich zum Christentum bekennen und gleichzeitig an spirituellen Voodoo-Ritualen teilnehmen. Schätzungsweise zwei Drittel der Bevölkerung. Das Wort „Voodoo“ entstammt dem westafrikanischen Fon und bedeutet Geist. Die Gläubigen der monotheistischen Religion, wenden sich an ihren im kreolischen Bondye (von franz. Bondieu – Guter Gott) genannten Schöpfer über sogenannten Loa, Vermittler zwischen Mensch und Bondye. Charakteristisch für Voodoorituale sind Opfer von Genussmitteln wie Rum und Tabak oder Tieren, bei denen es um das Opfer der Seele geht und es daher nach der Zeremonie auch verzehrt werden darf. Durch die parallele Existenz der christlichen Religion und dem Voodoo in Haiti synkretisierten sich einige christliche Heilige mit den Geistern des Voodoo wie zum Beispiel Maria mit dem weiblichen Loa Erzulie. (Bild: synkretisierte Maria)
Von ess- und trinkbaren Opfergaben begeben wir uns nun in die Küchen Haitis und schauen den Köch:Innen des Landes über die Schulter um einen Blick auf ihre Herde und ihre brodelnden Speisen erhaschen zu können.
Natürlich ähnelt die haitianische Küche den anderen karibischen Küchen durchaus, unterscheidet sich allerdings auch in ihrer regionalen Ausprägung, für die die verschiedenen kulinarischen Einflüsse mit afrikanischer, französischer, spanischer und indigener Herkunft, dessen Historie wir ja bereits ergründet haben, verantwortlich sind. Zu den Eigenarten der haitianischen Küche gehören etwa die Vielzahl von verwendeten Kräutern und die reichliche Verwendung von Paprika und eine moderate nicht zu starke oder schwache Schärfe. Eine häufig verzehrte und als Nationalreis bezeichnete Speise ist diri kole ak pwa: Reis mit roten Kidneybohnen oder alternativ grünen Bohnen, dazu eine Marinade als Soße, häufig Hähnchen, oder auch Red Snapper (einem Fisch mit rötlicher Haut) sind auf den Tellern der Haitianer:innen zu finden. Das Ganze wird mit Tomaten und Zwiebeln garniert. Bekannte Snacks sind Accra, frittierte Krapfen aus Malanga, einer Pflanze, von der man den stärkehaltigen Wurzelstock verzehrt, der in gekochter Form am ehesten an Kartoffeln erinnert. Aber auch Bananes pesées werden gerne verzehrt. Dabei handelt es sich in Scheiben geschnittene Kochbananen, die zweifach frittiert werden und nach dem ersten Durchgang plattgedrückt werden, wodurch diese außen kross und innen noch leicht weich sind. Hinzukommen noch viele häufig aus Zuckerrohr hergestellte Süßspeisen, wie das Pain Patate. Dabei handelt es sich um ein weiches süßes Brot, das mit Zimt, Kondensmilch und Süßkartoffeln hergestellt wird.
Wie in Haitis Küche, findet man die vielseitigen kulturellen Einflüsse auch in der Musik des Landes. Ein Beispiel ist Kompa, der auch als „moderner Merengue“ bezeichnet wird. Eine haitianische Musikrichtung, die spanische und französische Musikelemente mit afrikanischen Rhythmen und kreolischem Gesang vereint. Als wichtigster Vertreter gilt Nemours Jean Baptiste, der mit seinem Orchester „Ensemble Aux Callebasses“ große Bekanntheit erlangte. Die Basis bilden regelmäßige Rhythmen, die durch den pulsierenden Beat der Fasstrommel Tanbou , dem haitianischen Nationalinstrument, geleitet werden. Zusammen mit den häufigen Improvisationen war das Ensemble maßgeblich für die Verbreitung des Musikstils im In- und Ausland verantwortlich. Mit dem Einfluss neuer Technologien in der Musik, entwickelte sich auch der Kompa weiter, wodurch sich der „Compas nouvelle generation“ etablieren konnte. Des Weiteren hat Haiti mit Rara eine weiteren Musikstil hervorgebracht. Die hauptsächlich in der Karwoche, also der Woche vor Ostern gespielte Musik, besteht aus den Tönen der zylindrischen Bambus- und Metalltrompeten, die häufig aus alten Kaffeedosen recycelt werden. Dazu kommen Güiros (bei uns u.A. als „Ratschgurke“ bekannt) und Maracas, welche lebendige Zeugnisse der Taíno-Kultur darstellen. Auch Trommeln und Güiras mischen sich unter den karibischen Klang, der heute auch von Trompeten und Saxofonen begleitet wird (Güiras unterscheiden sich zu den aus Holz gefertigten Güiros darin, dass diese aus Metall hergestellt werden). Weitere Musikrichtungen sind Mizik Rasin, Mini-Jazz und der Haitian Rap.
Mit den Bildern tanzender fröhlicher Haitianer:innen kehren wir nun zurück in unsere Realität und haben nun vielleicht einen erweiternden Blick auf eines der ärmsten Länder der Welt werfen können. Haiti: ein Land dessen Einwohner:innen mit den schwierigsten Lebensbedingungen unseres Planeten zu kämpfen haben und trotzdem eine vielseitige florierende Kultur hervorbringen konnten. Diese hilft ihnen gewiss, sich zuweilen von den enormen Herausforderungen des täglichen Lebens abzulenken und den Fokus auf die schönen Dinge zu lenken und trotz allem lebensfroh durch das Leben zu gehen. Etwas von dem sich auch unser einer sicherlich noch einiges abschauen kann…
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Literatur:
Meier, J. (1991). Die Anfänge der Kirche auf den Karibischen Inseln. Immensee.
Bernecker, W. L. (1994). Kleine Geschichte Haitis. Edition suhrkamp. Frankfurt am Main.
Chery, R. (2011). Women and Children‘s Tribulation in Haiti. United States.
Fleischmann, U. (1971). Aspekte der sozialen und politischen Entwicklung Haitis. Klett. Stuttgart.
Pieper, W. (2010). Haïti – besser verstehen: Vergangenheit, Gegenwart & Ausblicke nach dem Beben.
Online-Quellen:
https://quetzal-leipzig.de/lateinamerika/haiti/haiti-ein-kurzportrait
https://www.lecentredart.org/?lang=en
https://www.haitianmusic.net/popular-haitian-music/kompa/
Bildquelle: UNDP, cc