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Politik und Kultur in Lateinamerika

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Haiti – ein Kurzportrait

Florian Quitzsch | | Artikel drucken
Lesedauer: 4 Minuten
Haiti - Kurzportrait (373 Downloads )

Haiti, never free, n’aie pas peur de sonner l’alarme.
Tes enfants sont partis, in those days their blood was still warm. *(The Arcade Fire : Haiti)

„Bergiges Land“ bedeutet der aus der Sprache der Taíno, den Ureinwohnern Haitis, stammende Name, welcher eigentlich für die ganze Insel Hispaniola steht. Das Land gilt als ärmste Nation der westlichen Hemisphäre und für manche gar als zerfallen(d)er Staat. Seine Geschichte ist die Tragödie eines Abstieges von der einst reichsten französischen Kolonie zum Armenhaus Lateinamerikas, welche ebenso von Gewalt, Ausbeutung, politischem Chaos und Korruption, Naturkatastrophen und Auswanderung erzählt.

Seit Cristóbal Colón (C. Kolumbus) die Insel 1492 entdeckte, hat Gewalt immer eine große Rolle gespielt. So rotteten die spanischen Eroberer die zu den Arawak-Indianern gehörenden Ur-Einwohner innerhalb von 25 Jahren durch Frondienste, eingeschleppte Krankheiten oder gezielte Tötung aus. Im frühen 17. Jahrhundert begannen Franzosen, sich auf der Insel anzusiedeln. 1697 überließen die Spanier den französischen Kolonialherren das westliche Drittel der Insel, welche als Perle der Antillen galt. Seitdem ist Hispaniola in die heute noch spanischsprachige Dominikanische Republik und das französischsprachige Haiti geteilt. Durch rücksichtslosen Handel mit afrikanischen Sklaven, den auf Plantagen gewonnenen Produkten Zucker, Kaffee und Kakao und ihrem Export nach Europa wurde der damals noch Saint Domingue genannte Teil der Karibik-Insel bald zur wertvollsten französischen Besitzung in Übersee. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts begannen etwa 500.000 Sklaven sich gegen die französischen Kolonialherren aufzulehnen. Unter der Führung von Jean-Jacques Dessalines, welcher sich später zum Kaiser proklamierte, riefen sie 1804 schließlich die erste unabhängige Schwarze Republik aus. Immerhin 80 Jahre bevor in Kuba oder Brasilien die Sklaverei abgeschafft wurde, ging aus dem vielleicht einzigen erfolgreichen Sklavenaufstand der Weltgeschichte die erste selbstständige Nation Lateinamerikas hervor. Toussaint L’Ouverture, der „Schwarze Spartakus“, gilt als der bekannteste Revolutionsführer und Politiker aus der Zeit des Unabhängigkeitskampfes und ist bis heute ein Nationalheld.

Abgesehen vom politischen Chaos, können aber die von Haiti an Frankreich, als Gegenleistung für die Anerkennung der Unabhängigkeit, gezahlten Entschädigungen für vormals enteignete Plantagenbesitzer, im – geschätzten – heutigen Gegenwert zwischen 15 und 17 Milliarden Euro, als Anfang vom (ökonomischen) Ende gesehen werden. Nach den blutigen Schlachten um die Unabhängigkeit und den vor und nach der endgültigen Abspaltung der Dominikanischen Republik im Jahr 1844 stattfindenden Rivalitäten zwischen Ost und West, Schwarzen und Weißen bzw. Mulatten gingen die Kämpfe weiter: 32 gewaltsame Machtwechsel musste das Land seitdem verzeichnen, wobei meistens persönliche Interessen der Machthaber im Vordergrund standen. Der 1957 mit Hilfe der Militärs „inthronisierte“ Diktator François Duvalier (bis 1971), „Papa Doc“ genannt, war einer der gefürchtetsten Gewaltherrscher Haitis. Ihm folgte sein Sohn Jean-Claude Duvalier (ab 1971), genannt „Baby Doc“, welcher nicht minder brutal und korrupt war und 1986 von Rebellen aus dem Amt und ins französische Exil getrieben wurde. Bevor der ehemalige Armenpriester Jean-Bertrand Aristide 1990 bei den ersten demokratischen Wahlen mit 90 Prozent der Wählerstimmen zum Präsidenten gewählt wurde, waren verschiedene Militärregierungen auf die Regierung von „Baby Doc“ gefolgt. Auch Aristide wurde nach kurzer Zeit vom Militär gestürzt und ging ins Exil in die USA. 1994 hievte ihn die US-Regierung wieder in sein Amt; nach 1915 bereits die zweite direkte US-amerikanische Intervention in Haiti, welche das Land damals bis 1934 besetzt hielten.

Nachdem Haiti kurzzeitig (1995-1997) unter dem Schutz der UNO gestanden hatte, geriet das Land 2004 aufgrund von rebellierenden Regierungsgegnern an den Rande eines Bürgerkrieges, in dessen Folge Aristide über Umwege ins südafrikanische Exil gezwungen wurde und im Land zunächst eine multinationale Truppe unter US-Führung stationiert wurde. Die Weltgemeinschaft gab darauf erneut ein Mandat zur Stationierung von UNO-Blauhelmen aus, auch um eine, durch Nahrungsmittelknappheit und fehlende Medikamente ausgelöste, humanitäre Katastrophe in der Bevölkerung zu verhindern. Im weiterhin unter UN-Mandat (Stabilisierungsmission zunächst bis Oktober 2008) stehenden Land, trat im Mai 2006 René Préval – bereits 1996 bis 2001 Staatsoberhaupt – das Präsidentenamt an, vor welchem das „sozialpolitische Titanenwerk“ liegt, Haiti mit internationaler Unterstützung aus einer Realität herauszuführen, die besonders auf den Straßen der Hauptstadt Port-au-Prince vorherrschend ist – Armut, Gewalt, Korruption und Drogenhandel.

In einem Land, in welchem rund 95 Prozent der ca. 8,7 Millionen Einwohner (2007) zählenden Bevölkerung Nachkommen von aus Westafrika verschleppten Sklaven sind und die haitianische Kreolsprache weitaus wichtiger als das ebenfalls offizielle Französisch ist, gilt der ursprünglich aus Afrika stammende Voodoo-Kult als anerkannte Religion. Der Voodoo soll die bösen Energien aus einem Menschen vertreiben, aber er kann anscheinend nicht die gravierenden Probleme des Landes lösen, welches heute mehr denn je auf die Überweisungen der ca. 2,5 Millionen ausgewanderten und hauptsächlich in den USA, Kanada und der Dominikanischen Republik lebenden Haitianer sowie Entwicklungshilfegelder der internationalen Gemeinschaft angewiesen ist.

* Übers.: Haiti niemals frei, fürchte dich nicht Alarm zu schlagen. Deine Kinder sind gegangen, in diesen Tagen war ihr Blut noch warm.

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