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Politik und Kultur in Lateinamerika

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Rede von Rigoberta Menchú Tum anläßlich der Verleihung des Friedensnobelpreise 1992

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Lesedauer: 17 Minuten

Ehrenwehrte Herren des Friedensnobelpreiskomitees,
Eure Majestäten Königin und König von Norwegen,
Eure Exzellenz Frau Premierministerin,
Mitglieder des Diplomatischen Corps. Sehr geehrte guatemaltekische Landsleute,
meine Damen und Herren.

Die Verleihung des Friedensnobelpreises 1992 hat mich tief bewegt und mit Stolz erfüllt. Persönliche Gefühle und Stolz auf die tausendjährige Kultur meines Vaterlandes, auf die Werte der Gemeinschaft des Volkes, dem ich angehöre, auf die Liebe zu meiner Erde, zur Mutter Natur. Wer diese Beziehungen versteht, achtet das Leben und den Kampf, der für diese Werte geführt wird.

Ich betrachte diesen Preis nicht nur als eine persönliche Auszeichnung, sondern als eine der großen Errungenschaften im Kampf für den Frieden, für die Menschenrechte und für die Rechte der indigenen Völker, die im Laufe von 500 Jahren entzweit wurden und unter dem Völkermord, der Unterdrückung und Diskriminierung zu leiden hatten.

Erlauben sie mir, Ihnen all das mitzuteilen, was dieser Preis für mich bedeutet.

Ich bin der Meinung, daß uns der Nobelpreis zusammenruft, um im Sinne seiner weltweiten Bedeutung tätig zu werden.

Dieser Nobelpreis stellt ein weithin sichtbares Zeichen dar, um auch weiterhin die Menschenrechtsverletzungen offenzulegen, die gegen die Völker in Guatemala, in Amerika und auf der ganzen Welt begangen werden. Er spielt eine positive Rolle bei der dringend zu lösenden Aufgabe, in meinem Land einen Frieden in sozialer Gerechtigkeit zu erringen.

Der Preis stellt ohne jeden Zweifel ein Zeichen der Hoffnung für die Kämpfe der indigenen Völker des gesamten Kontinentes dar. Er ist auch eine Ehrung für die Völker Mittelamerikas, die noch immer auf der Suche nach innerer Stabilität sind, nach der Gestaltung ihrer Zukunft und dem Weg ihrer Entwicklung und Integration, auf der Grundlage einer zivilen Demokratie und der gegenseitigen Achtung.

Die Bedeutung dieses Preises zeigen auch die Glückwunschbotschaften, die von allen Seiten kamen, …aus allen Teilen der Welt. Paradoxerweise war es gerade in meinem Land, in dem ich die größten Einwände, viele Vorbehalte und Gleichgültigkeit gegenüber der Verleihung des Nobelpreises an diese Quiche-India fand. Vielleicht weil es Guatemala ist, wo sich die Diskriminierung gegenüber den Indigenas, gegenüber den Frauen und sich der Widerstand gegen die Sehnsucht nach Gerechtigkeit und nach Frieden in gewissen politischen und sozialen Kreisen zu Hause fühlen.

Einerseits mit tiefem Schmerz, aber andererseits mit Genugtuung gebe ich ihnen bekannt, daß der Friedensnobelpreis vorübergehend, in Erwartung des Friedens in Guatemala, in Mexico verbleiben muß. weil es in meinem Land keine politischen Bedingungen für ihn gibt. Die Freude und die Dankbarkeit stammen aus der Tatsache, daß Mexico, unser brüderliches Nachbarland, das so viel Anteilnahme und Kraft aufgebracht hat in den Verhandlungen, die zur Erlangung des Friedens geführt wurden und das die guatemaltekischen Flüchtlinge und Exilierten beschützt, uns einen Platz im Museum des Großen Tempels (der Wiege der tausendjährigen Erinnerung der Azteken) bewilligt hat. Dort kann der Nobelpreis verweilen, bis Bedingungen des Friedens und der Sicherheit in Guatemala geschaffen worden sind, um ihn dann in Guatemala unterzubringen, der Erde des Quetzals. Um all das zu werten, was die Verleihung des Nobelpreises bedeutet, möchte ich einige Worte in Vertretung jener sagen, deren Worte nicht gehört werden oder die nicht in der Lage sind, ihren Gedanken Ausdruck zu verleihen, den Marginalisierten, den Diskriminierten, jenen, die in Armut leben müssen, im Elend, als Opfer der Unterdrückung und der Verletzung der Menschenrechte. Die Menschen haben jedoch durch die Jahrhunderte hindurch widerstanden und sie haben weder das Bewußtsein noch die Entschlossenheit noch die Hoffnung verloren.

Erlauben Sie mir, meine Damen und Herren, einige Worte über mein Land und die Maya-Kultur zu sagen. Die Mayavölker entwickelten sich, geographisch gesehen, in einer Ausdehnung von 300 000 km2. Sie bewohnten Gebiete in Südmexico, Belice, Guatemala und El Salvador und entwickelten eine sehr hohe Kultur auf den Gebieten der politischen, sozialen und wirtschaftlichen Organisation. …

Die Mayas entdeckten die mathematische Kategorie NULL, fast zur gleichen Zeit, da sie in Indien entdeckt wurde und danach zu den Arabern gelangte. Die auf mathematischen Berechnungen und wissenschaftlichen Beobachtungen basierenden astronomischen Vorhersagen sind noch heute erstaunlich. Sie entwickelten einen genaueren Kalender als es der gregorianische ist und auf dem Gebiet der Medizin praktizierten sie z.B. auch chirurgische Schädeloperationen.

Heute ist es bedeutend, den tiefen Respekt der Maya-Kultur gegenüber dem Leben und der Natur im allgemeinen hervorzuheben.

Wer könnte voraussagen, welche anderen großen wissenschaftlichen Errungenschaften und welchen Stand der Entwicklung diese Völker erreicht hätten, wenn sie nicht durch Blut und Feuer erobert worden wären, Opfer eines Völkermordes, der in 500 Jahren 50 Millionen Menschen betraf. …

Die Jubelfeiern der Organisationen der Indigenas des gesamten Kontinentes und die weltweiten Glückwünsche anläßlich der Verleihung des Friedensnobelpreises, bringen klar und deutlich die Wichtigkeit dieser Entscheidung zum Ausdruck. Das ist die Anerkennung der Schuld Europas gegenüber den indigenen Völkern Amerikas. Es ist ein Appell an das Bewußtsein der Menschheit, daß sie die Bedingungen der Ausgrenzung der Indigenas und der Ausbeutung der Nicht-Indigenas beseitigt. Und es ist auch ein Schrei für das Leben, den Frieden, die Gerechtigkeit, die Gleichheit und Brüderlichkeit zwischen menschlichen Wesen.
Die Besonderheit der Visionen der indigenen Völker äußert sich in den Formen ihrer Beziehungen. Dies sind erstens Beziehungen gemeinschaftlicher Art zwischen menschlichen Wesen, und zweitens die Verbindung zur Erde. Die Erde ist unsere Mutter, sie gab uns das Leben und ist nicht nur eine Ware. Drittens gibt es eine enge Beziehung zur Natur, denn wir sind Teil von ihr und nicht ihre Besitzer.

Die Mutter Erde ist für uns nicht nur eine wirtschaftliche Quelle, die uns den Mais spendet, der unser Leben ist, sondern schenkt so viele Sachen, welche von den Privilegierten von heute eifrig erstrebt werden. Die Erde ist Wurzel und Quelle unserer Kultur. Sie bewahrt unsere Erinnerung, sie bettet unsere Vorfahren. Die Erde fordert für so vieles auch von uns, daß wir sie ehren und ihr mit Zärtlichkeit und Achtung die Wohltat angedeihen lassen, die sie uns angedeihen läßt. Wir müssen die Mutter Erde pflegen und beschützen, damit unsere Kinder und Enkel weiterhin ihre Wohltaten nutzen können. Wenn die Welt jetzt nicht lernt, die Natur zu achten, welche Zukunft werden die neuen Generationen haben?

Von diesen grundlegenden Wesenszügen leiten sich das Verhalten, die Rechte und Pflichten auf dem amerikanischen Kontinent ab, sowohl für die Indigenas als auch für die Nicht-Indigenas, seien sie Mestizen, Schwarze, Weiße oder Asiaten. Alle Gemeinschaften haben die Pflicht, sich gegenseitig zu achten, voneinander zu lernen und ihre geistigen und materiellen Errungenschaften gemäß ihren eigenen Bedürfnissen zu teilen. Die Indigenas hatten niemals und haben bis heute nicht den Platz, der dem Fortschritt und Gewinn aus Wissenschaft und Technik entspricht, obwohl sie eine deren bedeutender Grundlagen gewesen sind.

Die indigenen Kulturen und die Kulturen Europas hätten ohne die Zerstörung, die Ausbeutung, die Diskriminierung und das Elend, … , sicherlich eine Verbindung mit größten und wertvollsten Errungenschaften für die Menschheit gehabt.

Wir sollen nicht vergessen, daß mächtige Kulturen blühten, als die Europäer nach Amerika kamen. Wir können nicht von einer Entdeckung Amerikas sprechen, weil nur das entdeckt wird, was nicht bekannt ist oder das was sich verborgen hält. Aber Amerika und seine Kulturen hatten sich selbst entdeckt, lange vor dem Fall des Römischen Weltreiches und dem europäischen Mittelalter. Das durch seine Kulturen Geschaffene, ist Teil des Menschheitserbes und setzt durch seine Studien weiterhin in Erstaunen.

Ich denke, daß es notwendig ist, daß die indigenen Völker, deren Angehörige ich bin, ihre Wissenschaft und ihre Kenntnisse zur Entwicklung der Menschen beisteuern, weil wir eine ungeheure Kraft für diese Entwicklung besitzen. Wir müssen unser tausendjähriges Erbe mit dem Fortschritt Europas und anderer Gebiete der Welt verbinden.

Wir Indigenas sind bereit, die Tradition mit der Modernität zu verbinden, aber nicht um jeden Preis. Wir werden nicht zulassen, daß wir die Bewacher von „Völkerkundetourismus -Projekten“ im internationalen Maßstab werden.

In einem Moment des weltweiten Echos anläßlich der Gedenkfeiern zur Fünfhundertjahrfeier der Ankunft von Christoph Columbus auf amerikanischer Erde sind wir indigenen Völker erneut aufgerufen, vor der Welt unsere Existenz und den Wert unserer kulturellen Identität zu bekunden. Das erfordert von uns zu kämpfen, um aktiv an der Bestimmung unseres Schicksals, am Bau unserer Nationen teilzunehmen. Wenn wir keine Beachtung finden, dann gibt es Wege, die unsere Zukunft sichern: der Kampf und der Widerstand; die geistigen Reserven; die Entscheidung, unsere Traditionen aufrecht zu erhalten, erprobt durch viele Schwierigkeiten, Hindernisse und Leiden; die Solidarität mit unseren Kämpfen von Seiten vieler Länder, Regierungen, Organisationen und Bewohnern der Erde.

Der heutige Tag der 47. Sitzungsperiode der Generalversammlung der Organisation der Vereinten Nationen eröffnet 1993 als das Internationale Jahr der Indiovölker. …

Wir erwarten, daß die Ausformulierung des Entwurfs der Erklärung über die Rechte der indigenen Völker den bestehenden Widerspruch zwischen den Fortschritten im internationalen Recht und der schwierigen Wirklichkeit, in der wir amerikanischen Indios leben, untersucht und ergründet.

Es wird ein Jahr für unsere Völker geben, dass den sie quälenden Problemen gewidmet ist. Deshalb werden sie sich vorbereiten, um Aktionen in vernünftigsten Formen und mit gültiger und gerechter Argumentation durchzuführen, um den Rassismus, die Unterdrückung, die Diskriminierung und die Ausbeutung zu beseitigen, die uns in Elend und im Vergessen versinken lassen. Für die Verdammten dieser Erde stellt die Zuerkennung des Nobelpreises auch eine Anerkennung, einen Anreiz und ein Ziel dar.

Ich wünsche mir, daß sich unter allen Völkern ein bewußter Sinn für den Frieden und ein Gefühl menschlicher Solidarität entwickelt, damit im nächsten Jahrtausend neue respektvolle und gerechte Beziehungen entstehen können, die von Brüderlichkeit und nicht von blutigen Auseinandersetzungen geprägt sind. …

Meine Damen und Herren, einige offene Worte über mein Land. Die Aufmerksamkeit, die sich durch die Verleihung des Friedensnobelpreises auf Guatemala konzentriert, muß es möglich machen, daß auf internationaler Ebene die Nichtbeachtung der Menschenrechtsverletzungen aufhört und das all jene geehrt werden, die 4 kämpfend für die soziale Gleichheit und die Gerechtigkeit in meinem Land starben.

Die Welt weiß, daß es dem guatemaltekischen Volk gelang, im Oktober 1944 eine demokratische Phase zu erkämpfen, deren wesentliche Philosophie … die Menschenrechte waren. Guatemala war während dieser Epoche auf dem amerikanischen Kontinent eine Ausnahme in seinem Kampf zur Erlangung der vollen nationalen Souveränität. Aber eine Verschwörung im Jahre 1954, die die traditionellen Zentren der nationalen Macht, die Erben der Kolonialzeit mit mächtigen ausländischen Interessen vereinte, zerstörte das demokratische System durch eine bewaffnete Intervention und zwang von neuem das alte Regime auf, das Regime der Unterdrückung, das die Geschichte meines Landes kennzeichnet.

Die politische, ökonomische und soziale Abhängigkeit, die sich als Produkt des Kalten Krieges herleiten läßt, gab den Ursprung für den bewaffneten inneren Konflikt. Die Unterdrückung der Volksorganisationen, der demokratischen Parteien, der Intellektuellen begann in Guatemala lange bevor der Krieg begonnen wurde. Wir vergessen es nicht.

Mit der Absicht, die Rebellion zu ersticken, begingen die Diktaturen die größten Grausamkeiten. Sie machten Dörfer dem Erdboden gleich, sie ermordeten Zehntausende von Bauern, hauptsächlich Indigenas, Hunderte von Gewerkschaftern und Studenten, zahlreiche Journalisten, die darüber informierten, bekannte Intellektuelle und Politiker, Priester und Nonnen. Durch das Mittel der systematischen Vertreibung, gemäß der Sicherheitsdoktrin des Staates, fand die Vertreibung von einer Million Bauern satt. 100 000 wurden zu Flüchtlingen in Nachbarländern. In Guatemala gibt es fast 100 000 Waisen und mehr als 40 000 Witwen. In Guatemala wurde die Praxis der politischen Verschwundenen zur Staatspolitik.

Wie sie wissen, bin ich selbst die Überlebende einer massakrierten Familie. … Die Veränderungen in der Welt zwingen und treiben die Militärs, eine politische Öffnung zu erlauben, die in der Ausarbeitung einer Verfassung, einer Erweiterung des politischen Spielraumes und der Übertragung der Regierung an zivile Sektoren besteht. Seit acht Jahren ertragen wir dieses neue Regime, in dem sich bedeutende Räume für die Volksschichten und die Mittelschicht eröffnet haben.

Dessen ungeachtet hält in den offenen Räumen die Repression und die Verletzung der Menschenrechte an, inmitten einer sich verschärfenden ökonomischen Krise, die zu einem solchen Punkt geführt hat, daß 84% der Bevölkerung als arm gelten und ungefähr 60% als sehr arm. Die Straflosigkeit und der Schrecken dauern an. Sie verhindern die freie Meinungsäußerung des Volkes über seine Bedürfnisse und das Lebensnotwendige. Der bewaffnete innere Konflikt dauert an.

Das politische Leben in meinem Land suchte in der letzten Zeit nach einer politischen Lösung der gesamtgesellschaftlichen Krise und des bewaffneten Konfliktes, mit dem Guatemala seit 1962 lebt. Dieser Prozeß hat seinen Ursprung in der in Oslo unterzeichneten Übereinkunft zwischen der Nationalen Kommision der Versöhnung mit dem Mandat der Regierung und der URNG (Unidad Revolucionaria Nacional Guatemalteca), als einem notwendigen Schritt, um den Geist der Übereinkunft von Esquipulas nach Guatemala zu bringen.

Der Verhandlungsprozeß sucht Übereinkünfte für die Errichtung der Grundlagen einer wirklichen Demokratie und für die Beendigung des Krieges. …

Der Dialog und die politischen Verhandlungen sind ohne Zweifel geeignet, um die Probleme zu lösen und so gültige und konkrete Antworten anzubieten, die Bedürfnisse und die Lebensgrundlagen sowie die Demokratisierung unseres guatemaltekischen Volkes betreffend. Wenn die verschiedenen sozialen Gruppen der guatemaltekischen Gesellschaft ihre natürliche Verschiedenheit akzeptieren, ist eine Lösung der Probleme möglich, welche die Ursache für den Krieg in Guatemala sind. Davon bin ich überzeugt. Genauso wie die zivilen Bereiche der guatemaltekischen Gesellschaft muß auch die internationale Gemeinschaft fordern, daß die Verhandlungen zwischen der Regierung und der URNG die gegenwärtige Etappe der Diskussion um die Menschenrechte abschließen, um so schnell wie möglich zu einem von den Vereinten Nationen beglaubigten Vertrag zu gelangen. Es ist notwendig, hier in Oslo hervorzuheben, daß die Einhaltung der Menschenrechte in Guatemala eine umgehend zu lösende Aufgabe ist.

Der Aufbau demokratischer Verhältnisse in Guatemala ist notwendig. Es ist erforderlich, daß die Menschenrechte in ihrer gesamten Skala verwirklicht werden: der Rassismus muß beendet und die Organisations- und Bewegungsfreiheit aller öffentlichen Bereiche der Bevölkerung muß gewährleistet werden. Letzten Endes ist es unumgänglich, eine multikulturelle Gesellschaft mit allen ihren Rechten zu gestalten, das Land zu entmilitarisieren und die Basis seiner Entwicklung zu schaffen, die Rückständigkeit und das Elend, in welchem wir gegenwärtig leben, zu beenden.

Eine der bittersten Erfahrungen eines hohen Prozentsatzes der Bevölkerung ist die gewaltsame Vertreibung. Die Bevölkerung sieht sich durch die Militärkräfte und die Verfolgung gezwungen, ihre Dörfer zu verlassen, ihre Mutter Erde, die Ruhestätte der Vorfahren, ihre gewohnte Umgebung, die Natur, die das Leben gab und das Lebensgebiet ihrer Gemeinschaften, die ein zusammenhängendes System der sozialen Organisation und der funktionierenden Demokratie bilden.

Fundamentale Bedeutung kommt einer Neuverteilung des Grundbesitzes in der neuen guatemaltekischen Gesellschaft zu, damit die landwirtschaftlichen Fähigkeiten entwickelt werden können und das geraubte Gemeindeland an seine rechtmäßigen Besitzer zurückgegeben wird. Dabei darf nicht versäumt werden, diesen Prozeß der Neuorganisierung mit dem größtmöglichsten Respekt gegenüber der Natur durchzuführen, um diese zu beschützen und ihr die Kraft und die Fähigkeit, Leben zu spenden, zurückzugeben.

Nicht weniger kennzeichnend für eine Demokratie ist soziale Gerechtigkeit. Sie erfordert die Beseitigung der erschreckenden Zahlen der Kindersterblichkeit, der Unterernährung, des Mangels an Bildung, des Analphabetismus, der Hungerlöhne. Diese Probleme quälen zunehmend und schmerzhaft die guatemaltekische Bevölkerung, die perspektivlos und ohne Hoffnung ist.

Einer der Wesenszüge, die eine moderne Gesellschaft charakterisieren, ist die Rolle der Frau. Die Emanzipation der Frau ist in noch keinem Land der Welt verwirklicht. Die historische Entwicklung Guatemalas belegt die Notwendigkeit und die Unumkehrbarkeit der aktiven Mitwirkung der Frau bei der Gestaltung der neuen sozialen Ordnung des Landes und ich denke, daß die indigenen Frauen ein Beispiel dafür sind. Dieser Friedensnobelpreis ist eine Anerkennung all derer, die stets die am meisten Ausgebeuteten waren und es im größten Teil der Welt immer noch sind. Die Frauen sind die am stärksten Diskriminierten und die am meisten Marginalisierten und trotzdem die Schöpferinnen des geistigen Lebens, des Ausdrucks und des Reichtums. Die Demokratie, die Entwicklung und die Modernisierung eines Landes werden ohne die Lösung dieser Probleme zusammenhanglos und unmöglich gemacht.

Ebenso wichtig ist in Guatemala die Aufklärung über die Identität und die Rechte der indigenen Völker, die nicht nur während der Kolonialzeit ignoriert und verachtet worden sind, sondern auch während der republikanischen Ära. Man kann nicht ein demokratisches, freies und souveränes Guatemala konzipieren, ohne daß die indigene Identität, die alle Aspekte der nationalen Existenz prägt, Gestalt annimmt.

Ich rufe alle sozialen und ethnischen Schichten auf, sich zusammenzusetzen, um aktiv an der Suche nach einer friedlichen Lösung im bewaffneten Konflikt teilzunehmen, beim Schmieden einer festen Einheit zwischen den Völkern der Ladinos, der Schwarzen und der Indigenas, die in ihrer Verschiedenheit die guatemaltekische Nation bilden müssen.

In diesem Sinne lade ich die internationale Gemeinschaft ein, mit konkreten Aktionen beizutragen, daß die Parteien ihre Differenzen überwinden, die derzeit die Verhandlungen in einer Abwartehaltung verharren lassen, damit zuerst ein Vertrag über die Menschenrechte unterzeichnet wird und dann die Verhandlungsrunden wieder aufgenommen werden. Man muß Kompromißpunkte finden, die es ermöglichen, einen Friedensvertrag zu unterzeichnen und diesen unmittelbar zu kontrollieren. Dann habe ich nicht den geringsten Zweifel, daß dies eine substantielle Verbesserung der bestehenden Verhältnisse Guatemalas mit sich bringt. Meiner Meinung nach könnte eine direktere Teilnahme der Vereinten Nationen, deren Rolle bisher mehr die einer Beobachterin war, wesentlich beim Übergangsprozeß helfen.

Meine Damen und Herren, die Tatsache, die mich hauptsächlich über Amerika und im besonderen über mein Land hat referieren lassen, bedeutet nicht, daß die Lebenssituation anderer Völker dieser Erde in ihrem unablässigen Kampf um den Frieden, das Recht auf Leben und alle ihre unveräußerlichen Rechte, keinen bedeutenden Platz in meinem Geist und in meinem Herzen einnehmen. Die Verschiedenheit, in der wir uns am heutigen Tage hier versammelt haben, ist ein Beispiel dafür und in diesem Sinne möchte ich ihnen meinen Dank aussprechen.

Viel hat sich in diesen Jahren gewandelt. Große weltweite Veränderungen haben stattgefunden. Die Konfrontation zwischen Ost und West hat aufgehört zu existieren und der Kalte Krieg ist beendet. Diese Umwandlungen, deren Auswirkungen sich nicht voraussagen lassen, haben eine Leere hinterlassen, die die Völker der Erde genutzt haben, um aufzutauchen, um Räume im internationalen Maßstab zu erkämpfen und internationale Anerkennung zu erlangen.

Wir kämpfen heute für eine bessere Welt, für eine Welt ohne Elend, ohne Rassismus, mit Frieden im Nahen Osten und im Südwesten Asiens, wohin ich mein Gebet richte für die Befreiung von Frau Aung San Suu Kyi, der Friedensnobelpreisträgerin von 1991. Wir kämpfen für eine gerechte und friedliche Lösung auf dem Balkan, für die Einhaltung des Friedensvertrages in El Salvador, für das Ende der Apartheid in Südafrika; die Stabilisierung in Nicaragua, die Wiederherstellung der Demokratie auf Haiti, für die volle Souveränität Panamas.

In unserem Geist bewahren wir die schmerzhaftesten Klagen der gesamten Menschheit, wenn wir das friedliche Zusammenleben und die Bewahrung der Natur verteidigen. Der Kampf, den wir kämpfen, wird die Zukunft auf die Probe stellen und formen.

Unsere Geschichte ist lebendig, pulsierend, widerstehend und sie hat die Jahrhunderte der Opfer überlebt. Eine Geschichte, die mit Nachdruck aufersteht. Die Samen, die während so langer Zeit schlummerten, keimen heute mit Gewißheit, obwohl sie sich in einer durch Ungenauigkeit und von Verwirrung gekennzeichneten Welt entwickeln.

Ohne Zweifel wird es ein komplexer und langandauernder Prozeß sein, aber er ist keine Utopie und wir Indigenas haben jetzt Vertrauen in seine Verwirklichung, vor allem da wir uns nach Frieden sehnen. Wir unternehmen Anstrengungen, damit man die Menschenrechte in allen Teilen der Erde, wo sie verletzt werden, respektiert und wir setzen unsere Verpflichtung mit Eifer und Vehemenz in die Tat um, indem wir uns dem Rassismus widersetzen.

Das guatemaltekische Volk engagiert sich und ist sich seiner Stärke bewußt, um eine würdige Zukunft zu gestalten. Es bereitet sich darauf vor, die Zukunft zu schaffen, sich von Atavismen zu befreien und sich selbst neu zu entdecken, um ein Land mit einer authentischen nationalen Identität aufzubauen, um zu beginnen zu leben.

Um alle ladinischen, schwarzen und indigenen Nuancen des guatemaltekischen Mosaikes zusammenzufügen, müssen wir, ohne in Widerspruch zu geraten, eine Vielzahl von Farben verflechten, ohne das sie grotesk und antagonistisch sind, ihnen Glanz geben und eine höhere Qualität, so wie sie unsere Künstler weben können – einen genialen hupil, eine Gabe an die Menschheit.

Vielen Dank

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